„Liebe Laureen,
ich vermisse dich jetzt schon. Ich bin in solchen Dingen nicht besonders gut, aber ich wollte dir ein Abschiedsbrief schicken, bevor ich auf die andere Seite wechseln muss. Ich liebe dich und ich werde dich nie vergessen können. Ich hoffe du kannst mir verzeihen. Natürlich habe ich nie etwas für sie empfunden und ich werde es nie können. Das einzige Mädchen, dass ich jemals lieben werde, bist du. Du weißt wie es ist, ich musste meine Gefühle ihr gegenüber spielen, um ihr Vertrauen gewinnen zu können.
Der Graf verlangt nach mir und ich muss zu ihm gehen, um dich beschützen zu können. Bin ich dir das nicht irgendwie schuldig?
Nach all dem was wir durchmachen mussten?
Auch wenn es nun wohl zu spät ist, weiß ich jetzt, dass sie nichts besonderes ist. Vielleicht wollte ich mich an das letzte Fünkchen Hoffnung klammern, sie könnte etwas ändern. Oder ich wollte nicht zusehen, wie noch ein weiteres Mädchen sterben muss.
Ich hoffe du kannst mir verzeihen und vergisst unsere gemeinsame Zeit nicht.
In Liebe Leandro.“
Mir war zum Schreien zu Mute. Unruhe machte sich in mir breit und ich spürte wie mir immer übler wurde. Das konnte doch nicht sein! Enttäuschung kam auf und brachte mich zur Verzweiflung. Zitternd schaute ich auf das Datum und musste erschrocken feststellen, dass es von heute war. Er hatte es heute geschrieben und es gab keine Zweifel mehr, dass das Mädchen von dem er in dem Brief sprach, ich sein musste. Nie könnte er etwas für mich empfinden. Es waren seine Worte gewesen. Er hatte mich von der ersten Begegnung an belogen. Es war alles ein Schwindel. Eine riesige, fette Lüge! Ich spürte wie die Tränen meine Wangen hinunter kullerten und mein Make- up gerade dabei war, sich zu verabschieden. Doch das kümmerte mich nicht länger.
Wozu auch? Ich brauchte ihm nicht mehr zu gefallen und ich musste mich nicht mehr beweisen. Verletzt sprang ich auf und rannte zur Tür. Wie ich ihn hasste! Wie sehr ich ihn dafür verachtete. Für seine Geheimnisse, für seine Lügen.
Mich in dem Glauben zu lassen, er könnte etwas für mich empfinden. Nicht Laureen war diejenige die ich verachten sollte, nein er war es.
Ziellos drückte ich die Türklinke runter und wollte davonlaufen, doch Leandro kam mir zuvor. Unsanft lief ich in ihn hinein und machte große Augen, als ich in sein strahlendes Lächeln starren musste.
„Auch wenn du dich schon ganz gut fühlst, wäre eine Pause weiterhin angebracht. Außerdem...“ Er verstummte und wischte mir eine Träne von der Wange, die gerade dabei gewesen war, zu Boden zu fallen.
„Was ist?“, fragte er besorgt und nahm mein Gesicht in seine beschützenden Hände.
„Warum weinst du?“
Er sollte Schauspieler werden! Seine unschuldigen Augen könnten wohl jeden noch so großen Kritiker um den Finger wickeln.
Aber mittlerweile konnte auch ich mich nicht mehr hinter meiner Naivität verstecken und behaupten, ich hätte keine leise Vorahnung. Meine Enttäuschung wurde immer stärker, bis sie sich schließlich in unkontrollierbare Wut verwandelte. Meine Hand begann zu zittern und ich war kurz davor ihm eine Ohrfeige zu verpassen, aber die aufgeregten Blicke der Mädchen im Gang hinter ihm, brachten mich zur Vernunft.
Sicherlich wollte er sich mit ihr treffen, aber warum war er nicht da? Wahrscheinlich wollte er sich noch schnell von mir verabschieden, so wie ein Gentleman es tun würde. Gentleman? Davon war er noch weit entfernt!
