Eine Explosion, lautes Jaulen und schrille Schreie drangen mir in die Ohren, die mich zum zusammenzucken brachten und meine Schritte schneller werden ließen. Bäume zogen an mir vorbei, während ich den Flammen immer näher kam. Hitze und stickiger Rauch kam meinem Gesicht entgegen, doch das brachte mich nicht dazu umzudrehen. Ich musste in dieses Feuer und deshalb währte ich mich nicht gegen die Kraft, die mich in die lodernden Flammen ziehen wollte. Der Wald verschwand und stattdessen trat ich in bekannte Umgebung. Das Knacken und Knistern der Flammen umgab mich, während ich die Treppe hinaufschritt und in mein Zimmer gebracht wurde.
Die Geräusche des Feuers verschwanden und Stille trat in den Raum. Bedrückende Stille, die nichts Gutes verheißen konnte. Es war, als wäre die Zeit angehalten worden. Nicht einen Atemzug wagte ich, während ich mit zittrigen Händen nach dem Knauf meines Schrankes griff und die Tür einen Spalt weit öffnete. Starker Metallgeruch stieg mir in die Nase und brachte mich zum Erstarren.
„Lynn“, flüsterte ich mit heiserer Stimme, als die Schranktür zugeworfen wurde und mich sandgelbe Augen schadenfroh anstarrten. Ein Schrei verließ meine Lippen und schallte durch das gesamte Haus. Die gelben Flammen kamen näher, schlossen mich ein, wollten mich zum Ersticken bringen.
„Wasser!“, bettelte ich.
„Wasser!“, brüllte ich wieder. Gelb, Feuer und Lynn verschwanden, Dunkelheit breitete sich aus.
Nur einen Moment, ehe kaltes Wasser über meinen heißen Körper geschüttet wurde und ich kerzengerade auf dem Waldboden saß. Keuchend blickte ich um mich und schaute in zwei verblüffte Gesichter. Meine Atmung ging schnell. Alberts Gesicht verschwand und seine Schritte entfernten sich von mir.
„Ist alles okay?“, fragte Leandro besorgt, reichte mir seine Hand und half mir in den Stand zu kommen. Ich war noch etwas wackelig auf den Beinen, aber einen Augenblick später konnte er mich wieder los lassen. Stumm starrte ich ihn an und versuchte Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn zu ziehen. Gab es diese Grenzen überhaupt? Schneller als mir lieb war erkannte ich, dass der Wahnsinn genauso wahr sein würde, wie die Realität.
„Wir müssen los!“, rief ich in die Stille hinein, schwang mich aufs Fahrrad und fuhr nach Hause.
„Wohin?“, fragte Leandro verwirrt, während er mir hinterher joggte.
„Sie sind in Gefahr. Wir müssen da hin.“
„Wer? Wohin?”
„Meine Familie, sie sind da, sie wollen sie umbringen!“
„Wer will sie umbringen?“
„Na die gelben Augen!“, schrie ich krank vor Sorge und hatte dieses treibende Gefühl in mir, das mich zu ängstigen versuchte. Was, wenn wir nicht rechtzeitig dort wären? Wenn wir zu spät kämen? Das würde ich mir nie verzeihen.
„Gelbe Augen? Was?“
„Die Werwölfe verdammt! Wir müssen nach Hause, sofort!“ Gerade hatte ich diese Worte ausgesprochen, da packte er meinen Gepäckträger und begann mich in einem Affenstempo nach Hause zu schieben. Es dauerte keine fünf Minuten, bis wir vor meinem Haus ankamen und ich panisch vom Rad sprang. Es war noch nicht zu spät! Das Haus stand noch nicht in Flammen.
Mein Fahrrad warf ich ins nasse Rad, rannte zum Eingang und wollte gerade nach meinem Schlüssel suchen, da packte mich Leandro am Handgelenk und zog mich die kleine Stufe runter zu sich.
„Was soll das?“, flüsterte ich empört und zog meine linke Hand aus seiner Gewalt.
