Die Unterwelt- Welt des Eises
Er steckte seine Hand aus und diese hinterliess sogleich ihre Spur auf der Tür, welche aus Eis zu bestehen schien. Ben drückte nun mit beiden Händen und dann auch mit seinem Körper gegen das Tor und kurz darauf schmolz das Eis und er konnte hindurchtreten. Die anderen folgten ihm, während sie sich einmal mehr erstaunt umblickten. Der Ort, den sie hier antrafen, erschien ihnen im ersten Moment nicht gar so schrecklich, wie die bisherigen Orte, die sie in der Unterwelt gesehen hatten, doch es war sehr kalt, das spürten sie an ihren Gesichtern. Sie standen nun in einer trostlosen, düsteren Winter-Landschaft. Überall gingen Gestalten mit leerem Blick umher. Irgendwie erinnerten sie die Freunde etwas an die Menschen in der Grauen Stadt.
Einige der Leute, sassen auf dem kalten Boden herum und wiegten sich hin und her ohnee twas um sich herum wahrzunehmen. Einige schleppten irgendwelche Gegenstände mit sich, die ihnen im Leben vermutlich viel bedeutet hatten. Es gab ein paar, triste Behausungen. Vor einer dieser Behausungen, versuchte ein Mann mit einem Besen, den Schnee vor seiner Tür wegzuwischen, was natürlich nur schwerlich ging. «Warum nimmt er keine Schaufel?» fragte Pia «mit dem Besen wird das doch nie etwas. Doch er scheint es nicht zu merken.» «Sie scheinen gar nichts zu merken.» erwiderte Benjamin erschütterte.
Er trat zu einer Frau heran, welche am Boden sass und legte instinktiv seine Decke, die er im Rucksack bei sich trug, um sie. Es dauerte eine Weile, bis die Frau überhaupt eine Reaktion zeigte. Doch dann schien sie die Wärme doch zu bemerken und blickte erstaunt auf. Als sie die drei Freunde sah, wurden ihre Augen gross: «Seid ihr… Engel? Kommt ihr, um mir zu helfen? Ihr strahlt so hell!»
Sie strahlten? Die Freunde blickten etwas erstaunt an sich herunter, sie strahlten doch gar nicht. Aber die Frau schien davon überzeugt zu sein, dass sie es taten. Malek erwiderte: «Nein, wir sind keine Engel.» «Ihr seht aber so aus. Ihr seid die hellsten Lichter hier, alles ist an diesem Ort so dunkel und kalt. Ich weiss… gar nicht, wie ich hergekommen bin. Vielleicht werde ich bestraft?» «Wie kommst du auf so etwas?» fragte Ben. «Ich weiss nicht… ich… kann mich nicht erinnern. Irgendwas habe ich verloren, es ist womöglich hier, irgendwo unter dem Schnee und dem Eis verborgen.» Die Frau begann nun mit ihren Händen zu graben. Doch sie schien das was sie suchte nicht zu finden, denn sie grub immer verzweifelter und verbissener. «Es muss doch hier irgendwo sein, es muss eine Antwort geben!»
«Hier findest du die Antworten nicht,» sprach Benjamin mitfühlend. «Aber… ich habe doch irgendetwas verloren! Es muss hier sein! Es muss!» Die Stimme der Frau schwoll nun zu einem hysterischen Kreischen an. Benjamin versuchte sie zu beruhigen, doch es funktionierte nicht so wirklich. «Es ist hoffnungslos, sie scheint kaum empfänglich für Impulse von aussen,» sprach er im Geiste zu Malek und Pia. «Ich weiss auch nicht, was mit ihr los ist,» erwiderte Malek. «Sie scheint ganz in ihrer Welt gefangen. Aber es ist nicht wie bei Skarion und Xantie, die immer wieder alles vergessen und sich selbst immer noch der Illusion hingeben, Herr über irgendwelche Monster zu sein. Diese Leute hier, sind auch nicht böse. Sie sind nur irgendwie erstarrt, so wie alles um sie herum, zu Eis erstarrt ist. Es wirkt fast so, als hätten sie tatsächlich einen Teil ihrer selbst verloren.» «Aber so ganz emotionslos, war diese Frau jetzt nicht,» mischte sich Pia ins Gespräch. «Dass sie so hysterisch geschrien hat, ist doch schon ein Zeichen, dass sie nicht ganz erstarrt ist, oder… nicht mehr so erstarrt. Sie weiss, dass hier etwas nicht stimmt, dass sie am falschen Ort ist. Vielleicht können wir sie ja aus ihrem inneren Gefängnis befreien.»
Sie wendete sich erneut der Frau zu, welche nun wieder mit leerem Blick vor sich hinstarrte und legte den Arm um sie. Sanft streichelte sie ihr übers Haar und die Frau reagierte tatsächlich darauf. Sie blickte sie erneut mit grossen Augen an. «Du strahlst wirklich… wie ein Engel, dein Licht ist besonders hell,» sprach sie entzückt.
«Ich bin kein Engel, aber jemand der es auf jeden Fall gut mit dir meint,» sprach das Mädchen. «Seid ihr da, um mich von hier fort zu holen?» «Leider können wir das nicht, weil wir in einer anderen Daseinsform existieren und weil wir auch eine andere Aufgabe haben. Aber wenn du wirklich von hier weg möchtest, dann wird dir auch geholfen werden. Du musst dich nur, ganz bewusst, mit dem göttlichen Licht verbinden, es bitten, dich zu erfüllen und dir den Weg zu weisen. Dann wird es dich erhören. Das was du suchst, ist aber ganz bestimmt nicht hier. Dies ist eine dunkle, traurige Welt ohne Hoffnung. Doch es gibt Hoffnung, jenseits dieser Mauern, weit, weit weg, in einer besseren Welt. Wenn du dich bewusst mit dem liebenden Geist verbindest, der in allem und durch alles lebt und von dem auch du ein Teil bist, werden auch all deiner Fragen mehr und mehr beantwortet werden und du wirst finden, was du hier vergeblich suchst. Richte dich nach dieser besseren, dieser schöneren Welt aus und du wirst der Kälte hier entfliehen können.»
«Meinst du wirklich?» Ein leises Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht der dunkelhaarigen Frau ab. «Ganz bestimmt! Du kannst mir vertrauen! Es liegt schlussendlich alles an dir. Du kannst hier weg, du kannst finden was du suchst…»
Pia nahm eine goldene Kette ab, die sie schon, seit langer Zeit, um den Hals trug. Der Anhänger stellte eine keltische Lebensblume dar.
«Hier, für dich, damit du uns und das was wir dir sagten, nicht vergisst!» Die Frau nahm die Kette entgegen und musterte sie tief bewegt. «Sie ist so… schön! Danke!» «Gerne geschehen! Wir müssen nun leider weiter. Aber vergiss nicht, es gibt Hoffnung und es gibt eine bessere Welt! Leb wohl!»
Die Frau blickte den drei Freunden noch lange hinterher, bis ihre Lichter in der Ferne verblassten. Irgendetwas passierte in ihrem Inneren, dass sie noch nicht ganz verstand und während sie die Kette mit dem schönen Anhänger betrachtete, erwachte auch in ihr eine kleine zarte Blume, es war die Blume der Hoffnung!