„Das weißt du ganz genau, tu jetzt bloß nicht auf unschuldig. Ich hab´s verstanden. Jetzt wo du alles über mich weißt, brauchst du ja nicht mehr so zu tun, als würdest du mich mögen. Du denkst doch sowie so nur, ich wäre eine verzogene Stadtgöre, die keinerlei Sinn für Klasse hat.“
„Was? Wovon redest du bitte?“
„Du hast verstanden, dass ich kein Stück besonders bin. Weder übernatürlich noch sonst etwas, also wozu noch freundlich sein, hm?“
„Alexandra! Beruhige dich mal! Ich habe keine Ahnung wovon du sprichst!“, sagte er ruhig und legte seine rechte Hand auf meine unversehrte Schulter. Kopfschüttelnd stieß ich sie weg und wich einen Schritt zurück.
„Hör doch auf! Ich hasse dich! Ich hasse dich für deine Lügen und Geheimnisse! Los geh doch zu ihr und behalt´ deinen Scheiß für dich!“, schrie ich wütend und drückte ihm den Brief in die Hand um den letzten, noch übrig gebliebenen Haufen Stolz, nicht auch noch zu verlieren. Ich ließ ihn nicht einmal mehr antworten, machte mir Platz und rannte davon. Ich konnte ihm nicht mehr in die Augen schauen, die Augen die weiterhin alles leugneten.
Verwirrt von den unerklärlich langen Gängen rannte ich einfach gerade aus und hoffte irgendwann auf ein Stück Wald treffen zu können.
Als hätte ich jegliche Last verloren, lief ich frei durch die engen, grünen und gar perfekt geputzten Flure. Schnell raste ich an unzähligen Mädchen vorbei, die mich verwirrt anschauten. Doch das kümmerte mich nicht länger. Alles was sich noch in meinem Kopf befand, war ein großes warum. Warum ausgerechnet ich? Warum hatte er so zu mir sein müssen? Warum hatte er so unbedingt gewollt, dass ich mich in ihn verlieben würde? Warum verdammt noch mal? Und warum hatte ich nicht früher gemerkt, was für ein falsches Spiel er mit mir trieb? Warum? Am liebsten hätte ich dieses bescheuerte Wort einfach geradewegs herausgebrüllt und um mich geschlagen, um die aufkommende Leere und Traurigkeit verdrängen zu können. Doch die Leute um mich hielten mich erneut davon ab und machten mich noch unzufriedener, als ich es ohnehin schon war.
Während ich den Tränen nah vor mich her stolperte, fiel meine Aufmerksamkeit auf eine braune Tür, die sperrangelweit offen stand. Der Raum, der sich hinter ihr erstreckte, beinhaltete kleine Stühle auf der meine Tasche stand.
Im Rennen schwang ich sie mir über und bog nach rechts ab, da der Flur geradeaus wohl zu Ende war. Zielstrebig lief ich auf eine weiße Tür, am Ende des Ganges zu, die mir wie ein Ausgang erschien.
Vom Herzklopfen verfolgt öffnete ich sie und blickte schließlich einem düsteren Wald entgegen. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen, als mir kalter Wind ins Gesicht strömte und finsterer Nebel mich einhüllte. Als wäre ich aus Gefangenschaft geflohen, schloss ich die Augen und atmete die kalte Luft genussvoll ein.
„Du glaubst doch diesen Quatsch nicht oder?“, erschrak mich Leandro´s Stimme und ließ mich zusammenzucken.
Schnaufend drehte ich mich zu ihm um und schaute nicht schlecht, als ich sah, dass selbst er schwer atmete. Tat er nur so oder war ich gerade schneller als er gewesen? Hatte ich da etwas verwechselt? War nicht er der mit dem Superspeed?
Er vergrößerte seine Augen, als ich ihm immer noch keine Antwort gegeben hatte und versuchte mir auf diese Weise Druck zu machen. Verwirrt starrte ich in den endlosen Wald. Was wollte er hören? Natürlich glaubte ich dem Brief, warum sollte ich das auch nicht? Im Nachhinein waren die auffälligen Blicke Laureen´s mehr als verständlich und passten äußerst gut zu meiner Theorie. Also warum um alles in der Welt sollte ich dem Brief keinen Glauben schenken?
