Vor kurzem begann ich die Netflix Serie «Black Mirror» zu schauen. Der Teil Nosedive (Abgestürzt) gefiel mir besonders gut. Ich hätte mir gewünscht, noch etwas mehr über die Figuren zu erfahren, die darin vorkamen, als es in diesem kurzen Film möglich war. So beschloss ich einfach eine Fanfiction von dieser Serie, vor allem von diesem Teil zu schreiben. Ich finde, dass eine Welt, die nur noch auf digitalem Voting- Wahn basiert , eine interessante Ausgangslage ist, weil so viel Stoff, für so viele Geschichten darin enthalten sind.
Lacie
Die 30 jährige Lacie Pound, lebte in einem der vielen, rosa gestrichenen Reihenhäuschen, in einer der vielen, blitzblank polierten Gassen, mit den pastellfarbenen Bänken und liebevoll gepflegten, Rabatten. Eine eher unbedeutende Gasse war es zwar. Aber Lacie wusste, dass sie irgendwann von hier wegziehen würde. Sie liebäugelte schon länger mit einer der luxuriösen Behausungen, im prominenten Pelican Cove Quartier. Noch reichte ihr Geld dafür nicht ganz. Ein höherer Beliebtheits- Score, hätte ihr dabei gute Dienste geleistet. Sie war mit ihrer 4.2 bereits auf einem guten Weg , all das zu erreichen, was sie sich jemals gewünscht hatte. Sie gab sich schon, seit ihren Teenagerjahren, grosse Mühe, ihren gesellschaftlichen Status zu verbessern. Sie übte täglich vor dem Spiegel das perfekte Lachen, welches die Herzen der anderen Leute erweichen sollte, ihr möglichst 5, von 5 Sternen zu geben. Sie war mit allen freundlich und ihre süsse, einschmeichelnde Stimme, hatte sie schon weit gebracht (wenn auch noch nicht weit genug) Sie trainierte jeden Tag, um ihre überschüssigen 30 Pfunde, endlich loszuwerden (mal mehr, mal minder erfolgreich), denn auch gutes Aussehen, trug stets sehr zum allgemeinen Erfolg bei.
Das war sehr wichtig, für Lacie, denn seitdem jeder, alles von jedem wusste und es zur Gewohnheit geworden war, einander zu jeder Stunde des Tages, digital zu bewerten, musste man für den eigenen Erfolg, noch viel mehr arbeiten und durfte sich kaum, bis gar keinen Ausrutscher, ob in emotionaler, oder gesellschaftlicher Hinsicht, leisten.
Lacie eiferte mit Leib und Seele der erfolgreichen Naomi/Nene Blestow nach, die mit ihren 4,8 wahrlich alles erreicht zu haben schien, was Lacie sich so sehnlichst wünschte. Nene hatte ein wundervolles Haus, einen Mann der perfekt zu ihr zu passen schien, einen tollen Beruf, ein tolles Leben und eine tolle Figur. Ausserdem war sie bei vielen Leuten sehr beliebt . Auch bei Leuten die über 4.8 und noch höher in der Beliebtheitsskala waren (auch wenn es bei einigen schleierhaft erschien, wie sie so weit gekommen waren).
Immer wieder nahm Lacie ihr rosafarbenes Handy und schaute, was für Bewertungen sie im Laufe des Tages erhielt, oder erhalten hatte und beobachtete auch immer genauestens was Naomi alles machte, um ihre Popularität zu verbessern und mit welchen Freunden sie abhing. Das war tatsächlich eine illustre Gesellschaft.
Die Welt war zu einem Ort geworden, wo die Meinung, welche andere von einem hatten, sich massgeblich auf das eigene Leben auswirken konnte. Denn einige Extraleistungen, waren oft erst ab einem gewissen Beliebtheits- Score zugänglich. Wenn man durch einen Fehltritt (der oft gar kein wirklicher Fehltritt war), unter 4 zu rutschen begann, dann wurde es prekär. Denn dann standen einem immer weniger Möglichkeiten offen, man wurde diskriminiert und eiskalt noch weiter herabgestuft. Selten zeigte jemand Erbarmen, denn kein Vote blieb dieser Gesellschaft verborgen und sollte man die Frechheit besitzen, jemanden mit niedriger Wertung, etwas hochheben zu wollen, um ihn nicht ganz zu entmutigen, war die Folge davon sogleich, dass man selbst mit in den Abgrund gerissen wurde. Da Lacie eigentlich ein sehr weiches Herz hatte, war sie schon öfters mal in die Falle getappt, jemanden etwas besser zu bewerten, der schon ziemlich tief unten war. Darunter z.B. der bedauernswerte, homosexuelle Afroamerikaner Chester an ihrem Arbeitsplatz, welcher durch eine gescheiterte Beziehung, mit dem doch etwas beliebteren Gordon, mehr und mehr herabgestuft wurde und mit seinem mittlerweile 3.1 Score, zu gewissen Lokalitäten nicht mal mehr den Zugang erhielt. Dabei war er eigentlich ein netter Kerl, das wusste Lacie. Doch einst, als sie ihn etwas besser bewertet hatte, bekam sie die Folgen sogleich am eigenen Leibe zu spüren, denn einige Gordon Sympathisanten, hatten sogleich dafür gesorgt, dass ihre eigene Bewertung kurzzeitig auf fast 4.1 zu fallen begann. So würde Lacie niemals das, von ihr erträumte Ziel, erreichen und es so weit wie ihre einstige High School Kameradin Naomi bringen. Sie würde dann auch niemals beweisen könne, dass sei genauso viel Wert war wie selbige.
