Mentale Stärke ist eine Fähigkeit die ein Krieger bei seiner Ausbildung lernt. Es ist wichtig das Wohl Anderer über sein eigenes zu stellen. Gefühle hatten in einem Kampf nichts verloren. Nun war nicht der Zeitpunkt daran zu denken das ich gleich ein Leben auslöschte. Wir mussten hier raus. Meine Mitstreiter zählten auf mich.
Also stellte ich meine Gefühle aus. Dachte an nichts außer mein Ziel. Ich atmete ruhig ein und aus während ich mein Ziel anvisierte: Den Bogen aufs äußerste gespannt. Der Pfeil ruhte ruhig an der Sehne. So hockte ich in meiner dunklen Ecke und blendete alles um mir aus.
Der Rauch, der inzwischen den stickigen Raum füllte als das Feuer auf feuchtes Holz traf, kratzte in meinem Hals. Doch ich zwang mich weiterhin ruhig ein und aus zu atmen.
Ich wusste instinktiv das Magnus in seiner Ecke am anderen Ende des Raumes dasselbe machte. Ziel anvisieren. Umgebung ausblenden. Wachsam bleiben.
Ahnungslos fraßen die Hunde unter uns. Ich beobachtete beeindruckt und zum Teil angewidert wie präzise die Hunde das Fleisch von den Knochen der Kadaver nagten. Mit seiner Pfote hielt mein Zielobjekt das Schwein an Ort und Stelle. Die Klauen im Fleisch vergraben. Mit seinen rasiermesserscharfen Zähnen zog und zehrte er das Fleisch von den Knochen ohne etwas davon übrig zu lassen. Die Knochen lagen schneeweiß und blank vor ihm. Seine pelzige Schnauze glänzte von dem frischen Blut seines Mahles.
Übelkeit stieg in mir hoch. Ich kämpfte sie hinunter. Denke an nichts, Raven! Das ist nur eine Simulation! Sagte ich mir im Geiste. Immer und Immer wieder.
Aber das war keine Simulation. Es war Wirklichkeit. Es passierte alles wirklich in diesem Moment. Diese Tiere die unter mir seelenruhig fraßen waren real. Und sie waren gefährlich.
Ich schloss meine Augen um mich zu beruhigen. Ich spürte die Ungeduld der anderen förmlich. Mein Schuss würde der Erste sein. Ich musste sie aufsprengen. Dann würde Magnus erst eingreifen.
Alle Drei sollten erledigt werden. Eine Sache bei der ich kein gutes Gefühl hatte.
Ich öffnete meine Augen. Mein Ziel hatte sich gedreht. Ich hatte endlich freie Sicht auf den linken Rippenbogen. Ich bewegte mich einige Millimeter damit mein Pfeil sein Ziel traf: Das Herz des Tieres.
Mit pochendem Herzen ließ ich die Sehne bei meinem nächsten Atemzug los. Adrenalin schoss durch meine Adern und ließ mein Herz noch schneller Schlagen während die Luft meine Lunge verlies. Die Vibration des Rückschlags der Sehne lies jede Zelle meines Körpers singen. Das leise Schwirren dröhnte in meinen Ohren. Ich griff nach dem nächsten Pfeil aus meinem Köcher während der erste surrend auf sein Ziel zu raste und dann schließlich lautlos traf.
Ich hörte das erschrockene Keuchen meines Opfers. Er winselte und taumelte ein Stück. Mit angehaltenem Atem und zittrigen Händen beobachtete ich wie das Licht in seinen schwarzen Augen erlosch. Sein Brustkorb viel ein als er seinen letzten Atemzug machte. Leblos fiel das Tier in das erlöschende Feuer. Erschrocken winselten die anderen beiden auf und liefen zu ihrem toten Kumpel.