Doch in mir kamen trotzdem Zweifel hoch. Was wenn Laureen log? Wenn er doch die Wahrheit sagte? Seine blauen Augen blitzen mir so vertrauenerweckend entgegen, dass es mir echt schwer fiel, auf meinem Standpunkt zu verharren.
„Warum sollte ich das denn nicht tun?“, flüsterte ich verletzt, um nicht den Eindruck zu hinterlassen ich würde zweifeln.
„Der ist nicht von mir. Keine Ahnung wer sich diesen Unfug ausgedacht hat. Woher hast du ihn überhaupt?“
„Schon klar du bist unschuldig.“
„Wer hat ihn dir gegeben?“ Gegeben? Gegeben hatte ihn mir keiner. Ich konnte ja schlecht zugeben, dass ich ihn nur gefunden hatte.
„Das geht dich nichts an. Außerdem habe ich Besseres zu tun, als hier ein Schwätzchen mit dir zu halten.“
„Schwätzchen? Du hast ihn von Laureen, richtig?“, fragte er und warf erneut einen Blick auf den Brief. Verdammt! Ich sollte nicht wie Laureen sprechen, das war zu auffällig.
„Ja und? Selbst wenn, was interessiert dich das noch? Ich muss jetzt los“, zischte ich verärgert und wollte davonlaufen. Doch seine kalten Finger krallten sich um mein Handgelenk und zogen mich ruppig zu sich zurück. Er nahm den Fuß von der Tür weg und ließ sie mit einem lauten Knall zufallen. Ich runzelte die Stirn als mir auffiel, dass sie gar keine Klinke von Außen besaß. Ob man von außen überhaupt hinein kam?
„Mensch Alex, sie hat das nur inszeniert.“
„Inszeniert also?“
„Sie ist wohl das hinterlistigste Wesen, dass ich je kennengelernt habe. Da ist nichts Wahres dran!“, versicherte er mir und versuchte mir bestimmend in die Augen zu schauen. Doch etwas in seinen Augen überzeugte mich nicht komplett. Ich weiß nicht was es war, aber irgendetwas sagte mir, dass er mir weiterhin Lügen auftischen wollte.
„Nichts? Kannst du mir versprechen dass Nichts Wahres dran ist?“
Unsicher nickte er, wandte aber sofort seine Blicke von mir ab, um vertuschen zu können, dass er mich anlog.
„Schwachsinn! Etwas verschweigst du mir. Sag es oder ich gehe“, drohte ich und befreite mein zerquetschtes Handgelenk aus seinen Griffen.
„Ich verschweige Nichts“, versicherte er mir wieder und kam einen Schritt auf mich zu. Kopfschüttelnd drehte ich mich um und lief davon. Ich sah es in seinen Augen. Ihr Funkeln war verschwunden, als er mir erklärt hatte, nichts als die Wahrheit zu sagen. Kurz war ich dem Gedanken verfallen, mich wieder auf ihn einlassen zu können. Doch diese kurze Antwort hatte alles geklärt.
„Wo willst du denn hin?“
„Zum Hotel.“
„Jetzt?“
„Ja jetzt“, sagte ich knapp und hoffte er würde mir nicht länger folgen. Immer noch hatte ich die Befürchtung meiner Familie könnte etwas passiert sein. Ich musste es also überprüfen und wenn sich diese grausamen Bilder wirklich in Realität verwandeln sollten, dann musste ich ihnen helfen. Keine Ahnung wie, aber ich musste es wenigstens versuchen. Doch eins war klar, seine Hilfe würde ich keines Falls brauchen!
„Was willst du dort? Ist es nicht besser wir bleiben erst mal hier? Falls sie noch einen weiteren Angriff geplant haben? Schließlich haben sie nicht das bekommen wonach sie suchen.“
„Sie? Redest du von denn Wölfen?“, fragte ich zweifelnd und verschränkte abwehrend die Arme vor der Brust, während ich immer schneller in die Richtung des Schlosses lief.
„Es waren Werwölfe und ihr Angriff war geplant.“ Werwölfe. Natürlich darauf hätte ich auch selbst kommen können.
„Und warum hätten sie uns angreifen sollen?“
„Wegen meinem Amulett“, sagte er erleichtert, während er endgültig aufgeholt hatte.
