Während sich Ragnar mit Jorunn beriet, suchte der König den Rat ganz anderer Männer. Horik saß mit Ívaldi und Santór zusammen und schmiedete Pläne für das kommende Thing.
»Ich mag Ragnar«, versicherte er den beiden. »Doch gerade geht es nicht um den Jarl von Straumfjorður, sondern um den Wert meiner eigenen Herrschaft und die Stellung, die meine Tochter haben sollte, auch wenn sie das Weib Ragnars geworden ist. Ich bin der König! Ich bin der oberste Richter und jener, der hier für Recht und Ordnung sorgt. Nach diesem Thing will ich, dass jeder unter meiner Herrschaft verstanden hat, dass mein Wort Gesetz ist und dass niemand«, der König unterbrach sich selbst, um aufzustehen und in seiner Hütte umherzugehen, »dass niemand, sage ich, das Recht hat, gegen mein Gesetz zu verstoßen.«
Seine Zuhörer schwiegen nach dieser Ansprache und starrten beide zu Boden.
»Ich will, dass dieses Thing ein eindeutiges Zeichen setzt, wer hier regiert!«, forderte Horik noch einmal nachdrücklich. Dann nahm er wieder Platz und sah auffordernd zu seinen beiden Beratern. »Was also schlagt ihr vor?«
Lange zögerten beide, dann ergriff Ívaldi als erster das Wort: »Ragnar ist jener, der geschädigt wurde, auch wenn seine Männer den Angriff zurückschlagen konnten. Dennoch hat der Überfall Opfer gekostet. Lasst den Jarl einen Stellvertreter benennen, der gegen Arngrim kämpfen soll. Der Holmgang wird ihn angemessen bestrafen.«
Der König nickte nachdenklich. »Ein Holmgang wäre eine Möglichkeit, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Daran habe ich auch schon gedacht. Doch Ragnar ist nach seiner Verletzung zu geschwächt, um erfolgreich zu kämpfen. Der Ausgang eines jeden anderen Kampfes ist unsicher. Selbst wenn wir auf den Richtspruch der Götter hoffen, mag es sein, dass sie uns diesen verweigern und Arngrim siegt. Ein Verräter als Gewinner ist das Letzte, was ich nach diesem Thing sehen möchte. Welche anderen Vorschläge könnt ihr mir machen?«
Ívaldi seufzte und schwieg. Nun aber erhob sich Santór.
»Macht, mein König, erlangt man nicht immer im Einklang mit den Traditionen«, begann er. »Es mag schon sein, dass ein Thing bisher eine Abstimmung aller Männer war. Doch in diesem besonderen Fall muss der Wille des Königs genügen. Und dieser euer Wille besagt doch, dass ihr Arngrim strafen wollt, für das, was er angestrebt hat – eine Vergrößerung seiner Macht.«
Horik nickte ungeduldig.
»Das ist, was ich bereits gesagt habe. Komm zur Sache!«
Santór lächelte kalt. »Was ihr tun müsst, König Horik, ist nur eines: Arngrim entmachten und eure Tochter zur Herrscherin über Moseby einsetzen. Richtet den Verräter und alle, die ihn unterstützt haben. Verkauft seine Frauen und Kinder in die Sklaverei und verbrennt seine Halle, auf dass keiner, der davon Kunde erhält, es wagt, seine Hand gegen das Gesetz zu erheben. Weist an! Feilscht oder verhandelt nicht! Sonst macht ihr euch angreifbar. Lasst alle sehen, wie ihr richtet! Dann muss jeder, der eines Tages gegen euch ist, damit rechnen, seine Familie und sein Land zu verlieren. Das wird eure Untertanen in ihre Schranken weisen.«
Ívaldi schüttelte den Kopf. »Das könnt ihr nicht tun, mein König«, widersprach er dem Franken. »Auch wenn er schuldig ist, so bleibt Arngrim doch einer der Unseren. Es mag sein«, gab er auf Santór weisend zu, »dass unser fränkischer Heiler hier unsere Traditionen nicht besonders gut kennt. Doch es wäre ein Verstoß gegen alles, woran wir glauben, wenn Arngrim der Weg nach Walhalla durch einen unehrenhaften Tod verwehrt würde. Ich bleibe dabei: Ein Holmgang wird die Gerechtigkeit wiederherstellen!«
Santór widersprach: »Ein Holmgang erscheint vielleicht gerecht, Seher, doch das ist es nicht, was der König benötigt. Gerecht kann jeder Bauer sein. Ein König aber muss seine Macht beweisen. Und Macht entsteht, indem er über seine Untertanen herrscht und sie notfalls auch streng bestraft, wenn sie gegen sein Gesetz verstoßen. Wenn Horik Arngrim morgen die Möglichkeit gibt, sein Vergehen durch pure Manneskraft ungeschehen zu machen und er dabei gar einen seiner Gegner töten kann, mag das vor euren Göttern gerecht erscheinen, doch es schwächt die Macht eures Königs. Er muss der unerbittliche Richter sein, dessen Schiedsspruch keinen Ausweg lässt. Wenn König Horik machtvoll herrschen will, muss Arngrim ausweglos sterben. Und jene, die ihn unterstützten, müssen die Folgen seines Vergehens ebenso am eigenen Leib spüren. Seht es als Rache für das Geschehene und vergesst, dass Arngrim vom gleichen Volk war wie ihr. Ein Verräter hat kein Volk. Für einen Mann ohne Ehre gibt es unter den Nordmännern Horiks keinen Platz und keine Gnade. Das muss die Botschaft sein!«
Als Santór schwieg, blieb auch Ívaldi stumm. Der Seher wusste, wann es aussichtlos war zu sprechen. Es widerstrebte ihm zwar, den Mosebyer Jarl zu opfern, doch war ihm klar, dass Santórs Rede für den König Sinn ergab. Horik war sehr darauf bedacht, seine Macht vor dem Volk zu festigen und seine Würde zu sichern. Unter dieser Voraussetzung war Arngrim nicht mehr zu retten. Nun galt es, das Schlimmste zu verhindern und die Zahl der weiteren Opfer so gering wie möglich zu halten. Nordmann gegen Nordmann – daraus konnte nur Unfrieden entstehen.
