Sie näherten sich der neunten Stunde und als hätte nicht nur der Wald, sondern auch die Götter den unwillkommenen Besuch auf dieser Seite des Danuvius missbilligt, verkroch sich alsbald der Himmel hinter einem eisengrauen Wolkenvorhang und die Sonne räumte das Feld für einen leichten, aber stetigen Nieselregen.
Bis zum ersten Dorf, das sie aufsuchen wollten, waren es noch Meilen, sie würden es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr erreichen und wenn Araco keine Meuterei riskieren wollte, konnte er den Männern ihre Essenspause nicht verwehren. Die Kundschafter, die er vorausgeschickt hatte, kamen mit der Meldung zurück, dass sie eine größere Lichtung gefunden hatten und Araco beschloss, diese als Lagerplatz für die erste Nacht zu nutzen.
Als die Zelte aufgebaut, die Pferde an ordentlich gespannten Seilen zwischen den Bäumen angebunden waren und die Soldaten begonnen hatten, ihre Mahlzeiten zuzubereiten, begab sich Araco endlich in sein eigenes Zelt und ließ sich mit einem tiefen Seufzen auf den Stuhl fallen, den Pinus für ihn mit Schaffellen gepolstert hatte. Der Junge brachte ihm Wein, einen warmen Brotfladen und etwas Ziegenkäse. Ein einfaches, aber gutes Mahl, und Araco verschlang es hungrig.
Pinus sah etwas missbilligend zu.
»Was ist? Keinen Hunger?«, fragte Araco kauend und machte eine einladende Handbewegung. »Du musst was auf die Rippen bekommen, Pinus. Du bist zu mager.«
»Ich habe schon draußen am Feuer gegessen, Herr.«
»Und was schaust du dann so?«
»Ihr könntet besser speisen, wenn Ihr mich gelassen hättet. Aber Ihr wolltet von all dem guten Essen, was ich für Euch besorgen wollte, ja nichts wissen.«
Araco musste lächeln. »Es ist rührend, wie du für mich sorgst, Junge, wirklich. Aber ich versichere dir, ich will es gar nicht anders haben.« Zur Bestätigung schob er sich ein großes Stück Käse in den Mund. »Es schmeckt gut!«, sagte er, »Wirklich!«
»Pfff«, machte Pinus und zuckte die Schultern. Araco hätte beinahe laut gelacht.
»Ich gehe nach den Pferden sehen«, sagte der Junge leise schmollend und verließ das Zelt.
Araco legte die Füße auf den Tisch, schloss für einen Moment die Augen und spürte der Müdigkeit nach, die ihm wie Blei an den Knochen hing. Die letzte Nacht hatte er fast kein Auge zugemacht und jetzt, in Ruhe, drängten sich seine Verwundungen wieder in den Vordergrund. Seine Schulter brannte wie Feuer, und jeder Atemzug schmerzte. Das Kettenhemd schien ihm heute schwer und er konnte den Moment nicht erwarten, in dem er es für diese Nacht endlich ablegen konnte. Aber es war nicht der Ritt, der ihn so mitgenommen hatte. Stunden-, ja tagelang im Sattel zu sein, war ihm nicht fremd, und es gab Momente, in denen er hätte schwören können, dass er sich nur dort wie ein vollständiger Mensch fühlte.
Es war vielmehr eine allumfassende, geistige Erschöpfung. Die Verantwortung für dreiunddreißig Soldaten, sechs Burschen und achtundvierzig Pferde zu tragen. Sie ins Ungewisse zu führen und alles dafür zu tun, dass sie alle wieder wohlbehalten nach Viana zurückkehren konnten.
