"Fast wie von selbst erhob sich Thorsteins Schwertarm. Berechnend musterte er den vor ihm Knienden. Und Ragnar schien in seinen Zügen lesen zu können. Ergeben ließ er seinen Steuermann mit einem Nicken wissen, dass es in Ordnung war, dass er nicht zögern musste, dass er es verdient hatte, was nun kam. Noch einmal fasste er mit beiden Händen in die Seile, die ihn aufrecht hielten. Dann senkte der Jarl den Kopf und die Klinge fuhr zum zweiten Mal herunter."
Mit diesem Kapitel habe ich einige Puhrufe herausgelockt - wieder einmal! Und nun frage ich mich, ob es tatsächlich daran liegt, dass ich versuche, realistisch zu bleiben und nicht den rosa Anstrich überwiegen lasse. Aus diesem Grund möchte ich heute ein paar Überlegungen zum Thema "raue Sitten" der Wikinger einstellen.
Nicht umsonst waren sie im frühen Mittelalter gefürchtete Feinde. Daran lag nicht nur ihr unplanbares Auftreffen an allen Wasserwegen Europas. Grund war auch die unwahrscheinliche Brutalität, mit der diese "Barbaren" vorgingen. Das ging so weit, dass Orte wie Lindisfarne und ganze Inseln wie Island von den Opfern dieser Überfälle, den Mönchen, aus Sicherheitsgründen verlassen wurden.
Man hat ja so einiges von den Wikingern erzählt, diese Methode, Feinde grausam hinzurichten - der Blutadler - übersteigt jedoch alles. Beruhigend erscheint mir zu wissen, dass viele Forscher den Wahrheitsgehalt der Geschichte anzweifeln.
Fakt ist, dass in mehreren Sagas, Skaldendichtungen und anderen Überlieferungen diese Methode der Hinrichtung geschildert wird. Auch hier kommen wir nicht an der Edda vorbei. In der Sigurðarkviða Fáfnisbanna önnur wird explizit auf den Blutadler hingeweisen. (1)
Nach der Schlacht Sigruds mit Lyngwi spricht Regin:
"Nun ist der Blutaar mit beißendem Schwert
In den Rücken geschnitten Sigmunds Mörder.
Kein Größerer je hat den Grunötd gerhet
Aller fürstlichen Erben, und die Raben erfreut."
In Europa wurden allgemein bis ca. ins 11. Jahrhundert Menschenopfer vollzogen. Bei den Wikingern war es üblich, nach erfolgreichen Kriegszügen Gefangene dem Gott Odin zu opfern.
Das Ritual, das hier möglicherweise zur Anwendung kam, soll folgendermaßen ausgesehen haben:
Man öffnete dem Opfer mit einem Messer so den Rücken, dass die Rippen nahe der Wirbelsäule durchtrennt wurden. Diese bog man dann zur Seite, dass sie wie blutige Schwingen über dem Gefolterten aufragten. Dass man auch die beiden Lungenflügel mit aus dem Brustkorb gezogen habe, erscheint allerdings total unmöglich.
Glaubhafter ist die Deutung, dass die beiden Schulterblätter nach hinten ausgerenkt wurden - grausam genug!
Nachzulesen und (nichts für schwache Nerven!!!) als Animé anzusehen ist das Ganze bei norwik.de:
http://www.norwik.de/der-wikinger-blutadler/
Zu der Familie Ragnars gibt es sogar einen direkten Bezug.
In der allwissenden Wiki lesen wir: "Die Ragnars Saga berichtet von der Rache, die die Söhne des dänischen Königs Ragnar Lodbrok, Ivar der Knochenlose, Halfdan und Hubbi im Jahr 867 an König Ælle von Northumbria als seinem vermeintlichen Mörder nahmen. Im Jahr 869 besiegte Ivar mit einem Teil des Wikingerheeres König Edmund von Ost-Anglia, nahm ihn gefangen und ließ ihn ebenso wie Ælle zuvor durch die Blutadler-Folter grausam hinrichten, obwohl der König bereits von mehreren Pfeilen durchbohrt worden war.(2, 3)"
Doch auch andere wüste Opfer sind überliefert. So beschreibt Ibn Fadlan ausführlich, wie im Rahmen des Totenkultes eine junge Sklavin für ihren verstorbenen hochgestellten Herrn geopfert wurde. Auch hier geht das Ganze nicht so schnell vonstatten, wie wir es uns vielleicht wünschen würden. Nachzulesen hier:
http://www.meldalsgard.de/v3/ibnfadlan.php
(ungekürzte Version aus Harris Birkelands Übersetzung wiedergegeben und frei vom Autor dieser Seite aus dem Norwegischen übersetzt (norweg. Quelle: Arild Hauge)
Ich zitiere mal den einen oder anderen Auszug:
Das Mädchen, das sich dem Tode geweiht hatte, ging indes ab und zu, und trat in eins der Zelte, die sie dort hatten. Da legte sich der Inwohner desselben zu ihr und sprach: “Sag deinem Herrn, nur aus Liebe zu Dir tat ich dies.”
