Schreckliche Trauer ergriff alle, als sie durch Lumniuz vom Ableben ihres geliebten Magiers Ululala erfuhren. Alle die ihn gekannt hatten und dazu befähigt waren, reisten ins Kristallreich, um dem grössten aller Zauberer, die letzte Ehre zu erweisen.
Pia und Benjamin konnten kaum fassen, dass sie ihren geliebten, alten Mentor so plötzlich verloren hatten. Zwar hatte Ululala öfters von seinem nahenden Tod gesprochen, doch dass es so schnell gehen würde hatten sie sich nicht vorstellen können. Sie weinten beide bitterlich, als sie dem Trauerzug folgten, der den reich mit Blumen verzierten Sarg, ihres einstigen Meisters, vor sich her trug. Auch Malek war angereist und führte nun, an der Seite von Hungoloz und Lumniuz, den Zug auf Pferden an.
Der Trauerzug fand sein Ende, bei einem ebenfalls reich geschmückten, Scheiterhaufen. Ululalas Wunsch war es gewesen, dass man ihn, drei Tage nach seinem Ableben, verbrennen und dann seine Asche in alle vier Himmelsrichtungen verstreuen sollte. So würde sein Körper wieder eins werden mit den vier Elementen. Während seiner Verbrennung wünschte er sich, dass alle sein Lieblingslied über die Elemente sangen.
Bald loderten die Flammen des Scheiterhaufens, hoch in den Himmel und züngelten um den Sarg. Die Trauernden standen schweigend da. Einige weinten. Doch alle sangen sie mit vereinten Stimmen:
Das Feuer ist des Schöpfers Licht, es reinigt, wärmt und ist voll Kraft!
Die Luft, sie trägt die Seele fort, des Schöpfers Hauch hat sie gemacht!
Die Erde lebt, trägt goldne Früchte, hält alles lieb in ihrem Schoss!
Das Wasser fliesst, verändert sich, auch seine Kraft ist grenzenlos!
Oh Schöpfergeist voll Lieb und Kraft, wie hast Du alles schön gemacht!
Wir lieben Dich von Herzen sehr und wolln’ Dich niemals lassen mehr…
Dieses Lied hatte Ululala immer sehr viel bedeutet und es hätte ihm auf keine bessere, schönere Art Ehre erweisen können, als damit.
Schliesslich begann das Feuer langsam in sich zusammenzufallen und am Ende war nur noch die rote Glut zu sehen, die leise vor sich hin glimmte.
Pia, Benjamin, Lumniuz, Malek und auch Hungolz fassten sich nun an den Händen und verteilten sich um den Scheiterhaufen. Pia musste erneut bitterlich weinen und Hungoloz der neben ihr stand drückte tröstend ihre Hand. Das Mädchen schaute den jungen Mann an und wieder spürte sie, wie nahe sie sich ihm eigentlich fühlte. Doch gerade war nicht der richtige Zeitpunkt, über solche Dinge nachzudenken. Die Trauer über Ululalas Tod, war bei allen noch zu stark. So lächelte sie den Waldelfen nur dankbar an und wischte sich dann die Tränen von den Wangen. Hungoloz hätte das Mädchen gerne in den Arm genommen, doch auch er wusste, dass dafür gerade nicht der richtige Zeitpunkt war. Sie mussten nun die Asche von Ululala in einem Gefäss sammeln. Die Freunde taten dies mit stiller Ehrfurcht.
Die anderen Trauernden schauten ihnen dabei andächtig zu.
Als die Asche eingesammelt war, bewegte sich der Trauerzug weiter, hinaus aus den Mauern der Stadt. Auf einem weiten Feld kam er zum Stillstand.
Der Trauerzug bildete nun einen Kreis um Pia, Benjamin und die anderen drei und Hungoloz sprach: «Nun sind wir also alle hier versammelt, um unserem Freund und Lehrer Ululala die letzte Ehre zu erweisen. Sein ganzes Leben war durchdrungen von Liebe und Hingabe an den Schöpfergeist und die ganze Schöpfung. Alle Lebewesen galten bei ihm gleich viel. Er hat sein Volk immer weise und gütig geführt und uns allen viele wunderbare und glückliche Stunden beschert. Sein Verlust reisst in unser aller Herzen eine tiefe Bresche, die nicht so schnell heilen wird. Trotzdem war es Ululalas Wunsch, dass wir nicht lange um ihn trauern, denn er war davon überzeugt, dass der Tod auch ein Neubeginn bedeutet.
