Kapitel 12
Die Bergung des Lichts
Damien:
Alles war so sinnlos.
Wir fuhren in zwei Großraumtaxen nach Köln. Mit mir im Wagen saßen Nici, Nicolás, Sascha und Sherry. Es herrschte eine Stimmung wie bei einem Trauerzug. Niemand sprach - und wenn doch, dann nur mit gesenkter Stimme, so als wage es keiner, die unheimliche Stille zu unterbrechen, die uns umgab.
Ich war mir sicher, dass ich für Fay mehr fühlte als jeder Mensch auf dieser Welt, doch in diesen Sekunden spürte ich gleichzeitig bis auf den Grund meiner Seele, dass sie alle genauso fühlten wie ich – es war nicht richtig. Es war einfach zu früh für sie gewesen. Zu früh für uns. Zu spät für mich. Ich war in den Themenshows und unterwegs in die Villa. Und alles war so sinnlos.
Als wir ankamen, wachten die anderen aus ihrer Trauerstimmung auf und begriffen, was nun auf sie zukam und dass ihr größter Traum damit frohlockte, in Erfüllung zu gehen. Und ich fühlte mich unsinnig von ihnen im Stich gelassen. Ich konnte mich nicht mit ihnen über die Großzügigkeit oder den Luxus der Villa freuen. Ich konnte und wollte nicht hinnehmen, dass die Entscheidung um Fay nun einmal gefallen war, wie Alina es mir sanft aber bestimmt an den Kopf warf, als ich ihr einen bösen Blick zuwarf, nachdem sie ausgelassen lachte.
Aber es war nicht ihre Schuld. Für sie alle gingen der Wettbewerb und ihr Leben weiter. Nur Sherry schien mit mir zu fühlen. Sie zog sich sofort allein in ein Zimmer zurück, machte sich aber nicht die Mühe, ihre Koffer auszupacken, um sich wie zu hause fühlen zu können. Kurz überlegte ich, ihr Gesellschaft zu leisten, musste aber schnell einsehen, dass ich dafür einfach nicht in der Stimmung war. Wie sollte ich jemanden aufheitern, wenn es mir doch selbst so schlecht ging?
Fay reagierte auf keine meiner Nachrichten, auf keinen meiner Anrufe. Ich war krank vor Sorge. Wie ein liebeskranker Teenie schaute ich sekündlich auf mein Handy und fragte mich, was sie gerade tat und ob sie noch allein im Taxi saß und mit ihrem Schicksal haderte.
Es war so ungerecht. Sie sollte jetzt hier sein und all diesen Luxus genießen dürfen. Ich wusste, dass sie von uns allen die Einzige war, die jede Staffel DerTraum von Anfang bis Ende geschaut und mit ganzem Herzen mit jedem Kadidaten mitgefiebert hatte. So sehr bis es ihr irgendwann ins Blut übergegangen ist. Sie war einfach für dieses Format geschaffen. Wie konnte man so etwas wegen eines lächerlichen Fehlers beim Tanzen übersehen?
Als Sascha mir den Arm um die Schultern legte und tröstend zu mir sprach, wurde mir klar, dass ich von ihr besessen war und dass ihr Ausscheiden vielleicht die einzige Möglichkeit für mich war, sie ein für allemal zu vergessen, um mein persönliches Seelenheil zu retten. Nur, dass ich das gar nicht wollte. Lieber wollte ich verloren sein als hier ohne sie.
Fay:
Leise, fast lautlos schloss ich unsere Haustür auf und fühlte mich dabei wie in einem langen, zähen Traum, bei dem man weiß, dass man träumt, aber nicht aufwachen kann. Trotz der späten Stunde waren meine Eltern noch wach, als hätten sie gewusst, was passieren würde. Als hätten sie es geahnt. Als hätten sie niemals an mich geglaubt.
