Das Gute am nächsten Morgen war, sie hatten wieder einmal Strom. Sylvia stand am Herd und schmiss die letzten Eier in die Pfanne, während Markus tobte. Müller, der Hausmeister war weg. Und mit ihm der Transporter des Heims.
»Was für eine Scheiße! Er hat noch gesagt wir können es morgen gemütlich angehen, mal ausschlafen. Der muss das schon länger geplant haben. Er hat drüben alle Zimmer durchwühlt, wahrscheinlich um sich die Wertsachen unter den Nagel zu reißen, hat den Medikamentenschrank geleert und sogar die Waffe samt Munition mitgenommen. Ihr beide kanntet ihn doch schon länger, ihr hättet doch wissen müssen, was für ein Arsch er ist!«
Sylvia fing an zu weinen. Jana stand auf und inspizierte die Küchenschränke. »Dass er so ist, konnte keiner ahnen. Zum Glück hat er nicht auch hier die Vorräte geplündert. Die nächsten drei vier Tage haben wir genug zu essen. Wenn wir es einteilen, reicht es vielleicht für eine Woche. Wir sollten drüben schauen, ob er was übersehen hat. So groß ist der Transporter auch wieder nicht, dass er alles Nützliche einpacken konnte.«
Es hatte keinen Sinn zu lamentieren. Jana ging in ihr Zimmer, um zu packen, während Markus und Sylvia diskutierten,. Viel hatte sie nicht. Ihr Laptop und das Smartphone war das Wertvollste. Ein Koffer mit Klamotten, ein Rucksack und eine Tasche. Der Reißverschluss ihrer Winterjacke klemmte. Sie versuchte ihn zu bewegen, als er sich ganz löste. Eigentlich hatte sie schon längst eine Neue besorgen wollen. Sie überlegte nicht lange, zog das kaputte Teil über und machte sich auf den Weg zum Hauptgebäude. Sylvia und Markus waren schon oben und durchsuchten die Zimmer. Jana tat es ihnen gleich. Nerzstolas und Pelzmäntel gab es jede Menge. Jana fand erst als sie schon aufgeben wollte, eine ungetragene dunkle Wintersportjacke, die ihr nur minimal zu groß war. Sylvia kleidete sich völlig neu ein. Die Sachen waren qualitativ entschieden besser, als ihre eigenen. Sogar ein paar warme Fellstiefel fand sie in ihrer Größe. Markus bediente im Zimmer des Obersts, des einzigen Bewohners, dessen Sachen ihm annähernd passten. Es war makaber, fühlte sich fast an wie Leichen fleddern, doch keiner von ihnen wusste, wie es draußen aussah. Im Fernsehen sah man nur Chaos und das Militär, das versuchte die Ordnung wiederherzustellen. Doch meist begnügten sie sich damit, nur noch bestimmte Zonen zu schützten. Von den Angehörigen hatte sich keiner gemeldet. Die örtliche Polizei bis jetzt nicht reagiert. Markus hatte Müllers Verschwinden, inklusive seines Diebstahls dokumentiert und das Schreiben an die Leitung und die Polizei weitergeleitet. Bis auf eine automatische Empfangsbestätigung war nichts zurückgekommen.
Die Toten saßen nach wie vor im Aufenthaltsraum. Müller, der darauf bestanden hatte, dass sie nicht angerührt werden dürften ehe die Polizei da war, hatte sich nicht an seine eigene Anweisung gehalten. Er hatte, allem Anschein nach, den Toten Ketten und Ringe abgenommen. Markus kippte die Fenster im Aufenthaltsraum, stellte die Heizung ab und verschloss dann den Raum. Keiner von ihnen war bereit die inzwischen steifen Leichen zu bewegen. Der Tresor im Dienstzimmer stand offen. Müller hatte also auch den eingelagerten Schmuck und andere Wertsachen kassiert. Sylvia fand nur noch Kleingeld und einige versteckte Scheine in den Zimmern, die dem Hausmeister in der Eile wohl entgangen waren. Inzwischen war es später Nachmittag. Der Strom war wieder da, nachdem er über Mittag weg gewesen war. Sylvia inspizierte ihre Beute, Jana kochte und Markus kontrollierte die Autos.
»Bei den Autos in der Tiefgarage hat Müller die Batterien ausgebaut und mitgenommen. Keine Ahnung warum. Es gibt leider nur zwei fahrbereite Wagen. Meiner und Müllers alte Privatkarre. Beide haben etwa noch einen halbvollen Tank. Wenn ich das Benzin der anderen Karren absaugen kann, könnten wir sie vollmachen. Müller hat sie wohl stehen lassen, weil es Benziner sind. Mit dem Diesel ist er besser dran. Den ganzen Vorrat vom Notstromaggregat hat er sich anscheinend auch mitgenommen. Immerhin hat er wenigstens die Schlüssel von seinem Auto in seiner Wohnung gelassen«, seufzte er, als er zum Essen kam.
»In seinen Augen ist er sicher super fair und hat uns eine reelle Chance gelassen, vor allem auch, weil er uns seinen eigenen Wagen quasi geschenkt hat. Mit dem was noch da ist, können wir fünf Autos beladen. Die Batterien der Luxuskarren kann er für alles Mögliche brauchen, also nett von ihm, dass er die aus seinem Wagen nicht auch ausgebaut hat oder die aus Markus Auto. Wundert mich, dass er uns keinen Abschiedsbrief dagelassen hat. Eigentlich hätten wir es uns ja denken können. Er hat ein paar Mal gesagt, dass wir zu naiv sind und dass sich die Zeiten geändert haben. Uns mitzunehmen war also ein Risiko, das wollte er nicht eingehen«, überlegte Jana.
