Scharrend kam die Holztür auf der anderen Seite an und verschaffte mir somit Zutritt zum Verborgenen. Eine bunte Blumenwiese lag vor mir und lockte mich ins Innere. Entschlossen ging ich meiner Neugierde nach und krabbelte durch die kleine Tür. Ordnungsgemäß schloss ich sie wieder und robbte schließlich weiter. Nicht lange verbrachte ich die Zeit damit, mich auf den Knien fortzubewegen. Endlich hörte die Decke über mir auf und ich konnte mich gemütlich in den Stand bewegen.
Mit offenem Mund starrte ich um mich und betrachtete meine Umgebung. Über mir gab es keine Begrenzung mehr, im Gegenteil. Anstatt einer kahlen Decke befanden sich über mir leichte Schleierwolken, hinter denen die Sonne immer wieder kurz hervorblitzte. Einen Moment lang hielt ich einfach meine Nasenspitze in die warmen Sonnenstrahlen und genoss den kühlend Wind um mich herum. Dann aber verschwand die Sonne wieder hinter den Wolken und ich öffnete die Augen. Gemütlich schritt ich über den schmalen Weg, der über die Wiese führte. Links und rechts von mir befand sich nur unruhiges Wasser, das leicht plätscherte und mich in meine Träume beförderte.
Je mehr ich mich dem Unentdeckten vor mir näherte, desto lauter wurde das Rauschen. Ich beschleunigte meine Schritte, um den mysteriösen Klängen näher zu kommen. Mittlerweile trennten mich wunderschöne Rosensträucher von dem unruhigen Gewässer und dem Plätschern. Langsam verstand ich woher das Rauschen kam. In weiter Entfernung erstreckte sich ein gigantischer Wasserfall vor mir.
Stürmisch fielen die Fluten über die riesigen Felsen hinab, bis sie schließlich in ein kleines Bächlein gelangten. Die ganzen Wassertropfen ergaben einen ungewöhnlich dichten Dunst über den Felsen und verbargen das Unbekannte dahinter.
„Geh zurück“, flüsterte eine helle Frauenstimme und riss mich damit aus der Bewunderung.
„Es kann all´ Deins sein. Geh zurück.“ Zurück? Warum? Dieser Ort war so friedlich und schön. Ich wollte ihn doch gar nicht verlassen, den Ort voller Sorglosigkeit.
„Ich will nicht.“
„Geh´ zurück und du kannst hier für immer sein.“ Wollte sie mich loswerden? Sollte ich etwas nicht sehen, was ihr einen schlechten Ruf bringen könnte? Aber ich kannte sie doch nicht einmal.
„Warum soll ich gehen?“
„Geh zurück oder muss ich mir etwas anderes einfallen lassen?“, drohte sie nun und brachte mich zum Zweifeln. Wollte ich mich wirklich mit dieser unbekannten Stimme anlegen? Ich wusste doch nicht im Geringsten etwas über sie und ihre Möglichkeiten.
Meine Vernunft kam zum Vorschein. Ich drehte mich wieder um und ging in die Richtung aus der ich gekommen war. Schön, dann lief ich meinen Problemen und Sorgen halt wieder in die Arme, wenn sie das so wollte. Alles andere wäre doch sowieso viel zu leicht gewesen!
„Komm zurück!“
„Ist ja gut, ich geh schon.“ Ich atmete einmal schwer aus und machte mich dann in schnellen Schritte auf den Weg. Es dauerte nicht lange, da meldete sich die Stimme erneut zu Wort:
„Ich habe dich gewarnt.“
„Was?“, rief ich verwundert und wendete mich dem Wasserfall zu. Wie aus dem Nichts erschien eine große, braunhaarige Person vor meinen Augen und kam direkt auf mich zugelaufen.
„Was soll das? Ich geh doch schon“, beschwerte ich mich verwirrt und machte große Augen, als ich den Mann mittleren Alters vor mir erkannte.
„Dad“, flüsterte ich hoffnungsvoll und schritt fassungslos auf ihn zu.
