Kapitel 6
Vom Loslassen
„Mutti, bist du noch dran?“, fragte ich unsicher in den Hörer. Ich hatte es erst am nächsten Tag geschafft, meine Mutter anzurufen, um ihr die freudige Botschaft zu übermitteln. Wenn ich ganz ehrlich bin, habe ich wohl auch etwas Angst vor ihrer Reaktion auf meinen Erfolg gehabt, da sie es bisher immer gut verstanden hatte, mir meine Freude durch spitze Bemerkungen madig zu machen. Und darauf hatte ich einfach keine Lust mehr. Der gestrige Tag sollte nur mir gehören.
Dennoch konnte ich mich nicht ewig vor ihr verkriechen, weshalb ich es so schnell wie möglich hinter mich bringen wollte. „Hast du gehört?“
„Ja… klar. Ich weiß nur nicht, was ich sagen soll. Ich hätte dich eher unterstützen sollen. Ich weiß, du hast dir seelische Unterstützung gewünscht, die bekommst du jetzt auch… brauchst du auch noch etwas finanzielle Unterstützung?“
Wieder fiel ihre Reaktion komplett anders aus, als sie ich mir in meinen wilden Gedanken ausgemalt hatte, was mir ein schlechtes Gewissen machte. Vielleicht hatte ich mir über die Jahre ein falsches Bild von meiner Mutter gemacht? Oder sie hatte sich plötzlich über Nacht verändert… Vielleicht war sie einfach ein Mensch, der erst Resultate sehen musste, um an etwas zu glauben… und sei es an das eigene Kind. Nein, verzeihen konnte ich ihr noch nicht, doch ich konnte zumindest versuchen, sie ein bisschen zu verstehen.
„Das bedeutet und hilft mir schon viel. Du bekommst jeden Cent zurück.“, erwiderte ich schuldbewusst.
„Nein, es ist ein Geschenk.“, bestand sie darauf.
„Sollte ich wider Erwarten noch weiter kommen…“, ich geriet bei dieser kühnen Vorstellung etwas ins Schleudern. „Ich meine… später würde das Fernsehen uns die Unterkunft bezahlen. Wir wären ja dann ohnehin in Köln, nahe der großen Bühne und der Aufnahmestudios…“
„Du musst dich nicht erklären. Ich habe gesagt, es ist ein Geschenk.“, unterbrach sie mich bestimmt. Wer war die Frau am anderen Ende der Leitung? Eine Sekunde später erkannte ich sie schon wieder. „Hast du dich mal bei Lilly gemeldet?“
Die Frage kam so überraschend, dass meine alte Schutzreaktion sich wie von selbst wieder aktivierte. „Warum sollte ich? Sie hat doch auch meine Nummer und könnte etwas Interesse zeigen, oder?“
„Ich weiß, ihr habt nicht das beste Verhältnis.“, fuhr sie vorsichtig fort, ehe sie grob von mir unterbrochen wurde: „Sie hasst mich!“
„Sie hasst dich doch nicht, Fay! Sie fragt mich ständig, ob ich etwas Neues von dir gehört habe und wie es dir geht.“
„Aber doch nur, weil ich plötzlich dadurch für sie interessant geworden bin, weil ich an einem Fernseh-Casting teilnehme!“, regte ich mich auf. Durchschaut eigentlich niemand außer mir meine durchtriebene Stiefschwester?