„Die können mir egal sein, von mir wollen sie doch sowieso nichts.“
„Das ist richtig. Aber warum musst du jetzt so schnell gehen? Bleib doch noch eine Nacht?“
„Lass mich in Ruhe!“
„Was willst du dort?“
„Versteh doch endlich, dass ich dich aus meinem Leben haben will!“, rief ich wütend und beschleunigte meine Schritte ein weiteres Mal, sodass meine Waden nun schon zu schmerzen anfingen. Ich konnte ihm schlecht von meinen Erinnerungen erzählen, denn die waren alles andere als glaubwürdig. Obwohl er war ein Vampir, etwas verrückteres konnte es kaum geben. Ich wollte seine Hilfe nicht, er würde sich doch sowieso nur wie ein Held aufspielen. Darauf konnte ich getrost verzichten.
Andererseits hatte ich wohl keine andere Wahl. Schließlich wollte ich meine Familie zurück und alleine war ich völlig machtlos.
„Ich muss meiner Familie helfen. Der Graf hält sie wahrscheinlich gefangen“, gab ich zu und blieb stehen.
„Und er hält sie im Hotel gefangen?“
„Hm.“
„Na gut, dann lass uns dort hingehen“, beschloss er und holte zwei Röhrchen mit einer blauen Flüssigkeit aus seinem Rucksack hervor.
„Hier trink das“, knurrte er bestimmend und reichte mir die blaue Flüssigkeit entgegen.
„Was ist das?“, erkundigte ich mich sicherheitshalber. Ich dachte an das blaue Zeug was wir vor dem Angriff getrunken hatten. Bestimmt war es das Gleiche, aber mein blindes Vertrauen zu ihm war längst verloren gegangen.
„Was soll das nur sein?“
„Das frage ich dich ja.“
„Nimm es oder lass es, mir doch egal. Du vertraust mir doch eh nicht, also warum sollte ich mir die Mühe machen es dir zu erklären?“, antwortete er schnippisch und trank das Zeug mit einem Mal aus. Was war denn sein Problem auf einmal?
Hatte nicht ich das Recht sauer auf ihn zu sein? Ganz allein ich? Es waren seine Lügen nicht meine! Enttäuscht schüttelte ich den Kopf. Als würde sich etwas schweres auf meine Kehle legen, wurde das Atmen schwerer und ich bekam das Gefühl, als hätte sich jeglicher Fetzen meiner Stimme verabschiedet.
Liebend gern hätte ich mich einfach in seine Arme geworfen und geweint. Hatte er gar kein Mitgefühl mit mir? Meine Gedanken kreisten plötzlich nur noch darum, meiner Familie wäre längst etwas schreckliches passiert. Ermordet vom Grafen. Und zudem stellte er mich auch noch vor die Entscheidung, ob ich ihm Glauben schenken sollte oder nicht. Warum hatte er sich überhaupt so? Er hatte mich offensichtlich angelogen und dabei ging es nicht nur um eine Kleinigkeit, wie sein Alter oder sonst irgendetwas.
Erneut sammelten sich Tränen in meinen Augen, die ich gerade so zurückhalten konnte. Entschlossen öffnete ich das Röhrchen und schüttete seinen Inhalt zusammen mit meinen Tränen hinunter. Widerlicher Knoblauchgeschmack breitete sich in meinem Mund aus und führte dazu, dass ich angewidert mein Gesicht verzog.
„Das ist nicht dein Ernst?“, brachte ich endlich fassungslos hervor, wobei ich mich weiterhin im Recht fühlte.
„Was meinst du?“, fragte er gleichgültig, griff nach dem Glas und verstaute es zusammen mit seinem, wieder im Rucksack.
„Ist dir eigentlich klar, dass du mich die ganze Zeit über angelogen hast? Weißt du wie verletzend so etwas ist?“
„Wie oft noch? Ich sage dir Nichts außer die Wahrheit!“, versicherte er mir erneut, doch das Glitzern in seinen Augen war immer noch verschwunden. Weiterhin konnte er meinen Blicken nicht standhalten, wenn er versuchte mich zu überzeugen. Und genau das unterstütze meine Theorie.
Er machte mich so wütend. Wie er versuchte mich immer noch anzulügen.
