Marius stand mit seinem Auto am Straßenrand irgendwo in der Pampa zwischen Burgdorf, wo er zur Schule gegangen war, und Lengwede. Er hatte den Kopf auf das Lenkrad gelegt und versuchte, ruhig zu atmen.
Nachdem sein Vater sich wieder wie die Axt benommen hatte, hatte der junge Mann nur noch weg gewollt, war in den Wagen gesprungen und einfach losgefahren. Es hätte nichts genutzt, zu warten und er hatte es auch nicht gewollt. Mit Heinrich wollte er überhaupt nie wieder etwas zu tun haben.
Dieser Mann hatte keinen Funken Anstand oder Liebe in sich, weder für sein eigenes Kind noch für seine Mutter. Alles, was diesen Mistkerl interessierte, war die Summe, die er erben würde.
Seufzend lehnte der junge Mann sich zurück und wischte sich über die Augen. Keiner hatte gewusst, dass Oma Hannelore ein Vermögen von fast hunderttausend Euro besessen hatte. Nur dass sein Opa ihr ein bisschen Geld hinterlassen hatte.
Marius lachte trocken auf. Sagte das nicht alles? Sie hatte es von Erich geerbt. Der war noch in der Lage gewesen, seiner Familie etwas zu bieten. Heinrich hatte den guten Ruf und den Hof in dreißig Jahren so heruntergewirtschaftet, dass nicht einmal mehr das Haus noch wirklich von Wert war. Der Dunkelblonde war froh, nicht daran gekettet zu sein.
Er konnte noch gar nicht fassen, dass seine Oma ihm so viel Geld vermacht hatte. Was sollte er damit anfangen? Sich einen Wunsch erfüllen, den er sich damit ermöglichen konnte, hatte seine Großmutter gesagt. Doch das, was er wollte, war mit finanziellen Mitteln eben nicht zu erreichen.
Mit einem Seufzen startete er den Motor. Obwohl alles in ihm danach schrie, zu erfahren, wie Daniel sich entschieden hatte, hatte er trotzdem Angst und wollte sich davor drücken. Er brauchte moralischen Beistand, den er in Lengwede nirgends anders als bei Ralf bekommen würde.
»Du hast Glück. Ich bin gerade rein«, lachte der Bäckermeister, als Marius bei ihm vor der Tür stand. »Was ist? Hat deine Oma dir Schulden vermacht? Du siehst so bedröppelt aus ...«
Der Dunkelblonde schüttelte leicht den Kopf, ging an seinem Freund vorbei und ließ sich in einen Sessel fallen. »Im Gegenteil. Aber das waren endgültig die letzten Worte und ich kann das kaum ertragen. Und Heinrich, dieser große Haufen Hühnerdreck ...«
Ralf nickte nur kurz und wusste, dass drastischere Maßnahmen ergriffen werden mussten, um seinen Kumpel aufzubauen. Mit zwei Flaschen Bier, einer Flasche Schnaps und zwei Gläsern kehrte er aus der Küche zurück und stellte alles ab.
»Okay, schieß los.«
»Füll’ mich nicht ab, ich muss nachher noch fahren«, schmunzelte Marius und nahm das Schnapsglas entgegen.
»Nicht meine Absicht. Nur zum Runterkommen. Erzähl’ also.«
»Meine Oma hatte 80.000 Euro auf der hohen Kante!«
»Wow. Cool.«
»Ja. Und mein Arschloch von Vater, anstatt sich ... anstatt mal einen Funken Trauer zu zeigen, regt er sich nur darüber auf, dass er und meine Mutter nur 30.000 davon bekommen und sie den Rest mir vermacht hat. Mein Alter erbt den ganzen Hof, aber ihn interessiert nur die scheiß Kohle. Ich wäre fast an die Decke gegangen. Das war’s für mich. Endgültig. Warum ich immer noch Hoffnung hatte, versteh’ ein anderer. Ich nicht.«
»Genetik vermutlich. Kommt man nicht von weg.«
»Nein ...«
»Und warum bist du wirklich noch mal nach Lengwede gekommen? Doch bestimmt nicht, um mich noch mal zu sehen, oder? Oder meinen mittelmäßigen Schnaps zu trinken, nachdem du den Guten ausgekotzt hast ...«
Marius seufzte. »Daniel ... aber ich hab Angst davor.«
»Irgendwie habe ich das Gefühl, etwas Wesentliches verpasst zu haben«, murmelte Ralf und öffnete das Bier. Der Dunkelblonde nickte und erzählte ihm, was zwischen ihm und dem Anderen vorgefallen war.
