Einen Moment lang war ich versucht, auszurasten, denn der gleiche Zorn, der Schmeisser heimgesucht hatte, war in mir hochgestiegen. Selina, die wieder an meinem Arm hing, schaute mich so an, als wollte sie sagen: "Lass es Michael, er kann nicht dafür...!" Vorsichtig ließ sie meinen Arm los, denn sie hatte genau bemerkt, dass ich ihre Botschaft verstanden hatte. Ich legte eben diesen Arm um ihre Schulter und sagte ganz ruhig: "Das wollte noch nicht klappen, Schatz! Gut Ding will eben Weile haben..." Mir war nichts Besseres eingefallen, doch es half dennoch, die Situation ein Wenig zu beruhigen. "Entschuldigen sie mich, bitte!" sagte Schmeisser mit belegter Stimme und ging hinaus. Selina sah mich wortlos an und legte schließlich ihre Arme um meinen Hals. "Du verstehst meine Botschaften wohl auch, wenn ich sie nicht aussprechen kann..." Ich küsste sie auf die Stirn und murmelte: "Manchmal wissen Frauen besser mit einer Situation umzugehen, als die Herren der Schöpfung..." - "Ach. Michael, ich hatte schon gehofft, alles würde gut werden." Ich glaube wir standen minutenlang so da, ihre Stirn an meinen Lippen. Es war in diesen Momenten sehr wichtig für mich, ihre mentale Nähe zu mir körperlich zu spüren. Niemand auf dieser Welt hätte es früher geschafft, mich mit oder ohne Worte in der vorherigen Situation zurückzuhalten. Und doch spürte ich schon jetzt eine tiefe Befriedigung, Schmeisser keine Vorhaltungen gemacht zu haben... Meine "kleine Kröte" hatte mich verdammt gut im Griff...
Viktor hatte sich durch das Unterholz zur Straße vorgekämpft. Dort blieb er erstmal im Schutz der Böschung liegen und brauchte dann nur abzuwarten, bis die Einsatzkräfte auf dem Weg zum Seehaus nicht mehr zu sehen waren. Dann schlich er sich von hinten an den verbliebenen Mannschaftswagenfahrer heran, schlug ihn mit dem Pistolengriff nieder und "lieh" sich ganz ungeniert eines der Einsatzfahrzeuge. Das fiel im ersten Moment nicht einmal jemandem auf. Er hatte es aber jetzt deutlich schwerer als noch vor ein paar Tagen. Es ärgerte ihn, uns derart unterschätzt zu haben. Die Schmerzen wurden eher mehr als weniger und auch Hunger und Durst stellten sich ein. Langsam musste er sich etwas überlegen. Er war mit dem Einsatzwagen direkt ins Dorf gefahren, eigentlich ungewollt. Jetzt aber, da er schon da war, blieb er vor einem Geschäftslokal, das fast menschenleer war, stehen. Er stieg aus, betrat die Mezgerei mit der Pistole im Anschlag. "Das ist ein Überfall!" Das Lehrmädchen hatte noch schnell nach hinten verschwinden können, doch der Metzger selbst stand nun mit erhobenen Händen da. Viktor zwang ihn, ihm einige Frikadellen und Würste samt Brötchen und allen Brotzeitutensilien in einen Beutel zu geben. Dazu noch ein paar Flaschen Cola und die Tageslosung. Der Metzger musste ihm die Plastiktasche ins Auto legen und am Fahrersitz Platz nehmen. Er zwang ihn ca. zwei Kilometer aus dem Ort zu fahren und dann anzuhalten. "Steig aus und zieh deine Schuhe aus! Leg sie auf den Rücksitz! Du hast Glück, dass ich Munition sparen muss. Er trat ihn tatsächlich in den Hintern. Lauf!" Der Mann lief so schnell er konnte Richtung Dorf. Viktor lachte und stieg wieder ein. Im Nu war er in der Dunkelheit verschwunden.
Schmeisser war wieder hereingekommen. "Ich weiss nicht, was ich sagen soll! Ich würde am Liebsten im Boden versinken, glauben sie mir!" Ich wollte nicht wieder aufdrehen, wie letztes mal, also fragte ich ihn: "Gibt es denn keine Möglichkeit, diesen Idioten vom Dienst zu suspendieren?" - " Ich trau mich das fast nicht zu sagen, aber vom Landkreis her, hat er an der Seehütte das sagen. Aber er hätte trotzdem nicht in meinen laufenden Einsatz eingreifen dürfen. Ebensowenig, wie ich ihren Heli-Flug in die Klinik zulassen hätte dürfen... Leider haben wir nicht den selben Vorgesetzten, dann wäre er schon aus dem Verkehr gezogen worden." - "Ich möchte die Telefonnummer seines Vorgesetzten. Ich kann sehr "liebenswürdig" sein. Wenn er meiner Bitte nicht nachkommen will, sorge ich dafür, dass er samt seinem Schützling von der Presse zerrissen wird. Das können sie ihm von mir bestellen. Und sagen sie ihm, dass der Chefredakteur unserer Tageszeitung ein Duzfreund von mir ist!"