Sie bogen ab und standen auf einem großen Parkplatz. Leonie bremste ab und die beiden Mädchen stiegen aus. Was taten sie hier?
„Und hier ist eine Rennstrecke?“, fragte Chiara zweifelnd und sah sich um.
Nico nickte und meinte: „Bevor wir da rein fahren, muss ich euch etwas sagen.“
Alle sahen ihn gespannt an.
„Wir werden erst einmal ein paar Runde so fahren, damit ihr euer Auto und die Strecke kennenlernt. In jeder Box, haben wir ein Notfall-Team, das sofort zu Stelle ist. Also, wenn etwas passiert ist, ruhig bleiben und warten. In keinem Fall aussteigen, denn die die noch auf der Strecke sind, sind zu schnell um rechtzeitig zu bremsen. Und denkt an eure Grenzen!“ Nico sah alle prüfend an. Es schien als hätten sie alle verstanden.
„Okay, und wie starten wir?“; fragte Gabrielo.
„Vielleicht zuerst die Mädchen“, schlug Nico vor.
Sheona schüttelte entschieden den Kopf. Egal, wie sehr sie gegen dieses Vorhaben war, sie würde ganz sicher nicht zulassen, dass Nico sie als schwächeres Geschlecht abtat.
„Wir könnten ja würfeln“, meinte Jim dann.
„Ich denke es wäre unfair, euch allen gegenüber, wenn der Zufall, mich dann ganz vorne starten lässt“, wandte Nico ein.
„Stimmt, er kennt das Auto schon und ist ganz sicher nicht zum ersten Mal hier“, stimmte Chiara ihm zu.
„Ihr könnt trotzdem würfeln, nur halt ohne den letzten Platz“, sagte Nico.
Alle waren einverstanden, wodurch sie nach ein paar Testrunden, in folgender Reihenfolge starteten. Ganz vorne Chiara, auf dem zweiten Startpunkt Gabrielo, dann Jim und Leonie. Und wie besprochen, Nico als letzter.
Während sie auf das Startsignal warteten, klammerte Sheona sich an ihren Sitz fest.
„Ich will hier raus“, sagte sie zittrig.
„Jetzt ist es zu spät“, meinte Leonie. Sie versuchte ihre Hände ganz ruhig zu halten.
„Du hast doch genau so viel Angst wie ich“, entgegnete Sheona, fast schon trotzig.
Nein, Leonie hatte absolut keine Angst. Sie freute sich einfach nur.
Sheona griff zum Handy. Nico hatte jedem vorher noch die Nummer, vom dem Aufsichtschef gegeben. Genau den rief Sheona jetzt an. Doch grade als er abnahm, sprang die Ampel auf Grün und Leonie trat voll auf das Gaspedal. Sheona entfuhr ein Schrei und das Handy flog ihr aus der Hand.
Leonie rief gegen das Geheule des Motors an: „Ey, der wird sich jetzt Sorgen machen.“
„Das soll er auch. Ich will hier sofort raus“, schrie Sheona.
Leonie nickte und fuhr in die nächste Box rein. „Beeil dich, ich verliere wertvolle Sekunden.“
Sheona sprang aus dem Auto und Leonie raste wieder davon. Durch den Rückspiegel, sah sie noch wie Sheona sich übergab. Sie grinste.
Leonie überholte grade Gabrielo, als sie am Rand die zwei gelben Flaggen sah. Sie wurde bleich, brach sofort ihren Überholvorgang ab und verringerte das Tempo.
Was war geschehen? Ihr Herz pochte ihr bis zum Hals. Mechanisch steuerte sie das Auto in die Box. Warum wurde das Rennen beendigt? Als sie endlich stand, griff sie schnell zum Handy und rief Nico an.
„Was ist los?“, rief sie panisch in ihr Handy, als Nico abgenommen hatte.
Leonie wartete keine Antwort ab und stieg aus.
„Frau Berger, bleiben sie bitte im Auto“, hörte sie jemanden rufen, doch sie rannte weiter.
„Nico?“, fragte sie ängstlich.
„Steig wieder in dein Auto. Ich weiß nicht genau, was los ist“, antwortete Nico.
