Ein besonderer Traum
«Malek!» rief Benjamin, «da bist du ja! Es tut mir alles sehr leid! Ich war unausstehlich. Aber ich werde mich bessern, das verspreche ich dir! Ich habe eine wichtige Erkenntnis gewonnen.» «Das habe ich auch!» meinte Malek lachend. «Lasst und in die Höhle zurückkehren und dann erzählen wir uns alles!»
Benjamin berichtete als Erster, was er mit dem Berg Deva erlebt hatte. Pia und der Magier hörten ihm tief bewegt zu. «Der Deva hat mir klar gemacht, wie wichtig es ist, gerade in der jetzigen Situation, ganz im Jetzt zu sein, ohne krampfhaft irgendein Ziel erreichen zu wollen. Mir ist dadurch bewusst geworden, dass vor allem ich das einfach nicht erkennen konnte.» «Das ging nicht nur dir so,» gab Pia zurück. Malek nickte zustimmend und sprach: «Auch ich hatte so meine Schwierigkeiten, mit der ganzen Situation und es fiel mir auch schwer, im Moment zu sein. Ich glaube wir sollten unsere Zeit ein wenig anders nutzen. Die Abgeschiedenheit und die Umgebung dieses Ortes, ich wie dafür geschaffen, mal richtig in sich zu gehen. Ich wurde gerade wieder herausgefordert vorhin, nochmals genau über meine Aufgabe hier, nachzudenken. Der Herr der Finsternis versucht alles, um mich wieder auf seine Seite zu ziehen. Auch wenn der seltsame Kerl, der gerade mit mir sprach, mir weismachen wollte, dass er eigenständig handelt.» Malek berichtete nun ebenfalls, was er erlebt hatte, nur dass der Kuttenträger ihn als Nachfahre des dunklen Gottes Balorion bezeichnet hatte, verschwieg er vorerst. Das Ganze war sowieso völliger Blödsinn. «Dieser Kuttenträger wollte mich davon überzeugen, dass ich euch verlassen und euch selbst überlassen soll,» sprach er. «Ich habe ihm dann klargemacht, dass ich euch wie meine eigenen Kinder liebe und darum den Weg mit euch bis zu Ende gehen werde.» «Darüber sind wir sehr froh!» meinte Pia erleichtert. «Was würden wir auch ohne dich machen?» «Da kann ich meiner Schwester nur recht geben,» sprach Ben. «Danke, dass du für uns stark geblieben bist.» «Ich lass mich gewiss nicht von irgendeinem Scharlatan, von meiner Mission abbringen. Wir drei schaffen das! Davon bin ich überzeugt. So und nun wird es Zeit, dass wir uns ausruhen. Morgen werden wir versuchen, unsere Tagestruktur etwas besser zu gestalten.»
Die Jugendlichen nickten und kurz darauf legten sie sich auf ihre Lager und schliefen ein.
Und einmal mehr, hatten die beiden denselben Traum, welcher massgebend für ihren weiteren Weg sein würde:
Pia und Benjamin träumten davon, dass sie an einem silbernen Fluss stehen würden. Das Wasser plätscherte leise. Doch als sie ihre Hand hineinhielten, war es eisig kalt. Eine ferne Stimme sprach zu ihnen: «Steigt hinein in den Fluss und lasst euch von ihm davontragen. «Aber es ist so kalt!» sprachen die Geschwister erschrocken. «Habt einfach Vertrauen!» Die Jugendlichen zögerten noch eine Weile, dann aber stiegen sie langsam in den Fluss hinein. Als sie sich in die kalten Fluten sinken liessen, waren diese nur im ersten Moment so eisig, wie sie befürchtet hatten. Das Wasser war vielmehr wunderbar bellebend und die zwei liessen sich von der noch sanften Strömung, vertrauensvoll mitziehen.
Bald jedoch wurde die Strömung reissender und das Wasser zunehmend aufgewühlter. Angst bemächtigte sich der Geschwister, als sie vor sie eine ziemlich starke Stromschnelle erblickten. Sie wollten sich dagegenstemmen, doch wieder sprach die Stimme zu ihnen: «Habt einfach weiterhin Vertrauen!» Wie von einer seltsamen, gütigen Macht getragen, überwanden sie die Stromschnelle, ohne grosse Probleme und weiter ging ihr Wellenritt, auf dem klaren, kühlen Fluss.
Auf einmal jedoch, klang unheilvolles Rauschen an ihre Ohren! Sie erstarrten vor Schreck, denn sie ahnten, was dort hinter der nächsten Flussbiegung auf sie wartete. «Ein Wasserfall!» schrie Benjamin und er und Pia begannen wie wild gegen den Strom zu schwimmen, um sich ans Ufer zu retten. Doch es gelang ihnen nicht. Lähmende Furcht und grosse Hilflosigkeit, erfasste sie. Bis sie die beruhigende Stimme aus der Ferne erneut vernahmen. «Vertrauen! Habt Vertrauen! Es liegt alles in eurer Hand!» Und einmal mehr, ergaben sie sich den Bewegungen des Flusses, der sie irgendwie an den Fluss des Lebens erinnerten.