„Warte hier.“
„Was? Das kannst du vergessen!“
„Schrei nicht so! Du sagst, dass es Werwölfe seien? Weißt du wie leicht sie uns töten können? Ich lass dich dort nicht rein gehen.“
„Ist mir egal. Ich werde nach oben gehen, du siehst dich unten um.“
„Du bleibst draußen und damit Basta!“
„Jetzt schreist du aber. Nein ich habe was gesehen, was nur mir helfen kann, also lass mich nach oben gehen“, flüsterte ich leise und zog dabei beide Augenbrauen nach oben.
„Hör auf so verdammt stur zu sein. Lass mich alleine gehen und nicht länger diskutieren.“
„Nein, ich warte nicht. Es geht um meine Familie, mein Haus und mein Leben, also hör auf mir etwas vorschreiben zu wollen.“
„Warum bist du nur so elendig stur?“
„Du bist genauso stur!“
„Na gut, aber lass mich nach oben gehen, unten kannst du schneller weg.“
„Ich muss aber nach oben.“
„Ach ja? Was ist denn da?“
„Das ist nicht wichtig für dich, für mich aber, also lass mich endlich gehen. Du kannst mich eh nicht daran hindern“, antwortete ich entschlossen und wich noch einen Schritt von ihm weg.
„Das ist Lebensmüde.“
„Mir egal“, sagt ich knapp und hatte endlich meinen Schlüssel in der Tasche gefunden.
„Ich glaube du hast den Ernst der Lage nicht ganz begriffen“, hauchte er mir ernst ins Ohr und war mir wieder so nah, wie zuvor.
„Habe ich, aber ich muss dort rein“, erklärte ich und öffnete das Schloss mit einem leisen Knacken. Im Haus war es ruhig, kein Chaos, keine Fremden und keine Angst, vorerst.
Mit versteinerter Miene schlich ich leise die Treppe hoch.
Ich wollte den Blick in den Kleiderschrank nicht wagen, ich hatte Angst, aber ich musste. Mit schweren Schritten lief ich die Treppe nach oben, während die Unruhe in mir immer größer wurde. Tausend grausame Gedanken durchfluteten meinen Kopf. Wenn ich recht hatte, wenn sie wirklich so zugerichtet in diesem Kleiderschrank stand, dann musste es auch bedeuten, dass sie hier waren, dass die gelben Augen bald hinter mir auftauchen würden.
Ein eiskalter Schauder lief mir den Rücken runter, als mir ein vertrauter Geruch in die Nase stieg und mich an das Geschehene erinnerte. Mir entglitten alle Gesichtszüge, als ich mir nichts anderes mehr vorstellen konnte, als Lynn, tot in diesem Schrank auffinden zu müssen. Ein kleiner Funken Hoffnung war übrig geblieben, der mir den Mut gab, geradewegs zum Schrank zu laufen und den Kauf mit zittrigen Händen zu drehen.
Knarren erfüllte den Raum und der folgende Anblick verschlug mir die Sprache. Lynn, sie war es wirklich. Eigenartig krumm stand sie dort, angelehnt an die Wand und starrte leblos zu Boden. Ihr Kopf hing schief und ihr Hals trug schwere Wunden von sich, sodass ihr Blut immer noch herunter tropfte. Immer noch trug sie ihr weißes Kleid, bekleckert mit ihrem eigenen Blut. Eigentlich hätte ich mich nach ihrem Blut verzehren müssen, doch ungewöhnlicher Weise ekelte es mich an. Übelkeit stieg in mir auf.
Erneut blitzten die blauen Flecke unter dem samtigen Stoff hervor und erst jetzt kam in mir die Frage auf, woher sie die eigentlich hatte. Ihr Kopf hing so ungewöhnlich schief, dass man das Gefühl bekam, er würde ihr jede Sekunde von den Schultern fallen. Ihre glasigen und doch trüben Augen starrten ausdruckslos zu Boden und hatten all das verloren, was dieses Mädchen je ausgemacht hatte. Fragend starrte ich das silberne Messer an, das quer durch ihren Hals gebohrt worden war. Wer hatte sie umgebracht? Jemand, der Geister sehen konnte, so wie ich? Oder ein anderer Geist? Ich hätte ihr helfen müssen, ich hätte früher verstehen müssen, was hier vor sich gehen würde!