Araco biss noch ein Stück Brot ab und zog seine Satteltasche näher zu sich, um die Berichte zu studieren, die Caecus ihm vor seinem Aufbruch noch hatte bringen lassen. Er hatte bisher kaum Zeit gehabt, sich die Dokumente genauer anzusehen. Doch die Informationen darin waren wichtig, und er wollte sie sich einprägen. Es gab Wegbeschreibungen, genaue Analysen der bisher bekannten vindelischen Sippen und ihrer Anführer, kurzum allerlei Nützliches, aber auch lebenswichtige Warnungen.
Er kam nicht weit. Über das monotone Gemurmel des Lagers erhoben sich plötzlich Stimmen. Irgendein Aufruhr schien sich anzubahnen. Jemand schrie etwas. Aelius! Noch bevor Pinus aufgeregt in das Zelt stürmte, war Araco aufgesprungen.
Mit langen Schritten eilte er hinaus und verschaffte sich energisch Platz, bahnte sich den Weg durch die vielen Rücken, die sich ihm zuwandten. Die Reiter hatten sich um die Mitte der Lichtung geschart und beobachteten gespannt die Szene, die sich dort abspielte.
Der junge Soldat vom Ufer kauerte wimmernd am Boden, die Hände und Arme schützend über seinen Kopf und Nacken gehalten. Aelius stand über ihm, mit hochrotem Gesicht und es sah aus, als wolle er seinen Stock auf dem Rücken des Jungen zerbrechen. Mit jedem Zischen des Stabs, mit jedem dumpfen Schlag wand und krümmte sich der Rekrut mehr zusammen, er heulte, nahezu lautlos zwar, aber Tränen, Rotz und Speichel tropften in Strömen von seinem Kinn.
»Das reicht jetzt, Duplicarius« rief Araco. Der Blick, mit dem Aelius ihn bedachte, war pure Verachtung, doch er gehorchte. Er konnte sich vor den Männern dem Befehl seines Decurios nicht widersetzen.
»Was ist hier geschehen?«, wollte Araco wissen.
»Er hat keine Disziplin! Seht mich an!« Aelius wies an sich hinunter, ein langer Streifen Gerstenbrei zog über seine Brust hinweg, fraß sich in die Glieder des Kettenhemdes.
»Hast du das mit Absicht getan, Eques?« Araco ballte die Faust an seiner Seite und hoffte inständig, dass es nicht so war. In dem Fall hätte er den Jungen selbst schlagen müssen.
Der Rekrut, immer noch gebückt am Boden, schaute zu ihm auf wie ein geprügelter Hund. Er brachte keinen Ton heraus.
»Antworte deinem Decurio«, stieß Aelius zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und schlug dem Rekruten die Handkante gegen die Schläfe. Araco stoppte ihn mit einer Handbewegung. »Nun, Soldat?«, fragte er streng.
»Es war keine Absicht, Herr«, stammelte der Junge. »Aber da war dieser Vogel, der Unglücksbringer und ich sah auf und als ich mich umdrehte ...«
»Das war nur ein Häher, du Dummkopf! Hältst du dich für einen verdammten Auguren?«, schrie Aelius.
Araco biss sich so fest auf den Kiefer, dass seine Wangenmuskeln schmerzten. Er war Herr der Lage, auch ohne Aelius. Sein Duplicarius nahm sich ohne Zweifel zu viel heraus. Es wurde Zeit, dass er ihn nochmals an die Rangfolge erinnerte. Doch nicht jetzt und nicht vor den Männern.
»Sagt er die Wahrheit?«, wandte Araco sich an die Reiter.
Zustimmendes Gemurmel, einer sagte »Ja, Decurio.«
»Du hast doppelte Nachtwachen für fünf Nächte«, beschied er dem Soldaten. »Und du wirst umgehend die Rüstung deines Duplicarius’ reinigen. Wenn ich morgen früh noch einen Krümel Gerste daran sehe, kommen fünf Nächte dazu. Und fünf Tage, an denen du dein Pferd schonen wirst, hast du verstanden?«
»Ja, Decurio!«
Araco wandte sich an Aelius. »Auf ein Wort«, befahl er ihm halblaut.