Araco hatte sich entschieden, zunächst die Hilaria zu überqueren und dann ein Stück auf der Straße nach Guntia zu reiten. Auf diese Weise würden sie besser vorankommen, indem sie die volle Breite des gut ausgebauten Weges nutzen konnten.
Sie kamen gut voran auf der Straße und legten Meile um Meile ohne besondere Vorkommnisse zurück. Etwa zur dritten Stunde war es soweit. Ein verwitterter, fast zugewachsener Stein wies den Weg in den Norden. Araco gab das Handzeichen zum Durchparieren und ließ sodann die Turma in einem scharfen Linksschwenk abbiegen. Achtsam setzten die Pferde ihre Tritte und trugen ihre Reiter die Straßenböschung hinunter. Die Reiter folgten jetzt einem schmäleren Weg, ausgetreten und geformt von Vindelikern und römischen Händlern, die regelmäßig den Danuvius an der vor ihnen liegenden Furt querten. Paarweise ritten sie im Schritt hintereinander her, während die Sonne sich langsam ihrem Höchststand näherte und mit ihrer Wärme das erdige Aroma der Aulandschaft beschwor.
Viel gab es hier nicht zu sehen. Auf dieser Seite des Danuvius hatten die Römer ihren Bannstreifen unter Kontrolle. Das Land war komplett gerodet, nur einzelne Gehölze und ein paar kleine Hecken und natürlich vereinzelte Wachtürme setzten ihre Markierungen in die weitläufige Flussmarsch. Ab und zu erblickte man Wild in der Ferne, das sich angesichts der heranrückenden Reiterschar eilends davonmachte. Ein paar Mal scheuchten sie eine Kette Rebhühner auf, was die weniger erfahrenen Pferde ein wenig mit dem Kopf schlagen ließ, oder sie trafen auf kleine Schaf- oder Schweineherden, von dünnbeinigen einheimischen Kindern gehütet. Es war Schwemmland. Fruchtbar zwar, aber voller tückischer Sumpflöcher und bodenloser Grasinseln. Für die wertvollen Tiere der Armee war diese Gegend ungeeignet, einzig die einheimischen Bauern ließen ihr Vieh hier weiden, oder betrieben Ackerbau an den Stellen, an denen es etwas trockener war.
Etwa zur fünften Stunde gelangten sie an die Furt. Araco ließ die Reiter anhalten und schickte einen Mann mit einer langen Stange in den Fluss, um die Passierbarkeit zu prüfen. Während sie warteten, verteilten sich die Reiter unordentlich am Ufer, um die Pferde zu tränken. Araco fiel mit einem Mal die Stille auf, die sich wie ein dunkler Schleier auf die Turma gelegt zu haben schien. Unablässig hatten die Soldaten während des Ritts geredet und gescherzt, doch jetzt war jedes Gespräch, jedes fröhliche Lachen schlagartig verstummt. Aller Augen waren auf das andere Ufer gerichtet. Araco wusste, was ihnen die Kehlen eng machte. Es war der Wald. Der Wald war der Feind des Reiters. Dunkel und feindselig lauerte er am jenseitigen Ufer, dort wo das Land nicht dem römischen Einfluss unterlag. Dicht gedrängte Stämme, kreuz- und quer miteinander verwachsen und ein undurchdringlicher Filz aus Brombeeren und Schlehen behaupteten dort ihr Terrain, widersetzten sich standhaft jedem Blick hinter ihren trutzigen Wall.
Auch wenn das Land, das sie nun betreten sollten, als sicher galt, schien eine spürbare Warnung in der Luft zu liegen. Bis hierher und nicht weiter. Araco war es, als flüsterte der Wald ihm die Worte zu. Er straffte den Rücken, um den eisigen Schauer loszuwerden, der sich zwischen seinen Schulterblättern breitmachte.