Das Handy glitt ihr aus der Hand. Ihr Körper erstarrte. Der Bugatti Chiron lag auf seinem Dach.
„Chiara“, brüllte Leonie und preschte los. Am Auto angekommen, sah sie Chiara bewusstlos, auf dem Boden liegen. Das Notfallteam, brachte grade eine Bahre.
Leonie spürte wie jemand sie sanft wegzog und sie in den Arm nahm.
„Ihr geht es gut. Sie ist nur vom Schock bewusstlos“, sagte Nico leise.
Woher wollte er das wissen?! Ihr Auto hatte sich überschlagen! Sie hätte tot sein können!
„Jemand muss mit ihr mitfahren“, sagte sie abwesend.
„Wir fahren gleich alle zum Krankenhaus“, meinte Nico mit ruhiger Stimme.
Leonie atmete tief durch. Jim! Wie ging es Jim? Er liebte Chiara!
Sie spürte wie Nico sie los lassen wollte. Schnell klammerte sie sich an ihm fest.
„Lass sie endlich los“, hörte sie Sheona böse sagen.
Leonie atmete tief durch. „Sheona, kannst du dich nicht einmal zusammenreißen! Chiara wird grade ins Krankenhaus gefahren!“
Nico ließ sie trotzdem los und meinte: „Komm lass uns auch zum Krankenhaus fahren.“
Alle waren damit einverstanden.
Ungeduldig ging Leonie auf und ab. Wieso kam der Arzt nicht raus? Sie warteten schon seit Stunden auf den Arzt. Und langsam aber sicher war die Ungewissheit über Chiaras Zustand unerträglich. Leonie sah zu Jim rüber. Er saß komplett zusammengesunken auf dem Stuhl. Und so saß er schon seitdem sie im Krankenhaus angekommen waren.
Nico setzte sich zu ihm und drückte ihm einen Kaffeebecher in die Hand.
Jim sah hoch und bedankte sich.
„Kein Problem“, meinte Nico.
In diesem Moment kam der Arzt rein. Sofort sprang Jim auf und fragte: „Und?“
Der Arzt sah von einem zum anderen. „Sie hat nur eine Gehirnerschütterung und starke Prellungen. Sie hat wirklich Glück gehabt.“
Alle atmeten erleichtert aus. Das war doch mal eine gute Nachricht.
Der Arzt fuhr fort: „Angehörige können jetzt zu ihr rein. Sie brauch noch sehr viel Ruhe, deswegen sollte der Rest jetzt erst mal nach Hause fahren.“
Betreten schwiegen die Jugendlichen.
„Keine Angehörigen anwesend?“, fragte der Arzt verwirrt.
„Nein leider nicht“, antwortete Nico. „Jedoch wäre es schön, wenn Sie ihren Freund zu ihr reinlassen würden.“ Dabei wies er auf Jim. Alle drehten sich erstaunt zu Jim um. Seit wann waren Chiara und er zusammen?
Der Arzt zuckte mit den Schultern und forderte Jim auf ihm zu folgen. Jim nickte und ging ihm hinterher.
Sofort wandte Leonie sich an Nico. „Was weißt du, was wir nicht wissen?“
„Gar nichts. Ich habe das gesagt, damit Jim zu ihr kann“, sagte Nico.
„Du hast gelogen“, meinte Sheona verachtend.
„Sheona, halt…“
Schnell fiel Leonie ihm ins Wort: „Lasst uns nach Hause fahren. Es macht keinen Sinn hier noch länger zu warten. Zu ihr rein dürfen wir ja eh nicht.“ Alle nickten beipflichtend und begaben sich zu ihren Autos.
Im Auto drehte Leonie das Radio voll auf. Sie brauchte dringend Ablenkung und da war Musik genau das Richtige. Jemand musste noch Chiaras Eltern Bescheid sagen. Für Leonie stand fest, dass sie diesen Anruf in keinem Fall machen würde. So eine Nachricht, an die Eltern zu überbringen, war einfach nur furchtbar. Was muss das für ein Schock für die Eltern sein, zu hören dass ihr Tochter im Krankenhaus lag?
Energisch schüttelte Leonie den Kopf. Sie wollte darüber nicht nachdenken. Sie hoffte einfach nur, dass es Chiara ganz schnell besser ging.
