Nathalie taumelte zurück. Das Bild verschwand und sie sah wieder nur die Vitrine mit dem Kalumet vor sich. „Was um alles in der Welt ist mit mir los?“ sprach sie laut in das Halbdunkel des Museums hinein, als wolle sie die seltsamen Bilder verscheuchen. Sie wandte sich apprupt ab und verliess den Raum.
Pflichtbewusst wie immer, aber ihre Gedanken weit entrückt, löschte sie alle Lichter und schloss die Tür des Museums hinter sich zu.
Es war Spätherbst und der Wind blies eiskalt. Nathalie schlug den Kragen ihrer schwarzen Leder- Jacke hoch und ging schnellen Schrittes die regennasse Strasse entlang. Ihr Wagen befand sich einige Meter vom Museum entfernt. Sie bestieg den bereits ziemlich alten Renault clio, dessen weisser Lack auch schon bessere Tage gesehen hatte und fuhr los.
Sie wohnte etwas ausserhalb des Stadtzentrums in in einem alten Mehrfamilienhaus.
Dieses besass schwiedeeisernen Balkone und grosse Fenster, die jeweils von ausgebleichten, grauen Läden flankiert wurden. Drei grosse Ahorn- Bäume umsäumten es und Efeu überwucherte den nördlichen Teil der Fassade.
Das Mädchen stellte ihr Auto auf den dafür vorgesehenen Platz, einige Meter vom Haus entfernt und wollte sich schnellstmöglich in die Wärme flüchten, als sie auf einmal inne hielt!
Sie glaubte ein Geräusch hinter sich zu vernehmen. War da nicht ein Schatten hinter jenen Büschen? Sie umfasste den Pfefferspray, den sie immer in der Tasche trug fester. Doch da sah sie den vermeintlichen Verursacher des Geräusches auch schon. Es war ein Marder der hinter ihr über die nächtliche Strasse huschte, oder war es womöglich ein „Wiesel“ gewesen?...
Das Wiesel kam vor ein paar Wochen in Tränen aufgelöst zu mir. Es berichtete mir dass die Flüsse im Westen über die Ufer getreten seien und die Wasserdrachen bereits viele unserer Tier- und Menschenbrüder verschlungen hätten. Die Seen in den östlichen Waldreichen, seien ebenfall stark angeschwollen und überschwemmten grosse Teile des Landes.Von den fernen Küsten hörte man wie die Meeresgeister die Fluten des grossen Wassers aufpeitschten, was ebenfalls viel Opfer forderte.
Es waren schreckliche Nachrichten die der „Kundschafter“ brachte, doch es würde noch schlimmer werden. Bis die Flut auch unser Land überschwemmte, würde es noch etwas länger dauern, doch der Tod kam sicher, wenn auch schleichend. So berief ich den Rat der „Weisen“ (zu dem ich in aller Bescheidenheit auch gehöre) ein, um zu besprechen, was weiter zu tun sei.
Ich schickte den Falken aus, um alle Ratsmitglieder zusammen zu rufen.
Es dauerte nicht lange, bis sie einer nach dem andern eintrafen. Es gab einen Vertreter jedes Tierklans, auch ein paar der „Allessehenden“ waren anwesend. Darunter auch meine beiden liebsten Schüler: Sunkmanitutanka- und ihr Gefährte Kangi. Ich habe meine eigenen Namen für die beiden. Sie nenne ich „Suna“ und ihn nenne ich „Kai“. Mein Herz ist voller Wärme für die zwei und ich staune, wie gut sie doch zusammenpassen. Sie sehen aus wie Zwillinge und doch sind sie verschieden in ihrem Wesen. Suna ist die Gesellige, stets offen und freundlich in ihrer Art. Allerdings gewinnt man ihr Herz nicht so einfach. Sie besitzt ein gesundes Misstrauen. Wenn man aber mal ihr Vertrauen erlangt hat, ist sie die allerbeste Freundin, die man sich vorstellen kann. Sie würde für ihre Lieben durch das Feuer der Unterwelt gehen, würde gegen gefährliche Drachen kämpfen, oder sich bösen Dämonen entgegenstellen, wenn es sein müsste. Sie ist eine sehr gewandte Kämpferin. Ihr Hikory-Bogen, verstärkt mit den Sehnen von Bruder Bison und geschmückt mit dem heiligen Fell der Bisam Ratte, trägt sie stets bei sich. Die Pfeile dazu wurden aus dem Holz des heiligen Baumes Psehtin- der Esche geschnitzt, welchen man auch „Baum der Himmel und Erde verbindet“ nennt. Die Schäfte sind befidert mit Adlerschwingen. Diese Federn waren einst ein Geschenk des Ratsmitgliedes „Weiser Adler“ an Suna. Man erzählt sich, dieser sei direkt vom Himmel gekommen, um uns die geistige Erkenntnis zu vermitteln, die alles am Leben hält. „Weiser Adler“ ist uralt und sein Gefider ist schon fast weiss. Es war eine Ehre für meine Schülerin, von ihm diese Federn zu erhalten. Ihr Bogen ist deshalb auch besonders geheiligt und verfehlt kaum mal sein Ziel. Kai ist in seinem Wesen eher still und in sich gekehrt. Er birgt grosses Wissen in seinem Innern, dass er nur wenigen preis gibt. So ist er nicht immer einfach einzuschätzen. Sein ganzes Gebahren ist geprägt von einer ruhigen Besonnenheit. Seine liebste Waffe ist der Tomahawk. Auch dieser ist geschmückt mit den Federn von „Weiser Adler“, doch auch noch mit den Federn des „Präriehuhns“, welches der Wächter der „Heiligen Spirale des Aufstiegs“ ist. Dies ist ebenfalls eine besonders hohe Auszeichnung für meinen Schüler. Es zeigt an, dass er im Geiste in die höchsten Sphären der unsichtbaren Welten aufsteigen gelernt hat. Kai aber zeigt selten etwas von seinem Können. Er ist still und bescheiden, doch in ihm brennt ein Feuer, dass ich noch bei wenigen sah. Er und Suna sind wie zwei Seiten derselben Medaille. Sie ergänzen sich in allen Bereichen des Lebens wunderbar und das macht ihre Beziehung aus.