„Findest du nicht, dass du dich etwas zu sehr aufplusterst?“, fragte meine Mutter streng. Obwohl ich mich schämte, reagierte ich weiterhin trotzig: „Nein, das finde ich überhaupt nicht! Sie konnte es nie leiden, wenn sie mal diejenige war, die in irgendjemandes Schatten stand.“
„Hier stand noch nie jemand in irgendjemandes Schatten! Aber gut, ich gebe es auf.“
„Danke!“
„Du hast dich ziemlich verändert, wenn ich das noch anmerken darf.“
Bei ihr klang das nicht nach einem Kompliment, weshalb meine Antwort bissig ausfiel. „Fein. Danke!“
„Ich kenne diese neue Bissigkeit nicht.“
„Ich lasse mich einfach nicht mehr unterbuttern.“, erwiderte ich. Als sie am anderen Ende tief seufzte, kam ich mir vor wie eine Rabentochter. Wenn meine Mutter in etwas Meisterin war, dann darin, ihrer Tochter Schuldgefühle einzuflößen. „Ich melde mich wieder, ja?“
„Mach das. Danke für deinen Anruf - und viel Glück weiterhin.“
„Danke.“ Als ich auflegte, war ich – wie nach jedem dieser Telefonate am Boden. Da legte mir jemand sanft die Hand auf die Schulter, ich fuhr heftig zusammen.
Es war Nici. „Ich weiß, es geht mich nichts an, aber ich habe etwas von deinem Telefonat mitbekommen, als ich aus Nicolás´ Zimmer kam. Ist alles okay bei dir? Möchtest du darüber reden?“
Dankbar sah ich sie an und es war das erste Mal seit langem, dass ich von jemandem Hilfe annahm. „Wieso eigentlich nicht? Wollen wir zusammen in die Cafeteria gehen? Danach haben wir ja sowieso Probe.“
Sie lächelte. „Na klar.“
Nici erwies sich über einer Tasse Milchkaffee und einem Stück Butter-Streusel-Kuchen als eine sehr geduldige Zuhörerin. Sie nickte nicht übertrieben häufig mit dem Kopf wie Lilly es gern tat, wobei ich immer merkte, dass sie mir überhaupt nicht zuhörte. Nici aber ließ mich ausreden, sodass ich ihr völlig mein Herz ausschütten konnte.
„Jetzt habe ich dir ein Ohr abgekaut!“, sagte ich mit schlechtem Gewissen, als ich geendet hatte.
„Dafür sind Freunde doch da.“, erwiderte sie lachend. „Die Hauptsache ist, dass es dir jetzt ein bisschen besser geht.“
„Das tut es, danke.“ Und zwar so sehr, dass ich sofort das Gefühl hatte, ihr etwas für ihr geduldiges Zuhören schuldig zu sein. „Hast du vielleicht Lust, heute Abend mit mir in den Club um die Ecke zu kommen, wo du Nicolás kennen gelernt hast?“ Und ich Damien. „Ich gebe dir Einen aus und wir feiern das Leben!“
„Ich wäre auch mitgekommen, wenn du mir Keinen ausgeben würdest.“ Sie lachte wieder. „Aber liebend gern. Lass uns doch noch die anderen Mädels fragen. Die sind nach der Probe gleich bestimmt auch froh über jede Ablenkung.“
„Ja bestimmt, die… verdammt. Pack dein Zeug zusammen und komm mit zum Fahrstuhl!“ Ohne jede weitere Erklärung stand ich auf, stürmte zum Aufzug und war froh, dass sie mir folgte, ohne Fragen zu stellen. „Was denn?“
Ich deutete nach vorn. Durch die sich schließenden Aufzugtüren sahen wir nur noch wie Tatjana Teichert - eine blonde Moderatorin, die ich bis jetzt nur aus dem Fernsehen gekannt hatte, samt Kamerateam das Foyer des Hotels betrat. Wir brachen in schrilles Gekicher über diesen gelungenen Fluchtversuch aus.
Als sich die Türen wieder öffneten, stand uns keine Geringere als Victoria gegenüber. „Da seit ihr ja! Ich wollte euch gerade holen.“
Nici sah überrascht auf ihre Armbanduhr und stellte schließlich fest: „Bis zur Probe sind es noch gute zwanzig Minuten. Wir waren etwas essen…“
„Ja, Sherry sagte schon, dass sie euch unten gesehen hat. Da dachte ich mir, wenn ihr sowieso nichts Besseres zu tun habt, können wir auch eher anfangen.“
Sherry, die den Kopf vorsichtig aus Victorias Zimmer gesteckt und alles mit angehört hatte, rollte die Augen himmelwärts und formte dann mit den Lippen eine Entschuldigung. Da wir sowieso zur Probe gewollt hatten, sagten wir gütigerweise nichts zu diesem rüden Überfall seitens Victoria und dackelten ihr brav hinterher.