Sie waren bei den Turringtons angekommen. Schweigend gingen sie zusammen in die Villa. Keiner wusste so recht, was er sagen sollte.
Nico ergriff als erster das Wort: „Vielleicht machen wir uns alle etwas frisch. Ich denke wir müssen uns erst mal etwas erholen.“
Gabrielo nickte und ging gemeinsam mit Sheona hoch.
Nico wandte sich an Leonie: „Alles in Ordnung?“
Was bitte sollte denn in Ordnung sein? Chiara lag im Krankenhaus?!
Er umarmte sie. „Es tut mir leid. Das hätte nicht geschehen dürfen.“
Leonie hielt krampfhaft ihre Tränen zurück. „Ich will nicht alleine sein.“ Sie spürte wie Nico sie an sich drückte. Sie ließ sich komplett in seine Arme sinken. Da war das Gefühl der absoluten Geborgenheit wieder.
„Wenn du magst, kannst du zu mir mitkommen“, schlug er vor.
Leonie grinste. „Dann sehe ich endlich dein Zimmer.“
Nico löste sich von ihr und ging die Treppen hoch. „Mein Zimmer ist nichts Besonderes. Es steht eine Menge Technik Zeug rum. Und aufgeräumt habe ich auch nicht.“
Leonie erwiderte nichts darauf. Viel zu gespannt, war sie auf sein Zimmer. Ob bei ihm auch alles in Gold gehalten war?
Nico öffnete die schwere Holztür. Die genau so aussah, wie alle anderen Zimmertüren in diesem Haus.
Doch als Leonie das Zimmer betrat, war sie ganz überrascht. Das Zimmer war in ganz dunklen schwarz und grau Tönen gehalten. Das Zimmer wirkte sehr kühl. Es hangen keine Bilder an den grauen Wänden, geschweige denn irgendetwas an Deko. Mit dem Technik Zeug, hatte Nico Recht behalten. In den Ecken standen große Musikboxen und auf einem schwarzen Regalbrett, über dem Boxspringbett, stand das zu den Boxen gehörende Soundsystem. Rechts und links von dem großen Regalbrett, waren etwas kleinere Regalbretter angebracht. Auf denen lagen On-Ear-Kopfhörer und eine JBL-Box.
Gegenüber dem Bett, stand ein LCD-Fernseher, der umgeben war von Spielkonsolen und den dazugehörigen Controllern.
Auf dem Bett selbst, lag ein ThinkPad X1 Yoga. Leonie selbst, war heilfroh, dass ihr Accer überhaupt noch funktionierte. Umso mehr beneidete sie Nico, um seinen Lenovo.
„Du kannst es dir hier gerne gemütlich machen. Ich geh eben duschen“, meinte Nico.
Jetzt erst fielen Leonie die drei weiteren Türen auf. Wobei die eine gar keine Tür war, eher ein Art Torbogen. Die Neugierde siegte und Leonie ging dahin. Ein großer metallischer Computertisch, nahm den ganzen Raum, in dem sie sich jetzt befand, ein. Davor stand ein schwarzer mit roten Akzenten versehener Computersessel. Leonie setzte sich hin. Sowas wollte sie auch haben. So bequem vor einem Computer zu sitzen, war perfekt. Sie saß vor einem 37 Zoll Monitor, der verbunden war mit zwei großen Musikboxen, einer Gaming Tastatur und Maus. Der PC selbst, stand unter dem Tisch. Leonie war sich sicher, dass Nico ihn selbst konfiguriert hatte. Etwas abseits auf dem Tisch stand ein schwarzer Drucker, wo neben Bücher lagen. Leonie rollte sich zu den Büchern. Es waren Bücher über Studiengänge, im Bereich Kriminalistik. Sie hatte ganz vergessen, ihren Vater zu fragen, ob er mit Nico mal über seine Arbeit als Kriminalkommissar spricht. Sobald sie zu Hause war, würde sie das machen, versprach sie sich selbst.
„Hast du deinen Lieblingsplatz schon gefunden?“, fragte Nico schelmisch.