Beruhigt atmete ich auf und legte den nächsten Pfeil schnell an die Sehne. Ich sah wie Magnus Pfeil den nächsten Hund traf und dieser nun ebenfalls zusammensackte. Sein Kamerad jaulte schmerzvoll auf. Seine Augen waren schwarz vor Trauer.
Wütend witterte er nach seinen Gegnern. Ein grollendes Knurren verlies seine Kehle. Sein struppiges Fell stand in alle Richtungen. Bedächtig sprang er mit einem Satz vom höchsten Punkt des Scheiterhaufens. Ein dumpfer Knall ertönte als seine Pranken am Boden aufschlugen. Seine Schnauze glänzte noch vom Blut des Schweines. Bedrohlich fletschte er seine Zähne.
Das Geräusch ging mir durch Mark und Bein. Meine Hände zitterten am Bogen.
„Beruhige dich, Raven,“ flüsterte Taylor der neben mir im Dunkeln hockte.
Ich schluckte und schloss für einen Moment die Augen. Ein surren durchbrach die Nacht. Ich riss die Augen auf. Der Höllenhund sprang herum. Magnus Pfeil streifte den Hund an der Hüfte und drang in das Holz des Geländers.
Mein Herz blieb stehen als ich bemerkte wie der Hund den Kopf drehte, unverwandt den Pfeil betrachtete und dann in die Richtung starrte in der ich wusste das Magnus und Andrew saßen.
Ein Knurren dröhnte durch die Halle. Es war eine Drohung. Er wollte Rache. Für die Leben die wir genommen hatten. Ich schluckte schwer.
„Nein,“ keuchte ich lautlos und wollte mich aufrichten. Eine starke Hand packte mich an der Schulter und verhinderte das ich meine Deckung verlies.
„Nicht. Bleib gefälligst unten. Willst du uns umbringen?“ flüsterte mir Taylor ins Ohr. Beschämt ging ich wieder in die Hocke. Taylor lockerte seinen Griff an meiner Schulter. „Wir dürfen jetzt nicht kopflos reagieren sonst sind wir leichte Beute. Schau: Magnus ist vorbereitet.“ Mit der rechten Hand zeigte er über meine Schulter auf die andere Seite.
Ich folgte seinem Blick. Kurz blitzte etwas Metallenes auf. „Sein Schwert,“ murmelte ich. Erleichtert ließ ich mich an Taylors Brust sinken.
„Na los, komm mit. Helfen wir ihnen,“ knurrte Taylor und erhob sich halb aus seiner Position. Geduckt schlich er sich lautlos im Schatten des Geländers entlang. Unter ihm sah ich wie der Hund schwerfällig die Stufen hochlief. Seine schweren Pfoten trommelten über den schmutzigen roten Teppich der Treppen.
Ich lies mich auf und machte es Taylor nach. Vorsichtig schlichen wir uns geduckt näher zum Treppenabsatz wo der Höllenhund gerade die letzte Stufe erklomm und sich nach rechts wandte.
Ich sah wie Taylor kurz zögerte und durch das Gelände schaute. Das Knurren des Hundes vibrierte in meiner Brust.
Ich hörte ein zischen als der erste Pfeil durch die Luft flog und der Hund aufjaulte. Schnell warf ich einen Blick auf die andere Seite. Es war nur ein streif Schuss. Blut tropfte aus der Wunde an der Flanke des Hundes auf den Teppichboden. Magnus Gesicht war verzehrt vor Anspannung. Tristan zog einen seiner Dolche und warf ihn, doch der Hund wich flink aus. Der Dolch blieb in der Mauer stecken. Andrew stand wie versteinert hinter den beiden.
„Wir müssen ihnen helfen,“ drang Taylors leise Stimme an mein Ohr.
„Der Hund steht im falschen Winkel. So treffe ich ihn nie,“ gab ich verbittert zu. „Der Hund müsste sich drehen damit ich ihn besser anvisieren könnte.“
„Wir müssen ihn ablenken,“ murmelte Taylor. Sein Blick wanderte durch den Raum. Es sah aus als würde er etwas suchen. Plötzlich blieb sein Blick an etwas hängen. „Das ist es. Bum.“
„Wovon redest du?“ perplex starrte ich ihn an.