Als es nun Freitag Nachmittag war, so führte man das Mädchen zu einem Dinge hin, das sie gemacht hatten, und das dem vorspringenden Gesims einer Tür glich. Sie setzte ihre Füsse auf die flachen Hände der Männer, sah auf dieses Gesims hinab und sprach dabei etwas in ihrer Sprache, worauf sie sie herunter liessen. Dann liessen sie sie wieder aufsteigen, und sie tat, wie das erste Mal. Wieder liess man sie herunter und zum dritten Male aufsteigen, wo sie sich wie die beiden ersten Male, benahm.
Alsdann reichten sie ihr eine Henne hin, der schnitt sie den Kopf ab und warf ihn weg. Die Henne aber nahm man und warf sie in’s Schiff.
ich erkundigte mich beim Dolmetscher nach dem, was sie getan hätte.
Das erste Mal (war seine Antwort) sagte sie: “Sieh! hier seh’ ich meinen Vater und meine Mutter;”
das zweite Mal: “Sieh! jetzt seh’ ich alle meine verstorbenen Anverwandten sitzen;”
das dritte Mal aber: “Siehe! dort ist mein Herr, er sitzt im Paradiese. Das Paradies ist so schön, so grün. Bei ihm sind die Männer und Knaben. Er ruft mich; so bringt mich denn zu ihm.”
Da führten sie sie zum Schiffe hin. Sie aber zog ihre beiden Armbänder ab und gab sie dem Weibe, das man den Todesengel nennt und das sie morden wird. Auch ihre beiden Beinringe zog sie ab und reichte sie den zwei ihr dienenden Mädchen, die die Töchter des Todesengel Genannten sind.
...
Das Mädchen aber war bestürzt und unentschlossen geworden; sie wollte schon in’s Gezelt gehen, steckte jedoch (nur) den Kopf zwischen Zelt und Schiff. Stracks nahm die Alte sie beim Kopfe, brachte sie in’s Gezelt, und trat selbst mit ihr hinein. Sofort begannen die Männer mit den Stäben auf ihre Schilder zu schlagen, auf dass kein Laut ihres Geschreies gehört würde, der andere Mädchen erschrecken und abgeneigt machen könnte, dermal einst auch den Tod mit ihrem Herrn zu verlangen.
Dann traten sechs Männer in’s Gezelt und wohnten samt und sonders dem Mädchen bei. Drauf streckten sie sie an die Seite ihres Herrn. Und es fassten sie zwei bei den Füssen, zwei bei den Händen. Und die Alte, die da Todesengel heisst, legte ihr einen Strick um den Hals, reichte ihn zwei von den Männern hin, um ihn an zu ziehen, trat selbst mit einem grossen breitklingigen Messer hinzu und stiess ihr das zwischen die Rippen hinein, worauf sie es wieder heraus zog. Die beiden Männer aber würgeten sie mit dem Stricke, bis sie tot war.
...
Mir zur Seiten befand sich einer von den Russen, den hört’ ich mit dem Dolmetscher, der neben ihm stand sprechen. Ich fragte den Dolmetscher, was ihm der Russe gesagt und erhielt die Antwort:
“ihr Araber, sagte er, seid doch ein dummes Volk: ihr nehmt den, der euch der geliebteste und geehrteste unter den Menschen ist, und werft ihn in die Erde, wo ihn die kriechenden Tiere und Würmer fressen. Wir dagegen verbrennen ihn in einem Nu, so dass er unverzüglich und sonder Aufenthalt in’s Paradies eingeht.” (4)
Im Hinblick auf diese Überlieferungen und auch ein wenig mit dem Auge auf andere Teile der Edda wie zum Beispiel die schon in meiner Geschichte erwähnte Thrymskvidha denke ich, hat Thorstein durchaus Zurückhaltung gezeigt und Ragnar Gnade erwiesen.
Eure Sophie
(1) Quelle: Simrockübersetzung, https://de.wikisource.org/wiki/Die_Edda_%28Simrock_1876%29/%C3%84ltere_Edda/Sigurdharkvidha_Fafnisbana_%C3%B6nnur
(2) Ian Heath, David Nicolle, Angus McBride: Wikinger und Normannen. Siegler Verlag, 2003, S. 13–14.
(3) Ian Heath, David Nicolle, Angus McBride: The Vikings. Osprey Publishing Ltd., 1985.