»Also deswegen warst du so rot, bevor du abgehauen bist. Du hast ... boah, Alter. Ich hab Kopfkino jetzt«, lachte der Bäcker.
»Genau. Ich habe. Zwei Mal. Und ich bereue nichts«, schmunzelte Marius und rieb sich dann den Nacken. »Aber er vielleicht. Ich meine ... ich komme hier her mit der festen Absicht, wieder zu gehen. Aber mit welchem Recht bringe ich sein ganzes Leben durcheinander?«
»Ich finde, wenn das reicht, um etwas in Frage zu stellen, kann sein Leben nicht so der Bringer sein. Denn wäre es das, hättest du keinen solchen Einfluss gehabt. Dann wäre er über dich hinweg, hätte sich nicht mehr auf dich eingelassen und nichts wäre passiert. Um der alten Zeiten willen vögelt man vielleicht einmal. Aber man wiederholt es nicht später die ganze Nacht lang.«
»Vielleicht bin ich auch einfach nur egoistisch. Es ging ja alles von mir aus. Immer schon.«
»Mann, hör’ auf. Mach’ doch nicht eure ganze Vergangenheit schlecht. Du bist es doch gewesen, der mal gesagt hat, dass man sich nicht aussucht, wen man liebt. Und dass man es festhalten soll, wenn der andere genauso empfindet.«
»Aber vielleicht tut er das nur, weil er glaubt, es zu müssen?«
»Marius! Ich tret’ dir gleich in den Arsch.« Ralf stellte die Flasche etwas beherzter auf den Tisch und hatte die Augenbrauen hochgezogen, während er seinen Freund ungläubig ansah. Der Dunkelblonde war zusammengesunken wie ein Häufchen Elend, seine feine Sommerbräune wirkte fahl und er blickte auf seine Hände. Diese zitterten sichtbar.
»Brauchst du ’ne Pause?«, fragte der Bäcker leise. »Willst dich ’ne Runde hinlegen?«
Marius zog die Nase hoch und schüttelte den Kopf. »Nein. Lass’ uns einfach nur noch eine Weile hier sitzen. Hast du nicht eine Episode irgendeiner doofen Fernsehshow, die du mir zeigen kannst? Ich muss diesen Vormittag irgendwie aus dem Kopf bekommen.«
»Dass du jetzt reich bist oder ...?«
Marius grinste matt. »Wer ist denn mit 50.000 Euro reich? Nein. Aber es ist gerade echt alles zu viel. Wenn ich dachte, nach der Beerdigung ging’s mir schlecht, wurde das noch mal übertroffen. Ich hab meine Familie verloren. Noch mal. Kein schönes Gefühl, so ganz allein auf der Welt zu sein. Und Daniel ... ich weiß gerade nichts mit mir anzufangen.«
»Okay, ich sag dir was: Wir schauen eine Episode von Knight Rider, wie früher. Und dann fahren wir zu Heinemännchen und klären das. Dich hier herumheulen zu sehen wie eine Frau, das ist total irritierend für mich«, Ralf lächelte neckisch und schaltete den Fernseher ein. Während er auf der Seite seines Streamingdienstanbieters das Passende suchte, machte Marius sich auf dem Sessel lang.
Vermutlich war das das Beste.
_
Daniel verstaute seine wenigen Sachen in seinem Auto, während Manuela desillusioniert auf einem Stuhl der Terrasse saß und rauchte. Sie kümmerte sich nicht darum, dass sie sich das eigentlich vor Jahren abgewöhnt hatte, weil Friedrich Frauen, die rauchten, ordinär fand. Es war ihr egal, was ihr Mann davon hielt, ihre Nerven brauchten das, um nicht loszubrüllen.
Sie konnte nicht akzeptieren, dass ihr Sohn so einer war, doch er war ihr Kind und dabei zuzusehen, wie er mit allem brach, seine Sachen packte und sich darauf vorbereitete, zu gehen und nicht zurückzukommen, das war beinahe zu viel.
