4.Kapitel
Marc bekam von all dem nichts mit. Er hatte schon eine Weile keinen Kontakt mehr mit Nathalie gehabt. Sie hatte ihn einmal angerufen, doch er war da weniger zuverlässig. Da gab es immer so viel zu tun: All seine Hobbies, der Sport... und auch seine Kollegen wollten mal Zeit mit ihm verbringen, wenn er schon drei Wochen Urlaub machte. Eigentlich wusste er, dass er Nathalie mal hätte anrufen sollen, irgendwie plagte ihn deswegen auch das schlechte Gewissen. Das veranlasste ihn aber nur noch mehr dazu den Anruf heraus zu zögern.
Es war selsam. Eigentlich hatte er sich diesem Mädchen doch so nahe gefühlt, doch nun da sie sich so lange nicht mehr sahen, verblasste etwas die Erinnerung an ihre Begegnung. Sie waren ja schliesslich kein Paar (was ihn zeitweise wurmte), deshalb war Marc Nathalie ja nicht speziell verpflichtet. Da gab es noch viele andern Mädchen, die ihn anhimmelten und mit denen er einige nette Stunden verbringen konnte.
Gerade hatte einer seiner Kollegen ihm eine junge Frau namens Ursula vorgestellt. Sie war bildschön und in keinster Weise gehemmt. Die ganze Zeit machte sie Marc schöne Augen und schliesslich... nach einigen Drinks, nahm sie ihn mit zu sich nach Hause.
Als er Tags darauf mit dröhnendem Schädel erwachte, merkte er dass er in ihrem Bett lag. Sie lag noch schlafend neben ihm, mit ihrem langen, hellbraunen Haar und der tollen Figur, die halb entblösst da lag. Marc zog die Decke über sie, damit sie nicht fror... einfach so ein Impuls.
Doch dann erhob er sich. Er zog sich Jeans und Pullover über den trainierten Körper und verliess dann leise das Haus. Wieder ein One night stand und wieder fühlte sich Marc danach irgendwie leer. Was hatte er eigentlich davon? Er besass keinerlei Interesse an dieser Ursula, auch wenn sie vom Aussehen her eine Göttin sein mochte. Warum also, hatte er mir ihr geschlafen, warum tat er immer wieder diese Dinge? Eigentlich verletzte er die Frauen damit oft und seine Selbstachtung stieg dadurch nicht wirklich.
Wieder tauchte vor seinem Innern Auge ein Gesicht auf, ein Gesicht, dass sich tief in sein Herz eingebrannt hatte. Und...er schämte sich auf einmal...
Ganz in sich gekehrt betrat er seine Wohnung in Rüti, die vollgestopft mit Indianer- Utensilien und einigen Sportgeräten war.
„Warum habe ich bloss mit dieser Ursula geschlafen?“ fragte er in die Stille hinein. „Das kann es doch nicht sein. Was bewegt mich zu solchen Handlungen? Warum rufe ich Nathalie nicht endlich mal an?...“
„Tja diese Fragen solltest du dir wirklich mal stellen cinksi (Sohn)!“ sprach auf einmal eine Stimme hinter ihm. Eine Gestalt trat aus dem Schatten neben dem Fenster. Es war ein schlanker, sehniger Mann, mit asketischen Zügen, einem langen, schwarzen Zopf und durchdringenden Augen. Es waren die Augen eines Mannes, welcher um Licht und Schatten gleichermassen wusste. Er trug ein schwarzes Hemd mit bunten Perlen und Fransen bestickt und dazu die üblichen Blue Jeans.Es war ein Indianer, das erkannte Marc auf den ersten Blick. „Wer...sind sie?“ stotterte er so ungläubig wie Nathalie, als Wandernder Bär sie besuchte.
