»Brandon Callahan?«, zischte es hinter ihm. Er fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und versuchte sich seinen Ärger über seine Unaufmerksamkeit nicht anmerken zu lassen. So etwas war ärgerlich und im Zweifel tödlich – ihm waren zu Genüge Kreaturen begegnet, die eine solche Ahnungslosigkeit ihrer Opfer gnadenlos ausnutzten. Ein blonder Mann stand ihm jedoch nur grinsend gegenüber und hielt ihm die Hand hin.
»Merten, Sie sind es.« Er gab sich Mühe, seine Erleichterung nicht zu zeigen. Doch daran, wie sehr sein Herz pochte, spürte er, dass er definitiv nicht bei der Sache gewesen war. Grünblaue Augen spukten ihm im Kopf herum.
»Was führt Sie her?«, fragte er schnell, als er sah, dass Merten Luft holte, um Small Talk einzuleiten. Merten war einer, der derselben Berufung folgte, der gleichen inneren Stimme gehorchte. Er war mit ihm zusammen zur Schule gegangen, drei Jahrgänge über ihm, und schon damals, noch in den Anfängen ihrer Ausbildung, hatten sie sich nicht leiden können. Michael Merten hatte ihm schon immer seinen Status geneidet, auf den er selbst nie etwas gegeben hatte und Brandon wiederum hatte Merten, diesen glatten, attraktiven Frauenschwarm mit den kalten grauen Augen einfach nur so verabscheut, ohne tieferen Grund. Antipathie auf den ersten Blick, und das seit Jahren. Sie siezten sich, wenn sie sich trafen und allein dieselbe Mission ließ sie miteinander auskommen.
»Eine Observation, was sonst?« Der blonde Mann musste zu ihm auf sehen, als er ein Stück näher trat, zu nahe für Brandons Geschmack. Er mochte nicht, wie Merten ihn aus seinen grauen Augen ansah, ihn fixierte. Das war wirklich mit eine der unangenehmsten Eigenschaften seines Kollegen: Seine Augen guckten nicht nur, sie forschten, suchten nach irgendwelchen Regungen, Informationen, Dingen, die er selbst möglicherweise gar nicht mitteilen wollte.
»Und wenn man es denn eilig hat, kommt selbst verständlich immer ein Stau dazwischen, verdammte Baustellen!« Merten strich sich übers halblange, gelockte helle Haar und schnaufte tief durch, als sei er den Weg bis hierher gerannt. »Meine wunderbare Zielperson hat sich nämlich just heute Morgen dazu entschieden, mich abzuhängen, einfach durch einen blöden Zufall.«
Brandon wartete desinteressiert auf weitere Erklärungen, doch die kamen nicht. Merten suchte mit seinen kalten, routinierten Blicken die anwesenden Gäste ab und lächelte flüchtig. »Ah, da.« Er schien beruhigt zu sein, dass er seine Zielperson wiedergefunden hatte und wandte sich Brandon zu.
»Die Ehrwürdigen werden unruhig, Callahan, finden Sie nicht auch? Irgendetwas wissen die, was sie uns nicht sagen wollen, als seien wir noch die dummen Schuljungen von früher.« Er hustete leise, vielleicht sollte es auch ein Lachen sein. »Als würden wir nicht selbst mitbekommen, dass sich hier im Norden immer mehr Begabte einfinden, seit Jahren, oder?« Er wartete nicht einmal ab, bis Brandon etwas dazu sagen konnte, sondern murmelte leise weiter, als sei er nur ein beliebiges Publikum. »Mich verkaufen die nicht für dumm, Callahan, mich nicht. Ich denke, die haben wen im Visier, jemanden Starkes, vielleicht einen neuen Langlebigen.« Er sah zu ihm hoch. »Wer ist Ihre Zielperson?«
Callahan schnaufte nur leise, warf einen Blick nach drinnen und entdeckte die Rothaarige zusammen mit seiner Brünetten. »Sie ist eine Magierin. Nichts Besonderes, aber sie ist so stark, dass wir vermuten, sie könne eine von diesen …«
»… Langlebigen sein. Schon klar.« Merten seufzte. »Verdammtes Pack. Sollen die doch versuchen, sich zu tarnen, letztendlich …« Er verstummte und scannte die Umherstehenden, ehe er leise weitersprach. »Es gab allein heute schon vier Zugriffe. Vier! Und da sind noch nicht einmal die mitgezählt, die sich spontan ergeben und im Nachhinein gemeldet werden! Wissen Sie, was das heißen könnte?«
»Schlechte oder unzureichende Recherche im Vorfeld und damit einen hohen Kollateralschaden?«
»Das vermutlich auch!«, gab der andere Mann zu und zuckte mit den Schultern. »Ein paar Begabte weniger, na und? Die friedlichen Unauffälligen haben doch nichts zu befürchten, nur die starken von diesen Biestern sind der Abschaum, um den wir uns kümmern müssen.«
»Wem sagen Sie das!«, seufzte Brandon und hoffte, dass Merten sich endlich an eine der Bars verkrümeln würde. Soviel hatten sie seit Jahren nicht mehr miteinander geredet und er hätte gut und gern drauf verzichten können.