Als sie den mächtigen Wasserfall erreichten, schwebten sie dann tatsächlich, wie von Engelsflügeln getragen, über selbigen hinunter. Als sie unten im grossen Sammelbecken anlangten, erfüllte sie eine unglaubliche Erleichterung und ein Triumph, der sie einen lauten Jubelschrei ausstossen liess. «Wir haben es geschafft! Wir haben es tatsächlich geschafft!» «Dort hinten am Ufer hat es einen ovalen Felsen!» rief Pia «das steht sogar etwas drauf! Komm wir schauen nach!»
Sie schwammen zu dem Felsen, dessen Vorderseite ganz flach war und dort lasen sie folgende Worte:
-Vertraut ihr ganz auf Lichtes Hand, wird alle Angst aus euch verbannt
-Lasst euch führen durchs ganze Leben, dann wird euch Antwort, stets gegeben!
-Geduld wird dann ins Herzen ziehn und die Demut neu erblühn.
-Dann könnt ihr wahrlich Ruhe finden, alles Übel überwinden!
-So seid geduldig wie dieser Stein…, das soll euer Friede sein!
Mehrmals lasen die Kinder diese Zeilen, damit sie sich jede einzelne von ihnen, genau einprägen konnten. Und je länger sie lasen, desto mehr brannten sich diese Worte in ihr Innerstes ein.
Und dann… war der Traum zu Ende und die beiden erwachten mit klopfendem Herzen.
Sie schauten sich an und wussten, dass sie wieder genau das Gleiche geträumt hatten.
Aufgeregt tauschten sie über ihre Erlebnisse aus, so dass Malek schliesslich auch wach wurde. Voller Freude erzählten sie auch ihm alles. «Das scheint wirklich ein Zeichen des Himmels gewesen zu sein!» meinte dieser beeindruckt. «Ja, das glauben wir auch! Irgendwie ist mir schon wieder viel leichter ums Herz!» sprach Pia «weil ich jetzt weiss, dass wir alles schaffen können, wenn wir vertrauen und uns dem Fluss des Lebens hingeben. Wir sind bis hierhergeführt worden und haben so viel Wunderbares erlebt.» «Ja,» mischte sich Benjamin ins Gespräch «ich glaube ich verstehe jetzt auch immer mehr, was die Alte Windfrau mit ihren Worten meinte. So vieles wird jetzt immer klarer und klarer!» «Das freut mich!» sprach Malek. «Vertrauen und Glauben sind wichtige Voraussetzungen für wahre Geduld.» «Das stimmt! Das Gedicht hat uns das ganz klar übermittelt.»
«Hej, ich habe eine Idee!» rief Pia. Dann schwieg sie einen Moment, um die Spannung noch etwas wirken zu lassen. «Nun sag schon! Was für eine Idee?» rief Benjamin. «Nur Geduld, Bruderherz!» beschwichtigte ihn das Mädchen grinsend. «Oh Mann! Ich glaube ich lerne es nie! Tut mir leid! Ich bin wohl einfach eine etwas ungeduldige Natur.» «Du wirst es auch noch lernen!» lachte Malek «genau wie ich.» Dabei klopfte er Benjamin auf die Schulter. «Aber nun erzähl, was hast du für eine Idee Pia?» Das Mädchen sprach: «Zuerst sollten wir das Gedicht auf einen Zettel schreiben, damit wir es ganz sicher nicht vergessen. Hat irgendwer einen Zettel und Schreibzeug dabei?» «Nein, aber ich könne etwas herzaubern.» «Nun gut…aber es sollte nicht zu einfach sein. Darum hatte ich den Gedanken, wir könnten das Gedicht zusätzlich noch irgendwo hier in der Höhle in den Stein meisseln, damit wir darüber meditieren und es wahrlich verinnerlichen können.» «Einen kleinen Meissel könnte ich aus meiner Werkstatt zu Hause herbeizaubern.» «Du hast eine Werkstatt?» fragten die Geschwister erstaunt. «Ja, warum auch nicht? Manchmal muss auch ein Magier sein Handwerksgeschick trainieren. Nicht das die Hände noch träge werden.» «Okay, alles klar,» schmunzelte Benjamin. «Dann kannst du uns gerne einen kleinen Meissel herzaubern.» «Schon geschehen!» Malek hielt ihnen die flache Hand hin, auf welcher nun ein alter, stählerner Meissel, mit einem eher spitzen Ende lag. «Braucht ihr noch einen Hammer?» «Nein, schon gut!» lachte Pia «wir nehmen einen Stein. Wie gesagt, es soll nicht zu leicht werden.» «So leicht wird das nicht, das hier ist ziemlich harter Fels,» sprach Malek und klopfte gegen eine der Höhlenwände. «Das könnte etwas dauern.» «So soll es auch sein.» «Alles klar! Dann legen wir los!»