»Er hat jedenfalls einen Abschiedsbrief hinterlassen«, knurrte Markus und zog einen Zettel aus seiner Hosentasche. »Lag auf dem Sitz seines Wagens. Hier steht: Ich mag euch, deshalb lasse ich euch meine Karre da, damit habt ihr eine ziemlich gute Chance. Eure Vorräte langen dicke bis ihr zur nächsten sicheren Zone kommt, wenn ihr schlau seid, bedient ihr euch auch drüben. Meine Chancen ohne Balast sind besser, sorry. PS Wartet nicht zulange, es wird bald schneien.«
»Er täuscht sich. In einer Gruppe hat man heute bessere Chancen als allein. Wann wollen wir fahren?«, fragte Sylvia.
»Morgen. Blöd nur, dass wir keine Waffen haben. Er hat nicht mal die Schläger dagelassen. Am besten jeder von euch nimmt sich scharfe Messer aus der Küche mit. Die Leute auf die wir treffen werden, können schlimmer sein als die Zombies, solange wir mehr haben als sie.«
»Ich habe noch Pfefferspray«, überlegte Jana. »Sylvia, du doch auch?«
»Nein. Leider nicht. Aber wir könnten die Lackspraydosen aus der Werkstatt mitnehmen und den Bunsenbrenner. Besser als nichts. « Markus köpfte eine Flasche Wein. Wein war noch kistenweise vorhanden. Müller hatte die harten Sachen bevorzugt und der Platz in seinem Van war begrenzt, dachte Jana, während sie ein Glas trank. Wahrscheinlich waren das Abendessen heute und das Frühstück morgen die besten Mahlzeiten, die sie in nächster Zeit genießen konnten. Vorausgesetzt, sie hatten morgen noch Strom.
Der Fernseher lief noch, auch wenn es weniger Programme gab. Im Ersten gab es eine Wiederholung, während im unteren Bereich eine Einblendung lief, eine Telefonnummer unter der man Befallene melden konnte. Im ZDF wurde über die Hauptstadt berichtet, die inzwischen in sichere und gefährdete Zonen eingeteilt war. Ein paar weißgekleidete Menschen liefen mit Plakaten umher. Auf einem stand: Apokalypse - Gottes Soldaten ziehen in die letzte Schlacht. Auf einem anderem: Es gibt keine Zombies sondern nur Diener des Herrn. Der Reporter berichtete über die neue Endzeitbewegung, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte Infizierte zu verstecken und wiedererweckte Tote aus den Aufbewahrung -und Seuchenzentren zu befreien. Ein Uniformierter beklagte sich, dass Infizierte nicht mit einem Kopfschuss eliminiert wurden, die einzige Möglichkeit, um eine Auferstehung zu verhindern.
»Vor denen müssen wir uns in Acht nehmen«, warnte Markus. »Diese Sektierer sind schlimmer als jede andere Religion. Sie stecken Leute absichtlich an und verbreiten so das Virus.
Der Anführer der Gruppe wurde eingeblendet. Es war ein älteres Bild, denn der Mann hielt sich im Untergrund auf und war auf der Demo nicht anwesend. Ein ehemaliger Priester, der eigentlich ganz sympathisch aussah.
»Oh mein Gott, da ist Baier, da ganz rechts mit so einem Spruchband!«, Sylvia verschluckte sich beinahe.
Jetzt erkannte ihn Jana auch. Ihr ehemaliger Kollege trug einen weißen Umhang und hielt ein Schild in den Händen. Die Schrift konnte sie nicht erkennen, da waren schon andere im Bild.
Die Gruppe marschierte über einen Platz zu einem Gebäude und versuchte eine Tür gewaltsam zu öffnen. Über dem Eingang stand Quarantänezentrum.
»Die wollen die Tür aufbrechen, seht ihr das!«, krächzte Sylvia. »Warum verhindern die Reporter das nicht?«
»Wie denn, sind nur Journalisten. Aber da, schau, jetzt kommen Polizeiwagen!«
Die Tür öffnete sich, bevor die Polizei sie erreichte und eine Unmenge an Personen strömte hinaus. Ein paar Schüsse ertönten, doch dann hatten die Menschen die Autos eingekreist. Baier war nicht mehr zu sehen. Infizierte bissen Einsatzkräfte, die sich verzweifelt zu wehren versuchten.
»Die machen das extra, die sehen noch ganz normal aus! Die wollen gezielt andere Menschen infizieren, seht ihr das? Verdammte Scheiße, da können wir echt froh sein, dass Baier nicht auf diese Idee gekommen ist, als er noch hier war! Also wenn wir solche Typen sehen, müssen wir sie erledigen, ehe sie auf uns losgehen. Ich dachte, die Infizierten sind am Anfang noch normal.« Markus schüttelte den Kopf.
»Die benehmen sich fast normal, es dauert unterschiedlich lange bis der Parasit das Hirn ganz übernimmt und sie dann zwingt andere zu infizieren. Fresser werden sie erst am Ende oder wenn sie wiedererweckt sind. In einer Sendung hieß es sogar, einige beschützen anfangs ihre Familien. Hält natürlich nicht an.« Sylvia zündete sich mit zitternden Händen eine Zigarette an und begann nervös zu ziehen.
»Würden die alle gleich losrennen und wild um sich beißen, wie in den Filmen, hätte man die Möglichkeit sie sofort zu identifizieren und auszuschalten. So gehen die meisten durch die Lappen, weil sie normal wirken. Eigentlich haben wir keine Chance, außer es gelingt uns, irgendwo hinzukommen, wo es garantiert keine Infizierten gibt. Vielleicht eine Burganlage oder ein Schiff. Halt irgendwas, wo sich keiner unbemerkt einschleichen kann.«