Zurück in der Grauen Stadt
Suche nach Damian
Die Kinder kamen zuerst in der anderen Welt an. Sie befanden sich in einem düsteren Stadtteil. Weit und breit war niemand zu sehen und das war auch gut so. Sie warteten noch einen kurzen Moment, dann kam auch Malek bei ihnen an. «Du hast es geschafft!» freuten sich die Kinder. «Ja, die einstige Heimatwelt von Nofrete, liegt beinahe parallel zu meiner Dimension,» sprach der Zauberer. «Dann sollten wir uns jetzt gleich auf die Suche nach Damian machen.» Sie gingen durch dunkle Gassen und schmutzige Strassen. Überall irrten ärmliche Gestalten umher, welche sich teilweise sehr seltsam benahmen. Manche redeten wirres Zeug vor sich hin, hatten unnatürliche Zuckungen und einen seltsamen, glasigen Blick. Sie schienen die Neuankömmlinge gar nicht wirklich wahrzunehmen. Die Geschwister und Malek waren erschüttert, ob diesem grossen Elend. Schuldgefühle nagten erneut an dem Magier. Wie hatte er damals Skarion bloss die Herrschaft über diese Welt geben können, über die Welt, in der er einst mit Nofrete so glücklich gewesen war. Und wieder glaubte er das es niemals wahre Vergebung für ihn geben würde.
Schliesslich kamen die drei an einem Bettler vorbei, der in einem der schmutzigen Hauseingänge lag. Er trug eine Binde um die Augen und in der, von Narben gezeichneten Hand, trug er eine Büchse, in welcher ein paar Münzen lagen. Malek alias Miros, kniete neben ihm nieder und fragte: «Was ist mit dir geschehen?» Der Bettler hob den Kopf und horchte in seine Richtung. Doch nur wirre Worte, kamen über seine Lippen: «Skarion…geblendet… viel Übel…Böse…Böse!»
Malek legte beruhigenden die Hände auf die Schultern des Bettlers. «Du bist also geblendet worden?» fragte er und der Bettler nickte heftig: «Ja, Skarion! Skarion!» «Vielleicht kann ich dir ja helfen.» Er nahm dem Bettler die Binden von den Augen und war zutiefst erschüttert, als er die geblendeten Augen des Mannes sah. Pia kämpfte gegen die Tränen an und fragte: «Kannst du ihm irgendwie helfen?» «Ich werde es versuchen. Früher hätte ich das gekonnt, ich weiss nicht, ob ich diese Gnade noch immer habe. Zumindest scheinen die Augen nicht ganz so schwer verletzt. Vielleicht… mit der Gnade des Ewigen, kann ich das Gewebe wieder herstellen.» «Dann versuche es! Du kannst das bestimmt noch!» Malek alias Miros nickte und nahm eine Art Paste aus seinem Beutel. Diese strich er dem Bettler auf die Augen. «Die Salbe ist eine Mischung aus verschiedenen Kräutern und einigen magischen Zutaten. Vielleicht hilft sie.» Der Bettler lag ganz still und liess alles mit sich geschehen. Sogleich als die Paste seine Augen berührte, seufzte er erleichtert auf. «Es beginnt zu wirken!» sprach Malek leise und begann nun in einer fremden Sprach ein Gebet zu rezitieren. Auch die Geschwister versuchten den Magier so gut als möglich zu unterstützen, indem sie ebenfalls all ihre guten Gedanken, zu dem armen Bettler fliessen liessen. Malek legte nun die Hand auf den Körper des Geblendeten und konzentrierte sich. In diesem Augenblick spürte er, wie die Kraft des Grossen Lichtes in ihn einströmte und dann auf den Bettler überging. Und auf einmal… begann der Blinde wieder Umrisse und Farben zu erkennen. Dieser konnte sein Glück kaum fassen. Mehr und mehr kehrte sein Sehvermögen zurück und als Malek schliesslich seine Hände zurückzog, fixierten ihn die vollkommen geheilten Augen des Bettlers, voller Erstaunen und tiefer Ehrfurcht. Auch Pia und Benjamin konnten kaum glauben, was sie da sahen. Einen Moment lang, sprach keiner ein Wort. Dann tastete sich der Bettler ungläubig am ganzen Körper ab, auch seine Narben waren verschwunden und er blickte sich überglücklich um, als würde er die Welt um sich erst richtig entdecken. «Ich… bin gesund…! Ich bin gesund!» Er fiel vor dem Zauberer auf die Knie und umfasste seine Füsse: «Danke! Danke! Danke!» rief er immer wieder. Malek nahm den Bettler jedoch bei den Schultern und stellte ihn wieder auf die Füsse. «Du sollst nicht vor mir knien. Nicht ich bin es der dich geheilt hat, sondern der Grosse, gütige Geist, der in uns allen wohnt.» Er nahm einige Münzen aus seinem Geldbeutel und reichte sie dem Bettler. «Such dir damit eine richtige Unterkunft, iss etwas und ruh dich erst mal richtig aus. Wir müssen leider weiter.» Der Bettler nickte erneut ungläubig, als er die Münzen erblickte und nickte mit Tränen der Rührung in den Augen. Dann ging er leicht schwankend davon.