Doch habe ich wieder zu weit ausgeholt. Ich wollte doch über die Ratsitzung berichten.
Alle kamen also: „Grauer Wolf“- mein besonderer Freund, der Adler, Bruder Bison, Mutter Schildkröte, die Eule, der Hirsch, Vater Krähe, Alter Kojote, Schwester Schlange, das Reh und der Rabe . Fast alle von ihnen hatten eins der Sternkinder an ihrer Seite, die bei den verschiedenen Klans aufgewachsen waren. Bei Bruder Rabe, war es eben Kai, bei „Grauer Wolf“ Suna.
Ich war Vositzender des Rates, darum hatte ich kein besonderes Menschenkind an meiner Seite. Die meisten der verschiedenen Klans aber waren schon mal bei mir in der Lehre gewesen.
Eigentlich weiss ich noch heute nicht womit ich die Ehre des Vositzenden verdient habe... Doch kommen wir zum Wesentlichen!
Wie üblich ergriff bei den Ratsversammlungen der Vorsitzende zuerst das Wort, das war demzufolge ich (was ich eigentlich nicht sehr liebe): „Wie ihr alle wisst,“ begann ich, „hören wir Hiobsbotschaften aus allen Teilen unserer Welt. Die grosse Flut wird kommen, das hat uns „Agleska“, (dabei blickte ich zur Eidechse hinüber) prophezeit. Es wird höchste Zeit...
Entgegen der Gebräuche begannen nun alle durcheinander zu sprechen: „Was tun wir? Unsere Brüder und Schwestern sterben! Bauen wir Boote? Die Hälfte meines Klans ist bereits gestorben! Es muss etwas getan werden! Aber was? Meint ihr wirklich das dies die grosse Flut ist? Hat Agleska sich womöglich geirrt?“ Dies waren Fragen die ich unter anderem heraushörte. Ich griff nach dem sogennanten Sprechstab, der laut der Legende aus den Wurzeln des Weltenbaumes gefertigt war und hob ihn in die Höhe. Er verlieh dem der in trug, die Macht allein zu sprechen. Sogleich verstummten die vielen Rufe und es wurde totenstill. „Ich verstehe dass ihr alle sehr durcheinander seid Brüder und Schwestern. Doch wir wollen jedem einzelnen die Möglichkeit geben zu sprechen. Wenn ihr alle zusammen sprecht wird das nichts.“ Ich reichte den Stab weiter an „Grauer Wolf“ dessen Fell wie Kohle und Asche aussah. Auch er war sehr alt und weise. Seine Stimme klang besonnen als er sprach: „ Ich glaube nicht das Agleska sich geirrt hat. Sie irrt sich niemals. So wird die grosse Flut kommen und unsere ganze Welt verschlingen. Es ist entsetzlich und doch kann es ein neuer Anfang für uns alle sein. Der Grosse Geist weiss was er tut. Wenn wir ehrlich sind, haben wir Tiere uns das eigentlich selbst zuzuschreiben. So viele von uns haben ihre ursprüngliche Herkunft, ihre Aufgabe vergessen. Sie stehen der Evolution im Wege, die die Sternkinder als zukünftige Wächter der Welt bestimmt hat. Nicht umsonst fiel einst das erste Sternenkind durch das Loch des entwurzelten Himmelsbaumes, hinunter auf unsere Welt. Alle Tiere einigten sich darauf diesem Sternkind und ihren Nachkommen einen guten lebenswerten Platz zu schaffen. Dies ist unsere geliebte „Mutter Erde“. Sie ist gütig und freudlich aller Kreatur gegenüber. Doch so manche von uns, leben in Feindschaft mit den Menschenkindern. Das sieht der Grosse Geist nicht gern, darum wird er diese Welt umgestalten. Es kann gut sein, dass wir dadurch unser Position als die Alten verlieren, oder nicht mehr wahrnehmen können. Doch liegt das alles bei uns. Ich finde es wichtig, dass wir uns unserer Verfehlungen bewusst werden, vielleicht wird es dann doch noch eine gemeinsame Zukunft von Menschen und Tieren geben. Darum lasst uns Boote bauen um der grossen Flut zu trozten so gut es geht...