Schon im Flur nahm ich ihre sorglosen Stimmen wahr, die sich im Wohnzimmer miteinander unterhielten. Diese vertraute Normalität schnürte mir abermals die Kehle zu. Ich hatte das letzte Geld meiner Mutter dafür verprasst, von Berlin aus ein Taxi nach Simbach zu nehmen. Ich hatte einfach nicht mehr die Kraft gefunden, in einen Zug zu steigen, geschweige denn mehrmals umzusteigen und die ganze Nacht lang allein Zug zu fahren, wo mich die Stille gezwungen hätte, über mein Leben nachzudenken. Aber mir wurde klar, dass ich das ohnehin bald tun müsste. Nur nicht heute. Nicht morgen. Vielleicht ja doch niemals…
Müde schlich ich durch die Küche und fragte mich dabei, warum ich es tunlichst vermied, Geräusche zu machen, da ich ja sowieso gleich sagen müsste, was es zu sagen gab. Ich öffnete die Falttür mit einem lauten Geräusch, das alle – inklusive mich – zusammenfahren ließ.
Lilly war auch da und wie immer war sie die Erste, die etwas sagte. „Fay! Was machst du denn hier?“ Zu meiner Überraschung erhob sie sich und hielt mich an den Schultern. „Stimmt etwas nicht?“
Ich war so müde, so geschafft, so unendlich traurig und enttäuscht von mir selbst, dass mich dieses schlichte Zeichen der Zuneigung in Tränen ausbrechen ließ. Ich hatte mich so lange zusammengerissen. Aber hier war mein Zuhause. Hier durfte ich weinen.
Mutti und Peter sprangen sofort auf und umarmten mich. Wieder brauchte es keine Worte. Es war die Nacht von Samstag zu Sonntag, und ich war hier und nicht in Berlin. Mein Traum war wie eine Seifenblase zerplatzt.
Sie bestürmten mich mit Zuversicht und Zuneigung. All ihre positive Kraft prallte an mir ab wie heiße Luft. Ich stand wie eine Unbeteiligte in ihrer Mitte. Es gab nichts, das sie hätten sagen können, das mich auch nur ansatzweise hätte trösten können.
Ich hielt es nicht lange in ihrer mitleidigen Gesellschaft aus. Alles, was ich wollte, war Ruhe. Das erste Mal seit meiner Zeit bei DerTraum sehnte ich mich nach meinem einsamen Zimmer, wo ich ungestört im Selbstmitleid versinken konnte, ohne mich auch nur ansatzweise zusammenreißen zu müssen.
Kaum hatte ich die Tür hinter mir zugeschlagen, brach schon die alte Hoffnungslosigkeit über mir zusammen. Ich begann zu weinen wie ein kleines Kind. Jeder Schluchzer tat mir im Herzen weh. Alles fühlte sich falsch an. Ich hatte zwar von Anfang an gewusst und akzeptiert, dass ich es niemals bis zum Ende schaffen würde, doch ich war mir tausendprozentig sicher gewesen, dass mein Leben sich rigoros verändern würde.
Ja, ich hatte viele Freunde und Selbstvertrauen dazu gewonnen. Doch es war lange nicht genug. Und ich rede hier nicht nur von Sascha. Ich hatte mir etwas so Großes durch DerTraum versprochen, dass ich mich nun für die reinste Versagerin hielt. Vielleicht gehörte ich ja einfach nirgendwohin.
Just in der Sekunde als mir dieser schreckliche Gedanke kam, klingelte mein Handy und ich sah auf dem Display, dass ich einduzend Anrufe in Abwesenheit hatte. Benommen nahm ich ab und obwohl Damiens Nummer auf dem Display stand, wurde mir erst bewusst, mit wem ich sprach, als er zu reden begann. Etwas in mir heilte. Und etwas zerbrach noch mehr. Ich war froh, seine Stimme zu hören, aber für mich war er in diesem Moment so unerreichbar wie der Mond.