Ich wurde aus meinen Überlegungen gerissen, als der Boden plötzlich zu beben begann, das Glas der Fensterscheiben zerbrach und eine laute Explosion folgte. Jetzt war es zu spät, sie waren hier. Augenblicklich ließ ich Lynn alleine, stürmte auf den Flur und eilte die Treppen runter, in den ersten Stock. Dort stoppte ich, als ich Leandro gefesselt, auf dem Boden unserer Küche, entdeckte. Ich war kurz davor gewesen, weiter nach unten zu stürmen und ihm helfen zu wollen. Doch zum Glück hatte es mein klarer Verstand wieder an die Oberfläche geschafft und ich erinnerte mich daran, wie unwissend und schwach ich im Gegensatz zu den Männern sein musste. Ich brauchte einen Plan, ich brauchte einen verdammt guten Plan!
Drei bärtige Männer patrouillierten um ihn herum und ließen ihre Augen aufgeregt durch den Raum wandern. So als wüssten sie, dass ich da war, als würden sie aufgeregt nach mir suchen. Und was zur Hölle sollte ich nun machen? Ich konnte ihn nicht alleine zurücklassen! Ihre Blicke waren voller Hass und mir war klar, dass sie ihn nicht verschonen würden, selbst dann nicht, wenn sie bekämen was sie suchten.
Noch bevor mir eine Idee hätte kommen können, hörte ich plötzlich ein unangenehmes Knacken hinter mir und schon kurz danach, liefen die Wände rabenschwarz an. Brennender Schmerz an Kopf und Rücken machte sich breit, während ich die Orientierung schon längst verloren hatte.
Als langsam wieder Klarheit in meinen Kopf trat, versuchte ich aufzustehen, doch etwas hartes war um meine Hände geschnürt und presste mich an einen kalten Gegenstand.
Verzweifelt kauerte ich auf meiner Lippe herum und hoffte mich würde ein Geistesblitz durchzucken. Meine Blicke wanderten durch das vertraute Zimmer und stoppten bei mir noch viel vertrauteren Gesichtern. Da saßen sie, Mum und Tom, an die Haustür gebunden und blickten mir verstört entgegen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, als sich unsere Blicke trafen. Ich war erleichtert sie leben zu sehen, aber gleichzeitig hatte ich Angst, ihnen würde hier etwas passieren.
Plötzlich beugte sich ein blonder Mann vor mir runter und musterte mich ganz genau. Seine Haare hatte er zu einem kleinen Dutt zusammengebunden, was ich bei Typen schon immer lächerlich gefunden hatte, doch eigenartiger Weiser stand es ihm unheimlich gut. Er war muskulös und ein Gefühl von Angst kam in mir hoch, als ich diesen trainierten Körper wirklich wahrnahm und mich fragte, ob wir überhaupt eine Chance hatten hier raus zu kommen. Angespannt versuchte ich mir nichts von meiner Unsicherheit anmerken zu lassen. Verhandlungen mir ihnen würden nur schwieriger werden, wenn sie wusste wie ängstlich ich eigentlich war.
Für einen Moment starrten wir uns einfach in die Augen und ich fragte mich, wer von uns beiden zu erst aufgeben würde, doch dann löste sich die Situation von ganz alleine auf, als sich etwas spitzes in meine Handflächen bohrte und ich daraufhin nicht anders konnte, als das Gesicht zu verziehen. Verwirrt runzelte ich die Stirn, als mich fragende Blicke meines Gegenübers trafen und ich zu hoffen anfing, dass er nicht nachsehen würde was für diese verwirrten Gesichtszüge verantwortlich war.
Konzentriert ergriff ich die Chance und versuchte unauffällig das Seil zu durchtrennen. Seine musternden Blicke lagen immer noch auf mir, als sich ein weiterer Mann zu uns gesellte und sich bedrohlich vor mir aufbaute. Er war groß, breit wie ein Schrank, ebenfalls muskulös und dunkelhäutig. Mit einem fiesen Grinsen beugte er sich vor mich und starrte mir ganz auffällig in die Augen, als wolle er mir damit Angst einjagen, aber das konnte er nicht. Zumindest nicht so sehr, dass ich es nach außen zeigen würde. Sein schwarzes, schulterlanges Haar fiel ihm dabei ins Gesicht, konnte ihn jedoch nicht aus der Ruhe bringen. Er riss mir das Tuch aus dem Mund, was sich schon die ganze Zeit in meine Mundwinkel geschnürt hatte und verschränkte seine Arme abweisend vor der Brust. Böse funkelte ich ihn an und versuchte all meinen Mut zusammenzukratzen, um ihm möglichst unerschrocken entgegenzukommen.
