Mein Herz trommelte in meiner Brust. Geschockt starrte ich auf das dicke Seil mit dem die schwere Flügeltür verschlossen war. Mein Bogen lag mir auf einmal tonnenschwer in der Hand.
„Das ist unmöglich, Tristan. Das schafft niemand,“ ertönte Taylor’s Stimme an meiner linken Seite.
„Raven schafft das,“ erwiderte dieser unbeeindruckt.
„Raven ist mit Abstand die Beste Bogenschützin in Skyland aber auch sie schafft das nicht. Der Abstand ist zu groß. Sie müsste hinunter zum Ende der Treppe gehen um das Seil zu treffen.“
„Willst du mein Urteilsvermögen in Zweifel ziehen?“ fauchte Tristan nun verärgert.
„Von dieser Entfernung ist es unmöglich zu treffen. Das müsstest du auch verstehen,“ zischte Taylor bedrohlich und trat mit glühenden Augen auf ihn zu.
Tristan blickte nachdenklich zur Tür. Ich konnte förmlich sehen wie es in seinem Kopf arbeitete. Nach wenigen Minuten drehte er sich geschlagen zu Taylor. „Na gut. Du hast recht. Was schlägst du vor?“
Taylor’s Blick wanderte konzentriert zur Flügeltür. „Magnus.“ Murmelte er.
Tristan verzog verwundert das Gesicht. „Magnus? Du nennst die Tür Magnus?“
Taylor verdrehte genervt die Augen und wandte sich zu Tristan. „Nein. Magnus kann die Tür öffnen.“
Verblüfft sahen Tristan und ich ihn an. „Aber du hast doch gerade gesagt, dass es mit dem Bogen nicht funktioniert? Warum soll es dann bei Magnus funktionieren?“ sprudelte es aus mir hervor.
„Ich meine auch nicht mit dem Bogen.“
Verdutzt zog Tristan seine Augenbrauen hoch. „Mit was soll Magnus den dann die Tür öffnen? Mit bloßer Gedankenkraft?“
„Magnus ist der beste Messerwerfer des Internats.“ stellte Taylor nur fest.
Minuten vergingen in denen niemand von uns etwas sagte.
„Was soll das hier werden? Ich will euch ja nicht drängen aber wir haben nur noch eine knappe Stunde um dieses Loch wieder zu verlassen.“ ertönte Magnus Stimme über uns.
„Plan Änderung. Magnus hol deine Messer,“ erwiderte Tristan ungerührt und stieg geschwind die Treppe hoch ohne den verblüfften Magnus anzusehen.
„Was...?“ begann dieser zu fragen doch Tristan schnitt ihm das Wort ab.
„Mach es einfach. Ich erkläre dir gleich warum,“ rief ihm Tristan entgegen ohne seinen Einwurf zu beachten. Schmollend trottete Magnus davon. Ich wandte mich zu Taylor.
„Glaubst du das er es schafft? Ist die Distanz nicht auch zum Messerwerfen zu groß?“
Taylor betrachtete mich nachdenklich.
„Hast du etwa Angst um diesen Idioten?“
„Nein. Ich… Du verstehst das Falsch,“ wehrte ich schnell ab. Ich spürte wie Hitze in meine Wangen stieg.
Auf Taylors Gesicht breitete sich ein Grinsen aus. „Keine Angst. Magnus ist ein Großer Junge. Der schafft das schon. Zur Not sind ja wir hier.“
„Du… Du bist ein Idiot, Taylor. Ich will das keinem von uns etwas passiert. Mein Ziel ist es alle unversehrt aus dieser Stadt herauszubekommen. Dieser Plan scheint mir aber ein wenig Waghalsig. Was ist, wenn diese Viecher statt auf die Schweine auf Magnus Appetit haben? Hast du auch an das Gedacht?“ schrie ich ihm wutentbrannt entgegen.
„Jetzt beruhigt dich doch erst mal. Natürlich habe ich daran gedacht. Um ehrlich zu sein, ich befürchte das diese Viecher mehr Appetit auf fließendes Blut haben und Tristan sich verschätzt.“
„Und warum sagst du das erst jetzt? Soll mich das etwa beruhigen? Wir sitzen hier in der Falle und lassen diese Viecher auch noch herein,“ fauchte ich verängstigt. Taylor zog mich wortlos in seine Arme. Verärgert wehrte ich mich dagegen doch Taylor verstärkte nur den Griff.
„Jetzt hör doch mal auf dich zu wehren und hör mir einfachmal zu.“
Ich hörte auf ihn zu boxen und sah ihm abwartend an.
„Gut. Raven was habe ich dir heute bei unserem Stell-dich-ein in der Besenkammer versprochen?“
„Wag es ja nicht das als Stell-dich-ein zu bezeichnen, Taylor. Du hast mich quasi entführt und wir haben nur gesprochen. Es ist nichts passiert,“ stellte ich aus Angst es hätte einer von den anderen gehört schnell klar.
