„Du hast dich verletzt“, Jana wies auf Sylvias Hand.
„Nur ein Kratzer, hab bei dem Koffer nicht aufgepasst. Sylvia zuckte mit den Schultern. „Falls du glaubst es war Erika, täuschst du dich."
„Ich glaube gar nichts“, Jana lehnte sich zurück und schloss die Augen. Falls Sylvia infiziert war, würden sie es früh genug merken. Bei manchen dauerte es zwar nur Stunden, bis der Parasit die Kontrolle übernahm, aber bei kleineren Eintrittswunden an Extremitäten und guter körperlicher Verfassung konnte es Wochen dauern. Sie dachte an die Reportage, die sie im Fernsehen gesehen hatten und nahm sich im Stillen vor, dass sie sich absetzen würde, sobald Sylvia gelbe Augen bekam. Eigentlich wäre sie sowieso lieber allein unterwegs, als mit ihrer Kollegin und ihrem Ex durch die Apokalypse zu ziehen. Sie verdankte den beiden zwar ihr Leben, doch deshalb musste sie nicht auf ewig bei ihnen bleiben.
Sie fuhren jetzt schon durch das zweite menschenleere Dorf. Die Häuser waren verrammelt, auf den Straßen lag Müll neben umgekippten Tonnen. Ob Tiere im Abfall gesucht hatten? Manchmal glaubte sie eine Bewegung hinter den Fenstern zu sehen, war sich aber nicht sicher. Sylvia fuhr langsam und starrte ab und an auf manche Häuser, während sie sich auf die Unterlippe biss.
Das graue trübe Wetter, die kahlen Bäume, Jana wünschte sich zurück in die Geborgenheit des alten Diensthauses. Warum nur war da Erika aufgetaucht und wo hatte die sich nur infiziert und was zum Teufel war mit ihrer Tochter passiert? Jana stellte sich eine Herde kleiner Kinder vor, die mit leeren Augen nach Opfern suchten. Auf der Straße lag ein toter Hund neben einer Einfahrt.
Sylvia bremste scharf und fuhr ein Stück zurück, beinahe hatten sie übersehen, dass Markus auf einem Parkplatz neben einem Gebäude gehalten hatte. Einem Supermarkt, wie Jana jetzt sah.
Jana stieg aus, während Sylvia das Lenkrad fest umklammernd, sitzen blieb.
Markus machte sich an der verschlossenen Tür zu schaffen. Er hatte ein Brecheisen angesetzt, doch noch bevor er drücken konnte, schob sich ein Gewehrlauf aus einem Fenster. „Verschwindet“, knurrte eine Stimme. Markus, der das Brecheisen fallen gelassen hatte, hob die Hände. „Sorry, ich wusste nicht das jemand da ist!“
„Ach so und wenn keiner da ist, brichst du einfach ein?“
„Wir kommen aus dem Altenstift, haben geholfen die Bewohner zu evakuieren. Während wir auf weitere Hilfe gewartet haben, sind Veränderte aufgetaucht, Sie wissen doch, diese neue Infektion. Ich bin Arzt und meine Begleiterinnen sind Krankenpflegerinnen, aber für diese Befallenen können wir nichts machen. Eine wollte uns angreifen. Wir konnten gerade so flüchten. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat hier in der Nähe Verwandtschaft, doch wir haben niemanden angetroffen. Wir sahen das Geschäft und keinen Menschen. Ich wollte nur nachsehen, ob ich etwas finden kann, was uns weiterhilft. Wir wollen nach Norden. Ich habe mitbekommen, dass das ganze Gebiet hier aufgegeben werden soll Die einzige Chance zu überleben, hat man in Norddeutschland, da haben sie die Infektion noch im Griff.“
Jana staunte, wie gut Markus lügen konnte. Er war Rettungssanitäter und kein Arzt und der Verwandte von Sylvia, wohnte eine Ortschaft weiter. Das Norddeutschland sicher wäre, hatte er sich auch ausgedacht. Sicher, es sollte ein paar befriedete sicher Zonen geben, aber solche gab es überall. Die ganze Infektion wäre längst Geschichte, wenn der Seuchenschutz konsequent vorgegangen wäre und jeder Infizierte, wie ursprünglich geplant interniert worden wäre. Doch durch die unterschiedlich langen Inkubationszeiten, konnten sich zu viele absetzen, verstecken und die Infektion verheimlichen, bis es zu spät war. Sie blickte zu Sylvia, die aus dem Wagen ausgestiegen war. „Wolfgang“, blaffte die den Mann mit Gewehr an, „mach den Laden auf und lass uns rein, dann können wir in Ruhe reden. Warum bist du eigentlich noch hier? Wenn du nur einen Funken Verstand hast, machst du hier dicht und schließt dich uns an. Es sei, du willst als Zombiefutter enden, denn die, die zum Heim gekommen sind, sind spätestens in zwei Tagen hier.“
„Ist ein Schulkamerad“, raunte sie Jana zu, bevor sie nach Markus den nun geöffneten Laden betrat. Die Regale sahen ziemlich leer geräumt aus.