«Das ist ja unglaublich! Du hast ihn geheilt! Du hast eine Blinden geheilt!» rief Pia fassungslos. «So etwas hätte ich niemals für möglich gehalten. Damit hast du wieder eine Menge gut gemacht.» «Vieles ist möglich, wenn man die richtigen Zutaten und das richtige Gebet hat,» sprach Malek. «Ich bin unglaublich froh, dass ich die Heilkunst noch immer beherrsche, obwohl ich einst dem Bösen verfallen war. Nun sollten wir aber weiter nach Damian Ausschau halten. Es wird jedoch nicht so einfach sein, denn hier hat es so viele Ratten, dass man ihn nur schwerlich wird ausmachen können.»
Dennoch wird es höchste Zeit, dass wir Nofretes Vater hier rausholen. Viele der Menschen an diesem Ort, sind schon den Wahnsinn verfallen. Das Böse, dass von Skarion und seinem schwarzen Tempel dort oben ausgeht, liegt hier überall in der Luft.»
Sie durchwanderten mehrere Gassen, eine schlimmer als die andere. Malek hielt ab und zu an, um einem Kranken oder Verletzten zu helfen. Der Magier schaute sich nachdenklich um. Überall hatte es Ratten, doch keine sah so aus, wie jene Ratte, in die er Damian einst verzaubert hatte. «Sein Fell sollte etwas heller sein, als das der anderen hier,» sprach er.
«Etwa so, wie jenes der grosse Ratte dort drüben auf dem Abfalleimer?» fragte Benjamin auf einmal. Malek blieb wie angewurzelt stehen und sah in die Richtung, in welche der Junge zeigte. Dort sass tatsächlich eine hellgraue Ratte. Sie war grösser und etwas gepflegter, als die meisten anderen und schien sich auch kaum vor den drei Reisenden zu fürchten, denn sie blieb still sitzen und musterte Malek und die Geschwister aus ihren schwarzen Knopfaugen. Benjamin trat zögernd näher und fragte: «Bist du Damian, Vater der Prinzessin Nofrete und einstiger Herrscher über das Land der hundert Juwelen?» Die Ratte blickte erstaunt und dann begann sie tatsächlich zu reden. «Ja… das bin ich, aber woher…?» «Das ist nicht so wichtig!» sprach Pia. «Die Hauptsache ist, dass wir dich endlich gefunden haben. Wir sind hier, um dir zu helfen. Dieser Magier… sein Name ist… Miros, hat einen Trank gebraut, um dir deine alte Gestalt wieder zurück zu geben. Ich bin übrigens Pia und das ist mein Bruder, Benjamin Turner. Wir sind auf der Suche nach einem Artefakt, welches es schliesslich allen Verbannten ermöglichen wird, wieder zurück ihre Heimat zu gelangen. Doch bis wir es finden, musst du noch etwas Geduld haben. Einen Teil von vier Teilen haben wir schon.» «Ihr könntet mir tatsächlich wieder meine menschliche Gestalt zurückgeben?» fragte Damian. «Ja.» «Ich weiss gar nicht, ob in dieser Welt die Ratten nicht schlussendlich besser dran sind. Auch wenn der Gedanke, endlich wieder meine alte Gestalt zurück zu bekommen, sehr reizvoll ist. Dennoch… ich habe nur wenig Hoffnung, dass ich hier überhaupt lebend rauskomme. Wie gesagt, die Ratten sind fast besser dran als die Menschen, sie finden immer etwas zu Essen und sie werden nicht von einem wahnsinnigen Priester gefoltert und getötet. Könnt ihr euch vorstellen, dass dieses Scheusal von Skarion, seinem dunklen Herrscher sogar regelmässig Menschenopfer darbringt? Es ist einfach nur schrecklich und das alles nur, weil einst dieser unselige Malek ihm die Macht über dieses Reich hier übertragen hat, nachdem er mich und alle meiner Familie und meines Hofstaates in Tiere verwandelt und teils in fremde Welten verbannt hat.» Bitternis lag in seinen Worten, als er das sagte und der Magier fühlte einen Stich