Aelius folgte ihm in sein Zelt und blieb am Eingang stehen. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und aus seiner ganzen Haltung sprach grimmiger Trotz.
Araco atmete ein paar mal tief durch, um seinen Zorn unter Kontrolle zu bringen. Auch wenn er den Kerl am liebsten gerade zu einem Faustkampf aufgefordert hätte, hier ging es um Disziplin, und ein Decurio, der Probleme nicht souverän löste, war bald keiner mehr.
»Was sollte das gerade bedeuten? War es wirklich notwendig, den Mann wegen eines Unfalls zu züchtigen?« Er bemühte sich so gut es ihm möglich war, seine Stimme zu dämpfen. Es musste schließlich nicht das ganze Lager hören, was hier drin gesprochen wurde.
»Er musste gemaßregelt werden. Weichlinge wie er sind schlecht für die Moral. Irgendjemand musste es tun.«
Araco ignorierte das unausgesprochene »Ihr wart dazu ja nicht in der Lage« und versuchte etwas anderes. Es half nichts, Aelius gegen sich aufzubringen. Er brauchte ihn noch.
»Ein weiser Mann hat einmal gesagt ›Das beste Heilmittel gegen die Angst ist Milde‹«, sagte er und sah Aelius dabei fest in die Augen.
»Es sieht einem Mann wie Euch ähnlich, ausgerechnet Seneca zu zitieren«, knurrte Aelius, jetzt mit offener Feindseligkeit.
Araco kniff die Augen zusammen. »Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte er, während die Wut kalt seinen Nacken hinauf kroch, »Stellt ihr meine Loyalität in Frage?«
»Nein, aber ich stelle Euch in Frage. Ihr seid zu weich und zu unerfahren für die Aufgabe, die vor Euch liegt. Ihr werdet Euch keinen Respekt verschaffen, wenn Ihr die Männer behandelt wie ihre Milchamme.«
»Ihr vergesst Euch, Soldat!«
»Nein.« Aelius lachte bitter. »Ich tue meine Pflicht. Caecus hat mich zu Eurem Kindermädchen gemacht. Was das betrifft, hatte ich keine Wahl. Aber ich werde nicht zusehen, wie Eure Unfähigkeit dazu führt, dass die Männer reihenweise meutern oder desertieren und wir alle in dieser von den Göttern verlassenen Gegend sterben werden.«
Araco spürte den Zorn in seinem Blut aufwallen, er wirbelte seine Adern entlang, bis in seine Fingerspitzen. »Sie desertieren«, zischte er, »wenn man sie mit Ungerechtigkeit, Arroganz und unnötiger Härte behandelt, so wie Ihr es heute getan habt. Nehmt Euch zusammen Mann! Ich weiß, was Euch angrätzt, ich weiß, dass Ihr es kaum ertragen könnt, dass Caecus mir mehr vertraut als Euch. Aber Ihr seid ein Soldat Roms, bei den Göttern! Nehmt es hin und lernt Euch zu beherrschen, Aelius. Denn ich werde nicht zulassen, dass Ihr es sein werdet, der am Ende die Turma auf dem Gewissen hat! Vorher lasse ich euch in Ketten legen, das schwöre ich Euch!«
Aelius zog voller Verachtung die Oberlippe hoch. »Eure Drohung ist so erbärmlich wie Ihr selbst«, höhnte er.
»Ihr wollt also die Ketten sofort? Das lässt sich einrichten«, sagte Araco kalt.
Aelius sagte kein Wort, aber seine Augen sprachen. Sie sprachen von Hass.
Araco biss die Zähne zusammen. »Geht mir aus den Augen, Aelius. Bevor ich in Versuchung komme.«
Zur ersten Nachtwache machte Araco noch eine letzte Runde durch das Lager. Der Mann, den er suchte, stand abseits neben einem Baum und hatte seinen Blick pflichtbewusst in die Dunkelheit gerichtet. Man sah ihm jedoch bereits von hinten an, wie nervös er war. Unstet bewegte sich sein Kopf, mal hier, mal dorthin, er trat von einem Bein auf das andere und kratzte sich immer wieder am Arm.
Araco räusperte sich, um sich anzukündigen. Schließlich wollte er den Jungen nicht zu Tode erschrecken.
Der Rekrut fuhr herum und salutierte ihm.
»Steh bequem, Eques.«
Der Reiter nahm den Arm herunter, aber entspannte sich kaum.
»Wie heißt du, Eques?«
»Nanius, Decurio«
»Nun, Nanius. Was meinst du, warum ich dich zur doppelten Wache eingeteilt habe?«
»Ich weiß es nicht, Decurio«
»Nein? Wirklich nicht?«
Der Rekrut senkte den Blick auf seine Zehen. »Zur Strafe«, sagte er leise.
»Strafe wofür?«
»Weil ich Angst hatte. Weil ich die ganze Turma mit meiner Angst gefährde. Ihr habt ja gesehen, was passiert ist.«
Araco lächelte. »Nein. Strafe ist nicht der Grund.«
»Aber es ist unehrenhaft, Angst zu haben.«
Araco schnaubte leiste. »Wer hat dir denn das erzählt? Nur Dummköpfe verspüren keine Angst!«
»Aber Ihr habt doch keine Angst, Decurio!«
»Oh doch. Auch mutige Männer verspüren Angst. Sie haben nur irgendwann beschlossen, der Angst nicht das Feld zu überlassen. Wer denkst du, ist tapferer? Der Mann, der den Tod nicht fürchtet und sich in die Schlacht stürzt? Oder der, der furchtsam ist, aber es dennoch tut?«
Der Rekrut antwortete nicht, das brauchte er auch nicht, aber ein zaghaftes Lächeln legte sich auf seine Lippen.
»Siehst du«, sagte er, »und dies ist der Grund, dass du jetzt hier stehst. Nicht als Strafe. Sondern um dir Gelegenheit zu geben, deiner Angst nicht das Feld zu überlassen.«
»Das werde ich nicht, Decurio! Das werde ich bestimmt nicht!«
Araco beschloss, es damit gut sein zu lassen und kehrte in sein Zelt zurück.
Caecus’ Berichte fielen ihm wieder ein, und er griff nach dem Beutel. Doch als er die Klappe öffnete, fuhr ihm der Schreck in alle Glieder. Er war sich sicher, die Rollen eingesteckt zu haben, sie mussten da sein! Doch das waren sie nicht. Er wühlte in der Tasche, leerte sie schließlich auf den Boden, nur um sich zu fragen, ob er noch ganz Herr seiner Sinne war. Zwei große Papyrusrollen waren nicht zu übersehen, und sie kamen auch dann nicht zurück, wenn man den gesamten Inhalt der Tasche, wieder und wieder hin- und herschob.
Eiskalt fuhr es seinen Rücken hinauf. Es gab nur zwei Erklärungen für das Verschwinden der Berichte. Entweder hatte Pinus sie beim Absatteln des Pferdes verloren – ein Gedanke, den er sogleich verwarf, denn die Tasche war zugeschnürt gewesen – oder jemand hatte sie an sich genommen.