Monique, die sich, während Daniel in der Wohnung zugange gewesen war, im Garten aufgehalten hatte, um nachzudenken, stand an der Haustür und beobachtete ihren Ex-Verlobten bei seinen Vorbereitungen. Es berührte sie sonderbar, ihn so erleichtert zu sehen. Seine ganze Mimik hatte sich verändert, war weich geworden, klarer und heller, als hätten sich dunkle Wolken verzogen und er würde zum ersten Mal seit langer Zeit wieder die Sonne sehen.
»Ich werde meine Sachen auch packen«, sagte die junge Frau an Manuela gewandt. »Es versteht sich von selbst, dass ich nicht hier bleiben kann, nachdem die Wohnung für eure Schwiegertochter gedacht war. Da ich das nicht mehr bin ...«
Manuela drehte ihr das Gesicht zu und auch Daniel hatte sich umgewandt. »Ach Liebes ... du wirst immer die Schwiegertochter bleiben. Daniel glaubt doch nicht im Ernst, dass ich diesen ... diesen Marius als irgendetwas in meiner Familie akzeptieren werde!« Zornig paffte sie die Zigarette zu Ende und entzündete mit dem Stummel der alten gleich eine frische.
»Siehst du, wohin du deine Mutter treibst, du undankbarer Kerl?«, polterte Friedrich aus der Terrassentür und schlug seiner Frau die Kippe aus der Hand. »Sie hat sich abgemüht, damit aufzuhören und wegen dir ... du ...«
Daniel schmunzelte. Die Ränkespiele seiner Eltern kannte er zur Genüge. »Komm schon, Papa. Sie hat es sich abgewöhnt, weil du es eklig fandest. Sie hoffte, wenn sie nicht mehr nach Zigaretten riechen würde, würdest du dich ihr gegenüber wieder wie ein Mann verhalten. Im Schlafzimmer, du weißt schon.«
»Wie kannst du es wagen?!«
Der Dunkelhaarige hob nur mit einem feinen Grinsen die Hände und zuckte die Schultern. »Ich habe gelernt, zu beobachten. Das ist ein Nebeneffekt, wenn man nirgends wirklich dazu gehört. Man sieht und analysiert. Denk’ mal darüber nach, bevor einer ihrer adretten und jungen Tennispartner sein Glück versucht. Man kann mir ja vieles nachsagen, was ich falsch gemacht habe. Aber ich hab’ meine Partnerin nicht am langen Arm verhungern lassen. Auch eine Frau hat Bedürfnisse.«
Monique musste unwillkürlich lächeln und nickte leicht.
»Dass du dich traust, so mit mir zu reden, Freundchen.«
»Ja, ich weiß, hätte ich früher mit anfangen sollen, nicht? Denn ich rede so mit dir, wie du mein Leben lang mit mir gesprochen hast. Du hast mich als Versager dargestellt, als ich dir damals sagte, ich hätte es nicht ausgenutzt, dass Monique betrunken und wir Zwei allein waren. Du hast in mir einen Schandfleck gesehen, als du von mir und Marius erfahren hast und nie gezögert, diese Gedanken auch laut in mein Gesicht zu sagen. Sag’ mir, wie fühlt es sich an, wenn das jemand mit dir macht? Soll ich dir sagen, was ich von dir halte? Ich denke, du bist ein frustrierter alter Mann, der spürt, dass er seine Kraft verliert. Du bekommst keinen mehr hoch und hoffst, keiner bekommt es mit, damit du dein Gesicht als Alphatier nicht verlierst und deswegen bist du inzwischen ein noch größerer Arsch als du es früher schon warst.«
Friedrich schwoll an und bekam ein rotes Gesicht und obwohl Manuela versuchte, Bestürzung zu zeigen, schien sie insgeheim das Gleiche zu denken.
»Weißt du, dass Mama schon lange abgehauen wäre, wenn sie sich damit nicht den ach so heiligen Ruf ruiniert hätte? Ihr beiden macht euch seit Jahren etwas vor. Wenn ihr so leben wollt, dann genießt es. Ich bin froh, zwar spät, aber noch rechtzeitig die Reißleine gezogen zu haben.«
Friedrich, dem sich der Schnauzer gesträubt hatte, was ihn wie einen wütenden Tiger aussehen ließ, blickte zornig von seinem Sohn zu seiner Frau und wieder zurück. Er ballte die massigen Hände zu Fäusten.
»Reg’ dich nicht zu sehr auf, Papa. Das muss ein richtiger Mann abkönnen. Hast du doch immer gesagt. Denk’ an dein Herz.« Daniel schlug den Kofferraum des Autos zu und zuckte zusammen, als vor dem geöffneten Tor eine Hupe ging.