„Fay, ich hab mir schon Sorgen gemacht. Bist du gut zu hause angekommen?“
Ich ließ mich kraftlos auf mein Bett sinken und schloss für einen Moment die Augen, um einfach nur dem vertrauten Klang seiner Stimme folgen zu können. „Ich bin in meinem Zimmer, ja.“
„Wie fühlst du dich? Nein, warte. Das war eine Scheißfrage. Fay, es fühlt sich nicht richtig an.“
Ich nickte unter Tränen und sagte mit erstickter Stimme: „Ja, genauso fühle ich mich, Damien.“
Kurz war es still und ich hörte nur seinen leisen, unregelmäßigen Atem. Ich stellte mir vor, wie er allein in seinem Zimmer saß und sich nicht darüber freuen konnte, bis unter die letzten Zehn gekommen zu sein. „Aber, Damien, jetzt lass uns über dich reden! Du bist in der Villa! Das ist der Wahnsinn.“
„Hör auf, Fay. Du musst keine Konversation mit mir betreiben. Du weißt, keiner von uns freut sich darüber.“
„Du willst, dass ich ehrlich bin? Ich will zu dir! Ich will zu Nici! Ich will euch zurück und vor allem dich. Wenn ich hier sitze und dich höre und du bist so weit weg, kann ich dir nicht beschreiben, was das mit mir macht. Ich möchte dich sehen, bevor ich abends ins Bett gehe und dann gleich wieder, wenn ich morgens aufstehe.“ Ich hielt die Luft an, weil ich meinen eigenen Worten plötzlich zuhörte und bemerkte, wie sie klangen. Und auch, wenn das absolut der Wahrheit entsprach, fügte ich noch etwas hinzu, um sie wieder abzuschwächen. „Du bist eben mein bester Freund.“
Danach war das Telefonat relativ schnell vorbei. Als ich auflegte, starrte ich bang mein Handy an und wünschte mir, ich könnte durch das Display ans andere Ende von Deutschland reisen und dann dort vor der Villa auf die anderen Kandidaten warten, um ihnen zu erzählen, dass mein Rauswurf nur ein riesengroßer Irrtum gewesen sei.
Ich wusste nicht einmal, wer alles weiter gekommen war. Nici, Nicolás, Damien, Sherry, Sascha, Alina und ganz sicher auch Marc und Victoria. Ich war zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Viel zu müde schon, um weiterhin über irgendetwas nachzudenken oder die vielen Sms meiner Freunde aus einer anderen Welt zu lesen, zu der ich keinen Zutritt mehr hatte.
Gegen vier fiel ich in einen unangenehmen Dämmerschlaf, der gespickt war mit erschreckenden und hektischen Bildern. Ich stand auf einer Klippe, auf der es von bunten Blumen verschiedenster Arten nur so wimmelte. Die Felsen waren fast vollständig bedeckt damit. Es war wunderschön. Der Wind roch nach Weite und erzeugte ein seltsam melodisches Geräusch in meinen Ohren. Ich ging näher zum Abgrund hin, obwohl ich mich fürchtete und wusste, dass ich stürzen würde, aber meine Beine bewegten sich von allein. Gelähmt vor Schock sah ich das Ende näher kommen. Und dann stieß mich jemand von hinten so kräftig in den Rücken, dass ich einen Satz nach vorn machte und über die Klippe fiel, doch da packte mich jemand am Arm. Ich sah nach oben und erkannte Sherry, die mich mit verbissenem Gesichtsausdruck festhielt. Ich schrie ihr zu, dass sie mich loslassen musste, weil sie sonst selber fiele, doch sie sagte nur, dass ihr das egal wäre.
Ich schreckte durch ein lautes Motorengeräusch vor meinem Fenster aus dem verwirrenden Traum hoch. Mir war schon klar, was die Metapher zu bedeuten hatte, aber warum ausgerechnet Sherry? Warum nicht Damien oder Nici oder sogar Sascha? Wie sollte gerade Sherry mich retten können?
Einem inneren Instinkt nach sah ich auf mein Handy und fand, dass neben all den Nachrichten von Nicolás, Damien und Nici, doch die meisten von Sherry waren. Sie hatte sogar versucht, mich anzurufen. Das konnte doch kein Zufall sein! Denn egal, wie gut wir uns auch verstanden hatten, so hatten wir nie groß miteinander zu tun gehabt. Unser Zusammensein hatte sich auf Kaffeetrinken und ein oder zwei Gespräche über meine Gefühle für Sascha beschränkt. Ansonsten hatte sie nicht mehr viel zu sagen gehabt in letzter Zeit.
Ich sah auf die Uhr und stellte erschrocken fest, dass ich gerade mal zwei Stunden geschlafen hatte - folglich hatte Sherry mich mitten in der Nacht angerufen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ich beschloss, sie sofort zurück zu rufen, doch ich erreichte sie nicht mehr.
