Während Pia und Benjamin für die Ablenkung der Riesen sorgten, machten sich Sturmius und einige seiner Männer daran, das Haus selbiger zu durchsuchen. Sie waren schon früh zum Riesen- Haus aufgebrochen und hatten sich in der näheren Umgebung versteckt. Sobald die Riesen das Haus verliessen, schlüpften sie durch die, zum Glück offen gelassene riesige Tür, ins Innere des Gebäudes.
Sturmius erinnerte sich nur zu gut daran, wie er hier für mehrere Tage gefangen gehalten worden war, ohne dabei zu wissen, ob er jemals wieder lebend dort rauskommen würde. Die Riesen, so erzählte man sich, waren manchmal auch nicht abgeneigt, einen Zwergen zu verspeisen. Und Sturmius war einer der Zwerge, den sie ganz besonders hassten, denn er hatte schon so manchen Widerstand gegen die Riesen angezettelt. Viele seiner Brüder, waren von den Kolossen schon verschleppt worden und seither nie mehr aufgetaucht. Zum Glück aber, konnten er und seine Kumpane damals wieder fliehen.
Sebius und die restlichen Brüder, die noch in Freiheit waren, lenkten die grossen Widersacher ab, indem sie all ihre Nutztiere frei liessen. Kein Wunder, waren Zyklopus und seine Frau deshalb besonders sauer gewesen, als Pia und Benjamin das Gatter vorgestern erneut geöffnet und alle Schweine freigelassen hatten. Seither mussten die Waldkinder noch mehr auf der Hut sein. Darum war es auch ein gefährliches Unterfangen, sich ins Haus des Riesen- Paares zu wagen. Zum Glück aber gelang der von Pia und Benjamin ersonnene Trick, mit den Wundertränken und Zyklopius und seine Frau, würden schon bald ganz woanders sein, als sie sich das in ihren kühnsten Träumen hätten vorstellen können.
Als Sturmius und seine Mitstreiter damals aus dem Gefängnis der Riesen befreit worden waren, hatten sie den Fluchtweg über das Vordach der Riesenbehausung genommen, um unentdeckt nach draussen zu gelangen. Damals hatten sie dann auch das Schlafzimmer der Kolosse durchquert und Sturmius hatte auf der Kommode eine kleine, gläserne Vitrine thronen sehen. In der Vitrine, auf einem roten Samtkissen, lag der Viertel eines vermutlich kreisförmigen, kristallenen Schmuckstückes. Er wusste damals noch nicht, was er damit anfangen sollte. Auch hatten er und seine Begleiter keine Zeit, hinauf auf die für sie beinahe unüberwindlich hohe Kommode zu klettern.
Einige Tage später, war Sturmius dann wieder einmal im Gasthaus zum Goldenen Gral gewesen und erst dort erfuhr er durch Lumniuz dem Erdgnomen, vom wahren Wert seiner damaligen Entdeckung.
Er hofft jetzt nur noch, dass er sich nicht geirrt hatte und das was die Riesen in ihren Gemächern aufbewahrten, auch wirklich das war, wofür alle es hielten. Nun, von der Art der Aufbewahrung her, musste es schon einen besonderen Wert besitzen.
«Wir müssen dort die Treppe hinauf!» sprach er zu seinen Begleitern. «Das Artefakt befindet sich vermutlich noch immer in ihrem Schlafzimmer.» «Ohjeh!» seufzte einer seiner Getreuen «das wird ein anstrengender Aufstieg. Die Treppenstufen sind ja enorm hoch!» «Ja, das stimmt. Aber es ist machbar, ich musste da schon mal rauf klettern und damals musste es noch schneller gehen als jetzt. Das schaffen wir schon! Los geht’s!»
Schnaufend und keuchend, kamen die Zwerge schliesslich oberhalb der Treppe an. Die Tür zum Schlafzimmer der Riesen, stand einen kleinen Spalt weit offen und sie zwängten sich hindurch.
Sturmius blickte sich um und tatsächlich! Das Artefakt befand sich noch immer an seinem angestammten Platz. Doch da herauf zu kommen, würde erneut eine grosse Anstrengung bedeuten. «Ihr bildet gemeinsam eine Leiter!» rief Sturmius «und ich klettere dann rauf.»
Gesagt getan! Die Zwerge taten wie ihnen geheissen und der Anführer konnte sich über die Körper seiner Getreuen, auf den Stuhl hinauf hangeln, welcher vor der Kommode stand. Von dort aus, war es nicht mehr so weit bis auf die Kommode.
