Jonathan wusste nichts, von dem was Nathalie an neuem Wissen zuteil geworden war, doch irgendwie spürte er tief in sich drin eine seltsame Unruhe. Er begann immer mehr daran zu zweifeln, dass es richtig gewesen war, sich von der Frau, die er so unendlich liebte zu trennen. Jonathan war sehr feinfühlig und es spürte eine Veränderung der Gesamtschwingung, was diese Geschichte betraf. Mehrmals überlegte er sich Nathalie anzurufen, doch irgendwie brachte er es nicht über sich. Immerhin hatte er Schluss gemacht und nun musste er dazu stehen. Allerdings…, wenn sie ihn nochmals anrief, so beschloss er, würde er doch mal wieder ran gehen. Und tief im Inneren hoffte er, sie würde es wirklich tun.
Auch Marc hoffte insgeheim, bald wieder etwas von Nathalie zu hören. Der Traum, den er von ihr gehabt hatte, der Moment, an dem sie ihn verlassen und sich für Jonathan entschieden hatte, brannte noch immer, wie ein feuriger Schmerz, in seiner Seele. Er war hin und her gerissen zwischen der Akzeptanz, ihrer Entscheidung gegenüber und der Hoffnung, dass er sie schlussendlich vielleicht doch noch zurück zu erobern vermochte. Immerhin war sie, auch wenn es im Traum anders ausgesehen hatte, von Jonathan getrennt und vielleicht, ja vielleicht, konnte Marc sich langsam und vorsichtig zurück in ihr Herz schleichen. Jedenfalls war es nicht seine Art so schnell aufzugeben. Dazu war er noch immer zu stur und zu stolz. Warum hätte er all diese Erkenntnisse über seiner wirklichen Liebe zu Nathalie gewinnen sollen, wenn er und sie nicht doch füreinander bestimmt gewesen wären? Okay, vielleicht war sie gerade noch etwas durcheinander, konnte Jonathan wirklich noch nicht richtig loslassen. Doch irgendwann würde es nicht mehr anders gehen, sofern der junge Indianer sie weiterhin ignorierte. Und dann würde er da sein! Wenn sie jetzt nur endlich mal wieder anrufen würde und…
in diesem Augenblick klingelte das Telefon. Er hob schnell ab, doch am anderen Ende der Leitung erklang nicht (wie erhofft) Nathalies Stimme, sondern die Stimme seines Mentors Snakeman. "Hallo Marc!" „Hej Frank!“ sprach der junge Mann „Wie geht es dir?“ „Es geht mir gut danke und dir?“ „Nun ja, ich bin noch immer etwas bekümmert wegen Nathalie. Gerade hatte ich einen Traum, in dem sie sich leider für Jonathan entschieden hat.“ „Träume sind oft nahe an der Wahrheit cinksi,“ erwiderte Snakeman. „Du solltest sie ernst nehmen.“ „Das hätte ich jetzt nicht unbedingt von dir hören wollen Frank. Ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Immerhin hat Jonathan sich von Nathalie getrennt und wenn sie nicht aus irgendeinem Grund doch wieder zusammenkommen, habe ich immer noch eine Chance.“ „Du redest genauso, wie man es von einem Schlangengeborenen (Schlange ist das indianische Sternzeichen von Marc) erwarten würde. Aufgeben ist nicht dein Ding, nicht wahr?“ „Nein, meine Art ist ausdauernd und hartnäckig. Du solltest das ja kennen, du bist ja auch ein Schlangengeborener.“ „Ja, aber ich habe mit der Erfahrung gelernt, dass man nicht immer die Welt aus den Fugen heben kann. Es gibt gewisse Tatsachen, denen auch wir uns früher oder später stellen müssen. Darum verbeisse dich bitte nicht zu sehr in dem Gedanken, Nathalie zurück gewinnen zu wollen, sonst vertreibst du sie nur noch mehr. Das ist dir ja schon öfters gelungen.“ „Du bist wie immer schonungslos offen Snakeman,“ gab Marc etwas beleidigt zurück. „Ja, ich bin auch nicht da, um dich zu schonen, dass weisst du doch.“ „Aber ein wenig ermutigen könntest du mich schon mal. Immerhin macht die ganze Geschichte mich schon ziemlich fertig. Da habe ich mit dem Tode gerungen und mir wurde offenbart, dass Nathalie der strahlendste Stern in meinem Leben ist und du sagst mir, ich solle aufgeben.