»Wir könnten heute Glück haben«, murmelte der andere Mann. »Und ich, mein Freund«, flüsterte Merten weiter, »weiß sogar, dass mein Zielobjekt eine von denen ist. Ganz sicher.«
Callahan zog eine Augenbraue hoch. Dass Merten ihn mit ‘mein Freund‘ betitelte, zeigte ihm nur, dass der Mann mit seinen Gedanken längst bei der Jagd war. Das konnte er genauso gut auch ausnutzen.
»Von denen? Sie meinen Langlebige?« Diese Sorte Begabter war seit jeher die Lieblingsbeute seiner Gruppierung gewesen, auch wenn er persönlich zum einen nicht genau wusste, warum, und zum anderen da auch keinen Unterschied machte – Begabte, starke Begabte, hinterließen nur Furcht und Schrecken, vor allem und gerade dann, wenn sie zu mächtig wurden und ihre Fähigkeiten auszutesten begannen. Je eher man ihrer habhaft werden konnte, umso besser.
»Ja, ich meine Langlebige, Callahan«, brummte der blonde Mann und grunzte leise. »Ich weiß, Callahan, dass Sie in Ihrem grenzenlosen Hochmut das Ritual der Hohen Weihe seit Jahren verweigern. Sobald Sie endlich Ihre kindischen Rachegelüste vergessen und Ihren angedachten Platz im Verbund einnehmen, bin ich gern bereit, Ihnen zu erzählen, was es mit diesen Langlebigen auf sich hat. Aber bis dahin …«
»Kein Bedarf«, winkte Brandon kühl ab. Von jemandem wie Michael Merten musste er sich nicht auch noch anhören, wie dumm und egoistisch sein seit Jahren andauernder Feldzug gegen das Übernatürliche war.
»Und Sie sind sich sicher?«, versuchte er das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Ich meine, wir können doch diese Begabten nicht einfach so erkennen!«
»Verbindungen. Aber das braucht Sie nicht zu interessieren, Callahan.« Der andere Mann durchbohrte ihn mit Blicken, doch Brandon war der falsche Mann, um sich von so etwas beeindrucken zu lassen.
»Bekommen Sie Insidertipps?«, wollte er wissen, allerdings sagte Merten nichts mehr dazu, als wüsste er genau, dass es nun in Brandon arbeitete. Sie waren verpflichtet, sich gegenseitig ihre Quellen offen zu legen, doch er hätte sich eher die Zunge abgebissen, als Merten noch konkreter danach zu fragen.
»Sie werden es früh genug mitbekommen, Callahan. Olivia, meine Frau, ist ebenfalls auf dem Weg hierher.« Er schwieg abermals bedeutungsschwanger und Brandon zog seine eigenen Schlüsse. Mertens Ehefrau war Jägerin wie sie beide auch, war aber zudem noch eine Zeichnerin. Zeichner machten Begabte unschädlich, mit Bannen und weiterem Hokuspokus, mit der selbst nichts am Hut hatte und auch nicht haben wollte.
»Endlich!«, flüsterte der Mann neben ihm, starrte in den Saal und lächelte versonnen. »Seit Jahren wünsche ich mir, endlich so einen Langlebigen in die Finger zu bekommen, und nun … fast wie die Blaue Mauritius, nicht wahr?«
Brandon seufzte tief. »Ja, vermutlich.« Er selbst hatte eben keine Präferenzen, war ein Allroundtalent in Sachen Begabtenbeseitigung, doch für Merten – und alle anderen, die das Ritual durchlaufen hatten – schienen Langlebige wirklich das Ziel allen Seins zu sein.