„Man nennt mich Snakeman (Schlangen Mann). Aber eigentlich heisse ich Weise Schlange. Was dir lieber ist.“ Bei den Weissen nennt man mich offiziell Frank Snakeman, doch es ist mir lieber, wenn du mich bei meinem indianischen Namen nennst. „Aber...was tust du hier? Wie bist du überhaupt reingekommen?“ „Das tut nichts zur Sache. Die Frage die du stellen solltest cinksi ist: Warum bin ich überhaupt hier?“ „Ja, das würde mich natürlich brennend interessieren!“ „Das kann ich mir vorstellen. Eigentlich bin ich hier um dich zu fragen, was du dir eigentlich von deinem Lebenswandel versprichst. Warum hörst du nicht etwas mehr hierauf?“ Er deutete auf Marcs Herz. „Du meinst ich höre zu wenig auf mein Herz?“ fragte er. „Allerdings!“ rief Snakeman nun offensichtlich ärgerlich. „Ständig verschleuderst du deine Energie für Dinge die nutzlos sind und verlierst dabei aus den Augen, was wirklich zählt! Dein ganzes Leben trainierst du schon deinen Körper, pochst auf deine Freiheit, nimmst dir einfach immer wieder das, was dir dein niedriger Instinkt sagt. Du hast deine grosse Liebe getroffen, aber du willst sie nicht als solche erkennen! Du hättest gewaltiges Potential, aber du nutzt es nicht! Ich habe dich einst etwas anderes gelehrt!“ „Was meinst du damit? Wir kennen uns doch gar nicht.“ fragte Marc nun sichtlich verwirrt. „Ach ja! Ich muss dich erst etwas genauer informieren, tut mir leid. Mir sind wohl die emotionalen Pferde durchgegangen. Doch es ärgert mich einfach wenn ich sehe, dass du nichts aus deinem Leben machst cinksi.“ „Nun aber mal halblang!“ protestierte Marc „Ich habe wohl etwas aus meinem Leben gemacht. Ich habe einen guten Job und mache auch sonst viel. All diese Bogen dort an der Wand habe ich selbst gefertigt. Auch Instrumente machte ich schon. Ich bin kein Müssiggänger. Und ausserdem... was heisst dieses Cinksi überhaupt?“
Einen Augenblick lang, schien ein verstohlenes Lächeln über das Gesicht des Indianers zu huschen, doch sogleich blickte er Marc wieder streng an. „Ich sagte nicht, dass du ein Müssiggänger bist Marc. Du hast einfach viel zu viel im Kopf. So dass es für dich gar nicht mehr möglich ist, die Stille und darin das „Grosse Geheimnis“ zu spüren. Dein Leben sollte einfach mehr vom Grossen Geheimnis durchdrungen sein. Nur dadurch bekommen deine Taten wahren Wert. Ausserdem heisst cinksi Sohn...“ Er sagte das nun in beinahe zärtlichem Ton.
„Aber warum...nennst du mich Sohn? Ist das so eine Redewendung?“ „Nein...“ erwiderte Weise Schlange leise. „Du warst wirklich einst wie ein Sohn für mich.“ „Aber wie ist das möglich?“ „Nicht in diesem Leben, aber in einem andren, weit entfernten, war ich einst dein Lehrmeister. Du nanntest mich damals „Vater Rabe“.
Dich nannte man Kai, eine Ableitung von Kangi- der Rabe.“ „Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Man nannte mich auch Rabe?“ „Ja weil du zum Raben- Klan gehört hast. Du warst ein überaus fleissiger, wunderbarer Schüler. In all den Leben die du seither durchlaufen bist, wurde dein wahrer Auftrag verwässert. Du hast sehr viel Leid erlebt und dazu kam noch deine verstandesorientierte Erziehung in diesem Leben. Du hast dich irgendwie selbst verloren und ich weiss du spürst das oft auch. Dann wirst du schwermütig, traurig und stürzt dich in irgendwelchen Unternehmen, damit du dich wertvoll fühlen kannst. Doch es nützt nichts, diese Leere... sie bleibt. Du kannst sie nur ausfüllen, wenn du dich wieder mehr auf deine Berufung konzentrierst. Du besitzt die transformierende Kraft der Schlange- die Schlange ist auch dein Geburtstotem. Die Schlangen- Kraft hat zwei Seiten. Diese Seiten, diese Gegensätze, gilt es zu vereinen. Dann und nur dann, wirst du den Frieden finden. Ich bin gekommen um dir dabei zu helfen. Damals vor langer, langer Zeit war ich der Weisse Rabe. Ich habe um all die Geheimnisse des Universums gewusst, um die Magie allen Daseins. Auch du hast es gewusst. In diesem Leben ist die Schlangen-Medizin meine Medizin. Ebenso wie deine. Ich will dir helfen damit richtig umzugehen. Wenn du dich dazu bereit erklärst diesen Weg zu gehen, wirst du mit mir nach Nordamerika reisen und noch viel mehr über deine Herkunft erfahren.“ „Aber...ich kann doch hier nicht einfach weg! Ich habe meine Verpflichtungen!“ „Du kannst ja erstmal den Rest deiner Ferien dafür in Anspruch nehmen, danach kannst du immer noch die Entscheidung treffen, ob du den Weg den ich dir weise gehen willst, oder noch nicht. Wenn nicht, dann kannst du dein altes Leben wieder aufnehmen und weiter in deinem Alltag nach dem Glück und dem Innern Frieden suchen. „Was meinst du dazu?“ „Nun ja...“stotterte Marc. „ Ich muss da noch einmal drüber schlafen. Dann sage ich dir Bescheid.“ „Wie du meinst, dann treffen wir uns also Morgen wieder hier.“ erwiderte Snakeman. „Ich hoffe du hörst diesmal mehr hierauf...,“ Wieder deutete er auf Marcs Herz, dann verliess er die Wohnung durch die Eingangstür. Marc sah ihm noch durch das Fenster nach, doch sehr bald verschwand der Indianer im nahe gelegenen Wäldchen und...verschmolz mit den zu dieser Zeit schwarzbraunen Schatten der Bäume...