“ „Du sollst nur keine unnötige Energie verschwenden mein Sohn. Die Eigenschaft der Schlange ist es auch, sparsam mit ihren Kräften umzugehen, daran solltest du dir ein Beispiel nehmen. Manchmal legt sie sich einfach in die Sonne und wartet bis diese sie neu belebt. Das wäre vielleicht gerade die beste Haltung.“ „Also mit anderen Worten, ich soll nichts tun. Nun gut ich wollte sowieso auf Nathalies Anruf warten. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, ich wolle sie bedrängen.“ „Das scheint mir eine kluge Entscheidung zu sein cinksi.“ Marc seufzte, sagte aber nichts weiter dazu. Es würde ihm wohl nichts anderes übrigleiben, als abzuwarten, auch wenn es ihm sehr schwer fiel. „Aber eigentlich rufe ich dich aus einem anderen Grund an Marc,“ wechselte Frank das Thema. „Ich werde in die Schweiz kommen. Ich wurde zu einem Indianerfestival am Bodensee eingeladen. Dort werde ich den Leuten den indianischen Tanz vorführen und auch noch ein wenig über die Mythologie der Lakota sprechen. Es würde mich freuen, wenn wir uns mal treffen könnten. Der Bodensee soll sehr schön sein. Was meinst du?“ Marc freute sich sehr, seinen Meister doch schon so bald wieder zu sehen und erwiderte: „Natürlich werde ich kommen! Wo findet es denn statt?“ „Wie hiess der Ort nochmals… Rheineck, glaube ich.“ „Ja davon habe ich gehört. Ich weiss sogar wo das genau ist. Denkst du denn, du hast überhaupt mal Zeit, dich mit mir zu treffen Frank?“ „Natürlich. Ich werde noch ein paar Tage länger bleiben und vielleicht können wir ja noch eine spirituelle Reise zusammen unternehmen.“ „Das klingt gut! Dann werden wir uns also dort sehen?“ „Ja. Hättest du am Freitag am 24. August Zeit?“ „Ja natürlich!“ „Dann machen wir das doch so. Die genaue Zeit besprechen wir noch.“ „Okay, ich freue mich!“ „Ohan toksa ake (Okay bis bald)!“ erwiderte Snakeman und Marc legte in freudiger Erwartung den Hörer auf.
Auch Nathalie hatte die Sehnsucht, mit ihrem Mentor Wandernder Bär zu sprechen und ihm alles zu erzählen, was sich zugetragen hatte. Sie wollte ausserdem durch selbigen herausfinden, ob es sich überhaupt lohnte Jonathan nochmals anzurufen. Ihr Lehrer besass zum Glück ebenfalls ein Handy und so versuchte sie am folgenden Morgen um 6 Uhr ihn anzurufen. Sie musste die Zeit immer beachten, denn immerhin bestanden acht Stunden Zeitunterschied zwischen South Dakota und der Schweiz. Wenn es also in der Schweiz 6 Uhr war, war es dort 22 Uhr. Zu jener Zeit, war ihr Lehrmeister bestimmt noch wach, aber auch nicht mehr am Arbeiten. Sie musste nicht lange klingeln lassen und ihr Mentor meldete sich: „William Greatbear!“ „Hallo Will!“ freute sich Nathalie „schön dass ich dich erreiche!“ „Nathalie? Wie schön von dir zu hören!“ Wie geht es dir?“ „Sehr gut, danke und dir?“ „Nun ja, abgesehen von den üblichen Altersgebrechen und der manchmal nicht immer leichter Arbeit im Reservat, geht es mir gut. Du wirst hier vermisst, besonders Sally hat oft nach dir gefragt.“ „Wie geht es ihr?“ „Das ist eine sehr tragische Geschichte. Sie hat vor kurzem beide Elternteile bei einem Unfall verloren.“ „Wie bitte! Ihre Eltern sind … tot? Aber das ist ja entsetzlich!“ „Ja, das ist es. Wir tun alles, um sie zu unterstützen, doch die psychischen Folgen solch eines Verlustes, sind nicht zu unterschätzen.“ „Was ist denn bloss passiert?“ Ihr Vater ist betrunken Auto gefahren und hat in diesem Zustand die Mutter von der Arbeit abgeholt. Es gab einen Unfall und beide starben. Wir suchen nun verzweifelt nach irgendwelchen Angehörigen, doch wir haben bisher noch niemanden gefunden, der dafür in Frage käme. Gerade suchen wir nach einem Paten für die Kleine.“ „Das mache ich!“ rief Nathalie, ohne lange nachzudenken. Ich werde Sally finanziell unterstützen, auch damit sie ihre Schule fertig machen kann. Ausserdem werde ich so schnell wie möglich wieder in die USA reisen.