_
»Jetzt steig’ schon aus, Mann. Was hupst du, wenn du doch wie festgewachsen sitzen bleibst?«
Ralf knuffte Marius, doch der war kreidebleich geworden.
»Ich kann nicht ...«
»Gott, sind wir wieder siebzehn?« Der Bäcker seufzte und stieg aus dem Auto. Ohne zu zögern überquerte er die Straße und warf vom Gehweg aus einen Blick auf den Heinemann’schen Hof. Offenbar war da gerade eine Diskussion im Gange, denn alle standen draußen und selbst hier außerhalb konnte man spüren, wie angespannt alle waren.
Daniel sah zur Einfahrt und Ralf hob die Hand zum Gruß. Er zeigte mit seinem Daumen über die Schulter, damit der Dunkelhaarige wusste, dass Marius hier draußen war. Und den Bäcker erfüllte ein warmes Gefühl der Freude, als er erkannte, wie sich Daniels Gesicht lichtete und er zu lächeln begann.
Marius war inzwischen ausgestiegen, doch lehnte an der Tür des Wagens. Er fühlte sich, als wäre er tausend Jahre alt und aus Stein. Er wagte kaum, den Kopf zu heben, als Ralf pfiff.
Doch statt diesem kam Daniel auf ihn zu und ohne zu stoppen, fiel er ihm um den Hals. Zuerst erstarrt und unfähig, zu reagieren, löste sich Marius’ Spannung und er schlang die Arme um den Anderen, presste sein Gesicht an dessen Hals und brach in Tränen aus.
»Hast du wirklich an mir gezweifelt?«, flüsterte der Dunkelhaarige. »Ich habe diesen Fehler einmal gemacht. Das passiert mir nicht wieder.«
»Ich hatte furchtbare Angst.«
Die Heinemanns und Monique waren Daniel nachgegangen und Friedrichs ungehaltenes Fluchen war es, das die beiden Männer veranlasste, ihre innige Umarmung zu lösen. Marius drehte sich verlegen weg und wischte sich mit einem Taschentuch die Augen trocken, während der Dunkelhaarige seinem Vater stolz entgegen sah.
»Nichts, was du jetzt noch sagen könntest, Papa, wird meine Meinung ändern!«
»Ich ... wir ... haben dich zu einem anständigen Menschen erzogen und nicht zu jemand Abartigem. Das ... dieser ... DER DA ... ist gegen die verdammte Natur und du hast mir zu gehorchen. Ich bin dein Vater!«
Das Brüllen des Bürgermeisters hatte einige der Nachbarn alarmiert und nicht nur Ralf bemerkte die Gardinen, die sich in der Straße neugierig bewegten und die Fenster, die heimlich geöffnet wurden, um mitzuhören, was da vor sich ging.
»Also ich sehe da zwei ganz normale Menschen, Herr Heinemann«, gluckste der Bäcker und erntete einen dankbaren Blick von Daniel.
»Wenn du dich früher etwas mehr wie ein Vater und etwas weniger wie ein Zuchtmeister aufgeführt hättest, würde es mich heute vielleicht mehr interessieren, was du von mir denkst. Ich hab mich lange genug von dir kleinhalten und herumschubsen lassen und keine deiner Beleidigungen kann mir jetzt noch weh tun. Der Spruch, dass Blut dicker ist als Wasser, ist nämlich nicht wahr. Verbindungen, die man willentlich und aus freien Stücken eingeht, werden immer stärker sein als die, gegen die man nichts tun kann, weil man sich für diese bewusst entscheidet. Und ich entscheide mich für Marius. Das werde ich immer tun.« Der junge Mann blickte die Straße entlang. »Haben das auch alle Nachbarn gehört? Sehr gut!«
»Ich werde dich enterben!«, brüllte Friedrich, doch Daniel lachte nur.
»Und? Wenn du denkst, dass all das hier mir wichtiger ist als der Mensch, den ich liebe, dann schließt du von dir auf mich. Ich bin nicht wie du. Vielleicht fiel es dir deswegen immer so schwer, einmal nur stolz auf mich zu sein. Heute bedeutet mir das nichts mehr. Ich habe inzwischen begriffen, dass nur zählt, dass ich stolz auf mich sein kann und das bin ich.«
»Ich bin es auch«, sagte Marius leise neben ihm, strich Daniel zärtlich mit dem Daumen über die Wange und legte seine Lippen auf den Mund des Anderen. Ralf jubelte, während Friedrich brüllte und Manuela erstickt die Hände auf ihre Augen presste. Monique hatte ein trauriges Lächeln im Gesicht, blieb aber ansonsten stumm.