„Was?”, fragte ich frech und zog dabei eine Augenbraue provokant nach oben.
„Habt ihr wirklich so viel Angst vor mir? So viel Angst, dass ihr mich bewusstlos schlagen musstet, um mich fesseln zu können?“ Meine Worte hatten gerade meinen Mund verlassen, da bereute ich überhaupt etwas gesagt zu haben und spürte wie mir ganz mulmig zu Mute wurde. Gefesselt, das war überhaupt das Stichwort. Ich konnte mich kein bisschen bewegen und war ihnen völlig ausgeliefert, das hatte mein freches Mundwerk wohl gekonnt ignorieren können.
„Lass ihn doch einfach in Ruhe! Und provoziere ihn doch nicht!”, zog eine merkwürdige Stimme meine Aufmerksamkeit auf sich, die ich keiner Person in diesem Raum zuordnen konnte. Es hatte niemand etwas laut gesagt, doch die Stimme waren nicht meine Gedanken, auch wenn ich das vermutlich hätte denken müssen. Aber von wem war sie dann? Sie war eindeutig männlich und so konnte ich Lynn ausschließen.
„Mist, wie konnten wir hier nur wieder hineingeraten?“, erklang sie erneut.
„Wer bist du?”, flüsterte ich leise und verstummte wieder, als ich bemerkte, dass die Männer mich verstanden haben mussten.
„Das ist deine einzige Sorge Kleines?” Mit zusammengekniffenen Augen blickte ich nach oben, in seine kalten Augen. Kleines? Der würde schon noch sehen, dass ich alles andere als klein war!
„Warte, du kannst mich hören?”, fragte die Stimme verwirrt. Leandro, natürlich. Warum war ich darauf nicht früher gekommen? Er musste sich in meiner Gedanken geschlichen haben.
„Leandro?“, fragte ich in Gedanken und drehte mich zögerlich zu ihm nach hinten um. Vorsichtig nicke er und versuchte mir ein Lächeln zu schenken. Okay irgendwie würden wir hier schon wieder rauskommen! Das mussten wir einfach. Entschlossen wendete ich mich wieder den Typen vor mir zu und versuchte so schnell wie möglich das feste Seile zu durchtrennen. Das war allerdings schwieriger, als es in den Filmen immer aussah. Ich hatte das Gefühl Drahtseile durchschneiden zu müssen, während ich meine Handgelenke nur ganz wenig und in eine Richtung bewegen konnte.
„Und was genau ist der Plan? Wenn wir dieser Seile erst mal durch haben?”, versuchte ich laut in meinen Gedanken zu fragen und wartete gespannt auf eine Antwort.
„Wie hast du das gemacht?”, fragte er verblüfft. Wie ich das gemacht hatte? Na ich schätze mal genauso wie er. Keine Ahnung wie das überhaupt funktionierte, wenn ich mich richtig erinnerte, dann hatte er in England gesagt, dass er meine Gedanken nicht mal lesen konnte. Wie also sollte dann dieses Gespräch in unseren Gedanken stattfinden?
„Ich schätze so wie du?”, begann ich, doch verstummte, da der Mann mir gegenüber wieder meine komplette Aufmerksamkeit auf sich zog. Er stellte etwas mehr Abstand zwischen uns her, was ich nur befürworten konnte, da er ziemlich streng roch. Vielleicht war das ja so ein Werwolfding. Kurze Zeit passierte nichts. Die Männer nahmen Abstand von uns und berieten sich in einer hinteren Ecke. Was sie wohl vorhatten?
„Er will das Amulett der Vampire. Das Verschollene, nach dem ich dich bereits gefragt habe. Ich will gar nicht wissen wo es ist und du versuchst es dir besser zu verkneifen, über den Ort nur nachzudenken“, mahnte mich Leandro.
