Es war am Abend ziemlich spät geworden, trotzdem waren alle Sylvia und Markus schon in der Küche beim Frühstück als Jana sich um acht Uhr dazu gesellte.
„Hast du alles gepackt?“, fragte Sylvia. Jana nickte. Sie hatte eh nicht viel, einen Koffer und einen Seesack, das war der Vorteil, wenn man sowieso vor hatte wegzugehen. Auf dem Schiff hätte sie nur eine Kombüse gehabt, da war nicht viel Platz für Haushaltsgegenstände. Sylvia dagegen hatte drei große Koffer. Anscheinend hatte sie drüben noch mal richtig zugeschlagen, denn die Luxuslabels gehörten nie und nimmer ihr, aber Jana sprach sie nicht darauf an. Falls sie irgendwann schnell fliehen mussten, konnten sie sich kaum mit Gepäck belasten. Deshalb hatte sie das, was sie unbedingt brauchte, auch in einem Rucksack verstaut.
„Wir haben wenig Platz, das ist euch bewusst oder?“, mischte sich Markus ein, der selbst drei Koffer hatte. „Wir müssen vor allem auch Nahrungsmittel und Medikamente mitnehmen, wir wissen nicht, was uns erwartet. Es gibt Gegenden, da scheint alles halbwegs normal zu sein, woanders dagegen bricht alles zusammen. Ich habe eine Route ausgearbeitet, wie wir am besten bis Hannover kommen.“
„Ja, und du weißt genau wo es sicher ist“, motzte Jana und schenkte sich erst mal Kaffee ein.
„Weiß ich nicht, aber ich habe noch mal alle Stationen drüben nach Medizin und Verbandsmaterial durchforstet und beide Autos vollgemacht. Also sind wir vorbereitet und können uns vielleicht den Weg freikaufen, falls wir auf Straßensperren treffen. Ich bin schon durch Gebiete in Südamerika vor zwei Jahren, die mit Sicherheit gefährlicher waren. Die Menschen haben Angst und es herrscht vielleicht Anarchie, aber bis vor kurzem ging es zivilisiert zu, also denke ich nicht, dass es schon richtig schlimm ist. Wenn ich allerdings eure Koffer sehe, wird mir schlecht. Mein Wagen ist voll bis oben hin, ihr beiden müsst euch Müllers Karre teilen. Ich werde die hinteren Sitze rausschmeißen, dann habt ihr mehr Platz, spätestens zehn fahren wir.“
Er verschwand nach unten in die Garage. Jana frühstückte gemütlich. Wer wusste, wann sie das nächste Mal frisch gebrühten Kaffee hatten. Eigentlich war es Schwachsinn jetzt zu fahren, wenn hier noch alles funktionierte. Irgendwie fühlte sie sich auch noch nicht so richtig fit. Draußen war es kalt, hier war es warm und gemütlich. Die morgendliche Dusche würde sie auch vermissen. Wen störten schon die Toten im anderen Haus? Und das andere Personal, das einfach nicht mehr gekommen war, was war mit denen passiert? Hatten die sich in sichere Zonen abgesetzt oder war ihnen etwas passiert?
Im Fernsehprogramm wurde gezeigt, wie ganze Stadtteile in den Großstädten abgeriegelt wurden. Ab und an wurde eine Nummer eingeblendet, die man anrufen sollte, falls Infizierte gesichtet wurden
„Manchmal denke ich, es wäre wirklich besser, hier abzuwarten, zumindest bis das Wetter besser ist“, überlegte Jana.
„Bist du verrückt“, Sylvia sah sie entsetzt an. Schau dir an, wie es drüben im Hauptgebäude aussieht, die ganzen Leichen! Die haben reiche Angehörige mit Beziehungen, stell dir vor da kommt jemand und schaut nach. Da heißt es dann gleich, wer ist der Schuldige! Du bist zwar die ganze letzte Zeit krank gewesen, , aber denkst du das stört jemand? Die werden dem, der zuletzt da war schuld geben, egal was der Oberst geschrieben hat. Wir hatten die Verantwortung.“
„Denkst du im Ernst, dass interessiert noch jemanden? Schon als Baier verschwunden ist, haben wir doch überall um Hilfe gebeten. Da kam nichts. Die Angehörigen versuchen sich selbst zu retten, die hatten genug Chancen ihre Leute zu holen. Im Fernsehen labern sie rum, es wäre bald alles wieder in Ordnung und die Regierung verschanzt sich inzwischen auf Sylt. Verrückte befreien Infizierte und andere nutzen das Chaos und plündern. Es werden Schutzzonen errichtet, in die normale Menschen nicht reinkommen und die Polizei diskutiert mit dem Militär, wer von ihnen jetzt zuständig ist.“
„Also ich fahre, mach du was du willst Jana!“, Sylvia wandte sich zur Tür. „Da draußen ist jemand, ist Markus etwa schon fertig?“
Jana verschüttete fast ihre Tasse Tee, als sie Sylvias Schrei hörte. Sie sprang auf und lief in den Flur. Dort kämpfte Sylvia mit einer Kollegin, die schon ein paar Tage nicht mehr zum Dienst erschienen war.