„Komm mit.“ Als wäre er stolz, lachte er zufrieden und reichte mir seine Hand.
„Ich darf nicht.“ Auch wenn ich wusste, dass es niemals die Wirklichkeit sein konnte, entschied ich mich dafür ihn zu folgen. Wer weiß wann ich ihn wieder sehen würde, ob ich jemals die Gelegenheit dazu bekäme.
Lächelnd folgte ich ihm also über den Wasserfall. Seine ruhige und sanfte Stimme hallte immer wieder in meinen Ohren und brachte mich zum Schmunzeln. Die Sehnsucht nach ihm war verschwunden und stattdessen machte sich Erleichterung in mir breit. Er stand wirklich neben mir. Für diesen Augenblick hatte ich ihn und wusste dass es ihm gut ging.
Unweigerlich wurde er immer schneller, als ich versuchte seine Fingerspitzen berühren zu können. Ein Stück fehlte noch, ein kleines Stück und ich hätte ihn wieder. Ein Stück und er wäre frei, für immer. Ob ich wollte oder nicht, diese Gedanken bestimmten alle meine Taten und so sah ich Nichts, außer dem Bedürfnis endlich seine Hand greifen zu können.
Mittlerweile fehlte ein knapper Zentimeter und ich war mir siegessicher. Da... endlich. Mein Herz blieb gnadenlos stehen und mein Atem stockte, als sich unsere warmen Finger berührten. Doch die Verbindung zwischen uns hielt nicht länger als einen Augenblick. Mit einem Mal verschwand er in einem großen Lichtkegel und ich wachte aus dieser Träumerei auf.
„Dad?“, flüsterte ich enttäuscht, als die Landschaft um mich herum verschwand und ich mich plötzlich in einem grauen Klassenzimmer wiederfand. Dutzende Schüler richteten ihre Blicke auf mich und musterten meine Wenigkeit. Irgendetwas war eigenartig an diesem Ort. Okay, hier war so einiges eigenartig, aber in mir hatte sich plötzlich etwas verändert. Ich fühlte mich anders, doch noch konnte ich nicht genau sagen, was sich verändert hatte.
Alle saßen sie ordnungsgemäß an ihren Plätzen und wagten es nicht einmal, ihr Köpfe auf den Händen abzustützen. Wer hatte diesen Schülern so viel Disziplin beigebracht. Fast vierzig Schüler mussten in diesem Raum sein. Schweres Schweigen lag im Raum, das nicht einmal der Lehrer zu unterbrechen versuchte. Verlegen räusperte ich mich, doch auch das half mir aus dieser Situation nicht mehr raus.
Ich hätte mich ja zu Wort gemeldet, aber ich war völlig sprachlos. Wie war ich hier her gekommen? Wo zur Hölle war ich überhaupt? War es ein Traum, die Realität oder etwas dazwischen? Meine Gedanken und das Schweigen wurden durch eine schrille Klingel gestört, das die Schüler und den Lehrer aus ihrer Starre befreite. Leises Geflüster machte sich im Raum breit und plötzlich entstand eine ganz vertraute Unruhe. Vereinzelte Zeigefinger richteten sich auf mich und die Gespräche hatten keine anderen Themen, als mein ungewöhnliches Auftreten.
„Ruhe!“, rief der Mann an der Tafel und mit einem Schlag verstummten alle Stimmen.
„Ich beende die Stunde.“ Er war der geborene Lehrer, der diesem Standartspruch treu geblieben war.
„Lest bis Morgen die nächsten drei Kapitel und macht euch Stichpunkt zum Plot.“ Seine Worte verschwanden und die Unruhe brach erneut aus. Immer noch Bewegungsunfähig beobachtete ich die Schüler beim Einpacken. Nachdem auch der Letzte den Raum verlassen hatte, hörte der Mann auf die Tafel abzuwischen und wendete sich mir zu.
„Kann ich Ihnen helfen?“
„Ich ähm, ...suche den Ausgang“, stotterte ich und löste mich aus der Starre. Ich versuchte mich daran zu erinnern, wo ich ihn schon einmal gesehen hatte. Sein Gesicht kam mir ungewöhnlich bekannt vor.