„Ich weiß nicht wo es ist.“
„Gut, wie lange brauchst du noch für deine Hände?“, fragte er und damit begann ich wieder konzentrierter an meiner Befreiung zu arbeiten.
„Ich brauche noch kurz.“
„Gut, wenn du soweit bist, sag Bescheid, dann können wir zusammen angreifen.“ Die Schritte, die eben noch in großer Entfernung zu mir gewesen waren, wurden lauter. Der Mann mit den blonden Haaren kam auf mich zu und versuchte sich ein weiteres Mal groß vor mich aufzubauen. Der andere hatte mich allein schon mit seinen großen Fensteraugen, dem schwarzen Dreitagebart und der dunklen Stimme, einschüchtern können, während der Blonde eher attraktiv, als einschüchternd war.
„Wo ist das Amulett?”
„Weiß ich nicht.“
„Wo ist das Amulett?”, fragte er erneut und versuchte seine raue Stimme noch bedrohlicher klingen zu lassen. Auch dieses Mal hatte ich nicht viel mehr für ihn übrig, außer einem Schulterzucken und den gleichen, monotonen Worten.
„Ich frage dich ein letztes Mal, wo ist das Amulett?“
Nachdenklich schlich er auf das Küchenfenster zu, was eins der wenigen war, welches noch nicht zerschmettert worden war. Sachte legte er seine große Handfläche auf die Scheibe und fuhr mit seinen Fingern einige Konturen nach, die durch den Regen, an der Außenseite verursacht worden waren. Für ein kurzen Moment herrschte unangenehme Stille im Raum. Ich hörte kein schweres Atmen, dumpfe Schritte oder das Pfeifen des Windes, das durch die kaputten Fensterscheiben gelangt war.
Mit zusammengekniffenen Augen ließ ich meine Blicke langsam durch den Raum wandern und stoppte wieder bei dem Mann, der immer noch nachdenklich aus dem Fenster starrte.
Er bewegte seinen Kopf nach links, dann nach rechts und ließ ihn damit ekelige, knackende Geräusche von sich geben, dass die Stille für einen Moment zerbrechen ließ. Schließlich brachte er auch seine Finger zum Knacken, ehe er einen großen Schritt zurück machte und sich bedrohlich aufbaute, als wolle er uns Schläge androhen.
Doch anstatt uns davon etwas spüren zu lassen, holte er aus und zertrümmerte auch dieses Fenster, wodurch nun noch mehr Kälte und Nässe in den Raum trat. Im Gegensatz zu meiner Mutter und Tom, war ich außergewöhnlich ruhig geblieben und hatte einfach nur zugeschaut, wie die Scherben zu Boden gerast waren. Mit einer schwungvollen Drehung machte er kehrt, richtete seinen Blick aufmerksam auf mich und starrte mir, mit dem Hauch einer gelblichen Färbung in den Augen, bedrohlich entgegen. Das Glas auf dem Boden zog nicht länger seine Aufmerksamkeit auf sich, sodass er schnurstracks durch die Scherben lief und auf Mum und meinen Bruder zu schritt.
Mit einer ruckartigen Bewegung zog er ein spitzes, scharfes Messer aus der Tasche, um es meiner Mutter unter die Kehle halten zu können. Mein Atem stockte genauso sehr, wie ihrer und ich spürte wie mein ganzer Körper zu zittern anfing. Schadenfroh blicken mir die trüben, blauen Augen des blonden Mannes entgegen und setzten mich noch mehr unter Druck, niemanden meine Angst zu zeigen. Reiß dich zusammen! Krampfhaft versuchte ich das Beben meiner Lippen zu unterbinden und unterdrückte den Schrei, der kurz davor gewesen war, meinen Hals zu verlassen. Gerade jetzt durfte ich mir Schwäche nicht leisten!
„Bleib ruhig, wenn du willst, dass wenigstens wir lebendig hier raus kommen”, meldete sich Leandro in meinem Kopf zu Wort und ließ mich wütend werden.
„Klappe! Wir kommen hier alle lebendig raus!”, dachte ich wütend und ließ meine Handbewegungen immer ruckartiger werden, damit ich endlich diese Enge um mein Handgelenk herum, loswerden würde. Warum konnte er mir nicht ein einziges Mal Mut machen? Musste er wirklich jede Situation ausweglos erscheinen lassen?