»Übrigens, Papa, es versteht sich zwar von selbst, aber: Ich kündige.«
»Komm, lass’ uns abhauen. Lengwede hat uns schon genug Zeit gestohlen.« Marius ergriff Daniels Hand.
»Ja, fahr’ vor.«
»Hey«, kam Ralf auf die beiden zu, »gib mir die Schlüssel, Heinemännchen«, er klopfte Daniel auf die Schulter, »und wir schaffen erstmal die Autos zu mir. Ihr wollt bestimmt euren Abgang hier gemeinsam haben, oder?« Der Bäcker zwinkerte und der Dunkelhaarige nickte. Er händigte ihm die Autoschlüssel aus.
»Hast du alles?« Der Dunkelblonde sprach leise und Daniel nickte.
»Nur noch Allegro.«
»Natürlich.« Marius lächelte und öffnete die Hintertür seines Wagens. Der Dunkelhaarige pfiff und der Hund schien sofort zu wissen, was von ihm erwartet wurde, denn er sprang ohne Zögern auf die Rückbank, legte sich auf das Polster und hechelte zufrieden.
»Okay, ich fahre deine Karre zu mir und ihr kommt einfach nach«, Ralf grinste und ging nonchalant und ohne den Hauch von Scham an den entsetzten und vor Wut kochenden Heinemanns vorbei, stieg in Daniels Wagen und lenkte diesen aus dem Tor und die Straße hinunter.
»Also dann. Das wäre dann die letzte Gelegenheit, vielleicht doch noch etwas Freundliches zu sagen«, rief der Dunkelhaarige seinen Eltern entgegen, doch Friedrich war nicht weniger stur und unbelehrbar wie Marius’ Vater, verschränkte die massigen Arme vor seinem vorstehenden Bauch und funkelte seinen Sohn wütend an.
»Über meine Leiche!«
»Na, wenn du weiter so isst und trinkst, wird das nicht mehr lange dauern. Mir wäre es lieb, wenn du etwas auf dich achten würdest«, sagte Daniel und sah Manuela an. »Mama?«
»Wie man sich bettet, so liegt man. Das lehrt uns schon die Bibel. Wenn das der Weg ist, den du für dich wählst, dann soll es so sein. Aber dann wirst du ihn allein gehen. Ich kann das nicht akzeptieren.«
Der Dunkelhaarige seufzte und wollte sich schon abwenden, als Monique auf ihn zukam und ihn umarmte. »Du nanntest mich deine einzige Freundin. Und so sollte ich mich verhalten. Ich wünsch’ dir viel Glück.« Sie wandte sich zu Marius und dieser zuckte leicht nach hinten, als sie ihn anfunkelte. »Ich kann dich immer noch nicht leiden, Förster. Aber du machst ihn glücklich. Also mach’ es richtig!«
Der Dunkelblonde lächelte frech. »Immer.«
Ohne ein weiteres Wort oder einen Blick wandte sich die junge Frau ab und kehrte auf den Hof der Heinemanns zurück. Sie hatte selbst noch genug zu tun, um mit dieser Episode ihres Lebens abzuschließen.
Es fiel Daniel überraschend schwer, sich von seinen Eltern abzuwenden, die wie ein Bollwerk der Ablehnung mitten auf dem Gehweg standen, doch schließlich seufzte er wieder, drehte sich um und stieg auf der Beifahrerseite ein.
»Alles gut?« Marius ergriff die Hand des Dunkelhaarigen und dieser beugte sich zu ihm, um ihn zu küssen, einfach so, ohne sich umzusehen, mit einem ungekannten, rasenden, aufregenden Gefühl der Freiheit in sich, das ihn schließlich lachen ließ.
»Oh ja.«
Mit einem Lächeln startete Marius den Wagen und sie begannen ihren gemeinsamen Weg, nach zwölf Jahren des Wartens. In Lengwede hatten die geheimen Orte ihrer Liebe ihre Bedeutung verloren, doch sie hatten den ganzen Rest ihres Lebens Zeit, sich neue zu schaffen, diesmal für immer.
~~ ENDE ~~