„Wollen Sie mit mir darüber reden warum Sie von dort gekommen sind? Warum wollten Sie fliehen?“
„Was?“ Mit zusammengekniffenen Augen musterte er mich und grübelte über meine eigenartige Erscheinung nach. Der Handfeger. Schoss es mir in der Kopf und erklärte, warum ich sein einprägsames Gesicht kannte. Der Bart und die brauen Augen waren mir auf dem Flur begegnet. Er war derjenige gewesen, der mir mit den Scherben geholfen hatte. Seine plattgedrückte Nase schien die Quittung eines Kampfes zu sein. Er trug mittellange, braune Haare, die ihm knapp über die Schulter reichten und hatte eine aufrechte Haltung.
„Warum bist du zurück gekommen? Du warst Draußen, warum?“, flüsterte er nun einfühlsam und schloss die Tür, damit uns niemand belauschen konnte.
„Draußen? Ich kann Ihnen nicht folgen.“ Erst jetzt fiel mir auf, dass er sein „Sie“, verworfen hatte und mich wie eine seiner Schülerinnen behandelte.
„Wer bist du?“
„Ich muss gehen“, entgegnete ich nur kühl und stürmte auf die Tür zu. Warum? Warum konnte ich nicht einmal Geheimes, geheim lassen? Warum musste ich immer wieder meine Neugier und Unvernunft siegen lassen, die mir sowieso immer mehr Probleme aufhalste? Gerade als ich den Türknauf drehen wollte, zog er mich zurück und zwang mich dazu, in seine dunkelbraunen Augen starren zu müssen. Sein herbes Parfum drang mir in die Nase und brachte sie zum Kribbeln.
„Warte. Du warst Draußen, warum bist du nicht geflohen? Du weißt was sie mit dir machen werden?“
„Ich weiß nicht wovon Sie reden. Lassen Sie mich los!“, zischte ich empört und versuchte mich loszureißen. Wer würde was mit mir machen? Ich hatte keine Ahnung von was er sprach. Aber es wäre nur gut, wenn er nicht all zu viel über mich wüsste.
„Du bist nicht von hier oder?“ Zögernd nickte ich und versuchte etwas anderes anzustarren, als diese mysteriösen Augen.
„Bist du auch eine Hexe? Warum seid ihr nur so unheimlich neugierig?“, fuhr er mich plötzlich laut an und zog den Saum meines Ärmels nach oben. Energisch tastete er meine Handgelenke ab und wurde noch unsicherer, als er auf Nichts stieß.
„Was bist du?“
„Das geht Sie nichts an und jetzt lassen sie mich los, ansonsten schreie ich.“
„Ich lass´ dich gehen. Raus nach Draußen, aber verrate mir vorher deinen Namen.“ Nach Draußen? Von welchem Draußen sprach er überhaupt? Von den Fluren, vom Wald?
„Alexandra“, knurrte ich schließlich die Blicken zu Boden gerichtet und spürte sofort wie der Druck an meinem Handgelenk nachließ.
„Oh Gott, das tut mir leid. Ich wusste nicht das Sie...“
„Lassen Sie das mit dem Sie, ich bin niemand den man Siezen muss“, unterbrach ich ihn ruppig und löste mich endgültig aus seiner Gewalt.
„Rick.“ Zweifelnd nahm ich seine Hand entgegen und öffnete die Tür einen Spalt.
„Soll ich dich herumführen? Ich nehme mal an, dass du keine Ahnung hast wie du hier her gekommen bist, stimmt´s?“ Ich nickte. Ich wusste nicht so ganz was ich von ihm halten sollte, aber vorerst folgte ich ihm in eine große Mensa. Zu viel passierte um mich herum. Tausende Leute standen in den Gängen und Räumen. Sprachen laut miteinander und rasten an uns vorbei.
„Du hast die Tür genommen oder?“, riss er mich plötzlich aus den Gedanken, als wir am Ende der Mensa angekommen waren.