„Von einer Explosion,“ erklärte er mir und grinste verschmitzt.
Mein Mund klappte erschrocken auf. „Du willst uns in die Luft sprengen? Bist du verrückt?“
„Nein. Ich will nur Krach machen. Vertrau mir einfach und mach dich bereit. Du musst ihn treffen. Wir haben nur diese einzige Chance, Raven. Sonst sind wir verloren,“ Taylor legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. „Das ist die einzige Möglichkeit.“
„Was hast du vor?“ fragte ich ihn beunruhigt und hielt ihm am Arm fest. Unsere Blicke trafen sich. In seinen Augen blitzte der Schalk auf.
„Ich werde die letzte Flasche Benzin in das Feuer werfen,“ stellte er stolz fest.
Mein Mund klappte auf. „Du spinnst doch. Willst du uns umbringen?“
„Nein, Raven. Ich möchte den anderen das Leben retten. Also wenn du mich jetzt entschuldigst, ich muss eine Explosion in die Wege leiten.“ Mit diesen Worten riss er sich von mir los und eilte geduckt zum Treppenende. Immer verborgen im Schatten, sah ich zu wie er beinahe Lautlos über die Treppe hinuntereilte. Seine Umrisse verschwammen vor meinen Augen, wirkten Unscharf und verwischt wie Wasserfarben auf einer Leinwand. Ich schloss meine Augen und schüttelte den Kopf den ich dachte, etwas würde mit meinen Augen nicht stimmen. Ich öffnete sie wieder und sah zu Taylor hinunter. Verwirrt stellte ich fest, dass er immer noch schwer zu lokalisieren war. Es war anstrengend ihn zu betrachten. Mein Blick schweifte immer wieder weg als würde er verrutschen.
So schafft er es unbemerkt an jeden ran zu schleichen! Stellte ich beeindruckt fest. Wie hatte Jaxson mir erklärt? Taylor habe eine Gabe in einem Raum vollkommen zu verschwinden. Das stimmte wie ich gerade feststellte. Mein Blick viel auf die andere Seite zu dem Hund. Niemand hatte Taylor bemerkt. Beruhigt sah ich wieder runter. Doch Taylor war verschwunden. Schon wieder. Das Licht flackerte an gewissen Bereichen des Raumes leicht.
Angespannt nahm ich meinen Bogen in die linke Hand und zog mit der rechten einen Pfeil aus dem Köcher. Um mich zu beruhigen und meinen Herzschlag zu regulieren, fuhr ich mit der Hand zwei Mal über den Schaft entlang über die Befiederung am Ende des Pfeiles. Als mein Herz nicht mehr drohte aus meiner Brust zu springen, legte ich den Pfeil an den Mittelteil des Bogens und zog mit meinem rechten Arm die Sehne zurück.
Es war immer wieder interessant wie ruhig ich werden konnte sobald ich einen Bogen in der Hand hatte, wie sich meine Atmung und mein Herzschlag verlangsamte sobald ich durch das Bogenfenster mein Ziel anvisierte. Nichts brachte mich dann aus der Ruhe. Dies war meine Stärke.
Ich richtete mich ein wenig auf, visierte mein Ziel an und wartete auf den Knall.
Der Hund hatte Magnus, Tristan und Andrew inzwischen in die Enge getrieben. Alle drei wiesen Kratzer auf, doch bis jetzt war niemand ernsthaft verletzt. Sie hielten den Hund mit Schwertern in Schach.
Nun hieß es warten.