Unser Meister ist nun im Lichte des grossen Geistes heimgegangen, mit reinem Herzen und aufrichtiger Hingabe. So werden wir nun also diese Asche, wie er es gewünscht hat in alle vier Himmelsrichtungen zerstreuen, auf das alle vier Elemente dadurch geehrt werden. Dazu singen wir noch einmal alle zusammen Ululalas Lied. Er machte nun eine Geste in die Richtung der Geschwister und dies traten mit der Urne nach vorne. Die Trauernden erweiterten ihren Kreis und während die Kinder die Asche der Urne nun in alle Himmelrichtungen verstreuten, sangen sie noch einmal voller Innbrunst:
Das Feuer ist des Schöpfers Licht…!
Die Asche wurde sogleich vom Wind erfasst und davongetragen. Einen Teil davon, fiel auf die Erde und vereinigte sich mit ihr. Ein weiterer Teil wurde weit davongetragen und Eins mit den Meeren und Flüssen. Ein anderer Teil gelangte zu den feurigen Abhängen der Vulkangebirge oder schwebte hinauf zur Sonne und der letzte Teil wurde von den Töchtern der Winde aufgefangen und fand seine Heimat im Wolkenschloss des Luftreiches.
Und immer weiter erscholl das Lied übers Land:
Oh, Schöpfergeist voll Lieb' und Kraft…!
Abschied vom Märchenreich
Als die schlimmste Trauerzeit etwas vorbei war, merkten die Geschwister, dass es endlich Zeit wurde, wieder nach Hause zurückzukehren. Alle umarmten sich herzlich zum Abschied. Malek und Lumniuz hatten Tränen in den Augen, ebenso die Geschwister. Hungoloz drückte Pia ganz fest und ihre beiden Herzen klopften dabei heftig, doch sie verdrängten ihre Gefühle, denn sie hatten sowieso keine Zukunft. Sie kamen beide aus ganz unterschiedlichen Welten und wer wusste schon, wann sie sich jemals wiedersehn würden?
Ausserdem fühlte sich Pia noch etwas zu jung für eine feste Beziehung.
«Ich wünsche euch alles, alles Gute!» sprach Lumniuz «und lasst euch, wann irgend möglich, wieder einmal im Märchenreich blicken.»
«Wir werden unser Bestes tun!» erwiderten die Jugendlichen «ihr werdet uns auf jeden Fall unglaublich fehlen.»
«Ihr uns auch!» schluchzte der Erdgnom und noch einmal umarmten sich die Freunde innig. «Grüss die Königsfamilie nochmals herzlich von uns Malek!» baten die Kinder. Der Magier nickte und wieder glitzerten Tränen in seinen Augen.
Als sie Geschwister dann das Kristallschloss verliessen, stand das gesamte Volk an der kopfsteingepflasterten Strasse Spalier. Sie jubelten den Grossen Führern zu und hoben dabei bunte Blumengebinde in die Höhe.
«Ich werde euch noch ein Stück begleiten!» sprach Malek.
Eine Weile gingen die drei Freunde still nebeneinander her. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach und Bilder der Erinnerungen zogen, wie ein Film, an ihren inneren Augen vorbei. Sie dachten daran zurück, unter welchen Umständen sie sich damals kennengelernt hatten, an Maleks wundervolle Verwandlung, seine Ängste und Gewissensbisse. Sie freuten sich nochmals über die glücklichen, von Freude erfüllten Stunden, ihre gemeinsamen Reisen und Entwicklungen. Sie dachten an ihre Prüfungen, die sie durch den engen Zusammenhalt bestritten hatten. An all die fröhlichen Gesichter, all das Schöne, dass ihnen begegnet war und auch das Traurige, Schwere. All diese gemeinsamen Erfahrungen hatten zwischen ihnen ein starkes Band geknüpft, das niemals mehr zerrissen werden konnte. Sie waren Freunde fürs Leben geworden und das wussten sie. Umso schwerer fiel es ihnen, wenn sie an ihren unvermeidlichen Abschied dachten. Was nur sollten sie ohne einander machen? Sie hatten sich doch so sehr aneinander gewöhnt. Ein schrecklicher Schmerz bohrte sich in ihre Herzen, wenn sie daran dachten.
Als sie einen geeigneten Platz gefunden hatten, wo die Geschwister meditieren und ihren Weg nach Hause antreten würden, setzten sie sich alle zusammen ins weiche Gras. Eine mächtige Trauerweide wuchs hier, deren Zweige sich wie ein schützender Baldachin über ihnen ausbreiteten. Niemand wollte als erster das Wort ergreifen.