Doch als er neben der Vitrine stand, war diese tatsächlich abgeschlossen. «Verdammt!» fluchte er «wie machen wir das jetzt bloss? Die Vitrine ist zu gross, um sie mitzunehmen.» «Und wenn wir sie einfach von der Kommode herunterwerfen?» schlug einer seiner Begleiter vor. «Ich weiss nicht so recht… Es wäre gar nicht gut, wenn das Medaillon dadurch beschädigt würde. Andererseits jedoch… Immerhin ist es ein uraltes Relikt, das doch einiges aushalten müsste. Ich meine… es ist aus demselben Material wie der geheimnisvolle, blaue Kristall gefertigt und dieser überdauerte schon Äonen, ohne irgendwelchen Schaden zu nehmen. Das Medaillon hält deshalb sicher einen kleinen Schlag aus. Was solls! Wir versuchen’s einfach!» Mit diesen Worten, gab Sturmius der Vitrine einen heftigen Schubs und diese fiel klirrend hinunter auf den steinernen Boden des Zimmers. Dort zerschellte sie in tausend kleine Stücke. Der Medaillonsviertel aber blieb zum Glück unversehrt. «Da haben wir ja nochmals Glück gehabt…» murmelte Sturmius und steckte den Medaillonsviertel in seine Tasche. «Nun aber weg hier! Und kein Wort darüber, dass wir die Vitrine samt ihrem wertvollen Inhalt, fallen gelassen haben! Klar?» Die anderen Zwerge nickten verschwörerisch und dann verliessen sie das riesige Haus wieder unauffällig.
«Gut gemacht Leute!» rief Benjamin in die Runde, als die Riesen so schnell und tief eingeschlafen waren. «Ihr habt eure Rollen alle sehr gut gespielt! Nun lasst uns diese Kolosse schnellstmöglich auf ihr Schiff verladen. Die Undinen und die Meerjungfrauen, sorgen dann dafür, dass sie nicht mehr zurück an diese Gestade kommen können. Holt die Vorräte und die anderen Dinge!» Einige der Zwerge stoben enthusiastisch nach allen Seiten davon, um Bens Anweisungen zu befolgen. Die meisten aber, blieben da, um beim Verladen der Riesen zu helfen.
Benjamin und Pia hatten ihren Verkaufswagen, absichtlich zuoberst auf dem Hügel aufgestellt, damit die Riesen durch das Gefälle, besser zur Küste hinunter geschafft werden konnten. Die Zwerge, brachten einen eigens dafür gefertigten, stabilen Schlitten und einige Baumstämme. Mit vereinten Kräften luden sie zuerst den männlichen Riesen auf den Schlitten und zogen diesen über die Baumstämme. So kam er ziemlich schnell in Fahrt und landete am Fusse des Hügels, nahe der Küste. Sie zogen den Schlitten dann den Rest des Weges zum Schiff und über eine Rampe, beförderten sie den Giganten an Deck. Dasselbe taten sie mit der weiblichen Riesin, die zum Glück etwas leichter war.
Atemlos, aber zufrieden, brachten sie dann noch alle restlichen, lebensnotwendigen Dinge, mit denen die Riesen eine Weile überleben sollten an Bord und überliessen diese dann ihrem Schicksal. Die Wassergeister tauchten kurz auf und sogleich bewegte sich das Schiff von der Küste weg, hinaus auf die offene See. Benjamin rief den Naturwesen noch ein «Danke!» hinterher und das Schiff entschwand immer mehr ihren Blicken. Kurz darauf, brach lauter Jubel unter den Zwergen aus. Endlich sollten die Kleinwüchsigen, nach dieser langen Zeit der Drangsal, wieder ihren Frieden finden!
«Ich hoffe Sturmius war ebenfalls so erfolgreich,» sprach Pia. «Und ich hoffe inbrünstig, dass der Medaillons Teil, den die Riesen in ihrem Haus hatten, auch wirklich zum kristallenen Medaillon gehört,» meinte Benjamin.
Gerade als er das sagte, kam der Zwergen Anführer, begleitet von Sebius und seinen anderen Getreuen, den Hügel hinunter gelaufen. Sturmius hob den Medaillonsviertel freudig lachend in die Höhe und tatsächlich, es handelte sich dabei um den wirklichen und wahrhaftigen Erd- Teil, des wertvollen Artefaktes! Der zweite Viertel war gefunden!!»