Als Nia aus dem Wasser stieg, spürte sie, dass sich in ihr etwas grundlegend verändert hatte. Sie wusste, dass sie die Welt von nun an mit neuen Augen sehen würde und dass sie mit diesem Bad im See viel Altes abgewaschen, gleichsam abgestreift hatte. Sie fühlte sich gestärkt und voller Energie und gleichzeitig voll tiefer Liebe für diesen Ort, der ihr ein kostbares Geschenk gemacht hatte.
Sie schlüpfte wieder in ihre Kleider und machte sich auf den Weg zurück zum Lagerplatz. Dort traf sie Sally an, welche am Feuer sass und ihr ruhig entgegenblickte. Nia setzte sich ihr gegenüber. Lange sassen die beiden Frauen still da. Zwischen ihnen brannte leise das Feuer.
Einem Impuls folgend stand Nia auf einmal auf und holte ihre Flöte. Zuerst zögerlich, dann zunehmend kraftvoll fanden die Töne ihren Weg, stiegen auf ins Blau dieses besonderen Tages. Sie verwoben sich mit der Energie des Sees, des Lagerplatzes, der Weite dieses Landes, welches Nia am Entdecken und Kennenlernen war. Es war ihr Dank an diesen Ort, das Leben und seine Fügungen.
Patric wanderte durch den Wald. Immer noch war er auf der Suche nach sich selbst. Immer noch versuchte er den Sinn seines Lebens zu ergründen. Und immer noch und immer wieder dachte er an die schöne Frau aus einem ihm unbekannten Land, die eine seiner Flöten spielte.
Patric seufzte. Er hatte das Gefühl, an Ort zu treten, sich im Kreis zu drehen.
Missmutig setzte er sich auf die Wurzeln eines uralten Baumes und lehnte seinen Rücken an dessen knorrige Rinde. Tief atmete er schon nach kurzer Zeit auf. Oh ja, zu Bäumen hatte er schon immer eine besondere Verbindung verspürt. Er empfand sie als Freunde, behandelte sie auch als solche. Nie könnte er einfach so einen Baum fällen. Natürlich, auch er brauchte Holz, um seine Hütte auszubessern oder um ein Feuer zu machen. Immer aber geschah dies nach stiller Übereinkunft, wenn er spürte, dass das Wesen des Baumes bereit war, ihm seine Energie zu schenken.
Patric wusste, dass solches Denken in der heutigen Zeit nicht mehr gepflegt wurde. Auch sein Volk befolgte längst nicht mehr alle Rituale und Ehrerbietungen, wie sie eigentlich überliefert worden waren. Seine Familie, seine Sippe, bildete da glücklicherweise eine Ausnahme.
Nachdenklich legte Patric seine Hand auf den Waldboden und schloss die Augen.
Er glitt in einen leichten Halbschlaf.
Doch was war das denn? Ruckartig setzte er sich auf und lauschte. Von irgendwoher hörte er Flötentöne. Doch nicht irgendwelche Flötentöne, nein! IHRE Flötentöne drangen an sein Ohr. Aufmerksam hörte er zu, was sie erzählten. Oh, wie sehr ihn bewegte, wovon die junge Frau berichtete! Wie gut er nachvollziehen konnte, was sie empfand! Diese tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit allem Lebendigen, Mutter Erde und dem Grossen Geist gegenüber!
Patrics Herz öffnete sich weit, während er dieser Musik lauschte. Immer noch war ihm nicht klar, ob er sie wirklich hörte oder ob die Töne wie schon früher auf unbekannten Ebenen den Weg zu ihm fanden.
Doch dann fand er, dass dies gar nicht so wichtig sei. Er fühlte sich dieser Frau nun noch näher als je zuvor. Da spielte es gar keine Rolle, ob sie gerade neben ihm sass oder irgendwo draussen, weit weg von hier.
Während Patric seinen Gedanken nachhing, hörte er auf einmal ein leises Knacken. Als er die Augen öffnete, sah er ein Reh, das ihn aufmerksam musterte und dann leise zwischen den Sträuchern verschwand.
Die letzten Känge der Flötenmusik hingen noch in der Luft, während sich Patric nachdenklich auf den Rückweg machte. Irgendetwas an ihm selbst störte ihn, doch er kam nicht darauf, was es war.
Grübelnd kam er ins Lager zurück. Dort holte er seine Flöte. Doch es war wie verhext. Sie wollte ihm heute einfach nicht gehorchen.
Patric konnte auf einmal nicht mehr Flöte spielen!