Wie er dachte ich wäre naiv genug, um ihm zweifellos zu glauben. Ja ich muss zugeben, dass ich immer noch mit mir rang, ob ich nicht doch falsch lag. Aber mein Bauchgefühl sagte mir einfach, dass ich im Recht lag. Dieser elendige Lügner! Meine Wut wurde immer größer und der Gedanke daran ihm eine Ohrfeige zu geben, realistischer. Langsam begann meine Hand zu beben und schließlich kam ich nicht mehr gegen meinen Wunsch an und klatschte meine breite Handfläche gegen seine Wange.
Verblüfft von mir selbst schlug ich mir die Hand vor den Mund und starrte ihn erschrocken an. Dort wo einst meine Finger gewesen waren, befanden sich nun kleine blutige Risse. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuhr er über die Kratzer und schaute mich empört an, als er feststellte, dass sich Blut an seinen Fingerkuppen befand.
„Sag mal spinnst du?“ Nun war ich diejenige, die versuchte den Blickkontakt zu vermeiden.
„Ihr Frauen seid echt verwirrend“, fluchte er und rieb sich die Wange.
„Das konnte ja mal wieder nur von einem Mann kommen. Wer von uns beiden war denn hier so taktlos?“
„Taktlos?“
„Erst warst du noch blendend daran interessiert, mich zu überzeugen und schon einen Augenblick später, schien es dir egal zu sein und dein kompletter Fokus lag einzig und allein beim Grafen.“
„Was dachtest du denn? Sollte ich etwa eine halbe Stunde damit verbringen dir zu erklären, dass ich den Brief nicht geschrieben habe?“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Wo ist dann das Problem?“ Das Problem? Er war das Problem! Meine große Wut kam nicht von seinen Lügen, sondern von der ruppigen Art die er sich in den letzten Augenblicken zugelegt hatte und seinem Glaube daran, er könnte meine Naivität gnadenlos ausnutzen.
„Du hast echt ne Ader für Dramatik oder?“, fragte er spöttisch. Mir klappte fast die Kinnlade runter. Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ich hatte eine Ader für Dramatik? Wer von uns beiden musste denn aus allem ein Geheimnis machen?
„Was ist mit dir passiert?“, fragte ich immer noch sichtlich schockiert von seiner überraschenden Aussage. Fassungslos griff ich mir an die Stirn und schüttelte den Kopf.
„Mit mir? Du vertraust mir doch nicht mehr.“ Unzufrieden nickte ich ich leicht mit dem Kopf. Natürlich hatte er Recht, ich war diejenige die ihm kein Vertrauen mehr schenkte, aber wer würde das bei diesen Handfesten Beweisen noch tun?
„Hättest du mir vertraut?“, fragte ich unsicher. Ich bekam Zweifel, als ich in seine Augen starrte, die das Glitzern wiedergefunden hatten. Was wenn ich ihn wirklich zu Unrecht verurteilte?
„Nein.“
Oh Gott ich konnte einfach nicht mehr in seine enttäuschten Augen blicken. Sie ließen mich zweifeln und schlechte Entscheidungen treffen. Schnell wandte ich mich von ihm ab und blickte stattdessen irgendeinem Baum entgegen. Auswahl gab es hier ja schließlich genug. Jedem hätte ich jetzt lieber in die Augen geschaut als ihm. Selbst Laureen, der ich das alles hier zu verdanken hatte.
„Ich dachte du würdest mir wirklich vertrauen?“, hauchte er mir liebevoll ins Ohr und brachte mich damit zum zittern. Es tat mir gut ihn nicht mehr anblicken zu müssen, sodass ich zur Besinnung kam und mir immer wieder vor Augen hielt, welche Worte in diesem Brief gestanden hatten.
„Und ich dachte Leute die von Vampiren erzählen wären verrückt,.... da haben wir uns wohl beide getäuscht“, zischte ich und drehte mich wieder um.
„Du hättest mir auch nicht vertraut oder geglaubt. Außerdem hast du selbst gesagt, dass meine Zweifel verständlich sind“, fügte ich nachdenklich hinzu.
