Plötzlich kraftlos fiel Thorstein auf beide Knie. Der Stier … Seine kleine Solvig so knapp einem Unglück entgangen …
Der Puls des Steuermanns raste von dem ausgestandenen Schrecken und sein Atem ging pfeifend. Unweit von ihm lag Linnet keuchend auf dem Rücken und schien ähnliches zu empfinden. Rúna war indessen aufgesprungen und hatte die kleine Solvig vom Boden aufgehoben und in ihre Arme geschlossen. Dennoch gab es keinen auf dem Moorseehof, dem das nun laut werdende knarzende Geschrei am Himmel entgangen wäre. Mit kräftigen Flügelschlägen kreiste ein Rabe über den Häusern und nach ein paar Momenten schloss sich ihm ein zweiter Vogel an, der das Geschehen am Boden ebenso gründlich zu betrachten und zu kommentieren schien. Beide Raben kreisten eine Weile über den Menschen, bevor sie sich abwendeten und in Richtung des Meeres davonflogen.
Für Thorstein und seine Leute gab es keinen Zweifel: Dies konnten nur Hugin und Munin gewesen sein, Odins weitsichtige Raben, die ihm vom Treiben auf der Erde tagtäglich berichteten.
Wenn aber die Götter selbst es für wichtig genug erachteten, ein tobendes Rind und einen mutigen Franken zu betrachten, was bedeutete das für die Nordmänner und ihre Entscheidungen?
Thorstein sah den Raben lange nach und begann schon über diese Frage nachzudenken, während er noch ganz unheldenhaft im Staub seines Hofes saß. Auch, als Teitr erst Linnet und dann ihm eine Hand reichte und den beiden Männern nacheinander aufhalf, blieb ihm der Gedanke an den Göttervater erhalten. War dies ein Zeichen gewesen, das der Hrafnaguð ( ) ihnen gegeben hatte?
Der Steuermann war sich ziemlich sicher, dass die Raben nicht zufällig über seinem Hof erschienen waren. Doch auch ohne den Hinweis eines Gottes hätte er getan, was er jetzt tat: Er ging zu Linnet und nahm den verunsicherten jungen Mann dankbar in die Arme.
»Du hast mein kleines Mädchen beschützt, Hademund. Du hast Solvig gerettet.« Thorstein atmete tief ein. »Der Stier hätte sie sonst sicher umgebracht. Ich danke dir. Wirklich! Du bist tatsächlich ein Beschützer, wie es dein Name sagt. Verzeih mir, dass ich das bisher noch nicht geglaubt habe.«
Der junge Mann lächelte schüchtern.
»Es war mir eine Ehre, Herr Thorstein! Ich bin aber sicher, dass jeder hier nicht anders gehandelt hätte …«
Der Ältere nickte freundlich. »Schon. Dennoch warst du es, der Solvig beschützt hat.« Er lachte erleichtert über den guten Ausgang des gefährlichen Angriffs. »Darauf sollten wir ein kühles Bier trinken.« Mit einer umfassenden Geste bezog er alle in seinem Umkreis ein. »Lasst uns auf Hademund anstoßen, den Retter meiner kleinen Tochter!«
Auch Rúna, die bisher Solvig fest im Arm gehalten und liebkost hatte, lächelte wieder. »So soll es sein. Im Grubenhaus steht ein frisches Fässchen. Bringt es bitte heraus. Ich hole mit Katla die Krüge.«
Sie tranken und für einen Moment waren alle Sorgen und Unterschiede vergessen. Thorsteins kleine Tochter war unversehrt. Dass der Angriff des Stiers nur knapp verhindert worden war, machte Hademunds Tat umso größer.
Plötzlich stand der junge Mann im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. So stolz er auf die Beachtung auch war, so wenig konnte er damit umgehen, nun plötzlich im Mittelpunkt zu stehen. Bald lenkte er die Blicke der anderen geschickt auf Rúna, die mit Solvig scherzte. Das herzliche Lachen des kleinen Mädchens begeisterte alle und ließ die Menschen auf dem Moorseehof ein weiteres Mal an die Wohlgesonnenheit der Götter glauben.