Ich sah mich kurz um. Magnus stand mit seinen Messern in den Händen vor Tristan und lauschte dessen Erklärung mit gerunzelter Stirn. Dieser sprach mit Händen und Füßen auf Magnus ein. Andrew entzündete gerade das Feuer an dem wir die Stofffetzen der Pfeile entzünden werden.
Niemand hatte bis jetzt mich und Taylor bemerkt.
„Wovor hast du Angst, Raven? Interessiert dich wirklich was die anderen denken?“ riss mich Taylors Stimme aus meinen Grübeleien.
„Ich bin die Tochter des höchsten Erzengels. Meine Taten bleiben nie unbeachtet,“ murmelte ich ausweichend.
„Du hast meine Frage nicht beantwortet.“ Ich spürte wie sein Blick an mir haftete. Hitze stieg in mir hoch. Wovor hatte ich Angst? Interessierte mich was die anderen dachten? Ich wusste es nicht.
„Ich weiß es nicht,“ hauchte ich schließlich beschämt.
„Was weißt du nicht?“
„Die Antwort auf deine Frage.“
Taylor begann zu lachen. „Du bist ein sehr widersprüchliches Wesen, Raven.“
„Das weiß ich,“ erwiderte ich kichernd und hob meinen Kopf. Meine Bernsteinfarbenen Augen trafen auf seine dunkelbraunen die leuchteten. Eines wusste ich bestimmt: Ich fühlte mich wohl bei Taylor. Genau das machte mir unglaubliche Angst. War das Liebe?
„Nun? Erinnerst du dich was ich dir versprochen habe?“
„Das du mich nie in Gefahr bringen würdest,“ antwortete ich ihm ohne Umschweife. Ich konnte mich an jedes Wort unserer kleinen Unterredung erinnern. Oh Gott, Haven und der Brief! Was wohl Haven mit dem Brief machte? dachte ich beschämt.
„Das meinte ich ernst, Raven. Ich würde dich nie in Gefahr bringen.“
„Wir sind schon in Gefahr, Taylor,“ murmelte ich. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Er beugte sich näher zu mir und flüsterte in mein Ohr:
„Stimmt. Aber ich habe mein Versprechen trotzdem gehalten: Ich habe dich nicht hierhergebracht,“ sanft streiften seine Lippen meine Wange. Unwillkürlich schloss ich meine Augen und genoss das Gefühl. Der süße Duft von Flieder umhüllte mich und benebelte meine Sinne.
„Taylor,“ seufzte ich leise.
Ein beben ging durch seinen Körper und ich spürte wie er an meiner Wange grinste.
„Raven?“ gluckste er während seine Lippen zu meinen Hals weiterwanderten. Was für ein himmlisches Gefühl! dachte ich mir. Nein, Raven. Wach auf!
Ich kratzte meine letzte Selbstbeherrschung zusammen und schob ihn mit aller Kraft von mir.
„Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Tay.“
„Stimmt. Verschieben wir es auf später wenn wir wieder hier raus sind. Wie wäre es wieder in der Besenkammer? Die war doch recht kuschelig?“ witzelte er mit einem fetten Grinsen im Gesicht. Ich verdrehte die Augen.
„Also um ehrlich zu sein kann ich mir hübschere Orte für ein Date vorstellen als eine Besenkammer.“
„Wer spricht von einem Date, Raven? Ich dachte wir machen da weiter wo wir gerade aufgehört haben,“ neckte mich Taylor. Spöttisch zog ich die Augenbrauen hoch. Mir kam eine Idee.
„Das muss ich mir erst gut überlegen. Wenn du einen Weg findest uns hier rauszuholen ohne einen von uns an diese Höllenviecher zu verfüttern, könnte ich mich dazu überreden lassen,“ bemerkte ich und zwinkerte ihm zu.
Taylor sprang sofort darauf an. „Ich muss dir also erst beweisen wozu ich fähig bin.“
„Ohne Leistung keine Belohnung, Taylor. Hol uns hier raus und du bekommst den höchsten Preis den es gibt: Mich. Für eine Nacht,“ stellte ich ohne Umschweifen klar.
Einen kurzen Augenblick überlegte er.
„Und wenn ich mehr will?“
„Ich versteh nicht?“
„Was ist, wenn ich mehr als eine Nacht will?“ flüsterte Taylor.
„Was solltest du mehr wollen? Das ist es doch was dich an mir reizt: Du willst mich,“ stotterte ich erschrocken.
Taylor stöhnte genervt auf. „Verwechselst du mich vielleicht gerade mit jemanden?“
Meine Augen wanderten wie von selbst in die Richtung in der ich wusste das Magnus stand und sich auf seine Aufgabe vorbereitete. Es schien als würden er und Tristan nur noch die Einzelheiten klären. Als er bemerkte das ich ihn beobachtete hob er seinen Kopf und sah mir direkt in die Augen. Sein Blick verdunkelte sich als er Taylor bei mir sah. Er schob den entgeisterten Tristan beiseite und steuerte geradewegs auf uns zu.
