Remus behielt Wort: Es wurde eine anstrengende Reise. Die Sonne stieg stetig höher und brannte erbarmungslos auf uns herab. Ich spürte wie mir der Schweiß über den Rücken lief. Um die Mittagsstunde klebten meine Kleider schließlich an meinem Körper. Die Haut an den Stellen, die nicht von Stoff bedeckt waren, brannten und waren rot. Als die Sonne schließlich ihren höchsten Stand am Himmel erreicht hatte, ließ Remus seine Garde in einer Senke anhalten und ein Lager aufbauen.
Steifbeinig lies ich mich von Nachtschattens Rücken gleiten. Mit zitternden Beinen stand ich vor dem Pferd. Jede Stelle meines Körpers schmerzte. Keuchend sank ich in den heißen Sand. Die Hitze drang durch den dünnen Stoff und brannte auf meiner Haut.
Seufzend kam mir Remus zur Hilfe. „Komm, steh auf“
Dankbar nahm ich seine Hand und er zog mich in seine Arm. Zitternd lehnte ich an seiner Brust. Kopfschüttelnd legte er einen Arm an meinen Rücken, den anderen unter meine Knie und hob mich hoch. „Was soll ich mit dir anfangen, wenn du schon nach sieben Stunden im Sattel weiche Knie bekommst?“ Seine Mundwinkel zuckten belustigt. Ich legte meine Arme um seinen Hals.
„Reiten war nicht unbedingt eine Sache, die wir in der Akademie trainierten“ gab ich schuldbewusst zu. Ich spürte seine Muskeln unter meinen Armen.
„Was ist passiert? Ist sie vom Pferd gestürzt?“ ertönte Ramons Stimme hinter meinem Rücken.
Remus zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Unsere Prinzessin ist das reiten nicht gewohnt“ antwortete er hämisch und steuerte zusammen mit seinem Bruder eines der Zelter an das inzwischen aufgebaut wurde.
Als wir den Schatten der Behausung erreichten atmete ich erleichtert auf. Remus setzte mich auf die Decke, die den Boden des Zeltes bedeckte. Er setzte sich neben mich während Ramon sich in das Schlaflager auf der anderen Seite des Zeltes zurückzog.
„Wie lange bleiben wir hier?“ brach ich schließlich die Stille, die zwischen uns herrschte. Ein stetes atmen sagte mir das Ramon schlief.
Remus Oberschenkel streifte meinen. „Bis die Sonne nicht mehr so viel Kraft hat“ antwortete er mir leise. „Du solltest dich auch hinlegen und ein wenig schlafen“ Er lümmelte neben mir auf den Kissen und hatte schon die Augen geschlossen. Trotzdem schien es mir als würde er jede meiner Bewegungen beobachten. Vorsichtig lies ich mich in die Kissen hinter mir sinken. Kaum hatte mein Kopf das Kissen berührt spürte ich wie müde ich wirklich bin. Augenblicklich fielen mir die Augen zu.
Ich spürte wie sich Remus neben mir bewegte. Gequält öffnete ich meine Augen und drehte meinen Kopf leicht zu ihm. Er hatte sich auf die Seite gedreht und lag nun zu mir gewandt. Als ich in sein Gesicht sah, erkannte ich das er mich betrachtete.
„Ich kann so nicht schlafen, wenn du mich beobachtest“ murrte ich kaum hörbar. Ich spürte wie sein Knie meinen Oberschenkel berührte. Ein Grinsen erschien auf seinem Gesicht.
„Als könntest du neben mir schlafen“
Ich drehte mich auf die Seite, zu ihm gewandt. „Du wirst dich wundern“ murmelte ich und schloss demonstrativ meine Augen.
„Ich dachte du würdest mich mit Fragen löchern wollen?“
Verwirrt öffnete ich meine Augen. „Du willst jetzt meine Fragen beantworten?“
Er zuckte mit den Schultern. „Besser als in der sengenden Hitze ist es allemal“
Sprachlos betrachtete ich ihn. Sein Gesicht war auf gleicher Höhe wie meines. Meine Augen folgten den markanten Linien seines Gesichts, dem Schwung seiner Nase und blieben schließlich an seinen Augen hängen. Seine Iris war Braun mit grünen sprenkeln stellte ich fest. Mich überkam das seltsame Gefühl in berühren zu müssen. Ich wollte mit meinen Fingern diese Linien nachfahren.
Ein räuspern holte mich aus meinen Gedanken. „Willst du mir nun deine Fragen stellen oder mich weiter betrachten?“ lachte er belustigt. Geschockt ließ ich meine Hand sinken, die ich schon angehoben hatte. Ich spürte wie mein Gesicht heiß wurde. Beschämt drückte ich mein Gesicht in die Kissen. Ich wusste das er alle meine Gedanken gelesen hatte.
„Nun, Raven? Wo bleiben deine Fragen?“ bohrte er wieder nach. Sein warmer Atem kitzelte mich am Ohr. Ich drehte meinen Kopf langsam und zuckte zusammen. Er hatte sich zu mir gelehnt und sein Gesicht schwebte nur mehr wenige Zentimeter über mir.
