Ca. eine Stunde später hatten die drei Freunde alles Nötige zusammengepackt und brachten sich dann in Meditationsposition. Sie dachten ganz fest an den mächtigen Berg, den ihnen Malek in der Kristallkugel gezeigt hatte und kurz darauf, wurden sie durch den Kanal zu ihrem Ziel gezogen. Der Berg war riesenhaft, seine Spitze verschwand gänzlich in den Wolken! Er bestand vorwiegend aus rauem Karstgestein, welches nur ab und zu von vereinzelten Bäumen, die sich an seine steilen Abhänge klammerten, durchbrochen wurde. Seine Spitze konnten sie, der dichten Wolken wegen, nicht sehen.
«Ein riesiger und mächtiger, uralter Berg- Deva, ist der Hüter dieses heiligen Berges. » sprach Malek. «Wir sollten ihn zuerst begrüssen, bevor wir den doch recht schwierigen Aufstieg wagen, damit er uns gut gesinnt ist!» Die Geschwister nickten und stellten sich zusammen mit Malek, ganz dicht an den Fuss des hohen Berges. Der Magier rief nun laut: «Sei gegrüsst, mächtiger Berg- Deva! Wir kommen in friedlicher Absicht und möchten dich gerne um die Erlaubnis bitten, den heiligen Gipfel besteigen zu dürfen. Wir müssen ganz dringend zur Alten Windfrau und hoffen auf deine Zustimmung!» Kurz darauf erbebte der Berg leicht und auf einmal schälte sich ein mächtiges, bärtiges Gesicht aus dem grauen Gestein. Daraufhin donnerte eine mächtige Stimme: «Ich habe eure Begrüssung und eure Bitte vernommen und gebe euch die Erlaubnis, den Aufstieg in Angriff zu nehmen. Ich werde euch diesen so gut ich kann erleichtern, denn euer Ruf, als Bringer des Friedens, eilt euch voraus. Es gibt daher keinen Grund euch den Zugang zum Heiligen Gipfel zu verwehren.» «Vielen Dank, lieber Deva!» rief Benjamin, zutiefst beeindruckt von der gewaltigen Erscheinung des Berggeistes. «Das ist sehr freundlich von dir!» Mit diesen Worten begann er mit dem Klettern.
Die anderen folgten ihm.
Es war wirklich unglaublich anstrengend, obwohl der Berg- Deva Wort hielt und alles daran setzte, ihnen ihren Weg zu erleichtern. Immer wieder fanden sie sicheren Halt, in ihnen angepassten Ritzen und Spalten. Es bildete sich sogar ein schmaler Weg, dort wo es vom Gelände her möglich war und wenn sie das Gleichgewicht zu verlieren drohten, wellte sich der Boden leicht Richtung der sicheren Wand und sie fanden ihr Gleichgewicht wieder. Höhenangst hatten sie zum Glück alle nicht, sonst wäre so eine Klettertour gar nicht möglich gewesen.
Schliesslich erreichten sie die Wolkengrenze und sogleich waren sie dicht eingehüllt in feuchten Nebel. Nun waren sie froh, um ihre Umhänge, die sie mitgenommen hatten. Kaum die Hand vor Augen sehen, stapften sie weiter. Zum Glück, mussten sie jetzt nicht mehr so viel klettern. Sie befanden sich nun auf einem ziemlich guten Pfad, welcher jedoch schon länger bestehen musste. Auch hier jedoch half der Deva ihnen. Der Boden vor ihren Füssen glättete sich sichtbar, gefährliche Spalten oder Löcher, wurden sogleich geschlossen. Die Geschwister waren tief beeindruckt und voller Dankbarkeit, dem gütigen, mächtigen Deva gegenüber. Aus dem dichten Nebel schälte sich nun langsam eine kleine Baumgruppe. Auch andere Pflanzen und sogar Gebirgsblumen wuchsen hier. Es musste irgendwo Wasser in der Nähe geben.
Kurz darauf trafen sie tatsächlich auf einen kleinen Gebirgsbach, der klar und kühl durch ein steiniges Bachbett floss. Der Bach war gesäumt von Büschen und etwas Gras.
Doch noch war der Aufstieg nicht zu Ende. Der Pfad führte ein Stück dem Bächlein entlang und stieg dann erneut steil an. Hier war wieder alles karg und kahl. Rechter Hand entdeckten sie sogar eine Höhle, doch sie zu inspizieren, war gerade nicht ihr primäres Ziel.