»Ich gebe zu«, begann Horik, »dein Vorschlag leuchtet mir ein. Auch ich hatte im Sinn, Arngrim zu töten, auf welche Weise auch immer. Dennoch scheint es mir unverständlich, meine kleine Birthe zur Herrscherin über Moseby auszurufen. Glaubt ihr nicht auch, dass meinem Freund und ihrem Gemahl Ragnar diese Ehre gebühren sollte? Eine Frau als Anführerin einer Siedlung erscheint mir nicht richtig, selbst wenn es meine eigene Tochter ist.«
Santór seufzte. »Im Frankenland haben es die Frauen leichter. Sie können sehr wohl Herrscherinnen sein und Land besitzen. Doch mein Rat hat einen anderen Grund.« Er sah Horik direkt an und seine Miene war ernst. »Glaubt ihr nicht auch, dass Ragnar in der Lage wäre, das Königsamt auszufüllen? Der Mann besitzt Ausstrahlung, Kampfgeist und seine Männer stehen hinter ihm. Er hat bereits eine ordentliche Portion Macht und scheint willens, diese auch auszubauen. Wenn man es ihm zu leicht macht, kann er schnell zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten um die Königswürde werden. Wenn ihr ihm seine Macht aber über einen Umweg gewährt, über die Person eurer Tochter, wird er leichter zu lenken und zu beherrschen sein. Das war der Gedanke hinter meinem Rat, nichts anderes!«
Horik lachte auf. »Ihr seid ein Fuchs, Santór! Ein Fuchs, dessen Rat man seinen Gegnern nicht wünscht. Wo aber seht Ihr euren Platz in diesem Spiel der Götter? Welchen Preis wünscht Ihr zu erlangen, indem Ihr diesen Ratschlag erteilt?«
Der Franke hatte den Anstand zu erröten. »Ich, oh König, bin nur eine kleine Spielfigur im großen Würfelspiel der Götter«, versuchte er abzuwiegeln. »Ich muss dankbar sein, dass Ihr einem ehemaligen Sklaven Gehör schenkt.«
Horik knurrte ungeduldig. »Nennt Eure Wünsche, Santór, wenn ich Euch weiterhin Glauben schenken soll.«
Santór seufzte. »Nun gut, da Ihr es befehlt: Ich möchte Euer Ohr in Ragnars Halle und Euer Mund an seiner Tafel sein.« Er machte eine nachdenkliche Pause. »Im Gegenzug erhoffe ich mir, eines Tages ein Schiff mein Eigen nennen zu dürfen und in Eurem Namen Handel mit den Franken und Konstantinopel treiben zu dürfen. Vor meinem Schiffbruch war ich ein erfolgreicher Händler und als solcher möchte ich zu neuem Reichtum gelangen. Meine Hoffnung ist es also, Euch so gut zu beraten, dass Ihr meine Worte eines Tages wert genug findet, mir ein Schiff bauen zu lassen.«
Der König strich sich nachdenklich über seinen Bart. »Ein gutes Schiff ist mehr wert als eine gute Tochter. Ein wahrhaft großer Wunsch, den Ihr vor mir äußert. Doch Ihr habt mein Wort: Sollten sich Euer Rat und Euer Ohr als zuverlässig erweisen, werdet Ihr als mein persönlicher Handelsmann nach Süden und Osten reisen – auf Eurem eigenen Schiff mit einer Mannschaft, die Euch Ehre macht.«