Jeder Römer kannte Geschichten und Legenden um diesen abweisenden Ort. Viele waren abergläubischer Natur, handelten von Geistern und Zauberwesen, die grausame Dinge mit denjenigen taten, die ungebeten in ihr Gebiet vordrangen. Andere jedoch waren sehr real. Jedes Kind wusste darum, was mit den Legionen des Varus geschehen war. Die Germania Magna hatte Wunden in die römische Seele geschlagen, deren Narben niemals wieder verheilen würden.
Araco ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Reiter streifen. Die meisten wirkten angespannt, einige der jüngeren sogar furchtsam, doch ein einzelner, ein junger Rekrut von vielleicht siebzehn Sommern fiel ihm besonders auf. Der Junge schlotterte am ganzen Körper, und Araco hätte schwören können, dass seine Zähne klapperten. Der Rekrut begegnete seinem Blick und sah sofort zu Boden. Araco runzelte die Stirn. Er würde den Rekruten im Auge behalten müssen. Wenn er eines bei der Armee gelernt hatte, dann war es, dass man sich seinen Ängsten besser stellte, als sich zu ihrem Sklaven zu machen. Und dies lieber früher als später.
Der Reiter kehrte aus dem Fluss zurück. Seine Beine waren nass bis zum Knie und aus dem Fell seines Pferdes rann Wasser in kleinen Rinnsalen herab.
»Meldung, Eques«, forderte Araco ihn auf.
»Es ist recht tief, Decurio. Aber es ist passierbar.«
Araco wandte sich an die Reiter. »Mut, Männer. Ihr wisst doch: Wer den dunkelsten Wald erst einmal zur Hälfte durchquert hat, ist schon dabei, auf der anderen Seite herauszukommen!« Die Männer lachten. »Also dann«, rief Araco, »Vorwärts, Marsch!«
Er wendete sein Pferd und lenkte es ohne sich noch einmal umzusehen in den Fluss. Folgsam sprang Polidoxus mit einem gewaltigen Satz in die Strömung und strebte dem jenseitigen Ufer zu. Das Wasser leckte an Aracos Zehen, hüllte erst seine Knöchel, dann seine Unterschenkel in Kälte und reichte seinem Pferd schließlich bis zum Hals. Schnaubend, aber zielstrebig durchpflügte der Hengst das Wasser. Ein kurzer Blick nach hinten sagte Araco, dass seine Männer ihm gehorsam folgten, einer nach dem anderen, aufgereiht wie an einer Perlenschnur. Welch eine Wahl hatten sie auch.
Am anderen Ufer hielt er an und ließ die Reiter an sich vorbeiziehen.
Aelius verhielt sein Pferd neben ihm. Mit einer Kopfbewegung wies er auf den jungen Soldaten, der am Ufer wie Espenlaub gezittert hatte.
»Habt Ihr das gesehen, Decurio?«
Araco gab es einen Stich, wie Aelius seine Rangbezeichnung aussprach. Es lag immer ein wenig Galle darin. Aber er ließ sich nichts anmerken und nickte.
»Er hat Angst. Große Angst, wie es scheint.«
»Ihr dürft ihm das nicht durchgehen lassen. Angst und Aberglaube sind ansteckend. Es dauert nicht lange, und Euch läuft die Hälfte der Turma davon.«
»Habt Dank für den Hinweis, Aelius«, erwiderte Araco kühl. »Aber Ihr sagt mir nichts Neues.«
»Lasst ihn Euren Stock spüren. Es wäre für alle eine Warnung.«
»Ich bin Euch dankbar für Euren Rat. Aber ich regele das auf meine Weise, Duplicarius.«
Aelius kniff grimmig die Lippen zusammen und senkte den Kopf. »Wie Ihr beliebt. Decurio.« Er wendete das Pferd und begab sich auf seine Position auf der rechten Seite der ersten Reihe.
Araco drückte seine Fersen in die Flanken seines Hengstes, der sofort in einen lockeren Galopp sprang und ihn zur Spitze der Schwadron trug.