“ Er reichte den Stab weiter an die elfenbeinfarbene Schlange neben ihm, ihre Augen funkelten wie das Gold von Bernstein. Diese sprach mit zischender Stimme: „Was du da sagst Bruder Grauwolf mag in manchem stimmen. Doch, ist deine Sichtweise nicht etwas gar einseitig? Nicht nur wir sind schuldig geworden was die Sternkinder betrifft. Auch sie sind uns teilweise feindlich gesinnt. Besonder wir Schlangen haben oft darunter zu leiden. Sie verstehen unser Wesen nicht, einige zertreten uns einfach unter ihren Füssen, oder nehmen unsere Haut um ihre Waffen zu schmücken. Dafür töten sie viele von uns. So manche meines Volkes hassen sie deswegen und haben schon oft ihre Giftzähne gebraucht um sie ihrerseits zu töten. Ich heisse solche Verhaltensweisen nicht gut, habe ich doch selbst schon viele Sternkinder in meiner Obhut gehabt, die ich sehr liebe und denen ich alles anvertauen würde, sogar mein Leben.“ Dabei blickte sie wohlwollend zu ihrem Schüler herüber, ein kleiner schmaler Junge mit leuchtenden Augen und halblangem, schwarzen Haar. Er trug ein Oberteil aus dem schwarzbraunen Leder einer verstorbenen Kobra und ein ebensolcher Lendenschurz. Verlegen lächelte er, als sich alle Blicke auf ihn richteten.
Zuze'ca - die Schlange, fuhr fort: „Dennoch gibt es schon sehr Viele meines Volkes die anders denken und ihre Zahl wächst täglich. „Schwarzer Zahn“, mein bisher engster Vertrauter, ist den Sternkindern feindlich gesinnt. Er drängte mich vor dem Rat den Unwillen des Schlangenvolkes kund zu tun. Doch ich bin nach wie vor ein Freund der Menschen, und ich weiss welche Verpflichtungen wir gegenüber ihnen eingegangen sind. Trotzdem will ich ehrlich zu euch sein. Es gibt Feinde unter den Schlangen, die nicht zu unterschätzen sind, ebenso auch Feinde unter dem Menschenvolk. Wir müssen darum besorgt sein, dass selbige nicht die Überhand gewinnen. Das geht nur, wenn Mensch und Tier sich weiterhin gegenseitigen Respekt entgegenbringen. Das... betrifft alle...“ Die Schlange schwieg nun und ringelte sich wieder bedächtig zusammen. Ihre goldgelben Augen, die ihr auch den Namen „Goldenes Auge“ eingebracht hatten, musterten die Anwesenden still. Einige des Rates nickten zustimmend.
Schliesslich bat der „Grosse Hirsch“,zwischen dessen Geweih der Blitz der Erkenntnis wohnt, um das Wort. Er meinte mit wohlklingernder, tiefer Stimme: „Ich verstehe, was du uns sagen willst Schwester Schlange. Du hast sicher recht und wir müssen bedenken, dass nicht alle unserer Meinung sind, was die Sternkinder betrifft. Das ist, wei Grauer Wolf bereits sagte auch einer der Gründe, warum die grosse Flut uns heimsucht. Wichtig ist sich im Klaren zu sein, dass der Grosse Geist alles sieht und er weiss stets was er tut. Ich persönlich sehe in der Sinflut nicht nur eine seiner Geisseln. Er verfolgt noch andere Ziele mit dieser Flut, auch wenn das sehr schwer zu begreifen ist. Ich verlohr selbst schon viele meiner Brüder und Schwestern, die ich sehr liebte. Es wäre aber falsch die Hoffnung zu verlieren. Wir müssen etwas tun und darum bin ich auch dafür Boote zu bauen. Doch ist es vor allem wichtig, dass wir im Geiste stark bleiben und uns auf eine neue Zukunft freuen, denn ich weiss dass die Sinflut nicht das Ende ist. Es wird danach erst richtig beginnen und dann wird sich erweisen ob Tiere und Menschen weiterhin am selben Strick ziehen werden. Jedenfalls ist dazu, wie Schwester Zuze'ca bereits sagte gegeseitiger Respekt und Liebe unverzichtbar...“