Lacie seufzte, als sie, in ihrem Stammcafé sitzend, an die Zeit zurückdachte, in der Nene sie scheinbar zu ihrer Freundin erkoren hatte. So sehr hatte Lacie damals die langbeinige Blondine, mit dem bezaubernden Lächeln bewundert. Doch ihre vermeintliche Freundin, nutzte sie immer nur für ihre Zwecke aus und behandelte sie oftmals nicht sehr nett. Alle aber verehrten Naomi, welche auf geschickte, manipulative Weise, Männer wie Frauen, um den Finger wickeln konnte. Das hatte sie sogar einst mit Lacies damaligen Freund Greg gemacht und ziemlich sicher, war da noch mehr gelaufen, nur das Naomi sehr gut darin war, gewisse Tatsachen zu verschleiern. Lacie, damals ein noch junges Mädchen, mit naturgelocktem, eher wildem, roten Haar, distanzierte sich auch deshalb schliesslich von Nene. Selbiger war das nur Recht, denn sie hatte schon lange andere Interessen, als mit Lacie abzuhängen. Doch nach wie vor eiferte Lacie der beliebten Blondine nach. Denn wie gesagt, was ihre einstmalige Freundin hatte, wollte sie eines Tage auch haben. Es war zu ihrem Lebensziel geworden und sie würde es irgendwann erreichen. Irgendwann… ganz bestimmt. Und dann war sie endlich, endlich auch etwas Wert und konnte es allen zeigen!
Verträumt trank sie ihren Cappuccino, der göttlich aussah, jedoch nur halb so gut schmeckte und ging dann ein wenig im fast steril gepflegten Stadtpark spazieren. Alles war ins sanften Pastelltönen gehalten und erinnerten irgendwie an verschiedenfarbige Zuckerwatte.
So süss wie Zuckerwatte, war auch das Lächeln, der hier herumwandelnden Menschen. Meistens grüssten sie Lacie überfreundlich und ebenso machte auch sie es. Was ihr ein paar 5 oder zumindest 4 Sterne Bewertungen einbrachte. Lacie setzte sich auf die Bank, und kontrollierte zum sicher hundertsten Mal, ihre heutigen Scores. Sie beobachtete ausserdem die vorbeigehenden Leute. Ein jeder von ihnen, inklusiver Lacie selbst, hatten eine Art digitalen Chip im Auge implantiert. So konnte man alle sogleich mit dem Handy durchscannen und schauen, wer sie waren, wie sie so lebten, was sie täglich so posteten und ganz wichtig… wie ihre Scores waren!
Ein ziemlich bescheiden gekleideter Mann, schlenderte an ihr vorbei, ohne zu grüssen. Lacie war empört. Sie schaute sein Profil an und fühlte sich in ihren Vorurteilen bestätigt. Er war nur eine 2.2 kein Wunder, wenn er so unfreundlich war. Sie fuhr mit einer schnellen Bewegung über die Bewertungssterne und gab ihm (immerhin) drei Sterne. Allzu hart durfte sie mit ihm ja jetzt auch nichts ins Gericht gehen, vielleicht war er ja einfach abgelenkt gewesen und hatte darum nicht gegrüsst. Nein… gerade rempelte er einen sauber gekleideten, jungen Mann, mit einem rosafarbenen Hemd und einer türkisblauen Krawatte an und… welche Schande… entschuldigte sich nicht mal! Lacie fuhr nochmals über die Sterne und gab dem Rempler nun doch nur zwei Sterne und das war noch gnädig, bei so einem ungebührlichen Verhalten! Dafür gab sie dem armen Angerempelten fünf Sterne, als Trost. Dieser hatte sein silbernes Handy in der Hand und nickte ihr dankbar zu. Sogleich machte es auch bei Lacies Handy «Bling!» und sie stellte zufrieden fest, dass der Mann ihr auch 5 Sterne gegeben hatte. Wenn das so weiterging, würde sie bald die erforderliche 4.3 erreichen um ihre Traumwohnung in Pelican Cove gut finanzieren zu können, denn ab da winkten 20 % Vergünstigung.
Lacie lehnte sich zurück und blickte in die akurat zugeschnittenen Kronen, der grossen Bäume über sich. Auch im Pelican Cove hatte es solche Bäume. Und sogleich fühlte sie sich wieder dorthin versetzt, dorthin wo ihrer Traumwohnung auf sie wartete, dorthin, wo sie vielleicht endlich auch ihr Glück finden würde. Als sie die ersehnte Wohnung angeschaut hatte, hatten die Makler keine Mühen gescheut. Es gab sogar eine Hologramm Vorführung, in der Lacie glücklich und mit offenem wallenden Haar, von einem wahrlich hinreissenden, dunkelhäutigen Mann mit eleganter Kleidung in ihrer neuen, herrlichen Küche, umarmt und geküsst wurde. Wie sehr sie sich doch nach so einem Mann sehnte, der ihrer Einsamkeit endlich ein Ende setzen würde. Die neue Wohnung, würde ihren Prestige Bonus merklich anheben und bald würde wohl auch der richtige Mann, endlich auf sie aufmerksam. Dann würde sie noch glücklicher werden als Naomi, ja glücklicher als so mancher andere Mensch. Die erste Hürde war beinahe geschafft und bald würde ein Anruf kommen, von dem Lacie noch nichts wusste, welcher jedoch ihr Leben für immer verändern sollte.