„Änderst du nun deine Meinung, weißt du immer noch nicht wo es ist?” Ich spürte wie ich zunehmend nervöser wurde und ich plötzlich so durcheinander war, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Endlich spürte ich Freiheit an meinen Händen und begriff, dass ich es keine Sekunde zu früh geschafft hatte, mich befreien zu können. Ohne länger über etwas nachdenken zu können, umklammerte ich fest das Messer in der Hand, brüllte laut „Los!“ und sprang vom Boden auf. Noch in der selben Sekunde hörte ich den qualvollen Schrei meiner Mutter und wendete meine Blicke schnell von ihr und Tom ab.
Ich wusste, dass ich nichts tun konnte, um ihr zu helfen, nein das konnte nur Leandro. Also zögerte ich nicht lange und begab mich mitten in die Schlacht. Vollgeladen mit Wut, Verzweiflung, Angst und Adrenalin, stürmte ich auf den Schwarzhaarigen zu und schlug wahllos auf sein Gesicht ein. Meine Handknöchel schmerzten, aber das aufsteigende Adrenalin, ließ alle Schmerzen vergehen. Er brauchte einen Moment ehe er reagieren konnte, doch als es soweit war, traf er mich heftig. Gewaltsam schlug er mir ins Gesicht und zielte dabei knapp an meiner Nase vorbei. Anstatt auf meiner Nase, war der Schlag äußerst brutal auf meinem linken Wangenknochen gelandet. Hitze und Schmerz stieg in mir auf, die mir für einen Moment den Atem nahmen und meinen Verstand vernebelten.
Ich spürte wie das warme Blut hinunterrann, doch das interessierte mich nicht länger. Sein Schlag war einmalig gewesen und so starrte er mich einfach nur an. Sie glaubten wohl immer noch, dass ich die Antwort auf ihre Fragen hatte, also durften sie mich nicht töten. Schnell nutzte ich den Vorteil aus, einen Kopf kleiner als er zu sein und trat ihm mit voller Kraft zwischen die Beine. Mit diesem Schachzug hatte er nicht gerechnet, sodass er nun mit weit aufgerissenen Augen auf die Knie fiel und mit schmerzverzerrtem Gesicht versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Die Situation nutzte ich aus. Gnadenlos trat ich auf Kopf, Beine und Gesicht ein. Ich verfiel in Rage und spürte, wie ich kaum noch aufhören konnte. Von ihm konnte ich erst wieder ablassen, als ich die Augen schloss und sein gequältes Gesicht verschwand.
Doch es war dumm von mir gewesen die Augen zu schließen, denn schnell spürte ich etwas hartes an meinem Rücken und öffnete die Augen. Ruckartig drehte ich mich um und blickte in unzählige gelbe Augen. Es waren so viele, die plötzlich in das Haus gestürmt kamen, dass ich nicht wusste wo ich anfangen sollte und einfach um mich schlug und trat. Die Augen hatte ich schon lange wieder geschlossen und wartete darauf, dass mich ein Schlag von ihnen zu Boden reißen würde.
Einige Zeit hatte ich großen Erfolg mit dieser Methode gehabt, doch dann nahm ich den Angstschrei meiner Mutter wahr und wurde kurz unaufmerksam. Diese Gelegenheit ließen sich unsere Gegner natürlich nicht entgehen und so musste ich einen heftigen Schlag einstecken, der mich zu Boden zwang. Einer von ihnen hatte mir brutal in den Magen geschlagen, dass ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte. Sekunden vergingen, in denen ich keine Luft bekam, so sehr ich es auch versuchte. Langsam überfiel mich dunkle Schwärze, trotz meiner geöffneten Augen und ich schien gerade mein Bewusstsein zu verlieren. Doch das durfte ich nicht! Nein nicht jetzt! Ich musste kämpfen!