Merten rieb sich scheinbar gedankenverloren das Ohrläppchen und fokussierte seine Zielperson stärker. Brandon beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und fragte sich, ob er selbst auch so angsteinflößend aussah, denn genau das war es, was ihm bei Mertens Gesichtsausdruck einfiel: Er rief eine diffuse Angst hervor. Der konzentrierte Blick, das raubtierhafte Wittern der Beute, der Wille zu jagen und zu erlegen … Nun stand er glücklicherweise auf der richtigen Seite und lief nicht Gefahr, von seinem Kollegen ins Visier genommen zu werden.
»Glotzen Sie mich nicht so an, Callahan!«, zischte Merten, ohne den Blick von den Menschen im Inneren des Hauses zu wenden. »Entschuldigen Sie. Sie sahen sehr … konzentriert aus.«
»Schon gut.« Merten warf ihm einen schnellen Seitenblick zu und nickte leicht. »Sie haben mich daran erinnert, dass ich mich besser zusammenreißen sollte.« Er atmete tief durch und der mörderisch konzentrierte Ausdruck verschwand fast vollständig. »Sie erkennen uns sonst, Callahan. Gerade Langlebige haben da manchmal merkwürdige Antennen, merken Sie sich das. Starren Sie diese Begabten niemals so an. Ich weiß, das verlangt einiges an Körperbeherrschung, aber vertrauen Sie mir – diese Sippschaft wittert Sie sonst wie einen Berglöwen. Und ehe Sie sich versehen, flüchten sie.« Er rieb sich die Hände. »Lasst die Spiele beginnen!«, flüsterte er, zwinkerte Brandon zu und begab sich nach drinnen.
Brandon beobachtete den Mann, der sich wie der von ihm zitierte Berglöwe auf Jagd ging. Er seufzte unbehaglich. Er selber konnte es ja nun nicht abstreiten – das Ganze lag ihm im Blut. Es gab ihm eine innere Ruhe, Begabte zu entdecken, zu jagen und unschädlich zu machen, doch er hielt sich zugute, dass er dabei nur seiner Berufung folgte und es ihm nicht, wie Merten, sadistische Freude bereitete, Begabte langsam und genüsslich auszumerzen.
Er sah seinem Kollegen interessiert dabei zu, wie er einer Frau sein Getränk über das Kleid goss und es aussehen ließ wie ein Versehen. Dann drehte sich die Frau ein Stück, schoss Merten mit giftigen Blicken ab und Callahan fühlte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog.
Es war seine … seine Brünette.
Das Verstehen tat seinem Hirn beinahe weh, als er Merten beobachtete, wie er mit der Frau kurz diskutierte und nach einer Weile, nachdem die Brünette sich sichtlich angesäuert verzogen hatte, der Frau gemächlich hinterherging. Die Frau mit den schönen Lippen würde sterben, gleich, in wenigen Minuten. Sie war Mertens Zielperson. Seine Zufallsbekanntschaft könnte tatsächlich eine von jenen sein, die es nicht geben durfte?
Brandon ballte die Hände zu Fäusten. Falls seine Brünette tatsächlich eine von denen war, konnte er immer noch das tun, was Jäger wie er nun mal taten, aber … Sie gehört mir, wallte es in ihm auf, mir ganz allein, niemand darf sie anfassen, kreischten schrille Stimmen in seinem Kopf. Seine weiche, schöne Brünette – eine von denen? Das konnte nicht sein, durfte nicht sein, das war der Hohn schlechthin.
Sein Innerstes zog sich zusammen und der Gedanke, mit einem dieser übernatürlichen Wesen in der Kiste gelandet zu sein, paralysierte ihn. Wieso hatte er es nicht bemerkt? Hatte er Anzeichen übersehen? Hatte sie ihn vielleicht verhext? Oder hatte sie ihn absichtlich verführt, um irgendetwas mit ihm anzustellen, etwa, um ihn zu vergiften? Schweißperlen traten auf seine Stirn.