„Ja und wahrscheinlich hätte ich es lieber sein lassen sollen.“
„Das ist schon okay. Du solltest die ganze Wahrheit über uns wissen, wenn du schon so mutig bist.“
„Mutig?“
„Natürlich, ich finde das ist das Mindeste. Nachdem was du für uns getan hast.“
„Ach ja? Was habe ich denn getan?“
„Ihr habt den Grafen getötet, das war so selbstlos von euch“, schwärmte er und hielt mir eine Flasche Wasser hin, die ich dankend annahm. Selbstlos? Was war daran bitte selbstlos? Verrückt waren wir gewesen! Ich hatte mich doch nur in seine Nähe begeben, um meine Familie zu retten. Und wäre ich wirklich selbstlos gewesen, dann hätte ich all diese Mädchen in dem gekühlten Raum befreit und nicht meine Familie. Leandro hätte diese Anerkennung deutlich mehr verdient als ich.
„Hört mal alle her“, rief er plötzlich in die Menge und ließ seine Faust auf den Tisch neben uns schlagen.
„Das muss wirklich nicht sein“, flüsterte ich schnell, doch das beeinflusste seine Entscheidung nicht im Geringsten.
„Ich finde dieses Mädchen hat einen Applaus verdient. Sie und Leandro, den ihr alle kennt, haben uns Sicherheit gegeben. Sie haben ihn getötet, die größte Gefahr. Sie haben den Grafen getötet.“
Die Massen brachen in großen Jubel aus und begannen ihre Füße im Takt auf den Boden zu stampfen. Schüler und Schülerinnen hielten Muscheln in Luft und die Erwachsenden streckten ihre Gläser, mit einem roten, dickflüssigen Gemisch in die Höhe. Die Röte in meinem Gesicht ließ sich nicht mehr vermeiden und so starrte ich zu Boden und hoffte, die Schreie würden endlich enden.
Eigentlich mochte ich die Aufmerksamkeit, nur nicht hier. Niemanden kannte ich und ihr Gejubel sollte nur Leandro gelten, immerhin hatte ich nichts mit dem Tod des Grafens zu tun. Gerne hätte ich alles ins richtige Licht gerückt, aber die Massen konnte ich nicht überstimmen und selbst wenn es so gewesen wäre, so hätte ich nicht einmal die richtigen Worte gefunden. Das Klatschen und Grölen wurde langsam ruhiger und die ersten wendeten endlich ihre Blicke wieder von mir ab. Dankend nickte ich einigen entgegen und hoffte, dass sie bald komplett verstummen und verschwinden würden.
„Können wir an einen ruhigeren Ort gehen?“, bat ich freundlich und nahm ein Schluck meines Wassers, ehe ich es auf einen der Tische stellte.
„Natürlich.“ Ohne länger zu zögern griff er meine Hand und schleuste mich durch die Unruhe, an einen eher wenig besuchten Ort. Wieder trafen wir auf diese eigenartige Tür und krabbelten durch sie hindurch. Doch anstatt auf der grünen Wiese, standen wir plötzlich wieder in seinem Klassenzimmer.
„Warum führt die Tür in Ihr..., dein Klassenzimmer?“
„Das ist Zufallsprinzip. Der Ort der dahinter liegt ist auf die individuellen Bedürfnisse und Wünsche abgestimmt. Er soll vermeiden, dass Schüler aus dem System fliehen.“
„Warum gibt es diese Tür dann?“
„Nun sie wurde als Notfallplan angebracht. Dieser Ort hier unten hat viele dieser Türen, die im Notfall überall hinführen können. Vorausgesetzt man benutzt sie richtig.“
„Notfall? Ist damit Feuer oder der Graf gemeint?“
„Beides. Hexen, Vampire, Werwölfe. Man kann ja nie wissen“, lachte er und führte mich wieder raus aus seinem Klassenzimmer und rein in einen endlosen Gang, mit einer Vielzahl von Türen. Kurz öffnete er eine davon und zeigte mir ein schlichtes Zimmer, mit zwei Hochbetten, einem Schrank, einem Tisch und Stühlen.