„Erika, lass sie los!“ Sie zog an der Jacke der Angreiferin, die daraufhin von Sylvia abließ und sich Jana zuwandte. Ihre Haut war extrem blass, die Augen gelb. Jana stieß sie von sich und entging knapp einem Biss. „Spinnst du? Was soll das!“ Jana kannte Erika, eine alleinerziehende Mutter, sehr gut. Sie hatte immer gern mit ihr zusammen gearbeitet. Es fiel ihr schwer, Gewalt gegen sie anzuwenden, aber obwohl Erika eine eher zarte Person war, konnte sie sie kaum auf Abstand halten.
„Verdammt ich will dir nicht wehtun, hör auf!“ Jana drehte Erika den Arm herum und zwang die sich heftig wehrende Frau auf den Boden.
„Vorsicht, die ist infiziert“, schluchzte Sylvia.
„Bring die Kabelbinder aus der Schublade neben dem Herd“, wies Jana sie an. Sie fixierten Erika, die sich heftig wehrte.
„Was ist mit deiner Tochter!“, brüllte Jana sie an, doch es gelang ihr nicht zu der Kollegin durchzudringen, die sie anfauchte und mit den Zähnen schnappte.
„Schau ob sie allein war“, wies sie Sylvia an und nahm dann ein Messer und schnitt in den Arm der Fixierten. Das Blut war fast schwarz, die Frau zeigte keine Schmerzreaktion, wehrte sich aber auch nicht mehr. Ihr Blick fixierte Jana ohne ein Erkennen. Jana war klar, sie würde beißen, sobald sie die Gelegenheit dazu bekäme.
„Sie scheint allein zu sein“, sagte Sylvia, die wieder gekommen war. „Was machen wir mit ihr? Wir können sie nicht so zusammengebunden hier liegen lassen.“
„Willst du sie etwa in dem Zustand mitnehmen Jana?“
„Nein, aber so verpackt hier liegenlassen? Ist irgendwie unmenschlich.“
„Ihr habt beide Recht. Mitnehmen geht nicht, hier so lassen auch nicht.“ Markus war unbemerkt in die Küche gekommen. Er beugte sich zu Erika hinunter, die sofort versuchte sich aufzurichten und zu schnappen. Markus presste ihr einen Topflappen in den Mund und kontrollierte die Augen mit einer Taschenlampe. „Sie ist hinüber, der Parasit hat sie komplett übernommen, sie hat keine Chance“, überlegte er, dann drehte er sie herum, und verdrehte ihr mit einem Ruck den Kopf. Erika bäumte sich noch einmal auf, bevor sie zusammensackte.
„Ihr müsst die Verbindung zur Wirbelsäule kappen, das ist der einzige Weg, Infizierte zu stoppen. Oder ein Schuss in den Kopf. Wenn ihr das nicht könnt, müsst ihr einfach schnell sein. Ihr habt doch die Sendungen gesehen oder?“
„Ja, haben wir, aber das war jemand den wir kennen.“ Jana war einfach nur schlecht. „Ich weiß nicht, ob ich irhendjemand so kaltblütig umbringen kann, ob infiziert oder nicht.“
„Sie war schon tot. Und es werden noch andere kommen, wir sollten jetzt fahren. Der Strom ist übrigens auch wieder weg und wer weiß, ob er wieder kommt.“ Markus zeigte auf den Fernseher, der die ganze Zeit gelaufen war und jetzt so tot war, wie ihre ehemalige Kollegin.
Jana nahm ihre Sachen und folgte Sylvia und Markus nach unten.
„Ich fahre zuerst, wir müssen noch bei meinem Bruder vorbei, er ist im Schützenverein und wir können durch ihn vielleicht an Waffenkommen“, bestimmte Sylvia. Markus war einverstanden.
Jana setzte sich neben Sylvia, die anfuhr. Markus folgte mit seinem Wagen. Eher zufällig schaute sie auf Sylvias Hände, die das Lenkrad umklammerten. Oberhalb des Handgelenks sah sie eine frische Verletzung.