"Í Gymis görðum
ek ganga sá
mér tíða mey;
armar lýstu,
en af þaðan
allt loft ok lögr." (1)
Lächelnd beobachtete Thorstein seine Rúna, während diese mit dunkel gefärbten Wangen Teitrs Erzählung von der Liebeswerbung des Gottes Freyr für die Riesin Gerðr zuhörte. Wie schön seine Gefährtin doch war, wenn sie errötete! Dabei würde das Werben von Freyrs Knecht um die schöne Riesentochter schon bald von lockenden Geschenken zur Androhung schlimmer Flüche wechseln. Gerade eben aber ließ sich seine Frau vom Schwärmen des Vanengottes vollkommen gefangen nehmen. Sie war leicht zu rühren. Das war ihm schon bei seiner Ankunft auf Gunnars Hof aufgefallen und er hatte es sehr genossen, sie so ehrlich glücklich zu sehen.
Und ihm selber ging es ja nicht anders.
Der Ritt von Straumfjorður zum Hof von Lathgerthas Bruder schien vor wenigen Tagen kein Ende zu nehmen, obwohl es ein sonniger, angenehmer Wintertag und Hrimfaxi munter und zügig unterwegs gewesen war. Doch ihm konnte es gar nicht schnell genug gehen. Als endlich die ersten Rauchfahnen ankündigten, dass er sein Ziel bald erreicht hatte, musste sich seine Stute sehr sputen. Drängend hatte er dem Pferdchen die Fersen in die Seite gedrückt und war wie ein aufgeregter Jungspund auf den Hof galoppiert. Die verwunderten und leicht spöttischen Blicke des Knechts hatte er ignoriert, als dieser ihm Hrimfaxi abnahm. Er wollte Rúna sehen und sie in die Arme schließen – jetzt sofort.
Schwungvoll war er zum Haupthaus geeilt, hatte ein paar Mal gegen die Tür geklopft und war dann einfach eingetreten. Doch ganz im Gegensatz zu seinem selbstbewussten Gang war seine Stimme leise, ja flüsternd geworden, als er sie schwungvoll in seine Arme nahm.
"Rúna! Meine Rúna! Wie habe ich diesen Moment herbeigesehnt!"
Und auch seine junge Frau hatte in den letzten Tagen offenbar mehr und mehr mit dem drängenden Verlangen nach ihm gekämpft.
"Thorstein!" Vor Aufregung waren ihr keine passenden Worte eingefallen, um ihn zu begrüßen. Doch er brauchte auch gar nicht viele Worte zu hören, um zu wissen, wie sehr sich seine Gefährtin freute. Dazu reichten das Strahlen ihrer Augen und die Nachgiebigkeit ihres weichen Körpers, der sich dicht an ihn geschmiegt hatte.
Der Steuermann erinnerte sich, wie er übermütig seine Lippen auf ihren Mund gepresst und sie in einen langen, immer leidenschaftlicher werdenden Kuss gelockt hatte. Ihr wunderbarer, vertrauter Geschmack war wie ein lange vermisster Genuss, ihre Lippen waren dabei weich und so nachgiebig gewesen - seine Rúna!
Und nun waren sie endlich auf den Moorseehof zurückgekehrt und sie würde für lange Zeit ganz ihm gehören, bei ihm sein.
Thorstein tauchte aus seinen Erinnerungen auf und lauschte nun auch Teitr, dessen Erzählung schon vorangeschritten war.
"Epli ellifu hér hef ek algullin, þau mun ek þér, Gerðr, gefa, frið at kaupa, at þú þér Frey kveðir óleiðastan lifa .(2)", fuhr der Alte gerade fort. Nun war Skirnir schon bei Gerðr angekommen und die Werbung um die schöne Riesentochter nahm ihren altbekannten Lauf. Bald würde der Knecht Freyrs beginnen, der erhofften Braut des Vanenherrn zu drohen, wenn sie seiner Werbung nicht nachgab. Doch war es richtig, einer Frau derartig Furcht einzujagen, um sie aufs Lager zu bekommen? Rúna jedenfalls würde er nie zu etwas zwingen …
Wieder betrachtete er die schöne Frau an seiner Seite hingebungsvoll. Doch dieses Mal blieb sein Interesse nicht verborgen. Rúna wandte den Kopf zu ihm und als sie seinen intensiven Blick sah, lächelte sie strahlend zurück. Schweigend lauschten sie Teitr, der ihnen und den anderen Bewohnern des Moorseehofs den Abend verschönte.
„Lang ist eine Nacht, länger sind zweie:
Wie mag ich dreie dauern?
Oft daucht ein Monat mich minder lang
Als eine halbe Nacht des Harrens.(3)“,schloss der alte Nordmann schließlich seine Saga und Rúna kuschelte sich enger an ihren Steuermann.
„Eine halbe Nacht auszuharren, kann manchmal wirklich lang sein“, flüsterte sie ihm scherzend zu und strich ihm herausfordernd über den Oberschenkel. Thorstein lachte.
„Da magst du rechthaben!“, stimmte er zu und zog sie noch ein wenig enger zu sich. „Doch es lohnt sich, ein wenig Geduld zu haben.“
Er wusste, wovon er sprach. Die kleine Solvig, die sonst mit ihnen auf dem Lager schlief, war im Gesindehaus bei Katla unverhofft frühzeitig eingeschlafen und die nette Magd war mit der Kleinen zurückgeblieben, als alle anderen zum Nachtmahl ins Haupthaus gekommen waren. Rúna hatte dafür gesorgt, dass Solvigs Aufpasserin nicht hungern musste. Ein großes Stück frisches Brot, Braten und Bier waren zu ihr gebracht worden. Dafür aber, und das wusste Thorsteins Gefährtin natürlich auch, hatten sie nun die ganze Nacht für sich. Wenn die anderen Hofbewohner sich zur Ruhe legten, würden auch sie erneut ihr Lager teilen.
Es gefiel dem Steuermann, dass seine schüchterne Gefährtin inzwischen auch beim Liebesspiel mehr und mehr Zutrauen zu ihm entwickelte. Oftmals flüsterte sie ihm ihre Wünsche ins Ohr und ließ ihn ihr Verlangen nach der Vereinigung spüren. Immer häufiger erkundete sie neugierig seinen Körper und wurde in ihren Zärtlichkeiten sicherer und intensiver. Er liebte ihre Hände auf seiner Haut, wie er auch sie mehr und mehr liebte. Rúna auf seinem Hof und in seinem Herzen gaben Thorstein ein ganz neues, intensives Lebensgefühl.
(1) Liederedda - Skrinirs Fahrt - Skirnisfor, Vers 6
„In Gymirs Gärten sah ich gehen
Mir liebe Maid.
Ihre Arme leuchteten und Luft und Meer
Schimmerten von dem Scheine.“
Wie immer nach Karl Simrock
(2)„Der Äpfel elf hab ich allgolden,
Die will ich, Gerd, dir geben,
Deine Liebe zu kaufen, daß du Freyr bekennst,
Daß dir kein liebrer lebe.“ Vers 19
(3)Schlussvers des Skírnismál
Nach Karl Simrock