Wunderschön gewachsen und kerzengerade stand sie da am Wegesrand, die Margerite. Das Gelb der Staubbeutel leuchtete mit der Sonne um die Wette, die Blütenblätter waren makellos weiss.
Die Frau blieb bewundernd vor der Blume stehen und freute sich an ihr. Kurz kam ihr der Gedanke, sie zu pflücken. Sie verwarf ihn aber gleich wieder. Wo sonst, wenn nicht draussen in der Natur, fühlte sich diese Blume am wohlsten?
Sanft wiegte sich die Margerite im lauen Sommerwind. Beglückt schaute sie um sich, betrachtete ihre Geschwister, das Grün zu ihren Füssen und wandte ihr Gesicht der Sonne zu.
Jeden Tag kam die Frau bei der Margerite vorbei, blieb einen Moment stehen und bewunderte sie. Sie dachte daran, dass er sie aufgefordert hatte, die Blume zu pflücken. Nein! Sie schüttelte entschieden den Kopf. Die Blume gedieh hier am besten!
Die Margerite begann, sich an die kurzen Besuche der Frau zu gewöhnen. In stillem Einverständnis standen sie jeweils für kurze Augenblicke beieinander. Wenn die Frau dann weiter ihres Weges ging, blickte die Margerite ihr versonnen nach.
Die Frau freute sich jeden Tag von neuem darauf, die Margerite zu sehen. Die wortlose Verbindung zwischen ihnen wuchs mit jeder Begegnung.
"Pflücke sie!" sagte er, als die Frau ihm begeistert von dieser Freundschaft erzählte. Sie konnte nicht verstehen, warum er so darauf beharrte.
An einem sonnigen Morgen, der heiss zu werden versprach, blieb die Frau fassungslos am Wegrand stehen: Der Bauer hatte die Wiese gemäht. Leblos lag die Margrite, die einst so schöne und starke Freundin, auf dem Boden. Lange stand die Frau da und nahm traurig Abschied.
"Siehst du! Ich habe dir immer gesagt, du sollst sie pflücken!" sagte er grimmig.
Warum bloss hatte die Frau das Gefühl, es gehe ihm um etwas anderes als um die Blume?