Leonie zuckte erschreckt zusammen und drehte sich zu ihm um. „Wow“, dachte sie im Stillen. Seine nassen Haare, die sonst immer zu einem kleinen Zopf zusammengebunden waren, lagen wirr um seinen, wohlgeformten Gesicht. Die ganze Art wie er da stand, wie er sie ansah, mit seinen schwarzgrauen Augen, faszinierte sie.
„Ja, der Stuhl ist echt gemütlich“, sagte sie lächelnd.
Nico grinste und ließ sich auf sein Bett fallen. Irgendwas krachte auf den Boden. Panisch sprang Nico wieder auf.
„Fuck!“, fluchte er.
Leonie verstand nicht was los war. Was war denn runtergefallen?
„Wie war das mit dem Katzen Experiment?“, fragte Nico und kniete sich hin.
Jetzt sah Leonie das Problem. Sein Handy war mit dem Display nach unten runtergefallen.
„Du meinst Schrödingers Katze.“
„Jap genau, dieses Vieh“, sagte Nico und hob vorsichtig das Handy auf.
Leonie wunderte sich, dass Nico kein Panzerglas hatte. Sie beobachtete wie er das Handy umdrehte. Erleichtert atmete er aus.
„Puh, ich hatte dich doch erst ganz neu“, redete er mit seinem Handy. „Da darfst du nicht einfach kaputt gehen. Hörst du?“
Leonie fing an zu lachen. Verwirrt sah Nico sie an.
„Du redest mit einem Gegenstand. Es kann dir nicht antworten“, erklärte Leonie ihm.
Nico grinste unschuldig und legte sich wieder auf das Bett.
„Du solltest deine Haare öfter offen tragen, dass sieht echt gut aus.“
Nico zog eine Augenbraue hoch. „Sag bloß, du findest mich gut aussehend?“
Sie spürte wie sie rot anlief. Es ärgerte sie, dass sie jetzt keine schlagfertige Antwort hatte.
„Ist da jemand verlegen?“, fragte er schelmisch.
Das konnte doch nicht wahr sein. Er machte es einfach noch schlimmer!
„Ach, das brauchst du doch nicht sein“, beschwichtigte er sie. „Bei mir muss dir absolut gar nichts peinlich sein, ok?“
Leonie nickte bloß. „Was meinst du, wie lange wird Chiara im Krankenhaus bleiben?“
„Ich denke nicht all zu lange. Und solange werdet ihr denke ich mal hier bleiben, oder?“, fragte Nico.
„Jim wird ganz sicher hier bleiben wollen und ohne ihn kommen wir nicht nach Hause“, antwortete Leonie nachdenklich.
Nico nickte nur und wechselte das Thema: „Lass uns morgen in den Zoo gehen.“
„Ich denke nicht, dass die anderen wollen. Als ich das vorgeschlagen habe, meinten die nur; „Wir sind doch keine Babys!““, entgegnete Leonie.
Nico schüttelte den Kopf: „Ich meine doch auch gar nicht die anderen. Ich meine uns beide.“
Leonie atmete tief durch. Fragte er sie grade nach einem zweiten Date?
„Also, hast du Lust?“
Natürlich, hatte sie Lust. Sie vergrub ihre vor Freude zitternden Hände in ihrem Schoß und versuchte ihre Stimme normal klingen zu lassen, als sie sagte: „Klar, ich würde gerne mit dir in den Zoo gehen.“
Nico lächelte glücklich. Da war es wieder, dass eigenartige Glitzern in den Augen. Schlagartig wurde Leonie bewusst woher sie es kannte, als sie es bei Chiara gesehen hatte.
„Lass was zocken“, meinte Nico. „Du darfst die auch aussuchen, was.“
Leonie grinste und sprang auf. „Wo hast du denn die Spiele?“
Nico stand auf und ging in das Ankleidezimmer. Die Schränke waren tief Schwarz. Leonie entdeckte die Spiele in einem Regal.
„Oh Mann, die mehr als die Hälfte kenne ich gar nicht“, sagte sie.
Nico zuckte mit den Schultern. Es stimmte, er zockte echt viel. Aber halt sehr viel gegen oder mit seinen Freunden hier.
Leonie entschied sich für Call of Duty. Nico machte alles an und sie begannen zu zocken.