„Hast du denn noch einen Beweis dass zwischen Laureen und mir etwas laufen würde, außer diesen lächerlichen Brief?“
„Nein, natürlich....“
„Hast du jemals gesehen wie wir uns geküsst haben?“
„Nein, aber ich habe gesehen wie sie dich angesehen hat und wie du deine Blicke von ihrem nackten Körper nicht abwenden konntest. Außerdem kann ich in deinen Augen sehen, dass du mir etwas verschweigst“, entgegnete ich kühl und versuchte so unbetroffen wie nur möglich zu wirken, doch das gelang mir nicht besonders gut. Ich blinzelte eine Träne weg und schloss für kurze Zeit die Augen, damit sich nicht noch mehr von ihnen in meinen Augen sammeln konnten.
„Was?“
„Mag sein, dass zwischen dir und Laureen nie etwas gelaufen ist, aber nichts desto trotz verheimlichst du mir etwas.“
„Ich... was? Woher...“
„Ich sehe es in deinen Augen. Du kannst mir kaum ins Gesicht schauen und so komisch es auch klingen mag, deine Augen habe aufgehört zu funkeln.“
„Sag mir die Wahrheit!“, befahl ich ihm streng und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich kann sie dir jetzt nicht sagen. Später vielleicht, aber jetzt haben wir andere Prioritäten“, schweifte er vom Thema ab und machte wieder einen seichten Schritt auf mich zu.
„Sag es mir!“
„Vertrau mir einfach, bitte“, bettelte er und griff nach meiner Hand. Ich muss zugeben, ich zögerte. Ich zögerte eine Weile, doch wie sollte ich ihm vertrauen, wenn er Geheimnisse hatte? Ich wollte Ehrlichkeit! Nichts als die Wahrheit!
„Nein, ich kann dir nur vertrauen, wenn du es mir erzählst.“ Enttäuscht von meiner Antwort schüttelte er den Kopf und ließ meine Hand fallen.
„Du hast Recht. Vielleicht ist das der Grund warum es nur bei so wenigen funktioniert.“
„Was?“
„Eine Beziehung. Vertrauen ist der Grundbaustein einer Beziehung und du scheinst keins zu haben.“
„Was soll das heißen?“
„Wir sollten es lassen zwischen uns. Es wird nichts bringen, wir werden uns nur viel zu oft gegenseitig verletzten.“ Was? Machte er gerade Schluss mit mir? Waren wir denn jemals richtig zusammen gewesen? Das ließ ich definitiv nicht auf mir sitzen, dafür hatte ich einen viel zu großen Stolz!
„Das heißt du machst jetzt Schluss mit mir?“
„Tu nicht so überrascht. Dachtest du wirklich es würde einfach werden? Dachtest du wir könnten so einfach eine ordentliche Beziehung führen? Wo ich doch ein Vampir bin und du ein Mensch? Dafür sind unsere Welten viel zu unterschiedlich.“
„Das heißt Unterschiede sind schlecht oder was? Keiner hat gesagt dass wir eine perfekte Beziehung führen müssen, wenn man das überhaupt schon so nennen konnte. Ich versteh nicht warum du schon jetzt aufgeben willst? Jetzt wo es gerade erst angefangen hat? Weil wir Meinungsunterschiede haben?“
„Meinungsunterschiede? So nennst du das also? Du machst es dir verdammt einfach, wenn du so tust als wäre ich derjenige, der zu viel verlangt. Ich möchte nur Vertrauen!“, brüllte er nun ebenfalls wütend durch den Wald, sodass ein schwaches Echo zu hören war. Nun verlor auch er seine Kontrolle und konnte kaum noch leugnen, dass ihn der Streit nicht sonderlich berührte.
„Vertrauen muss man sich verdienen.“
„Wie du meinst, ich möchte nicht weiter darüber diskutieren. Dafür haben wir keine Zeit.“
„Ich mache es mir einfach? Dir ist schon bewusst, dass du gerade derjenige bist, der die Diskussion auflösen will?“
„Ich mache es mir nicht einfach, ich bin realistisch. Willst du deiner Familie jetzt helfen oder nicht? Ich glaube nämlich nicht, dass der Graf wartet, bis wir unseren Kaffeeklatsch aufgelöst haben.“ Ich verkniff mir eine Gegenantwort und brummte nur etwas Zustimmendes. Ich war mit dem Ende dieses Gespräches keines Falls zufrieden, andererseits gab es jetzt wohl wichtigere Dinge.