„Und hier schlafen unsere Schüler.“
„So schlimm sieht es doch gar nicht aus.“
„Wer hat denn das auch behauptet?“
„Niemand, nur wenn hier welche flüchten wollen, dann muss es dafür wohl einen Grund geben.“ Er nickte nur und schloss die Tür wieder. Mit einem aufgesetzten Lächeln führte er mich den schmalen Flur entlang.
„Jeder hat seine Gründe.“
„Was ist mit dem Mädchen passiert?“
„Welches Mädchen?“
„Wie hieß sie noch gleich?... ach ja Amanda.“
„Woher kennst du sie?“
„Ich habe sie und ihre Mutter beobachtet, sie hat die Kleine durch die Tür gejagt und sie mächtig angebrüllt.“
„Verständlich, wie soll ihre Mutter auch sonst überleben? Sie kommt in den Sicherheitsbereich.“ Zweifelnd zog ich die Augenbrauen hoch und musterte ihn. Er blieb neben mir stehen und begann zu grübeln.
„Aber du weißt schon etwas über uns oder? Du siehst mich so verwirrt an.“ Ich zuckte mit den Schultern. Viel wusste ich nicht über sie, aber woher auch? Immerhin hatte ich kein jahrelangen Unterricht, der mir half diese eigenartige Welt zu verstehen. Vielmehr musste ein Zweiwochen Crashkurs reichen.
„Ich bin noch ziemlich neu was das Ganze angeht.“
„Aber du bist schon ein Vampir?“, fragte er ungläubig und wieder konnte ich nur nicken.
„Ich sag dir jetzt schon, du wirst uns hassen, aber denk daran die Vampire sind nicht
besser“, ermahnte er mich und setzte sich auf eine Couch, die mitten im Gang stand. Stirnrunzelnd setzte ich mich auch und fragte mich, warum es ausgerechnet hier so ruhig war.
Na ja so schlimm konnte es kaum werden. Was taten die Vampire schon? Klar sie tranken das Blut anderer, aber sie brachten doch niemanden deshalb um.
„Alle Schönheit kommt von den Kindern. Sie sind jung, gesund und schön. Sie haben reine Haut und sie haben keine Lasten zu tragen. Ist es nicht das wonach wir uns sehnen?“
„Ich weiß nicht.“
„Nun wir nähren uns von ihrem Blut, sie bekommen die Magie und Schönheit von ganz besonderen Muscheln in den Tiefen des Meeres, doch nur sie besitzen die Fähigkeit ihre Magie umzuwandeln. In das, was wir brauchen. Wir also besorgen ihnen diese Muscheln und sie geben uns ihr Blut. Als Gegenzug dürfen sie hier schlafen, essen und lernen.“
„Und was soll daran so grausam sein?“, fragte ich ungläubig und überlegte wo dieses Gespräch wohl hinführen würde.
„Das System funktioniert nur, wenn ein bestimmtes Gleichgewicht vorhanden ist. Jeder muss seine Zukunft durch eigene Nachfahren sichern. Es ist verboten sich von anderen zu nähren. Das Problem ist nur, dass wir mit ihrem Blut unsterblich sind, unsterblich und für immer jung. Das heißt wir können nicht ewig viele Kinder gebären, irgendwann reicht der Platz nicht mehr aus.“
„Ich verstehe nicht ganz, warum bekommt dann nicht jede Familie nur ein Kind?“
„Weil das Leben nicht einfach sein kann, liebe Alexandra. Kinder werden älter und damit verschwindet ihre Jugend. Wir brauchen mehr von ihrem Blut, um unsere Jugend behalten zu können. Mit 25 Jahren haben sie ein Alter erreicht, wo sie selbst auf Kinderblut angewiesen sind.“ Ich schluckte.
„Was passiert mit ihnen?“, fragte ich zögerlich und hatte noch im selben Moment Angst vor seiner Antwort.