Nach unzähligen Wiederholungen des Refrains, bis unsere Stimmen so perfekt miteinander harmonierten, dass man sie hätte auf CD pressen können, war es bereits kurz vor acht. Victoria entließ uns mit den Worten: „Super, wir haben es ja doch noch hinbekommen.“
„Und heute ist erst Dienstag. Das heißt, dass wir bis Samstag gar nicht mehr üben müssen.“, konnte Alina sich einen kleinen Scherz auf Victorias Kosten nicht verkneifen und erntete dafür einen bitterbösen Blick.
Nici schritt wie immer in brenzligen Situationen sofort ein. „Wir wollen rüber in den Club. Habt ihr Lust mitzukommen?“
Wie erwartet, war Alina sofort Feuer und Flamme und stürmte nach einem „ich muss mich noch umziehen“ wie der Blitz aus dem Raum. Sherry, die ziemlich geschafft von Victorias Drill wirkte, schüttelte müde mit dem Kopf. „Ich hau mich aufs Bett und sehe mir sinnlosen Quatsch im Fernsehen an.“
Ich konnte nicht verstehen, wie man dieses Bedürfnis in einem Berliner Hotel als Kandidatin von DerTraum haben konnte. Aber genauso wenig konnte ich verstehen, wie man nach vier Stunden harten Gesangstrainings immer noch weiter seine Stimmbänder trainieren wollte, wie Victoria uns großspurig mitteilte.
Auf dem Weg zum Club zogen Alina, Nici und ich gnadenlos über sie her. „Sie ist viel zu verbissen.“, sagte Alina und stöckelte galant mit ihren einszweiundachtzig neben mir her, wobei ich mir wie ein kleiner, unsichtbarer Zwerg vorkam.
„Sicher liegt sie jetzt auch nur todmüde in ihrem Bett und schaut fern.“, regte auch Nici sich auf.
„Ich habe ehrlich keine Lust mehr, über sie zu reden. Es reicht mir schon, wenn wir morgen wieder nach ihrer Pfeife tanzen müssen.“, mischte ich mich genervt ins Gespräch ein.
„Und das wortwörtlich.“, gab Alina lachend zurück und imitierte Victoria geradezu perfekt als sie, genauso wie sie vorhin, affektiert in die Hände klatschte und sagte: „Also, Mädels übertreibt es heute Abend nicht. Morgen wird das Tanzen geübt.“ Wir lachten den ganzen Weg bis in den Club.
Wenig später saßen wir an der Bar, jede von uns mit einem noch mehr oder weniger gefüllten Sektglas in der Hand. Alina zappelte schon nach wenigen Minuten unruhig auf ihrem Hocker hin und her. „Also ich muss jetzt einfach tanzen gehen. Kommt jemand mit?“
„Dabei tanzt du doch morgen zusammen mit Victoria schon genug.“, lachte Nici. „Ich denke, wir bleiben noch ein Weilchen sitzen oder, Fay?“ Ich nickte. Alina schnitt eine Fratze und verschwand in der tanzenden Masse.
„Dir geht noch das Telefonat mit deiner Mutter durch den Kopf, oder?“, wollte Nici wissen, als wir unter uns waren.
„Leider.“, seufzte ich. „Ich wünschte, ich könnte auch so abschalten wie alle anderen; aber ich fürchte, ich muss mir noch etwas Mut antrinken und es ist nicht nur das…“
„Was denn noch?“, wollte Nici wissen.