Seinen Anstand hatte er anscheinend noch nicht ganz verloren, immerhin war er bereit mir zu helfen. Also musste ich mich wohl oder übel zusammenreißen und hoffen er würde diese Einstellung beibehalten.
„Weißt du jetzt wo der Graf deine Familie gefangen hält?“
„Ja“, antwortete ich knapp, damit er verstand dass ich weiterhin wütend auf ihn war. Seine Wut hatte er wohl erfolgreich verdrängt und die Gedanken an unseren Streit gelöscht, sodass er sich voll und ganz auf das Wichtigste konzentrieren konnte.
Verblüfft von meiner Antwort, riss er die Augen weit auf und öffnete seinen Mund einen Spalt, sodass ich seine spitzen Eckzähne hervorblitzen sah.
„Wo...her?“ Woher ich das wusste? Ach weißt du, als ich gestorben bin hat mir das ein Geistermädchen ins Ohr geflüstert. Amüsiert von meinen Gedankengängen, schmunzelte ich. Widerwillig begann ich über eine halbwegs glaubwürdige Version des Ganzen nachzudenken.
Ich bekam die Befürchtung, es könnte dem Mädchen nicht gut tun, wenn ich etwas über ihre Existenz preisgeben würde.
Er hatte mit ihr nichts zu tun,. Dann musste ich von ihr auch nicht erzählen. Perfekt, dann konnten wir ja gleich an seinem Vertrauen arbeiten.
Noch bevor ich antworten konnte, tauchte plötzlich das Mädchen hinter Leandro auf und blickte mir ernst entgegen. Als würde ihr Leben... ihr untotes Leben von meinen Worten abhängen, starrten mich braunen Augen schockiert an.
Drohend schüttelte sie den Kopf und legte ihre dürren Finger auf den Mund.
„Ist doch egal.“
„Nein das ist es nicht.“
„Ich weiß es eben einfach. Mehr als falsch kann es kaum sein oder?“, behauptete ich und stemmte meine Arme in die Hüfte, um meinen Worten Ausdruck zu verleihen.
„Aber eine Suche in die falsche Richtung kostet uns Zeit und die haben wir nicht.“
„Dann vertrau mir, ich bin mir einfach sicher, dass sie dort sein müssen.“
„Sag es mir doch einfach.“ Ich musste schmunzeln. Seine Fragen erinnerten mich an mich selbst. Er konnte es genauso wenig leiden, wenn man Informationen vor ihm verschwieg.
„Zeig mir, dass du vertrauen kannst und akzeptiere einfach, dass ich es dir nicht sagen kann.“
„Du bist in einer ganz anderen Position...“
„Position? Was soll das heißen?“, unterbrach ich ihn empört. Stellte er sich gerade über mich? Wollte er mir etwa erklären, dass er Geheimnisse vor mir haben durfte, ich aber nicht vor ihm? Also das ging eindeutig zu weit!
„So hab ich das nicht gemeint.“
„Schon klar. Können wir die Diskussion lassen? Ich weiß wo sie sind und das ist doch wohl die Hauptsache oder?“
„Ja, aber...“, erneut unterbrach ich ihn:
„Komm jetzt! Außerdem hattest du auch keine Zweifel, als ich dir erklärte, dass es meine Familie ist, die er gefangen genommen hat.“
„Wenn du meinst“, brummte er unzufrieden und lief los. Ich wollte seinen Schritten folgen, doch meine Füße schienen fast verankert mit dem Boden zu sein. Mein Herz begann zu rasen, als ich realisierte, dass ich nicht vom Fleck kam. Was war denn bitte jetzt schon wieder das Problem? War ich in den weltbesten Sekundenkleber getreten?
Ich prüfte ob ich wenigstens meine Zehen bewegen konnte, doch auch dort regte sich nichts. Was war los mit mir? Hatte ich eine kurzzeitige Lähmung?... Unwahrscheinlich, dann könnte ich nicht einmal mehr stehen. Aber was war es dann?