Ich lag bis zehn Uhr putzmunter in meinem Bett und starrte grübelnd an die Decke über meinem Kopf. Dann klopfte es sacht an meiner Tür und meine Mutter sagte, dass das Frühstück unten bereit stehe. Ich reagierte nicht und zog mir die Decke über den Kopf. Ich hatte kein Hungergefühl mehr. Ich hatte keinen Hunger auf das Leben mehr. Und so rollte ich mich wie ein getretener Hund zusammen und fiel in einen erlösenden, langen Schlaf, der erst am frühen Nachmittag durch das Klingeln meines Handys unterbrochen wurde.
Orientierungslos setzte ich mich auf und stellte dankbar fest, dass die Sonne ihren Zenit schon längst hinter sich gebracht hatte und sich dieser gnadenlose Tag endlich seinem Ende näherte. Und dann würde der nächste gnadenlose Tag beginnen. Ich verdrängte den Gedanken daran, als ich Sherrys Nummer auf meinem Display erkannte und nahm mit gemischten Gefühlen ab. Einerseits wusste ich, es musste etwas Schwerwiegendes vorgefallen sein, wenn sie mich mitten in der Nacht anrief. Andererseits war in meinem Bauch ein seltsam lauerndes Freudengefühl. Wie ein junges Kaninchen, welches sich noch nicht so recht aus seinem Versteck traut, weil es sich fürchtete, die Schlange lauere noch an irgendeiner Ecke.
Wir verloren beide keine Zeit. „Sherry, was ist passiert? Ich hab mir wahnsinnige Sorgen um dich gemacht.“
„Das musst du nicht. Jetzt wird alles gut, Fay.“ Es war das erste Mal, dass ich sie wirklich unverstellt fröhlich erlebte. Für einen kurzen Moment war ich mir sicher, dass sie betrunken war, darum sagte ich nicht gleich etwas, doch sie fuhr unbeirrt fort: „Bist du taub? Oder interessiert dich meine Neuigkeit gar nicht?“
Ich war ratlos. Was konnte an guten Neuigkeiten in meiner Situation für mich so interessant sein, dass man mich mitten in der Nacht anrufen musste? „Die Polizei hat im Blut der Jury Drogen festgestellt, weshalb eine Neuauswahl getroffen werden muss. Ich bekomme noch eine Chance.“
Diesen nüchtern vorgetragenen Einfall meinerseits entschuldigte ich im Stillen mit meiner Verzweiflung, da ich eigentlich kein bisschen zu Scherzen aufgelegt war, doch zu meiner Überraschung lachte Sherry herzlich und lang, ehe sie herausbrachte: „Ja, beinahe.“
Ich riss die Augen auf und stellte mir vor, wie die Polizei die Studios stürmte und ich unter Pauken und Trompeten in die Villa einziehen durfte. Sherry schien meine Gedanken lesen zu können, was vielleicht an meinem schockierten Schweigen lag, denn sie brachte unter erneutem Gelächter hervor: „Das doch nicht, Fay! Ich meine, dass du noch eine Chance kriegst.“
Ich hielt mich an einem meiner Bettpfosten fest, um nicht wieder nach hinten in die Kissen zu fallen und sagte ernst und seltsamerweise wütend: „Mach mit sowas keine Witze, das verkrafte ich nicht.“
Endlich war sie wieder ernst, sodass ich mir sicher sein konnte, dass doch kein Alkohol im Spiel war. „Ich würde dich doch nie mit so etwas verarschen.“
Diese Ausdrucksweise passte so wenig zu ihr, dass ich sofort merkte, dass sie nun auch wütend war. Ich ging in Verteidigungsstellung. „Ich versteh kein Wort, das du sagst! Sag doch, was du zu sagen hast.“
„Okay, okay. Ich wollte dich etwas aus der Reserve locken und dir diesen Brocken nicht einfach so hinwerfen, aber wenn du es nicht anders willst: ich bin raus und du bist drin. So einfach ist das.“
Das war wirklich ein Brocken. Und nichts passte zusammen, sodass ich wieder nur verwirrt fragen konnte: „Hä?“
„Gott, Fay! Bist du schwer von Begriff? Ich bin freiwillig gegangen und du wurdest als Nachrück-Kandidatin ausgewählt!“
Mir stockte der Atem. Kurz hatte ich wirklich Angst, dass sich alle meine lebenswichtigen Funktionen einstellen würden, doch dann liefen sie wieder auf Hochtouren und ich begriff die Gewichtigkeit ihrer Worte. „Oh, Sherry! Ich weiß nicht, was ich sagen soll!“
„Du kannst dich ruhig freuen!“, versicherte sie mir schnell, und obwohl ich noch nie einen Menschen weniger verstanden hatte als sie in diesem Moment, fiel es mir schwer, dies nicht zu tun, da sie so offenkundig glücklich war. „Mir geht es so viel besser. Ich hätte diesen Schritt schon eher tun sollen, aber wahrscheinlich sollte es so sein. Jetzt kann ich auch noch etwas Gutes bewirken und mich wie eine barmherzige Samariterin fühlen.“
„Sherry, warum?“, brachte ich nur hervor, während mir Freudentränen in die Augen schossen.
