Das Labyrinth der Erinnerungen
Voller Enthusiasmus begannen die drei Freunde nun abwechselnd die Worte des Gedichtes in den Fels zu ritzen. In den Ruhezeiten versuchten sie sich ganz bewusst nach dem göttlichen Licht auszurichten, das auf einmal viel heller in ihren Herzen zu strahlen schien, als sie es jemals für möglich gehalten hätten. Sie meditierten oft und unternahmen viele, astrale Reisen, die ihnen sehr viel schenkten. Frieden und Stille kehrte dabei immer mehr in ihre Herzen ein und die Zeit verging auf einmal viel schneller. Sie versuchten sich nur noch auf den Moment zu fokussieren und jedes Wort, das sie in den Stein ritzten, brachte sie ein Stück näher zu sich selbst und auch zueinander hin. Es gab nun kaum noch Spannungen. Jeder war ganz bei sich und doch verbunden mit den anderen. Ihr innerer Raum dehnte sich weit, weit aus, über die Beengtheit der kleinen Höhle, hinaus über die Spitze des mächtigen, heiligen Berges, bis hinein in die Endlosigkeit. Und indem sie ihren eigenen Raum erweiterten, erweiterten sich auch automatisch ihre Herzen.
Auch wenn das Gedicht, in den Stein zu ritzen, eine kräftezehrende, körperlich anstrengende Arbeit war, so konnten sie sich dennoch ihren Frohsinn erhalten, denn sie glaubten etwas Gutes, etwas Sinnvolles zu tun. Grosse Veränderungen gingen mit ihnen dabei vor. Sie tauschten miteinander oft über ihrer Erlebnisse aus, das schweisste sie noch viel enger zusammen. Sie begriffen, was wahre Demut bedeutete, es war die Bereitschaft, jeden Moment anzunehmen wie er war und ihr Vertrauen zu bewahren, dass irgendwann alle Antworten zu ihnen kommen würden.
Und so geschah es dann tatsächlich auch! Denn eines Tages, als sie gerade die letzte Zeile des Gedichtes fertig in den Stein geritzt hatten, stand auf einmal die Alte Windfrau wieder vor ihnen! Sie wirkte nun grobstofflicher, als damals, als sie sie das erste Mal gesehen hatten und ein kühler Wolkenschleier umgab sie. Ihre Augen richteten sich nun strahlend auf die drei Freunde und sie sprach mit sanfter Stimme: «Ihr alle habt in den letzten Tagen, viel dazugelernt! Ich bin sehr stolz auf euch! Das ihr das Gedicht, welches in Pia und Benjamins Traum aufgetaucht ist, in den Stein geritzt habt, war eine sehr schöne Geste. Ihr habt euch ganz dieser Aufgabe gewidmet und eure Schwingung dadurch merklich zu erhöhen vermocht. Darum bin ich jetzt wieder hier.
Die Grossen Führer sind nun bereit für den nächsten Schritt!» «Es gibt noch einen Schritt?» fragte Benjamin, ein wenig enttäuscht. «Ja, dieser nächste Schritt ist von grosser Wichtigkeit, weil ihr dadurch eine Klarheit über euch selbst finden werdet, welche für eure Reise in die Unterwelt sehr wichtig ist. Das Böse könnte sonst viel zu leicht, eure noch unbewussten Schwächen, gegen euch verwenden.
Das gilt es unbedingt zu vermeiden, denn es wartet tatsächlich eine sehr wichtige Aufgabe auf euch. Das Medaillon wieder zusammenzusetzen, ist nur der Anfang eines viel grösseren Auftrages. Schon von eurer Geburt an, seid ihr dazu ausersehen, das ganze Omniversum in ein neues Zeitalter zu führen. Ein Zeitalter, in welchem alle Welten einst vereint sein werden und die Finsternis an Kraft verlieren wird. Ein Reich des Friedens wird errichtet werden, welches wahrlich Bestand haben wird. Doch zuvor werden noch schwierige Zeiten auf uns alle zukommen. Eure Aufgabe wird es sein, alle Lebewesen durch diese Zeiten zu führen und ihnen beizustehen.»
«Wann aber beginnt diese Zeit der… Drangsal?» wollte Benjamin besorgt wissen.
«Das weiss ich nicht. Es kann in wenigen Jahren, vielleicht in Jahrzehnten sein, doch ihr werdet es spüren, wenn es so weit ist.»
«Aber… das ist eine sehr schwierige, wenn nicht fast unlösbare Aufgabe!» sprach Pia und wieder kroch Angst und Unsicherheit in ihr Herz.
«Ihr werdet auch das meistern, da bin ich sicher. Auch darum schicke ich euch an einen Ort, wo ihr lernen werdet, euch in einem ganz klaren Licht zu sehen. Das ist unabdingbar für euren Weg.»
«Was ist das für ein Ort?»
«Es ist das Labyrinth der Erinnerungen. Dort werden wir uns mit eurem Wege, euren Stärken und Schwächen, auseinandersetzen. Wenn ihr alles gut meistert, werde ich euch die Gewänder der Klarheit überreichen und ihr könnt den Heiligen Berg wieder verlassen.» «Vermutlich kann ich die beiden nicht ins Labyrinth begleiten,» meinte Malek
«Nein. Diesen Weg müssen sie allein gehen. Sie sind die Grossen Führer, du aber kannst sie weiterhin nach Kräften unterstützen. Dein Weg ist jedoch ein anderer als ihrer. Du bist es ausserdem bereits gewohnt, dich inneren und auch äusseren Dämonen zu stellen…,» sie schaute den Magier bei diesen Worten wissend an und Malek vermutete stark, dass sie von seiner Begegnung mit dem seltsamen, schwarzen Druiden sprach. So nickte er und sprach: «Das habe ich vermutet. Aber ich werde auf sie warten, bis sie aus diesem… Labyrinth zurück sind.»
«Das kannst du gerne tun. Allerdings musst du dafür die Höhle verlassen, denn hier drin befindet sich zugleich der Eingang zum Labyrinth der Erinnerungen und es zu betreten, ist dir nicht bestimmt.»
«Schon klar, dann warte ich eben draussen.»
«Du kannst die Kinder aber gerne mit deiner Meditation und deinen Gebeten unterstützen.» «Das hatte ich sowieso vor. Dann lasse ich euch also… mal allein…»
Malek umarmte Pia und Benjamin nochmals und verliess dann die Höhle. Die Geschwister schauten ihm, mit einem flauen Gefühl im Magen, hinterher.