“ „Das ist sehr lieb von dir cunksi! Aber es sieht eher so aus, als würde ich zuerst zu dir in die Schweiz kommen.“ „Du kommst her?“ „Ja, ich bin zusammen mit Snakeman an ein Indianer Festival am Lake Constance (Bodensee) eingeladen worden. Wir werden Tänze vorführen und auch sonst etwas über unser Volk berichten.“ „Wow toll! Wann ist das?“ „Im August.“ „Da werde ich selbstverständlich auch teilnehmen!“ rief Nathalie begeistert. „Das hatte ich gehofft.“ „Kommt Jonathan… vielleicht auch?“ William seufzte leicht „eigentlich ist es nicht so geplant.“ „Wie geht es ihm? Ich erreiche ihn einfach nie.“ „Er muss wohl… etwas Abstand gewinnen.“ „Dabei hätte ich wichtige Neuigkeiten für ihn,“ erwiderte Nathalie in der klaren Gewissheit, dass ihr Mentor bestimmt fragen würde, was für Neuigkeiten das waren. „Neuigkeiten?“ „Ja! Dann erzähle ich sie halt dir zuerst. Mir ist vor Kurzem etwas Unglaubliches passiert…“
Als Nathalie ihre Erzählung über die neue Erkenntnis zu Jonathans und ihrer Beziehung beendet hatte, war es einen Moment lang totenstill am anderen Ende der Leitung. Nathalie machte sich schon Sorgen. „William was ist? Ich höre dich nicht mehr! Ich hoffe unser Gespräch wurde nicht unterbrochen?“ „Nein, nein,“ nuschelte ihr Mentor. „Ich bin noch da. Ich musste das was du mir da erzählt hast zuerst verarbeiten. Das… war ja wirklich unglaublich! Die Krähe hat dich also tatsächlich zu Vater Krähe geführt, dem Geist des endlosen Wissens? Ich bin… sprachlos. Das konnte ich ja nicht ahnen. Ich… war so blind! Ich habe nur gewusst, wie eng Marc und du einst verbunden wart, aber… das Jonathan… das mein Sohn… einst vor endloser Zeit dein neuer Liebster wurde und eure Verbindung so stark gewachsen ist… Beim Grossen Geist! Ich habe so viele schreckliche Fehler gemacht, dabei hast du ganz klar gespürt, dass Jonathan und du zusammengehören. Auch er… hat es gespürt und ich… habe ihm sozusagen eingeredet, dass er nicht zu viel Hoffnung in eure Liebe setzen darf, weil Marc und du zusammengehören würdet. Er hat sich… von mir verunsichern lassen und gedacht, er mache lieber vorher Schluss, bevor du ihn wegen Marc doch noch verlassen würdest. Dabei… war alles ganz anders! Ich schäme mich, ich schäme mich so sehr Nathalie! Bitter vergibt einem dummen, alten Mann. Ich hätte wissen sollen, dass meine Suna die Wahrheit gut genug selbst erkennen kann. Ich tauge nicht als dein Lehrmeister, weil ich nicht das ganze Bild gesehen habe. Ich habe es von Anbeginn nicht gesehen.“ „Aber Will, sag doch sowas nicht!“ rief Nathalie erschrocken. „Du bist ein wundervoller Lehrmeister für mich, das bist du von Anbeginn gewesen. Ich habe so viel Wunderbares von dir gelernt und durch dich den Weg zu meinem Inneren, zu meiner Berufung, gefunden. Ausserdem habe ich durch dich meine grosse Liebe, meinen Dualpartner gefunden. Jonathan und ich, wir gehören zusammen und das wollte ich ihm sagen!“ Auf einmal vernahm Nathalie ein leises Schluchzen durch das Telefon und Wandernder Bär sprach nun mit tränenerstickter Stimme: „Wenn er das erfährt, dann wird sich alles verändern da bin ich mir sicher. Er wird dann begreifen, dass er sich niemals von dir hätte trennen dürfen. Er liebt dich noch immer… das alles ist so wundervoll! Mein Sohn hat seine Dualpartnerin wiedergefunden und ich durfte meinen Beitrag dazu leisten. Du musst nicht mehr nach der Vision Quest suchen, du bist… schon mitten drinn und ich darf daran teilhaben. Ich werde Jonathan sofort Bescheid geben. Er muss das wissen! Er muss alles wissen! Bestimmt wird dann alles wieder gut! Danke dass du diese wundervollen Erlebnisse und Erkenntnisse mit mir geteilt hast Nathalie! Sie werden auch mein Leben grundlegend verändern! "