„Puh, das ist schwer zu erklären. In mir herrscht momentan ziemliches Gefühlschaos.“ Dabei dachte ich nicht so sehr an Sascha als vielmehr daran, wie seltsam Damien sich in letzter Zeit verhielt und dass er mir mehr und mehr aus dem Weg ging, wobei ich merkte, wie sehr er mir als Freund fehlte. Leider besaß ich noch nicht die gehörige Portion Mut, ihn einfach darauf anzusprechen.
„Mir geht es ganz genauso.“, sagte Nici zu meiner Überraschung ehrlich und ich versetzte mich in ihre Situation, während sie erzählte: „Die ganze irreale Aufregung hier und dann das mit Nicolás, was auch völlig neu ist… und es ist ja nicht gerade die entspannteste und unkomplizierteste Situation, in der wir uns kennengelernt haben.“
Da merkte ich, dass nicht aller Ballast der Welt allein auf meinen Schultern ruhte. Jeder trug sein Päckchen mit sich herum, nur dass die anderen es vielleicht eher akzeptierten anstatt wie ich ewig mit ihrem Schicksal zu hadern.
Als Viva Forever in einem House-Mix angespielt wurde, sprangen Nici und ich gleichzeitig auf und gesellten uns lachend zu Alina auf die Tanzfläche. „Wenn das Victoria wüsste!“, lachte sie.
Ich ließ endlich los und ließ meinen Körper der Musik folgen. Mein Kopf war wie leer gefegt und mein Herz hüpfte im Takt. Da hielt mir plötzlich von hinten jemand die Augen zu. Ich erkannte ihn sofort an seinem Parfüm, welches sich mir als einziges unserer Kennenlern-Nacht unauslöschlich ins Gedächtnis gebrannt hatte.
„Damien!“ Voller ehrlicher Freude drehte ich mich zu ihm um und sah ihn endlich wieder lächeln.
Damien:
Sie aufzugeben, war der einzige Weg gewesen, wieder in ihrer Nähe sein zu können, ohne mir selbst noch größeren Schaden zuzufügen. Sie hatte nur noch Augen für Sascha, sobald sich dieser zusammen mit ihr in einem Raum befand und ich glaube, er war auch nicht abgeneigt. Ein Mann sollte wissen, wann er verloren hat. Aber sie brauchte trotzdem einen Freund und der konnte ich immer noch sein. Das war schon viel. Das musste reichen. Und als ich sie jetzt so glücklich zu mir auf lächeln sah, war das wirklich mehr als genug. „Ich hab bei dir geklopft, weil ich dich auf einen Drink hierher einladen wollte.“
„Tja, das passt heute Abend aber ganz schlecht.“, witzelte sie und ich merkte, wie ausgelassen sie war.
„Ja, darum hab ich mir anderen Begleitschutz mitgebracht.“ Kurz äugte sie misstrauisch hinter mich - hätte ich es besser gewusst, hätte ich gesehen, dass sie eifersüchtig nach einer anderen Frau Ausschau hielt, die ich vielleicht mitgebracht haben könnte. Stattdessen entdeckte sie dort Nicolás, Marc und Sascha. Sofort war da wieder dieses gewisse Etwas in ihrem Blick, bei dem ich mir wünschte, dass ich der Verantwortliche dafür wäre.
Ich beschloss, sie etwas aufzuziehen, wenn sie schon unbewusst für so ein Gefühlschaos in mir sorgte. „Ich habe das Gespräch zwischen Sherry und dir am Montag mitbekommen.“
„Es war nicht wirklich ein Gespräch, oder?“, brüllte sie durch die Musik hindurch. Trotzdem wusste sie aber komischerweise sofort, wovon ich sprach. Ob sie sich jetzt auch fragte, ob das Gespräch Grund dafür gewesen ist, dass ich ihr seitdem aus dem Weg gegangen bin? Ob sie es überhaupt bemerkt hatte? Ob ich ihr gefehlt hatte? „Du hast traurig ausgesehen.“
„Was willst du jetzt von mir hören?“, fragte sie und wirkte seltsam störrisch dabei. „Einfach, was du fühlst.“
„Findest du, das ist der richtige Ort dafür, ja? Lass uns einfach tanzen!“
Gut, sie wollte also nicht über Sascha reden. Nur gut für mich. Also tanzten wir. Und merkten zu spät, das die Tatjana Teichert gerade von Alina zu uns hinüber kam.