im Herzen. Dennoch schien Damian ihn nicht zu erkennen, darüber war Malek alias Miros gerade sehr froh. «Sollen wir dich jetzt zurückverwandeln?» fragte Benjamin und zog das Fläschchen mit dem Zaubertrank hervor. Damian musterte es etwas misstrauisch. «Du kannst uns ruhig vertrauen,» sprach Pia «Nofrete und Ismala haben es auch getan.» «Nofrete und Ismala!» rief Damian aufgeregt «Habt ihr sie etwas gesehen?» «Ja und wir haben sie zurückverwandeln, nun… zumindest Ismala. Nofrete wurde von Ululala zurückverwandelt. Sie ist nun bei ihm auf dem Kristallschloss in Sicherheit und Ismala wird von den Wassergeistern, in der Welt des Zuckermeerreiches, ebenfalls bestens betreut.» «Es geht ihnen also gut?» «Ja, sehr gut. Also möchtest du jetzt, dass wir für dich dasselbe tun?» «Ich weiss nicht so recht. Gerade fühle ich mich als Ratte noch ganz wohl. Aber irgendetwas müssen wir gegen Skarion tun. Es kann so nicht weitergehen.» «Das sehe ich ein,» stimmte ihm Malek alias Miros zu. «Ich glaube, ich könnte mich ihm entgegenstellen. Doch dann bräuchten wir einen guten Plan. Skarion wird sicher streng bewacht und wenn wir ihm zu Fall bringen, muss jemand das Chaos, das er angerichtet hat, wieder in Ordnung bringen. Wir brauchen eindeutig mehr Männer. Gibt es noch welche hier in dieser Grauen Stadt, welche noch einigermassen bei Verstand und bei Kräften sind?» «Ja, ein paar gibt es da noch. Es sind die Rebellen.» Rebellen?» «Ja, es gibt eine Rebellenbewegung hier, welche angeführt wird, von einem Mann namens Galmachos. Ich glaube, ich weiss wo er und seine Leute sich versteckt halten. Sie würden uns bestimmt helfen. Kommt mit!»
Pia setzte sich die königliche Ratte auf die Schulter in diese führte sie nochmals durch einige Strassen und Gassen. Schliesslich kamen sie bei einem alten Brunnenschacht an. Damian sprang von Pias Schultern und sprach: «Da müssen wir runter! Es hat ein paar Stufen.» Malek bildete eine kleine, leuchtende Kugel zwischen seinen beiden Händen und diese erleuchtete ihnen nun den Weg. Tatsächlich waren einige steinerne Stufen in die Brunnenwand eingelassen und so konnten sie gut hinabklettern.
Ziemlich bald, erreichten sie den Grund. Das kalte Wasser, dort reichte ihnen bis knapp unter die Knie. «Dort hat es einen schmalen Durchgang, schaut mal!» rief Damian und tatsächlich öffnete sich vor ihnen ein dunkler Gang. Als der Schein von Maleks Lichtkugel diesen erleuchtete, huschten erneut hunderte von Ratten davon. Auch anderes Ungeziefer gab es hier. Sie zögerten einen Moment, dann aber fassten sie sich ein Herz und betraten den Gang. Die Wänder waren benetzt von Feuchtigkeit, welche im Licht glänzte. Langsam, ganz langsam tasteten sich die Freunde vor. «Ich habe Galmachos und die Rebellen oft als Ratte beobachtet,» sprach Damian. Ihr Hauptquartier liegt unter der Stadt verborgen. Alles ist unterhöhlt mit Gängen und Stollen. Dort können sich die Rebellen gut verstecken. Ihr Ziel ist es, den bösen Skarion zu stürzen, aber bisher war ihr Kampf aussichtslos. Vielleicht könnte sich das Blatt jetzt wenden, jetzt wo wir einen mächtigen Zauberer an der Seite haben… Er hielt im Sprechen inne, denn auf einmal war der Gang, in dem sie sich befanden von Schreien und Waffenklirren erfüllt. Einige Gestalten mit dunklen Kapuzen über den Gesichtern, stürzten sich fackelschwingend auf die Freunde.
Nun geschah alles blitzschnell! Man fesselte ihnen die Füsse und die Hände und schleppte sie davon.