„Es ist nicht meine Welt. Der Druck, die Lichter, die Presse, das Beurteilt-Werden. Fay, das ist mir zu oberflächlich. Das bin ich nicht. Ich will nicht sagen, dass ihr anderen oberflächlich seid, aber… ich kann es nicht beschreiben, okay? Für mich hat sich einfach alles falsch angefühlt… weißt du, was ich meine?“
Ich musste an das Telefonat mit Damien denken und konnte nur nicken, bis ich den Kloß in meinem Hals herunter gewürgt hatte. „Ich weißt genau, was du meinst. Aber warum ich?“
„Das hast du dem Schicksal zu verdanken - oder der Gnade der Jury. Ich weiß es nicht. Als ich von ihnen erfahren habe, dass du nachrücken wirst, habe ich darum gebeten, dass ich es dir sagen darf.“
„Sonst weiß noch keiner etwas?“
„Nein.“, sagte Sherry und ich hörte, dass sie strahlte. „Du sollst heute sofort nach Köln kommen. Sie haben sogar ein Auto zu dir bestellt, damit du so schnell wie möglich mit den Vorbereitungen zur ersten Themenshow beginnen kannst.“
„Gott, in meinem Kopf dreht sich alles. Bitte mach langsamer.“, sagte ich, ganz schwindelig vor Glück.
„Das kann ich nicht, denn der Wagen müsste eigentlich bald bei dir sein.“
„Was?“ Die Panik verdrängte alles andere. Mein Körper schaltete endlich wieder seine Funktionstüchtigkeit ein. „Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“
„Ich habe dich den ganzen Tag nicht erreicht.“
„Ich liege noch in meinem Bett!“, schrie ich panisch in den Hörer. Die darauf folgende Stille sagte mir, dass Sherry gerade die Kinnlade herunter gefallen war. „Ist das dein Ernst? Sag mal, wolltest du dich jetzt in deinem Elend vergraben und auf dein Ende warten, oder was?“
„Schimpf mich nicht so! Sag mir lieber, was ich jetzt tun soll.“
„Schnapp dir, was du findest und wirf alles in einen großen Koffer. Dann stürmst du aus dem Haus.“, riet Sherry mir. „Alles andere klären wir in der Villa. Bis nachher.“
Ich legte ohne ein Wort auf und beherzigte ihren Rat. Ich hatte mir kaum etwas übergezogen, da klingelte es schon. Es ging viel zu schnell, um zur Realität werden zu können. Alles war so verzerrt. Im Wagen erinnerte ich mich nur noch daran, wie meine Mutter unter Tränen gelächelt hatte, während sie mir ein paar mal mit ihrer Bürste durchs Haar gefahren war und Peter mich so fest an sich gedrückt hatte, dass mir fast die Rippen gebrochen wären.
Während der gesamten Taxifahrt war ich wie benommen. Ich dachte nicht an Sascha, nicht an die Villa, nicht an die erste Show. Es war, als gäbe es gar kein DerTraum und ich wusste nicht, wohin ich überhaupt auf dem Weg war, nur dass es besser werden würde. Ich war zu dem Besseren auf dem Weg. Vielleicht war es auch so, dass ich nicht wirklich nur zu DerTraum auf dem Weg war, sondern auch zu meinem neuen, besseren Leben. Und die ganze Zeit über hatte ich diesen seltsamen, prophetischen Traum vor mir, in dem Sherry mich wieder über den Rand der Klippe gezogen hatte.