Schliesslich gab Malek sich einen Ruck und sprach: «So, da wären wir also nun. Ein schöner Platz, den ihr da ausgesucht habt. Die Trauerweide ist ein sehr mächtiger, weiser Baum, der eure Meditation bewachen wird. Es wird nun wohl Zeit… Lebewohl zu sagen…» Wieder folgte Schweigen und alle drei spürten einen Kloss im Hals. Tränen brannten erneut in ihren Augen.
Einmal mehr ergriff der Magier das Wort: «Irgendwie scheinen mir alle Worte zu banal, um meine Trauer über diesen Abschied von euch auszudrücken. Ihr seid mir wirklich sehr ans Herze gewachsen, die vergangenen Monate.» «Uns geht es gleich,» erwiderte nun Benjamin. «Es gibt einfach keine richtigen Worte für… all das. Wir haben so viel mit dir erlebt, so viel durchgestanden und nun, sollen wir Lebewohl sagen…»
Pia nickte und auf einmal übermannten sie die Emotionen wie eine mächtige Welle. Sie schluchzte laut auf und rief: «Ich bin so furchtbar traurig!» Sie schlang ihre Arme um Malek. Dieser erwiderte die Umarmung hilflos. Es kam ihm vor, als ob es sich bei Pia um sein eigen Fleisch und Blut handeln würde und wieder zog dieser stechende Schmerz sein Herz zusammen. «Nicht weinen Kleines…!» flüsterte er «wir werden uns bestimmt wiedersehen, die Alte Windfrau hat ja gesagt, dass ich euch stets zur Seite stehen werde, auch wenn die Welten sich verändern. Ausserdem bedenke! Du wirst bald deine Eltern wiedersehen. Du hast sie doch so sehr vermisst. Stell dir vor, wie schön es sein wird, wenn ihr zu ihnen heimkehrt.»
Dieses Argument tröstete Pia ein wenig und sie wischte sich ihre Tränen ab. «Ja… du hast recht. Es wird… Zeit, dass wir heimkehren.» «Das stimmt, also seid nicht so traurig… alles wird wundervoll werden und wir werden einander auch niemals vergessen.»
«Nein niemals! Du wirst einen ewigen Platz in unseren Herzen haben Malek,» sprach Ben.
«Dann… werde ich mich jetzt mal zurückziehen, damit ihr… eure Heimreise antreten könnt…» Maleks Stimme stockte auf einmal und die drei fielen sich nochmals weinend in die Arme. Sie wollten sich einfach nicht trennen, doch schliesslich blieb ihnen nichts anderes übrig. «Wir müssen jetzt stark sein!» meinte Malek resolut. «Sonst schaffen wir es nie Adieu zu sagen.»
Die Geschwister nickten, denn sie wussten, dass ihr Freund recht hatte. «Dann also alles, alles Gute Malek,» sprach Pia und riss sich mit aller Macht zusammen. «Das wünsche ich euch auch. Bestimmt werden wir uns schon bald wiedersehen. Jedenfalls habt ihr einen wichtigen Platz in meinem Herzen. Ich habe euch wie meine eigenen Kinder lieben gelernt und ich bewundere euch zugleich für all eure Taten. Bestimmt werdet ihr alles was noch kommen mag, ebenfalls bewältigen. Ich werde auf jeden Fall immer für euch da sein. So und nun gehe ich!» Der Magier wandte sich ruckartig ab und schob die Zweige der Trauerweide auseinander. Wie ein Vorhang schlossen sich diese wieder hinter ihm und den Kindern kam es vor, als ab ein weiterer Akt ihres Lebens damit endgültig abgeschlossen wäre.
Es war nun wirklich Zeit nach Hause zu gehen. Und während sie meditierten öffnete sich vor ihnen erneut das bunte Portal und sie kehrten zurück in den heimatlichen Wald, wo sie ihre Eltern endlich wieder in die Arme schliessen konnten!
Epilog
Pia und Benjamin verbrachten noch einige unbeschwerte Zeiten in ihrem Elternhaus. In stetiger Bereitschaft, beobachteten sie die Ereignisse in der Welt. Bis eines Tages zwanzig Jahre später, die ersten Zeichen am Himmel erschienen, welche ein neues Zeitalter einläuten sollten. Doch diese ist eine andere Geschichte und soll ein anderes Mal erzählt werden!
Ende
(Anmerkung der Autorin: Wer gerne wissen möchte, wie es mit Pia und Benjamin Turner weitergeht, ein Teil der Fortsetzung ist nun bereits auf Belletristica erschienen. Sie heisst: Das Medaillon der Vier Gewalten Der Titel könnte sich aber im Laufe der Zeit vielleicht noch ändern. Viel Spass damit und ich hoffe ihr hattet Spass mit diesem ersten Teil!)