Weißt du noch, wie es nach ihrem Tod war? Im ersten Moment waren da nur Schock und Leere. Obwohl es vorhersehbar war, kam es doch so unerwartet. Alle Pläne waren so plötzlich hinfällig geworden und es blieb mir nichts anderes Übrig, als in meinem Bett zu liegen und zu weinen. Ich habe die Welt dafür verflucht, dass sie sie einfach hat gehen lassen und wollte mit meinem Schmerz und meiner Trauer alleine sein. Du aber hast das nicht zugelassen, weil du genau wusstest, dass ich eigentlich keine Einsamkeit wollte, sondern alles getan hätte für ein Rückfahrticket in die heile Vergangenheit. Obwohl ihr Tod für dich so viel schwerer und der Verlust so viel deutlicher für dich gewesen sein muss, warst du doch derjenige, der auf mich aufgepasst hast, als du einen Aufpasser vielleicht viel nötiger gehabt hättest.
Weißt du noch, wie es war, als wir sie ein letztes Mal sehen durften? Sie lag dort so friedlich zwischen all den Blumen und Kerzen. Fast dachte ich, sie würde noch atmen und die Gewissheit, dass ich mir das alles nur einbildete, ließ mich atemlos zurück. Dieser Anblick war einfach kaum zu ertragen. Ich wollte sie nicht ansehen, hätte sie viel lieber ein letztes Mal lebendig gesehen, konnte aber auch nicht wegsehen, da ich hoffte, dass sie wieder aufstehen würde. Natürlich tat sie das nicht und ich war vollkommen machtlos der ganzen Situation ausgeliefert. Dann warst du da und obwohl in deinem Gesicht die gleiche Hoffnungslosigkeit zu sehen war, wie ich sie in meinem Inneren spürte, nahmst du mich in den Arm. Du hast kein Wort gesagt, weil keine Worte einen von uns beiden hätten trösten können. Vorher hatten wir noch alles verleugnen können, es auf eine Verwechslung oder gar einen schlechten Scherz schieben können und zwar so lange, bis wir wirklich daran glaubten. Sie so leblos dort liegen zu sehen, hat all diese Hoffnung zerbrochen und uns nur noch die traurige Wahrheit als Option gelassen. Und dennoch hast du es mit dieser wortlosen Umarmung geschafft, mich für einen kleinen Moment zu beruhigen.
Weißt du noch, wie ihre Beerdigung war? Ich saß dort neben dir in der ersten Reihe und habe zugehört, was über sie erzählt wurde. Es gab so viele Dinge, die ich nicht über sie gewusst habe, weil sie aus Angst mich zu langweilen nie von der Vergangenheit erzählt hat. Aber du hattest diese Vergangenheit mit ihr zusammen erlebt und man konnte dir ansehen, wie schlimm der Gedanke an eine Zukunft ohne sie für dich sein musste. Ich hätte dir so gerne geholfen, aber ich wusste nicht wie. So nahm jeder von uns alleine Abschied, dort am Grab, das von ihren geliebten Rosen umgeben war. Und plötzlich war dort neben all der Trauer auch etwas Neues. Wir wussten, dass nun alles vorbei war und wir beginnen konnten und mussten, uns in unserem neuen Leben ohne sie einzurichten. Wir trafen ihre alten Freunde, sprachen über alte Zeiten und konnten wieder über all die alten Gewohnheiten lachen, mit denen sie uns einst so auf die Nerven gegangen war und die wir in Zukunft so vermissen würden. Danach gingen wir lachend und weinend nach zurück in ein Haus, in welchem die Leere, die durch ihre Abwesenheit entstand, langsam verblasste.
Weißt du noch, wie es danach weiter ging? Irgendwie haben wir es geschafft, weiter zu gehen und sie loszulassen ohne sie zu vergessen. Nur weil man einen Alptraum nicht verhindern kann, muss man sich nicht von ihm gefangen nehmen lassen. Man darf trotzdem wieder aufwachen und damit waren wir voll und ganz beschäftigt. Zwar gab es noch all die Momente, in denen der Alptraum mit seiner Dunkelheit nach uns griff, und einer von uns nicht weiter wusste, konnte oder wollte, aber gemeinsam haben wir es bis jetzt noch immer irgendwie geschafft und so wurden die Angriffe der Alpträume immer seltener. Wir konnten plötzlich wieder sagen, dass es uns gut geht und es auch wirklich so meinen. Es brauchte wieder mehr als nur die Erwähnung ihres Namens um uns vollkommen zu Boden zu bringen. Es ist möglich ohne sie zu leben und auch glücklich zu sein. Das haben wir gelernt, obwohl niemand von uns je so wirklich daran geglaubt hätte. Natürlich vermisse ich sie immer noch in all den kleinen und großen Dingen und das wird sich wohl auch nie ändern, aber du hast mir gezeigt, dass das Leben trotz allem weiter geht, obwohl du selbst nicht so wirklich daran zu glauben schienst. Ich glaube nicht, dass ich das ohne dich geschafft hätte.
All das sind meine Gedanken, als ich auf die Rosen blicke. Sie sind genauso wie ein Leben, genauso wie dein Leben. Eben noch so wunderschön, morgen schon verblüht. Man sagt, dass die Geschichte sich immer wiederholt. Das stimmt, aber an deinem Grab, muss ich alleine stehen.