Die drei drehten sich um und gingen nochmals ein Stück zurück. Langsam wurde die Luft wieder etwas besser, auch wenn die Landschaft noch immer ziemlich leblos wirkte. Es hatte nun erstaunlich schnell eingedunkelt und wie Malek prophezeit hatte, stiegen nun auf einmal dichte Nebel aus den Moor- Seen auf! Kurz darauf konnten sie kaum mehr die Hand vor Augen sehen. Im Schutze der mächtigen Wurzel, eines grösseren Baumes, dessen wirkliches Ausmass sie nun nicht mehr ausmachen konnten, beschlossen sie zu rasten. Sie rückten nahe zusammen und wickelten sich in ihre Decken. Malek entzündete ein kleines Feuer, was er jedoch mit Hilfe seiner Magie tun musste, denn es war mittlerweile zu feucht, um auf normalem Wege, eine Flamme zu entfachen. Nun begann es immer unheimlicher zu werden. Das Feuer flackerte unruhig, als wolle es bald ausgehen und es erhellte nur einen ganz kleinen Bereich, um die Freunde herum. Der grausige, feuchte Nebel zog sich immer enger zusammen, griff nach ihnen, wie tausend totenkalte Hände. Es war jedoch ein anderer Nebel, als sie es sich gewohnt waren und er schien auch nicht belebt, von irgendwelchen hohen Luftgeistern. Nein, hier waren andere Geister am Werk und das machte ihnen Angst. Zum Glück trugen sie die Gewänder der Klarheit, so froren sie wenigstens nicht und fühlten sich körperlich einigermassen geschützt.
«Ich glaube, ihr solltet versuchen, etwas zu schlafen,» sprach Malek. «Ich halte Wache.» Die Kinder wollten widersprechen, doch sie waren auf einmal so unglaublich müde. Auch Malek hatte seine Mühe, wach zu bleiben. Was nur war das auf einmal? Hatte das womöglich mit irgendwelchen Dämpfen zu tun, die unter diesem Moor waberten und nun durch die seltsamen Nebel, an die Oberfläche strömten? Aber sie trugen doch die Gewänder der Klarheit! Nach einigen sinnlosen Versuchen, wach zu bleiben, fielen auch dem Magier die Augen zu und er sank in einen tiefen, unnatürlichen Schlaf. Schreckliche Träume quälten die drei Freunde. Überall um sie herum, schwebten Dämonenfratzen, schreiende Münder und monströse Kreaturen, Abbilder der Gräuel, unterhalb des Moores, ruhelose Seelen, die für immer in der Unterwelt gefangen waren und nur kurz durch den Nebel an die Oberfläche gelangen konnten. Doch irgendwie konnten sie nicht wirklich in den Geist der drei Fremden unter dem Baum eindringen, denn diese trugen irgendeinen Schutz, den andere Reisende, die sich auch schon hierher verirrt hatten, nicht besessen hatten. Und darum beschlossen die Verdammten, handfestere Geschütze aufzufahren.
Das Monster am Grunde des dunklen Sees, öffnete seine reptilienhaften Augen und folgte einem unsichtbaren Ruf, der von irgendwoher an seine Ohröffnungen drang. Langsam, ganz langsam, kaum ein Geräusch verursachend, entstieg es dem finsteren Gewässer und in diesem Augenblick, nahm es einen verführerischen Geruch wahr: Menschenfleisch! Unter leisem Plätschern kroch es an Land und folgte dem Geruch. Sein stinkender Atem war flach und ebenfalls kaum hörbar. «Hol sie dir!» vernahm das Monster hunderte von wispernden Stimmen aus den Nebeln. «Das wird ein Festmahl, das du schon lange nicht mehr genossen hast. Na los! Diese Mahlzeit wird dich, über Monate hinweg, nähren!» Tatsächlich hatte das Monster grossen Hunger. Es schlief nun schon so lange auf dem Grunde des Moor- Sees und ernährte sich vorwiegend von Kleintieren wie Fröschen, vielleicht mal einem Nagetier, das sich zu nahe ans Ufer wagte oder einem Vogel, der im verdorrenden Schilfrohr, unvernünftigerweise, sein Nest bauen wollte. Viele Tiere jedoch gab es hier nicht mehr, die Verderbnis der dunklen Pforte, breitete sich immer weiter ins Moor aus. Es war auch diese Verderbnis, welche die finstere Kreatur nährte und sie schlussendlich am Leben erhielt.
Menschen oder sonstige humanoide Rassen, verirrten sich sonst kaum hierher und wenn, dann bereuten sie es ziemlich schnell. So viele verwesende, knöcherne Leiber, lagen schon auf dem Grund der finsteren Seen, die tatsächlich teilweise kleine Pforten in die Unterwelt bildeten. Die Naturgeister kämpften zwar noch immer, um einen Bereich des Moores vor der Zerstörung zu bewahren, aber auch sie wurden immer mehr von der Verderbnis zurückgedrängt und am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als resigniert zu weichen.
Vorsichtig kroch das Monster vorwärts, sein mörderischer Instinkt trieb es an. Schliesslich tauchte im Nebel ein heller Schein auf, welcher seine, an Dunkelheit gewöhnten Augen, schmerzhaft blendete. Der Schein sah aus wie ein Feuer. Ein Feuer, hier in dieser Gegend, das war in der Tat eine Seltenheit und vermutlich einem magischen Zauber entsprungen! Doch der Geruch der drei Menschen, war einfach zu verführerisch! Das Monster leckte sich erwartungsvoll über das Maul, kroch näher und näher…
«Wach auf!» hörte Malek auf einmal eine Stimme, die durch seinen Traum scholl. Er fuhr aus dem Schlaf hoch und erblickte im flackernden Schein des kleinen Feuers, eine grässliche Kreatur! Sie sah aus wie ein kurzbeiniges Reptil, mit Morast bedeckt. Es besass, einen von Warzen übersäten Kopf und bleckte seine schrecklichen, spitzen Hakenzähne. Sein Schädel war dreieckig und seitlich mit scharfen Zacken bewehrt.
