Wenige Wochen später
Mit meinem Koffer in der Hand stand ich vor dem alten, heruntergekommenen Gebäude, welches mir in der nächsten Zeit als Heim und Arbeitsstätte dienen würde.
Wirklich begeistert war ich bei diesem Anblick nicht, aber nach Hause zurückkehren war auch keine Option für mich. Irgendwie wird es schon gehen, sagte ich mir.
Ich holte noch einmal tief Luft, nahm meinen Koffer fester in die Hand und ging die letzten Schritte zur Tür. Die Schaufensterscheiben waren beschlagen, weshalb ich keinen Blick nach innen werfen konnte. Über dem Eingang hin ein Schild mit den verblassenden Lettern „Weltenladen“. Vor langer Zeit musste all das mal einen guten Eindruck gemacht haben, doch man sah, dass sich seit einiger Zeit niemand mehr die Mühe gemacht hatte, den Laden etwas auf Vordermann zu bringen. Als ich die alte, morsche Tür öffnete, kündigte ein Glöckchen meine Ankunft an.
Innen war es ziemlich dunkel, da fast kein Tageslicht durch die dreckigen Fensterscheiben drang und meine Augen sich erst an das schummrige Licht gewöhnen mussten.
Hohe schwarze Regale aus Holz säumten die Wände, vollgestopft mit allen möglichen Kuriositäten, damit sich nur so die Bretter unter ihrem Gewicht bogen. Manche davon kamen mir bekannt vor, die Meisten hatte ich jedoch noch nie gesehen.
Es gab Glasflaschen, Tonkrüge und Holzkisten in unterschiedlichen Größen und Formen. Viele davon waren mit verblichenen Etiketten per Hand beschriftet, wobei die krakelige Schrift nur schwer entzifferbar war.
Von der Decke hingen Bünde von Kräutern hinab und verliehen dem Raum eine undefinierbare Duftnote. Als ich zu dem großen Tresen am Ende des Geschäfts trat, musste ich meinen Kopf senken, um nicht an irgendwelchen Pflanzen mit den Haaren hängen zu bleiben. Der Besitzer Baltasar kam aus dem hinteren Teil des Ladens auf mich zu. Als er näher kam, erhellte ein Lächeln sein Gesicht.
„Caitlyn, willkommen in meinem Reich.“, grinste er mich an.
„Hallo Baltasar, ich freue mich so sehr, endlich deinen Laden mal persönlich kennen zu lernen.“ Auch wenn ich ihn mir etwas anders vorgestellt hatte, fügte ich in Gedanken hinzu.
Ich kannte Baltasar schon mein Leben lang. Er war immer gerne in unserem Hotel für ein, zwei Nächte untergekommen, wenn er auf Weltenreise war. In dieser Zeit hatte er mir immer gerne Geschichten von seinem Laden und den Kunden erzählt. Zwar war er in der letzten Zeit immer seltener zu Besuch gewesen, jedoch hatte er auf meine Anfrage nach einem Job sofort eingewilligt.
„Ich verstehe es immer noch nicht, warum du von Anderswo unbedingt weg wolltest. Auch wenn diese Welt hier gewiss auch seine Vorzüge hat.“, schmunzelte er.
„Du weißt doch wie das ist. Schließlich bist du oft genug selbst durch die Welten gewandert. Man braucht irgendwann mal wieder was Neues im Leben, frischen Wind.“, flunkerte ich ihn an. Wie sollte ich ihm auch erklären, dass mich Liebeskummer von zu Hause fortgejagt hatte?
Ich hatte es dort einfach nicht länger ausgehalten, wo mich alles an Max und unsere gemeinsame Zeit erinnerte. Besonders an die verlorene Zukunft, die wir uns hatten aufbauen wollen. Natürlich war es mir nicht leicht gefallen, schließlich ließ ich alles zurück. Meine Eltern und Freunde, mein zu Hause, wo ich mich immer geborgen gefühlt hatte. Aber in den letzten Wochen war das immer weniger der Fall gewesen und ich war ruhelos durch die Gänge geschlendert und hatte unbewusst nach einem Gesicht unter den Gästen Ausschau gehalten, welches ich so herbeisehnte.
„Wir bringen erst einmal deinen Koffer nach oben, dann zeige ich dir alles.“, damit wendete sich Baltasar wieder dem hinteren Teil zu und stieg eine klapprige Holztreppe in den ersten Stock nach oben.
„Es ist zwar nichts Besonderes, aber ich hoffe, du wirst dich hier während deinem Aufenthalt wohl fühlen.“ Wir kamen auf einen langen, schmalen Flur, mit mehreren Türen auf beiden Seiten. Er führte mich zu der Letzten und öffnete sie für mich.
Behutsam machte ich einen Schritt über die Schwele und sah mir das Zimmer an. Es war ziemlich klein, gerade genug Platz für ein Bett, einen Nachttisch, ein Schrank für meine Klamotten und am gegenüberliegenden Fenster einen Schreibtisch.
Baltasar war im Flur geblieben. Beide zusammen hätten wir auch ziemlich eng beieinander gestanden in der winzigen Kammer.
Ich würde mich daran gewöhnen, auch wenn mein Zimmer auf Anderswo ganz anders war mit seiner magischen Decke, den vielen Bücherregalen und meinem wunderschönen großen Bett.
Ich legte meinen Koffer auf dem bezogenen Bett ab und wandte mich dann wieder dem alten Mann zu.
„So, dann zeig mir mal meinen neuen Arbeitsplatz.“ Ich setzte ein Lächeln auf, auch wenn es mir ziemlich schwer fiel. Dies war nun meine Zukunft und ich würde das Beste daraus machen.