Noch lange vor dem ersten Hahnenschrei war Araco auf den Beinen. Er war sich nicht sicher, wie die Reiter es aufnehmen würden, dass sie noch heute unter einem leidlich erfahrenen Decurio in ein unbekanntes Gebiet aufbrechen würden. Und wenn seine Männer ihm auch nur den geringsten Respekt entgegenbringen sollten, musste er der erste auf dem Campus sein.
Nachdem er die wichtigsten Abläufe des Tages mit Aelius besprochen hatte, legte er seine Rüstung an und achtete dabei auf jedes Detail, denn niemand würde ihn heute Morgen aus den Augen lassen. Jede Unordentlichkeit wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen. Er inspizierte seine Tunika mit Argusaugen, bevor er sie anlegte, und entfernte sorgsam jede noch so kleine Verfärbung des Kettenhemds. Zum Schluss kam der Brustgurt mit den beiden Phalerae, die man ihm verliehen hatte, der neue Mantel und der Helm mit dem quergestellten roten Kamm aus Rosshaar. Ein letzter, prüfender Blick auf den Schwertgurt und er verließ sein neues Offiziersquartier und betrat den Stall. Pinus hatte bereits ganze Arbeit geleistet. Polidoxus und Achilleus waren blitzblank gestriegelt, gesattelt und gezäumt und auch das Packpferd war schon beladen. Der junge Sklave hatte sich in einen moosgrünen Umhang gehüllt und trug die Filzsocken und nagelneuen, ledernen Stiefel, die Araco ihm am Abend zuvor noch gekauft hatte. Er schien vor Tatendrang und Stolz fast zu platzen. Araco nickte ihm anerkennend zu, überprüfte aber dennoch das Sattelzeug noch einmal selbst. Alte Gewohnheiten legten sich nur schwer zur Ruhe.
Schließlich besuchte er den Tempel der Epona und gab dem Priester vier Sesterzen, damit er in seinem Namen zwei Hühner und etwas Wein opferte. Während der Zeremonie kniete er still vor dem Altar und bat die Göttin um Schutz für Reiter und Pferde und einen guten Ausgang für sein erstes eigenes Kommando.
Wenige Augenblicke später sah sich Araco der Sechsten Turma gegenüber. Seiner Turma. Er saß auf seinem Pferd und ließ seinen Blick über die Reihen schweifen. Die Männer waren fast ausnahmslos Lusitaner, wie er selbst. Viele – die meisten - waren älter und erfahrener als er, kampferprobt und vernarbt, doch standen auch ein paar milchbärtige Rekruten in den Reihen. Araco bereitete das keine Sorgen. Sie würden sich noch bewähren. So wie er es mit Hilfe der Götter auch tun würde.
Die Reiter hatten ihren Blick geradeaus zu halten, doch ein paar verwegene musterten ihn ihrerseits, wie er bemerkte. Teils erwartungsvoll gespannt, teils mit leisem Spott auf den Zügen, als warteten sie darauf, dass der viel zu junge Hauptmann sich eine Blöße gab. Keiner von ihnen hatte jedoch den Gesichtsausdruck, den Aelius zur Schau stellte. Es war ein Wechselspiel aus betontem Desinteresse und unverhohlener Feindseligkeit. Araco fühlte einen schmerzhaften Knoten im Magen. Sein Duplicarius, sein erster Stellvertreter, hasste ihn.
Doch darum würde er sich später kümmern müssen. Er wartete, bis Aelius alle Namen der Reiter verlesen und ihre Anwesenheit auf einer Wachstafel vermerkt hatte. Dabei musste Araco sich beherrschen, nicht nervös im Sattel hin und her zu rutschen, wie ein Rekrut vor seinem ersten Appell. Als der letzte Name gefallen war, gab Aelius ihm die Liste. Es war soweit. Jetzt musste er etwas sagen. Man erwartete es von ihm.
»Männer«, hob er an und wunderte sich beinahe selbst, wie klar seine Stimme über den Platz trug, »ich denke, mittlerweile dürfte es sich auch bis zum Letzten von euch herumgesprochen haben, wer ich bin. Nun, für diejenigen von euch, die heute Morgen ihren Kopf im weichen Schoß des liebreizenderen Teils unseres Vicus gelassen haben ...«, leises Lachen kam aus den Reihen, »Ich bin Marcus Veranius Araco. Ein paar von Euch kennen mich bereits als Duplicarius. Doch als euren Decurio werdet ihr mich erst noch kennenlernen.
Ihr werdet feststellen, dass ich kein Freund unnötiger Härte bin. Jedoch -«, er erhob seine Stimme, um seinen Worten unmissverständlich Nachdruck zu verleihen, »das heißt nicht, dass ich nicht zu beurteilen weiß, wann Lob und wann Strafe angebracht ist. Wer mich verärgert, wer es an Respekt und Disziplin fehlen lässt, kann sich darauf gefasst machen, dass er neben seinem Pferd herläuft. Und zwar so schnell und so lange, wie ich es für richtig halte.« Er machte eine kleine und, wie er hoffte, wirkungsvolle Pause, während der er sich zwang, Aelius nicht anzusehen.
Feierlich fuhr er fort: »Ich für meinen Teil verspreche euch – ich gelobe euch, dass ich euch allen Grund geben werde, mich zu achten. Auch wenn ihr mich nicht lieben werdet. Doch das genügt mir.« Er grinste. »Schließlich wollen wir ja nicht gleich heiraten.«
Die Männer lachten.
»Was ich euch jetzt zu sagen habe, wird euch nicht gefallen. Wer schon glaubte, er könne sich den Arsch am Kohlebecken in seiner Stube wärmen, weil er nicht am Manöver teilnehmen musste, wird sich noch wünschen, er hätte es tun dürfen.
Unser Kommandant hat uns eine verantwortungsvolle Aufgabe erteilt. Wir brechen noch heute in den Norden auf. Das genaue Ziel werdet ihr beizeiten erfahren. Es steht jedoch fest, dass Dauer und Distanz unseres Einsatzes ungewiss sind. Der Praefectus setzt große Erwartungen in uns und ich werde nicht umkehren, bevor wir unserer Turma Ehre gemacht und unsere Aufgabe voll und ganz erfüllt haben.
Macht euch auf alles gefasst. Wälder, Sümpfe, Abgründe, und auch Feinde. Vor allem aber Kälte. Daher Männer: Vergesst Eure Feminalia nicht! Wer ohne Hose kommt, läuft und darf sich dabei die Eier abfrieren!«
Jetzt johlten und prusteten die Männer. Araco nickte ihnen zu. »Esst ausreichend und füttert Eure Pferde gut. Wir sehen uns in drei Stunden an der Porta Praetoriana. Volles Marschgepäck und Verpflegung für zwei Wochen. Ich glaube, ich muss euch nicht eigens sagen, dass ich eure Ausrüstung, Waffen und Pferde in tadellosem Zustand sehen will.
Die Götter seien mit euch. Beschützt die Standarte und macht mir keine Schande. Wegtreten!«