„Oh nein! Woher weiß die denn, dass wir hier sind?“, fragte Fay genervt.
„Ganz locker!“, erwiderte ich und legte meinen Arm schützend um ihre Hüften. Ich jubelte innerlich auf, als sie es zuließ. „Das wird nicht das erste und nicht das letzte Mal gewesen sein.“
„Fay?“, wandte Tatjana sich sofort an sie. „Ich bin Tatjana. Ich habe den ganzen Tag versucht, mit dir zu sprechen. Glaub ja nicht, dass du mir so leicht davon kommst.“ Sie wirkte auf eine aufdringliche Reporter-Art irgendwie sympathisch. „Ich hätte morgen gerne ein Interview mit dir.“
Ich beobachte Fays Reaktion und musste lächeln, als ihre Gesichtsfarbe alle Regenbogentöne durchging. „Ein Interview? Mit mir??“
Tatjana lachte über ihre verdutzte Miene. „Ja, wir dürfen uns einige Kandidaten herauspicken, die uns interessant erscheinen. Ich habe unter anderem dich gewählt.“
„Ich? Interessant?“, erwiderte sie ungläubig. Ich konnte über so viel Begriffsstutzigkeit über die eigene Person nur mit dem Kopf schütteln. „Ja, du bist für mich das laufende Geheimnis. Die Herausforderung. Bitte sag ja!“
„Ja, klar. Okay.“, erwiderte sie überrumpelt.
„Ich hol dich morgen um zwei im Foyer eures Hotels ab. Schönen Abend noch.“ Sie winkte uns zum Abschied und verschwand wieder.
Ich wandte mich Fay zu, die stocksteif auf der Tanzfläche stand. „Vielleicht jetzt ein bisschen reden?“
Sie nickte stumm. Wir gingen vor die Tür des Clubs, wo die kalte Nachtluft unsere erhitzten Gemüter beruhigte. „Wie fühlst du dich?“
„Du hörst dich schon an wie unser rasender Reporter.“, erwiderte sie mit einem schiefen Grinsen und antwortete mir erst wirklich, als ich sie weiter durchdringend musterte. „Es ist ziemlich viel auf einmal, nicht? Mein erstes Interview. Das klingt so lächerlich. Ich fühle mich überhaupt nicht bedeutend genug, um ein Interview zu geben.“
„Das solltest du aber.“, sagte ich bekräftigend. Sie seufzte und sah mich an, als würde ich alle Antworten der Welt kennen. „Für dich ist es einfach, so etwas zu sagen, Damien. Du bist ein fantastischer Sänger, siehst aus wie jemand, der gerade aus einem Poster gestiegen ist. Ihr geht mit all dem Stress so natürlich um…“
„So siehst du mich?“, fragte ich verdutzt und geschmeichelt zugleich. Dann nahm ich ihre eiskalten Hände in meine, um sie zu wärmen. Ein schönes Gefühl, welches ich mir einprägen wollte. „Fay, wir alle sind fürchterlich angespannt. Du stellst dich selbst so in den Außenkreis. Du bist eine von uns! Jeder geht mit seiner Angst anders um. Der eine überspielt sie mit Lachen und Ausgelassenheit, die anderen werden gereizt, und du wirst eben emotional und panisch.“
Sie lachte ob dieser unverblümten Wahrheit. „Ja, nicht wahr? Ich bin ein Wrack.“
„Das bist du nicht. Und wieso sprichst du ihn nicht an und jetzt spiel’ bitte nicht die Unwissende.“ Ich wusste nicht einmal, warum ich diese märtyrerische Aktion startete, ihr dabei zu helfen, mit Sascha zusammen zu kommen. Vielleicht macht Liebe wirklich willenlos und blind.