Ein Zischen ging durch den Raum, als eine Glasflasche mit flüssigem schwarzem Inhalt in der Mitte der Flammen landete. Der Hund fuhr herum und spähte durch das Geländer hinunter. Ein Zischen und knacken hallte durch den Eingangsbereich. Das Glas drohte zu zerspringen. Die Dunklen Augen des Hundes wanderten aufmerksam durch den Raum unter uns, auf der Suche nach einer Bewegung. Angespannt versuchte ich keinen Muskel zu bewegen um seine Aufmerksamkeit nicht auf mich zu ziehen.
Regungslos wie eine Statue verharrte ich in meiner Position. Ich spürte jeden einzelnen Muskel in meinen Beinen. Ein weiteres knacken drang an meine Ohren. Bald war es so weit. Ein zischen ertönte als das Benzin auf das Feuer traf.
Panik breitete sich in den dunklen Augen des Hundes aus als er verstand was hier vor sich geht. Verängstigt trat er einen Schritt zurück.
In diesem Moment warf sich Tristan mit einem Dolch in der Hand nach vorne. Mit aller Kraft rammte er ihn in die rechte vordere Flanke des Tiers. Wütend heulte der Hund auf und stellte sich auf seine Hinterpfoten.
Wie in Zeitlupe spielte sich das weiter Szenario vor meinen Augen ab: Der Hund hob seine schwere Pranke um damit nach Tristan auszuholen. An mein Ohr drang wie aus weiter Ferne ein Schrei. Magnus warf sich vor seinen Freund um ihn wegzustoßen. Die Krallen des Hundes trafen auf Fleisch. Rotes Blut lief über die Pfote und tränkte das Fell des Ungeheuers. Ein Knall drang an mein Ohr und lies die Wände wackeln. Hitze stieg hoch. Flammen füllten den Raum zwischen mir und dem Monster das immer noch auf den Hinterbeinen stand und mich nun unverwandt musterte. Einen kurzen Moment trafen meine Augen auf seine. Es schien als würde er um seinen Tot bitten. Dann legte sich eine warme Hand auf meine Schulter und meine Hand ließ die Sehne des Bogens los. „Es tut mir leid,“ flüsterte ich und zwinkerte die Tränen aus meinen Augen. Rotes Blut floss aus der Wunde des Tieres. Es schwankte einen Moment, dann krachte es zu Boden. Ein weiterer Knall ertönte und Flammen versperrten mir die Sicht.
„Raven. Es geht um Magnus. Los wir müssen hinüber,“ drang Taylors Stimme an mein Ohr. Ich spürte wie seine Hand sich um meine schloss. „Magnus ist verletzt. Komm schon.“
Langsam drangen seine Worte in mich. Magnus! Er ist verletzt! Er braucht meine Hilfe! Verstört schüttelte ich mein betäubtes Haupt und setzte mich in Bewegung.
An der Leiche des Hundes angekommen sah ich wie Tristan und Andrew am Boden kauerten. Taylor kletterte vor mir über die Hinterläufe des Köters und hielt mir einen Arm hin. Dankend nahm ich seine Hilfe an. Auf der anderen Seite breitete sich ein Bild des Schreckens vor mir aus: Im Schatten des Hundes lag Magnus, Blutverschmiert und Kalkweiß im Gesicht. Sein Atem ging stockend und Tristan hielt ein blutgetränktes Tuch auf die Seite gepresst.
Langsam setzten sich die Bilder aus meiner Erinnerung zusammen: Magnus der sich vor Tristan stellte als der Hund seine Pranke hob und ausholte.
„Nein,“ keuchte ich und lies mich neben Tristan auf den Boden sinken. Er war blass und seine Arme zitterten. „Wir müssen ihn schnellstens in Institut zurückbringen,“ murmelte ich. „Und zwar so schnell wie möglich“
Schneeweiße Gesichter sahen sich skeptisch an. Sie hatten ihn schon aufgegeben. Aber ich nicht.
„Du schaffst das. Du musst es schaffen, Magnus.“ Murmelte ich. Doch wie?