„Ich…“ begann ich.
Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Bringe ich dich aus dem Konzept?“
Ich zögerte kurz, dann sah ich ihm unverhohlen in die Augen und drehte mich unter ihm auf den Rücken. „Du träumst wohl“
Er senkte sein Gesicht noch näher an meines. Sein Atem strich nun über meine Lippen. Ich biss mir auf die Unterlippe. „Bist du dir sicher?“ Ich nickte und schenkte ihm ein Lächeln.
„Wie wäre es, wenn du mit den Fragen beginnen würdest?“ frug ich unschuldig.
Einen Moment betrachtete er meine Lippen dann ließ er sich seufzend auf den Rücken neben mir nieder. Sein Oberarm berührte meinen.
„Dann beginn eben doch ich“ seufzte ich. Ich spürte wie Remus sich wieder auf die Seite drehte. Sein Atem strich wieder warm über meine Wange. Es war wie eine sanfte Berührung. Ich schloss die Augen und stellte die erste Frage, die mir in den Sinn kam. „Warst du schon mal außerhalb der Unterwelt?“
„Nein“ knurrte Remus als Antwort.
Ich drehte mich zu ihm. „Warum nicht?“
„Die Garde der Assassinen wird nicht gern gesehen in Skyland fürchte ich“ seufzte er.
Ich kniff die Augen zusammen. „Wie sollte jemand verstehen das du nicht aus Skyland bist?“
Er griff nach dem Ärmel seines Mantels und zog ihn hoch. Auf der innen Seite seines Armes enthüllte er mir ein Tattoo. Es zeigte einen geflügelten Dolch, um dessen Griff sich Rosen rankten mit einem Banner, auf dem ein lateinischer Spruch stand.
„Vivere militare est“ las ich vor und sah ihm dann in die Augen. „Leben heißt zu kämpfen“
Er nickte zaghaft und ließ dann den Ärmel wieder über den Arm gleiten, doch ich hielt ihm auf. Ich umfasste sein Handgelenk mit meiner rechten Hand und zog seinen Arm zu mir. Ich drehte mich wieder auf den Rücken und begann die Linien des Tattoos mit meinen Fingerspitzen nachzufahren. Er zuckte kurz zusammen, dann lies er es geschehen. Meine Haut kribbelte wo ich ihn berührte.
„Kribbelt es bei dir auch?“ hauchte ich. Er nickte nur. Gedankenverloren zog ich mit meinen Fingern Kreise auf seiner Haut. „Also tragen alle Gardisten dieses Tattoo?“
„Ja“ hauchte er.
„Wann wird es gestochen?“ frug ich weiter, ohne mit der Berührung aufzuhören.
Remus räusperte sich. „Es ist eine Art Aufnahmeritual. Ich hatte meines mit achtzehn“ Seine Stimme klang heiser. Ich lies seinen Arm los und drehte mich auf die Seite. Er lies seinen Arm auf die Decke sinken. „Bei diesem Ritual schwören wir der Garde und dem König der Unterwelt ewige Treue“
„Ewige Treue? Soll das heißen… bis in den Tod?“
Er nickte langsam. „Genau. Normalerweise… wie soll ich dir das erklären? Normalerweise ist es uns Gardisten nicht erlaubt zu heiraten und Familien zu gründen“
„Das klingt… seltsam“ Ich stützte mich auf meinen Ellbogen, um ihm besser ansehen zu können. Er suchte nach Worten, das erkannte ich in seinem Gesicht. „Warum solltet ihr nicht heiraten dürfen? Ich versteh das nicht“
Er stützte sich nun ebenfalls auf seinen Ellbogen. „Unsere Missionen sind sehr gefährlich“
„Das Ganze Leben ist gefährlich“ antwortete ich nüchtern. Skeptisch zog ich eine Augenbraue hoch. „Und was heißt ‚normalerweise‘? Gibt es eine Ausnahme?“
Einen Moment sah er mir unruhig in die Augen. Dann räusperte er sich. „Ja gibt es“
Ich setzte mich blitzschnell auf. „Was willst du damit sagen?“
Remus fuhr sich nervös mit den Händen durch seine dunklen Locken. Ich las in seinem Gesicht die Anspannung. Dann plötzlich sprang er auf die Beine und hielt mir seine Hand hin. „Ich zeig es dir“
Verwirrt nahm ich seine Hand und er zog mich auf die Beine. „Was genau willst du mir zeigen?“ Er zog mich wortlos mit sich aus dem Schatten des Zeltes in die sengende Nachmittagshitze. Geblendet von der Sonne lies ich mich von ihm führen.