Meine Augen, die sich von alleine geschlossen hatten, öffnete ich einen kleinen Spalt und fragte mich, wie lange ich wohl schon hier auf dem Boden gelegen hatte. Ein einziges Chaos hatte sich in unserem Haus ausgebreitet. Stühle flogen durch die Zimmer und alle paar Sekunden hörte man Glas auf dem Boden zerschmettern. Verwirrt rappelte ich mich auf und starrte für einen Augenblick einfach in das Chaos hinein. Die Werwölfe hatten angefangen sich gegenseitig zu bekriegen und ließen uns damit vielleicht eine Chance hier raus zu kommen. In dem Gewusel erblickte ich Tom, der auf dem Boden zusammengekauert lag und die Hand unserer Mutter hielt. In schnellen Schritten eilte ich auf sie zu und wich fielen Händen aus, die sich nach mir gestreckt hatten.
„Wir müssen hier raus!“, keuchte ich atemlos und blickte Leandro auffordernd entgegen, doch der regte sich kein Stück.
„Jetzt!“, brüllte ich, stieß ihm in die Seite und deutete auf meine Mutter, die blutüberströmt auf dem Boden lag. Unsicher schüttelte er den Kopf und wollte mich gerade von ihr wegziehen, als ein lauter Knall alle zusammenzucken ließ. Eine Explosion war im obersten Stock ausgelöst worden und schickte riesige Flammen zu uns nach unten, die alle in Panik verfallen ließ. Es war wie auf einem Jahrmarkt, alle drängten sich aneinander vorbei, schrien und zeigten erschrocken auf die Flammen. Ich weiß nicht warum ausgerechnet ich die war, die einen klaren Kopf behielt, aber schnell kam mir die Gartentür in den Sinn, die von uns aus nicht allzu weit weg war.
„Hilf mir mal!“, schrie ich heiser über das Gebrüll hinweg, obwohl man mein zärtliches Stimmchen kaum zu hören wagte. Wie aus einer Starre erwacht, griff Leandro nach meiner Mutter und hievte sie in seine Arme. Sein verbitterter Blick verriet, dass er keine Hoffnungen mehr hatte, meiner Mum helfen zu können. Er trug sie nur aus dem Feuer, weil er wusste, dass ich viel zu lange mit ihm diskutieren würde und dafür hatten wir bei weitem keine Zeit. Meinen Bruder nahm ich auf den Rücken und versuchte so schnell es ging die Tür nach Draußen zu erreichen.
Die Flammen hatten uns bereits eingeschlossen und versperrten den Weg nach Draußen. Hilflos stand Leandro vor der offenen Tür und blickte mir entschuldigend entgegen. Ich hingegen konnte nicht zusehen wie das Feuer weiter wuchs und so nahm ich Anlauf, sprang ohne über irgendetwas nachzudenken ab und glitt durch das heiße Feuer. Die Flammen peitschten in mein Gesicht und hinterließen dort mit Sicherheit Spuren, aber die waren es mir wert, wenn wir dafür in die Freiheit gelangten. Mein Bruder hatte sich so sehr an mich gekrallt, dass ich ihn nicht von meinen Schultern bekam, aber das war vielleicht auch gut so.
Leandro zögerte einen Moment, doch dann machte er es mir nach und landete unsanft mit meiner Mutter in den Armen, auf seinen Knien. Nicht lange warteten wir im Garten, denn die Flammen wuchsen immer weiter und einzelne Werwölfe waren auf den Weg nach draußen. Leandro und ich flüchteten vollgepackt von unserem Grundstück und zogen uns für´s erste in den Wald zurück, wo ich Tom im Moos ablegte und meine Mutter behutsam auf ein Stückchen Wiese gelegt wurde. Tom war mit seinen Nerven am Ende, sodass er nicht mehr ansprechbar war und im Moos weg döste.
Der Regen versiegte und auf einmal wurde die Luft ganz trocken. Seufzend fiel ich neben meine Mutter auf den Boden und ließ das Messer fallen, welches ich bis eben immer noch fest umklammert hatte. Verwirrt starrte ich es an und fragte mich, ob es der Grund gewesen war, warum ich die Werwölfe überhaupt von mir abhalten hatte können. Nachdem ich zwei ausgiebige Atemzüge einfach nur vor mich her gestarrt hatte, wollte ich mich meiner Mum widmen, doch bevor ich dazu kam, drang mir verräterisches Knacken in die Ohren, dass meine Alarmglocken klingen ließ.