Zischend wollte es sich auf Malek stürzen. «In Deckung!» rief der Zauberer den Geschwistern zu, die nun ihrerseits aus dem Schlafe hochschreckten. Pia stiess einen entsetzten Schrei aus, als sie das Monster erblickte, dass Malek nur knapp mit seinem grässlichen Gebiss verfehlte. Fauliger Atem schlug den drei Freunden dabei entgegen. Malek hob seine Arme und sprach eine Zauberformel. Sogleich zuckten grelle, blaue Blitze aus seinen Händen und trafen das Monster, welches nun laut und schmerzerfüllt aufbrüllte. Maleks Blitze versengten es immer weiter und das Moorwesen, suchte schliesslich sein Heil in der Flucht. Der Magier wollte ihm noch folgen, aber der Nebel versperrte ihm die Sicht. Tödlich getroffen liess sich das Monster ins Wasser gleiten und hauchte noch an dessen schlammigem Grund, sein Leben aus.
Malek jedoch, lief zurück zu den Geschwistern. «Seid ihr in Ordnung?» fragte er besorgt. Die Jugendlichen nickten, noch immer sass ihnen jedoch der Schreck in den Knochen. «Was war das?» stammelte Pia «das muss irgendein Monster aus dem Moor gewesen sein.» «Es war fürchterlich!» «Ja, sieht ganz so aus, als würden die dunklen Mächte, die hier am Werk sind, uns die Ruhe nicht gönnen. Ich hätte keinesfalls einschlafen dürfen. Aber irgendetwas hat mich so müde gemacht.» «Uns ging es gleich,» sprachen die Kinder. «Aber wir hatten sehr üble Träume.» «Ich auch. Das hier ist kein guter Ort. Aber es bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als diese Nacht noch hier auszuharren. Ich glaube, der Eingang zur Unterwelt ist wirklich nicht mehr weit, wenn es hier schon solche Monster gibt und dieser Nebel… er scheint mir ebenfalls von grösster Verderbnis erfüllt. Würden wir die Gewänder nicht tragen, hätten sie wohl schon eine viel schlimmere Auswirkung auf uns gehabt. Ich glaube, wir klettern lieber auf den Baum herauf, dort sind wir wenigstens von Wesen wie diesem… Moordrachen geschützt. Kommt ich helfe euch beim Raufklettern!» Die Kinder nickten und so verbrachten sie den Rest der kalten, nebligen Nacht im Geäst des mächtigen Baumes.
Erst als die schrecklichen Moor- Nebel sich unter dem Schein der ersten wärmenden Sonnenstrahlen wieder verzogen, erwachten sie zum Glück unversehrt und zumindest etwas ausgeruht. Sie gähnten und streckten sich erleichtert. Dann blickten sie sich um. Der Teil des Moores, den sie gestern durchquert hatten, lag unter ihnen wie ein Gemälde. Noch war er erfüllt von Leben. Die Naturgeister taten wirklich was sie konnten, aber irgendwann würden sie den Finsternis, an diesem Ort, auch weichen müssen. Daran dachten die drei Freunde jedoch gerade nicht. Sie blickten in die andere Richtung, in die sie noch gehen würden und dort wirkte alles leblos. Die Umgebung, schien die Sonnenstrahlen irgendwie zu absorbieren und alles verdorrte. Der mächtige Baum, auf dem sie Zuflucht gesucht hatten, war teils schon selbst abgestorben, doch der andere Teil, trotze der Finsternis noch immer. Auf einmal rief Malek: «Schaut mal dort hinten! Da scheint so etwas wie eine Pforte zu sein! Dahin müssen wir! Kommt schnell!»
Die Freunde kletterten wieder herunter und sprachen einen leisen Dank, zum Geist des Baumes, welcher ihnen Schutz geboten hatte. «Es tut mir leid…» meinte Pia bekümmert, «dass du so um dein Überleben kämpfen musst, lieber Baum. Ich wünschte, wir könnten etwas für dich tun, aber… die Macht die hier am Werk ist, ist vermutlich zu stark.» Sie wandte sich an Benjamin «haben wir eigentlich noch etwas von der Heilerde, welche Lumniuz uns damals schenkte?» «Ja,» sprach Benjamin und holte die Erde aus seinem Beutel. Pia vermischte einen Teil davon mit Wasser und strich diese dann auf den Stamm des verwundeten Baumes. «Vielleicht hilf es ja ein wenig,» sprach sie und blickte hoffnungsvoll auf die behandelte Stelle. Doch lange geschah nichts. Traurig wandte sie sich ab und sprach: «Da hilft wohl wirklich nichts mehr. Dann machen wir uns also mal auf den Weg zum jener seltsamen Pforte, die Malek gesehen hat!»
Sie schulterte ihren Rucksack und folgten dem Magier, der ihr mitfühlend auf die Schulter klopfte.
Dabei merkten sie nicht, wie an der verwundeten Seite des Baumes auf einmal wieder grüne Triebe zu wachsen begannen. Die Heilerde hatte doch geholfen!
Sie gingen den Pfad weiter, den sie eingeschlagen hatten und kamen an einigen weiteren Moorgewässern vorbei. In einem der schwarzen Teiche, trieb der erbleichte Leichnam eines mächtigen Wesens. Es war der Moordrache. «Es ist also doch gestorben…» murmelte Malek «nun ja, so kann er wenigstens keine weiteren Reisenden mehr bedrohen.»