„Was willst du mir zeigen?“
„Nichts Schlimmes“ beruhigte er mich. Plötzlich blieb er stehen. Blinzelnd sah ich mich um. Wir waren nur wenige Meter von den Zelten entfernt. Vor uns erstreckte sich die schier endlose weite der Steppe. Sand, Stein und Dürre soweit das Auge reichte, gebrochen von den Canyons. Unser Lager hatten wir in einem der Canyons aufgeschlagen. Ein warmer Windzug streifte meine Haare und blies sie mir ins Gesicht. Ein Lächeln umspielte Remus Mund und er hob seinen Arm. Als er die Haare aus meinem Gesicht wischte, streiften seine Finger zärtlich meine Wange. Die Berührung war nur kurz und doch kribbelte meine Haut.
„Pass gut auf“ flüsterte er und schenkte mir ein Lächeln bevor er sich zu der Weite drehte und laut Pfiff. Für einen Moment war es still, nur der Wind, der durch den Canyon wehte, durchbrach die Stille. Dann, nach einigen Minuten die wir stillschweigend in der prahlen Sonne standen und mir der Schweiß in Bächen über den Rücken lief so das meine Kleidung an meiner Haut klebte, hörte ich es. Erschrocken wandte ich mich zu Remus. Doch der Lächelte nur während das Geräusch lauter wurde.
Ein hoher spitzer Ruf durchdrang die Stille das mein Blut gefrieren lies. Das Rascheln wurde lauter. Ich hob meinen Kopf und sah wie am Himmel ein schwarzer Punkt immer näherkam. Der Punkt wurde immer größer und größer je näher das Geräusch kam. Der Vogel stieß einen weiteren markerschütternden Schrei aus, der mein Herz schneller schlagen ließ, dann drehte er sich in der Luft und hielt auf uns zu. Wenige Meter vor Remus landete der Greifvogel schließlich auf einem Felsen. Das braune Gefieder des Adlers schillerte in der Mittagssonne. Remus trat vor und begrüßte das Tier. Ich beobachtete wie der Adler seinen Kopf in Remus Hand legte und genüsslich seine riesigen Schwingen spreizte.
Remus drehte sich wieder zu mir während er immer noch den Kopf des Adlers kraulte. „Das ist Ajax“ erklärte er an mich gewandt. Der Adler öffnete die Augen und gab einen zufriedenen Laut von sich. „Er ist mein Seelentier“
„Ein Seelentier? Was bedeutet das?“ wollte ich verwirrt wissen. Ich hatte noch nie davon gehört.
Remus lächelte. „Jetzt komm schon her. Er wird dir nichts tun“
„Bist du dir sicher?“ Ich beäugte ängstlich den rasiermesserscharfen Schnabel. Die honigbraunen Augen des Tieres lagen neugierig auf mir. Zaghaft trat ich näher. Das Tier spreizte seine Flügel und ich schreckte zurück.
„Er wird dir nichts tun. Komm zu mir“ lachte Remus und streckte mir seine Hand hin. Verschreckt nahm ich seine Hand und lies mich von ihm näher ziehen bis ich an seine Brust gelehnt vor dem großen Steinadler stand. Mein Herz schlug schmerzhaft schnell in meiner Brust. Adrenalin schoss durch meinen Körper und rauschte in meinen Ohren. Remus Atem kitzelte an meinem Ohr als er mir ins Ohr flüsterte: „Vertrau mir“
Ich spürte wie sich seine Hand um meine schloss und ich lies es geschehen. Langsam hob er meine Hand und führte sie zu Ajax. Der Adler legte misstrauisch den Kopf zur Seite als meine Hand zusammen, mit der seines Gebieters vor seinem Schnabel schwebte. Kurz schnupperte er an meiner Hand und dann lies er es zu das ich sein Gefieder berührte. So wie bei Remus schloss er die Augen und meine Haut glitt über sein weiches Gefieder.
„Ein Seelentier ist eine Art Seelenverwandter nur halt in Form eines Tieres“ erklärte mir Remus leise. Ich drehte meinen Kopf, um ihn anzusehen.
„Warum warst du dir sicher das er mir nichts tut?“
„Die Menschen, die ich mag, mag er auch“ sagte er Schulterzuckend. Doch ich spürte das mehr dahintersteckte. Ich wandte mich wieder zu dem Adler und da fielen mir die Worte von Rayder ein. „In der Prophezeiung war die Rede von einem Adler“ stellte ich fest. Ich drehte mich wieder in Remus Armen, um sein Gesicht zu sehen. Seine Augen hatten sich verdunkelt. Er schluckte schwer und lies meinen Arm sinken, den er vorher gehalten hatte. „Du bist der Adler. Habe ich recht?“
Der Adler spreizte hinter mir seine Schwingen und flog davon. In Remus Gesicht erkannte ich das er dem Beispiel seines Seelengefährten gerne gefolgt wäre. Schließlich fuhr er sich mit der Hand durch sein nun schweißnasses Haar und nickte kurz. „Was genau steht in dieser Prophezeiung, Remus?“
Er schüttelte verzweifelt den Kopf. „Vieles aber nicht alles muss zutreffen. Vergiss nicht, dass wir immer noch unseren eigenen Willen haben. Aber eines solltest du wissen: Ich mag dich wirklich sehr gerne“
Ich senkte den Blick. „Ich mag dich auch“ flüsterte ich.