„Ich kann so etwas einfach nicht, Damien. Ich kann es dir nicht beschreiben. Die Angst in mir ist meistens stärker als alles andere.“
„Das darf sie aber nicht sein. Wie willst du denn leben, wenn du dir aus Angst alles verbietest?“
„Ich habe mich geändert, glaub’ mir. Alles Schritt für Schritt. Bitte dräng mich nicht.“
Ich dachte daran, dass ich sicher der Letzte wäre, der sie zu irgendetwas drängen würde, was sie nicht wollte, sprach den Gedanken aber nicht laut aus. „Also gut, dann machen wir mal da weiter, wo wir eben aufgehört haben, oder?“, fragte ich und zog sie mit mir nach oben, als ich aufstand. „Ja, das machen wir.“
Fay:
„Ich geh jetzt langsam mal wieder zurück.“, sagte ich zu Damien als es kurz nach ein Uhr war.
„Jetzt schon?“, fragte er enttäuscht. „Soll ich dich begleiten?“
„Nein, danke. Ich habe morgen um zwei das Interview, dort will ich nicht mit Ringen unter den Augen erscheinen.“
„Na gut, dann gute Nacht. Ich bleibe noch ein bisschen.“
„Schlaf gut.“, sagte ich und schob mich durch die tanzende Menge aus dem Club heraus. Dort traf ich auf Marc und Sascha, aber sie waren so in ihr Gespräch vertieft, dass sie mich nicht einmal bemerkten.
Leise seufzend ging ich Richtung Hotel zurück. Währenddessen dachte ich zum ersten Mal seit Montag wieder an Danielas Kritik, was meine Ausstrahlung betraf. Stimmte es? Hatte ich keine? Bemerkte Sascha mich deswegen nicht? Wie bekam man Ausstrahlung, während man immer noch man selber blieb?
Ich beeilte mich nicht, ins Hotel zu kommen, dort erwartete mich ja doch nur gähnende Leere und unendliche Grübelei. Plötzlich wünschte ich mir, ich wäre noch im Club bei Damien geblieben. Scheiß auf die Ringe unter den Augen! Die bekam man von einer Nacht Grübeln ebenso. Aber bei Damien fühlte ich mich immer wohl.
Doch der Regen tat mir gut. Zum ersten mal seit meiner Kindheit war ich patschnass, ohne mir darüber Gedanken zu machen, ob jemand Anstoß daran nehmen könnte.
In meinem Hotelzimmer angekommen, wickelte ich mir einfach ein Handtuch um das nasse Haar und wollte mich gerade auf mein Bett legen, um noch etwas durch die Kanäle zu zappen, , da klingelte mein Handy. Ich war mir so unsinnig sicher, dass es Damien wäre, der mich zurück in den Club zitieren wollte, dass ich unbeschreiblich enttäuscht war, als ich die Nummer meiner Mutter erkannte. Und ich hatte wirklich keine Energie mehr für weitere Auseinandersetzungen. Dennoch entschied ich mich wieder dafür, es hinter mich zu bringen und ging missmutig ran. „Mutti, du bist um diese Zeit noch wach?“
„Ich konnte nicht schlafen. Ich wollte mich entschuldigen, dass ich dich dazu drängen wollte, mit Lilly Kontakt aufzunehmen.“ Wie schafft sie es nur, mich in so wenigen Tagen so oft zu überraschen?