„Sie müssen gehen und wir bekommen ein neues Kind, bis auch dieses zu alt ist.“
„Behaltet ihr keins eurer Kinder? Nie?“
„Doch, doch frischer Wind tut meistens gut, aber natürlich nur die Auserwählten. Von allen 50 Jahrgängen werden genau fünf junge Erwachsene auserwählt, die sich unserer Gruppe anschließen dürfen. Wir teilen ihnen Aufgaben zu und ermöglichen ihnen sicheres Leben.“
„Und was passiert mit den Ausgesetzten? Sie bekommen kein Blut mehr oder? Wie sollen sie überleben?“
„Gar nicht. Dort draußen können sie nur sterben.“
„Das ist grausam. Wie könnt ihr eure Kinder verstoßen, die euch vorher am Leben erhalten haben? Wie kann man so gefühlskalt sein?“, zischte ich wütend und war kurz davor fassungslos zu flüchten. Doch eine Weile riss ich mich noch zusammen. Er konnte mir viele Informationen geben, die mir Leandro aus irgendeinen Grund vorenthalten wollte. Irgendwann musste ich doch mal durch dieses ganzen Unsinn durchsteigen können!
„Ich weiß, aber was sollen wir tun?“
„Verzichtet auf eure Schönheit.“ Er begann zu schmunzeln, als hätte ich gerade einen Witz erzählt. Wie konnte man nur so grausam sein? Wie konnte man sein eigenes Kind verraten und dem Tod überlassen? Laureen traute ich das ohne jeglichen Trennungsschmerz zu, aber Melonie? Ließ sie ihre Kinder gehen? War sie Diejenige die diese Opfer etwa verlangte?
„Ohne Kinderblut schaffen wir 30 Jahre, viel zu früh wenn du mich fragst.“
„Wer entscheidet über die Fünf, die bleiben dürfen?“
„Der Test. Die Kinder lernen ununterbrochen, um hervorragend zu sein. Denn der Test entscheidet alles. Ein bunter Mix aus Wissen, Entscheidungen und Kontrolle. Nur Melonie`s und Laureens Kinder dürfen bleiben, da diese Irgendwann die Führung übernehmen sollen, aber noch stehen den beiden mindestens 500 Jahre zu.“
„Das sollte verboten sein. Ihr stellt eure Bedürfnisse über die eurer Kinder? Ihr seid so egoistisch, dass euch ein kleiner Makel stört?“
„Makel? Willst du nur 30 Jahre leben? Wenn es hoch kommt 35? Du erinnerst mich an meine Tochter, genauso aufmüpfig und auf der Suche nach Gerechtigkeit. Immerhin sind es unsere Eigenen. Wir sind verantwortlich für ihren Tod und nicht für den anderer.“
„Was soll das heißen.“
„Ich denke du bist ein Vampir?“
„Ja und?“
„Hat er dir euer Versteck noch nicht gezeigt?“ Ich schüttelte den Kopf. Wie um Himmelswillen sollten die Vampire noch schlimmer sein? Wie.
„Oh er versucht dich wirklich vor allem Schlechten zu schützen, nicht wahr?“
„Was ist mit den Vampiren? Ich denke wir trinken nur das Blut von Menschen?“
„Nicht ganz, aber lass´ dir das mal von deinem Freund erklären, ich will schließlich nicht der Sündenbock für alles sein. Kann ich dich auf dein Zimmer bringen?“
„Was? Nein, jetzt will ich es wissen!“, entgegnete ich streng und sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
„Er würde mich umbringen.“
„Das ist mir egal“, antworte ich gleichgültig, da ich mir sicher war, dass Leandro zu so etwas nicht im Stande wäre.
„Kläre das mit ihm, ich bringe dich jetzt zurück“, entschied er und ließ mir keine andere Wahl. Ich erinnerte mich an Leandro´s Worte und daran, dass ich diese Wesen bloß nicht provozieren sollte. Alleine was sie mit ihren Kindern anstellten, sagte doch schon alles.
Stumm nickte ich also. Umso näher wir meinem Zimmer kamen, desto mulmiger wurde mir. Wollte ich überhaupt wissen was dort wirklich lief? Anderseits hatte ich wohl keine andere Wahl, immerhin gehörte ich nun auch zu ihnen.