„Ich weiß, wie es aussieht. Das wird immer schlimmer, anfangs dachten wir, uns betrifft es nicht, nur die Städte. Aber inzwischen haben wir keine Lieferungen mehr, Tiere wurden vom Militär abgeholt und für die, die dablieben, haben wir bald kein Futter mehr. Aber uns sagt keiner was! Ein paar Leute wurden evakuiert, aber die meisten sind hiergeblieben.“
„Dafür sieht der Ort aber ziemlich verlassen aus“, mischte sich Jana ein.
„Wir haben den alten Gutshof gesichert und ausgebaut. Die Stallungen reichen für die Tiere die noch da sind und das Gelände kann gut verteidigt werden. Ein paar Leute sind hiergeblieben, wollen ihre Häuser noch nicht verlassen. Ich öffne zweimal die Woche, damit sie Getreide, Fleisch und Milch kaufen können, wir halten zusammen hier. Wenn ihr wollt, könnt ihr mit zum Gut kommen. Wir bräuchten einen Arzt.“ Er schaute zu Markus. „Es soll ja richtig kalt werden, da wird’s eh schwer nach Norden zu kommen. In den Städten töten sie sich gegenseitig für ein bisschen Essen, hier haben wir noch genug in den Scheunen.“
Markus schaute zu Sylvia. Die zuckte mit den Schultern. „Wir wissen eh nicht, ob wir so einfach auf ein Schiff können und wenn, ist es sowieso besser zu warten, bis es wärmer wird.“
„Ok, wir bleiben erst mal“, bestimmte Markus. Jana war nicht begeistert. Allerdings sagte sie auch nichts dazu. Sylvia würde ihr den Wagen nicht überlassen und zu Fuß im Winter durch Deutschland, während einer tödlichen Pandemie, war vielleicht keine gute Idee.
„Weihnachten auf dem Gut ist vielleicht gar nicht so schlecht“, freute sich Sylvia, die den Hof anscheinend kannte. Wolfgang verschloss sorgfältig den Laden, stieg in einen Transporter und fuhr los. Markus und Sylvia folgten ihm in ihren Fahrzeugen. Jana fuhr wieder mit Sylvia und fragte sich, wieso es einige Dorfbewohner vorzogen, in ihren Häusern zu bleiben, statt auf das anscheinend sichere Gut zu ziehen.
Unterwegs sahen sie einige ausgebrannte Fahrzeuge am Straßenrand. Die erste Kontrolle vor dem Gut gab es wenige Kilometern, nachdem sie in eine Privatstraße eingebogen waren. Das ganze Gelände war mit Militärzäunen und Stacheldraht eingezäunt.
„Hier kommt keiner rein“, grinste einer der beiden Bewaffneten, die das schwere Tor geöffnet hatten. Jana blickte sich um. Sicher, so leicht kam keiner hier rein, aber kam da auch jemand raus? Und egal wie sicher, wollte sie wirklich hier sein?
Vor dem eigentlichen Gut standen mehrere Wohnwagen. Dick angezogene Kinder starrten sie an, als sie parkten. Ihre Gesichter waren leer, wie die der Erwachsenen, die jetzt dazukamen. Das Gebäude vor ihnen, der Gutshof, war groß und solide gebaut. Es wirkte eher wie ein Gefängnis, nicht wie ein Zuhause. Jana bereute, dass sie sich nicht abgesetzt hatte. Auch Markus schien nicht allzu begeistert, nur Sylvia lief glücklich zu einer älteren Frau, die sie anscheinend kannte.