„Danke, das ist lieb von dir. Ich möchte mich auch entschuldigen… dieser Neuanfang ist schwer und ich weiß nicht, wie ich mit uns umgehen soll, Mutti.“
„Versuch es nicht. Sei einfach du selbst.“, sagte sie und ich hörte ihr an, dass sie den Tränen nahe war, was mir das Herz zerriss. „Ich habe dir das Geld überwiesen.“
„Danke dir. Du kriegst es zurück.“
„Wie du willst. Ich lasse dich jetzt schlafen.“
„Ich melde mich. Gute Nacht.“
Noch lange nach dem Telefonat saß ich einfach nur kerzengerade auf meinem Bett und starrte gegen die triste, weiße Wand. Wie zum Teufel hatte DerTraum es geschafft, mein Leben innerhalb weniger Wochen so sehr auf den Kopf zu stellen und zum Besseren zu wenden, wie ich es all die Jahre durch Kampf und Mühe nicht einmal ansatzweise hinbekommen hatte? Vielleicht musste man ja manchmal, nicht kämpfen, um zu gewinnen, sondern ganz einfach aufgeben. Sich dem Leben ergeben und Vertrauen haben. Warum war das so schwer?
Auf dem Flur vernahm ich plötzlich Nicolás´ Stimme, gleich danach ertönte Nicis herzliches Lachen, was mir sofort auch ein Lächeln ins Gesicht zauberte. Ich freute mich für dieses frische Glück, auch wenn es mir noch deutlicher machte, wie einsam ich selbst war. Da klopfte es und ich zuckte irritiert zusammen, ehe ich mich daran machte, die Tür zu öffnen.
Damien:
Ich hatte wirklich vorgehabt, im Club zu bleiben und die restliche Nacht zu genießen, aber einerseits hatte ich mich krankhaft gesorgt, ob sie gut zurück ins Hotel gekommen war, und andererseits machte mir nichts mehr Spaß ohne sie. Mir war klar, in welch hoffnungslosem Zustand ich mich befand und dass ich mit meinem selbstzerstörerischen Verhalten alles nur noch schlimmer für mich machte, aber in diesem Moment konnte ich nicht anders handeln. Wahrscheinlich machte ich mir unbewusst auch immer noch Hoffnungen.
Ich hatte zur Feier des Tages eine Flasche Jim Beam und eine Flasche Coca Cola aus dem Club gekauft und stand um ein Uhr morgens vor ihrer Zimmertür. Was für einen Eindruck das auf sie gemacht haben musste, kann ich bis heute nicht sagen, aber wahrscheinlich hat sie sich gar nichts dabei gedacht, denn sie ließ mich ohne Zögern lächelnd ins Zimmer. Und in ihr Herz.
„Wohl doch noch nicht so müde wie gedacht?“
„Ich habe mich geärgert, dass ich gegangen bin, kaum dass ich aus dem Club war. Ich fühle mich so aufgekratzt und kann und will mich jetzt einfach nicht hinlegen. Ich glaube, mein Körper gewöhnt sich langsam an den Schlafmangel.“ Sie lachte ausgelassen und ich freute mich, dass ihre trübe Stimmung weg war. „Ich freue mich so, dass du da bist.“
Am liebsten hätte ich sie an mich gezogen und ihr gestanden, was ich für sie empfand. Wahrscheinlich hätte ich uns beiden dann die nächsten nervenaufreibenden Monate und all den Herzschmerz erspart, der ihnen folgen würde, aber meine Angst, sie zu verlieren, war in diesem Moment größer als alles andere, und so goss ich uns einfach eine Cola-Mischung ein und schwieg. Vielleicht hoffte ich auch, sie käme von allein auf den Gedanken, dass wir für einander geschaffen waren.
„Hast du die Gläser etwa stibitzt?“, fragte sie mich frech grinsend und ich zuckte zusammen. „Ich bringe sie morgen zurück.“
Sie lachte laut und nahm einen großen Schluck. „Nicht, dass das hier auch zur Gewohnheit wird.“
„Hey, wir sind Rockstars.“, sagte ich und stieß mit ihr an.
„Oh ja, das sind wir!“