Majestätisch erhoben sich die Schwingen des anmutigen schwarzen Vogels in die Lüfte. Er hatte genug gesehen und war bereit, in die Seelendimension zurückzukehren, an jenen Ort, der seit Äonen seine Bestimmung und sein Heim war.
Wäre der Rabe in der Lage gewesen zu lächeln, so hätte er es getan. Unbändige Freude erfüllte ihn, während er die Welten wechselte und endlich heimkehrte. Die dunklen Augen des Tieres streiften zufrieden die unzähligen Seelentürme unter ihm, aus welchen sein Zuhause bestand und deren Anzahl das bloße Auge nicht zu fassen vermochte.
Der Rabe steuerte auf den größten aller Türme zu, und noch während des Landeanfluges wurde er von einem weißen Dunstschleier erfasst. Als er auf der obersten Plattform des Seelenturmes landete, hatte er bereits seine Gestalt geändert.
Corvin ließ seinen Blick über die unendliche Weite der Seelendimension schweifen und sein Herz erfüllte sich mit Stolz, bei dem Gedanken daran, der Wächter all dieser verstorbenen Lebensfunken zu sein. Die Zeit zwischen den Welten verlief langsamer und er vermochte nicht zu sagen, wie lange ihm diese ehrenvolle Aufgabe bereits anvertraut war. Solange er denken konnte, wachte er darüber, dass keine Seele abhandenkam und jede einzelne die ihr zustehende ewige Ruhe erhielt.
Seine einzige Abwechslung bestand aus den seltenen Ausflügen in die Menschenwelt. Er mochte diese Reisen nicht, da die Welt der Menschen laut und stinkend war, sie verwirrte seine an Ruhe gewöhnten Sinne. Wenn Corvin sich überwand, die Dimensionen zu wechseln, dann vollbrachten er und alle seine ihm untergebenen Seelensammler dies stets in der Gestalt eines Raben.
Er sog tief die energiegeladene Luft ein und strich sich sein blondes, schulterlanges Haar zurück. So weit oben, auf dem höchsten aller Seelentürme, fuhr ihm der statische Wind, der in dieser Dimension unablässig wehte, unangenehm an seiner nackten Haut entlang. Es wurde Zeit das Innere des Turmes zu betreten und sich anzukleiden.
Corvin ging barfuß über das alte Gestein, aus welchem alle Seelentürme einst errichtet worden waren, und blieb vor dem offenen Eingang stehen. Mit geschlossenen Augen hob er die flache Hand bedächtig an, um sie scheinbar ins Leere zu halten. Ein abrupter, greller Energieblitz zeugte davon, dass der Einlass in den wichtigsten aller Türme durch eine unsichtbare Barriere geschützt war. Nur der Wächter aller Seelen allein hatte die Macht sich Zutritt zu verschaffen.
Corvin ging langsam ins Innere und ein unbeschreibliches Hochgefühl übermannte ihn, wie jedes Mal, wenn er ehrfürchtig vor den Abermillionen ewigen Funken verweilte.
Das wichtigste Gut dieser Dimension ruhte in unzähligen Nischen entlang der Turmwände in durchsichtigen, gläsernen Urnen. Jede einzelne seiner Seelen leuchtete in einem sanften Blau an ihrem letzten Bestimmungsort. So war jedes Bauwerk von einem bläulichen Strahlen erhellt, welches von zahlreichen vergangenen Leben zeugte.
Corvin ging weit in die Mitte hinein, die rundum durch ein Geländer begrenzt war. Er beugte sich leicht darüber und seine grünen Augen schweiften in die Tiefe hinab, um die schiere Größe seines Turms erfassen zu können. Doch alles, was seine Augen sehen konnten, war das sanfte Schimmern, das sich stetig in die Tiefe zog und kein Ende zu nehmen schien.