„Wenn es nicht das ist was du willst, was willst du dann?“ fuhr ich schnell Taylor entnervt an.
„Das du mit mir abhaust,“ antwortete er mir schnell. „Raven, verlass mit mir Skyland.“
„Was? Warum sollte ich das tun?“
„Raven, ich… das ist schwer zu erklären. Tu es einfach.“ Er suchte verzweifelt nach Worten. Ich hörte wie Magnus näher kam. „Versprich es mir: Wenn ich uns hier raushole dann hau mit mir ab.“ Setzte er schnell und nachdrücklich hinzu als Magnus nur noch wenige Schritte von uns entfernt war.
„Ich verspreche es,“ sagte ich ohne nachzudenken was ich da sagte. Zufrieden trat er einen Schritt zurück als der vor wutkochende Magnus fluchend vor uns stehen blieb.
„Was zur stinkenden Hölle macht ihr hier? Findet ihr das, dass hier der perfekte Zeitpunkt zum Plaudern ist? Wir haben nur noch eine halbe Stunde Zeit um dieses verdammte Tor zu öffnen,“ schrie er uns entgegen. Sein Kopf war zorngerötet und auf seiner Stirn trat eine pulsierende blaue Ader hervor.
„Nein, wir… Das ist nicht so wie du denkst, Magnus,“ versuchte ich ihn stotternd zu beschwichtigen.
„Raven hat nur ein Bedenken geäußert, Magnus. Kein Grund zur Eifersucht,“ warf Taylor salopp ein während ihn Magnus mit seinen Blicken förmlich tötete. Hitze stieg mir ins Gesicht. Was sollte ich nun darauf antworten?
„Und was wäre das für ein Bedenken, Raven?“ drang Tristans Stimme hinter Magnus zu uns. Dieser Trat einen Schritt auf die Seite und lies seinen Freund zu uns herantreten. Tristan betrachtete unseren Kreis mit gerunzelter Stirn. Ich wusste sofort das er Taylor kein Wort glaubte. Sein Blick wanderte von Taylor zu mir. „Ich höre, Prinzessin.“
Jetzt musst du dir schnell was einfallen lassen! dachte ich und öffnete den Mund. „Ähm.“
„Sie glaubt das Luzifers Höllenhunde lieber lebendes Fleisch bevorzugen als Tiefkühlschwein,“ rettete mich Taylor aus meiner Einfallslosigkeit.
Tristan hob verblüfft eine Augenbraue. „Raven hat also diese Bedenken, ja?“ fragte er Taylor bissig.
Taylor nickte nur lässig und hielt dem prüfenden Blick von Tristan stand.
„Warum hat dann Raven ihre Bedenken nicht selbst geäußert? Sie hatte doch die ganze letzte Stunde Zeit es mir zu sagen. Warum also hat sie nie etwas in diese Richtung gesagt?“ fuhr er mit Monotoner Stimme fort und wandte seine Aufmerksamkeit wieder zu mir. „Warum also, Raven, höre ich diese Bedenken, die angeblich von dir kommen, aus seinem Lästermund und nicht aus deinem?“
„Ich…“ begann ich wieder stotternd und spürte wie die Hitze in mir hochstieg. Komm schon Raven. Sonst bist du doch auch nicht auf dem Mund gefallen. Warum also bei Tristan? dachte ich während ich spürte wie sich die Hitze in meinen Wangen ausbreitete.
„Siehst du nicht, dass sie Angst hat?“ knurrte Taylor mit zusammengebissenen Zähnen.
„Ich bin nicht blind. Was ich nicht verstehe ist warum. Warum hat sie Angst und vor mir?“ zischte Tristan bedrohlich. Niemand sagte ein Wort während sich die beiden zornig anfunkelten.
„Hört auf. Alle beide,“ brach es aus mir hervor als ich die Stille nicht mehr aushielt. Die drei Männer sahen erschrocken zu mir.
„Raven…“ begann Tristan verlegen, doch ich hob abwehrend meine Hand.
„Nein, Tristan. Ich habe die Nase voll von euren Streitereien. Was Taylor sagt ist zum Teil die Wahrheit. Er hat einen Schwachpunkt in unserem Plan entdeckt und ich bin seiner Meinung: Die Höllenhunde werden nicht sehr begeistert von den Tiefkühlschweinen sein. Die Frage ist wie wir jetzt auf die Schnelle unseren Plan ändern?“ fasste ich meine Bedenken zusammen.
„In dem wir die Möbel sofort in Brand setzen,“ stellte Magnus fest.
Ich überlege kurz und nickte dann. „Das ist die beste Lösung. Sie sind Nachtaktiv also sehen sie bei Licht nichts. Wir führen sie in die Irre,“ beendete ich laut meine Gedanken und nahm nur nebenbei war wie mir alle stumm zustimmten.