Es zog sie weiter hinauf auf den Gipfel, der noch immer von dichten Wolken eingehüllt war. Der Wind wehte immer heftiger, je höher sie kamen. Er zerrte an ihren Kleidern und durchdrang den dünneren Stoff. Fröstelnd zogen sie ihre Filzumhänge fester um sich. Auch die Kapuze schlugen sie hoch. So wurde der Wind wenigsten etwas aufgehalten. Pfeifend fegte er über den Berggipfel, und die Bäume weiter unten, beugten sich ächzend unter seiner Kraft.
Oben angelangt, suchten die Freunde Schutz zwischen einigen grösseren Gesteinsbrocken.
«Nun gut,» sprach Malek «dann meditieren wir jetzt erst mal und rufen die Windgeister zu uns herab. Ich hoffe es funktioniert.»
Die Geschwister nickten und begaben sich in eine einigermassen bequeme Meditationsstellung. So einfach war das bei diesen rauen Bedingungen jedoch nicht. Trotz ihrer Umhänge begannen sie immer mehr zu frieren und auch sonst war es hier eher ungemütlich. Irgendwann jedoch schafften sie es, ihren Geist auf ihr Ziel zu fokussieren. Sie vergassen ihre Körper und dachten ganz fest an die Windgeister und ihre Herrin, die Alte Windfrau. Schliesslich spürten sie, wie ihr Geist sich von der irdischen Hülle loslöste. Auf einmal zog sich der Nebel immer dichter um sie. Sie wurden vom Winde erfasst und davongetragen. Es war ein seltsamer, irgendwie anderer Zustand, als sie es bisher gekannt hatten. Sie befanden sich in einer tiefen Verklärung und der Wind trug sie immer weiter und weiter davon. Sie verloren das Gefühl, für Raum und Zeit, jegliche Schwere fiel von ihnen ab und sie wurden selbst leicht wie der Wind, leicht wie die Wolken
Plötzlich bildeten sich nun aus dem Nebel und den Wolken, zarte Gestalten. Sie waren fast durchsichtig, mit wehenden Gewändern und Haaren wie Silberfäden. Sie umschwebten die Geschwister liebevoll lächelnd und sprachen nun, mit unsagbar sanften Stimmen, jedoch ohne wirklich ihren Mund zu bewegen: «Seid herzlich willkommen im Reich der Vier Winde. Wir sind die Sylphen und wir haben euch schon erwartet. Unsere Mutter die Alte Windfrau sagte, dass ihr kommen werdet. Ihr seid etwas ganz Besonderes.» Einen Moment lang, mussten die Kinder an Malek denken. Doch es schien fast so, als wäre er nicht mitgekommen. «Macht euch keine Sorgen um ihn. Ihm ist es noch nicht bestimmt, hier in diese Welt zu kommen. Ausserdem muss er sich um eure Körper kümmern.» Kurz wollte Trauer die Seelen der Geschwister beschweren, doch alle düsteren Gefühle, entglitten ihnen an diesem wundervollen Ort wie Wasser und sie spürten nur noch Glückseligkeit. «Wohin tragt ihr uns?» fragte Benjamin. «Zum Schloss unserer Mutter, der Alten Windfrau.» Ihr Wolkenschloss liegt also wirklich hier in der Nähe?» «Ja, Malek hat das gut recherchiert. Es ist auch seine Aufgabe, sich um euch zu kümmern und euch beizustehen auf eurem Wege.»
Der Flug mit den Windfeen war ein wundervolles Erlebnis. Die Geschwister fühlten sich federleicht und jegliche Schwere rückte weiter und weiter in die Ferne. Hoch und höher trugen die Töchter der Winde sie und schliesslich lag die Wolkendecke wie ein weisses Meer unter ihnen. Der Himmel leuchtert hier tiefblau und die Sonne warf ihr gleissendes Licht auf das Wattenmeer unter den Kindern. Und dann auf einmal… tauchte in der Ferne ein riesiges Wolkengebilde auf. Je näher sie kamen, desto mehr nahm dieses immer klarere Konturen eines Schlosses an. Fassungslos starrten Pia und Benjamin auf dieses Wunderwerk, einer wahrlich überirdischen Schöpfung. Das Schloss bestand ganz aus einer wolkenartigen Substanz, welche jedoch eine eigenartige Festigkeit besass. Sowas hatten die Geschwister noch nie gesehen. «Es ist wie im Paradies!» flüsterte Pia doch die Sylphen erwiderten. Nicht ganz, aber nahe daran.»
Als sie ganz nahe bei Schloss angekommen waren, bildete sich über selbigem auf einmal ein wundervoller Regenbogen. In allen Farben schillerte er und direkt unter ihm leuchtete das Heim der Alten Windfrau wie ein leuchtendes, weisses Kleinod.