Nun hatten wir schon mitte Februar und die Winterferien waren schon längst wieder vorbei. In der ganzen Zeit hatte ich festere Freundschaften schließen können und mich besser eingelebt. Melina und Maya waren auch beim näheren Kennenlernen freundlich und mir schon jetzt bessere Freunde, als es Anne je gewesen war. Jedes Wochenende verbrachten wir zusammen und trafen uns auch unter der Woche. Selbst Lucas und Leandro kamen nun ganz gut miteinander klar und gehörten zu unserem festen Freundeskreis. Noch zwei weitere Leute, aus der Parallelklasse, waren zu uns gestoßen und nahmen an einigen Treffen teil. Nur Lucas Freundin blieb außen vor und musste ihn alleine besuchen, worüber ich und alle anderen, sehr froh waren. Wenn wir mit den anderen unterwegs waren, vergaß ich oft die Probleme um uns herum und den Fakt, dass wir ein großes Geheimnis hatten. Ich fühlte mich langsam wieder normal und es war großartig zu wissen, dass es auf einmal mehrere Leute gab, zu denen ich gehen konnte, wenn es Probleme gab. Und es gab sogar jemanden, der wie Leandro und ich war und der mich auch in diesen Dingen gut verstehen konnte.
Mehr und mehr wuchsen wir als zusammengewürfelte Familie zusammen. Eigenartiger Weise hatte ich kein Problem mehr damit, wenn Leandro von meiner Mum genauso behandelt wurde, wie ich. Obwohl er nicht ihr Sohn war. Sie ließ ihn mitentscheiden und ihr bei einigen Dingen helfen, für die ich keinen Kopf hatte. Eigentlich sollte mir das ein Dorn im Auge sein, immerhin war nur ich ihre Tochter und er sollte keinen Ersatz für irgendwen darstellen, das könnte er nicht, aber irgendwie kam ich langsam damit klar. Vielleicht lag es daran, dass meine Beziehung mit Leandro immer intensiver geworden war und ich auch mit meiner Mutter besser umgehen konnte. Es war zwar immer noch nicht so, wie es vielleicht sein sollte, aber es wurde von Tag zu Tag besser.
Leandro und ich unternahmen nicht nur in der Gruppe viel zusammen. Jede Woche hielten wir uns mindestens einen Tag frei, wo wir nur zu zweit etwas machten. Manchmal reichte es schon, wenn wir nur in seinem Bett lagen und einen Film schauten. Es gab Momente in denen war ich mir zu hundert Prozent sicher, er würde mich nie wieder so verletzten. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, dass er mir immer mehr Geheimnisse anvertraute und langsam ehrlich zu mir wurde. Doch vielleicht hätte ich nicht schon wieder so gutgläubig sein sollen...?
Das Geistermädchen hingegen machte mir immer mehr Probleme. Mahnte mich, wenn ich ihre Lieblingsblutgruppe nicht auf Lager hatte. Wenn ich später nach Hause kam und sie länger als gewohnt warten musste. Aber sie ließ meine Familie in Frieden und das war mir am Wichtigsten.
Die Recherchen kamen nur schleppend voran und das, obwohl ich mittlerweile sogar wusste, dass sie Charlotte hieß. In ihrer Nachbarschaft kam fast jeder in Frage. Außerdem waren viele von ihnen schon längst unter der Erde, was die Recherchen nur erschwerte.
Das schrillte Läuten der Schulklingel riss mich aus meinen Gedanken und brachte lautes Gemurmel in den Raum. Langsam standen alle Schüler auf und packten ihre Sachen zusammen. Valerie´s hohe Stimme riss mich schnell aus dem Gespräch mit Lucas. Seufzend starrte ich sie und Leandro an. Ein weiteres Mal, in dieser Woche, machte sie sich über seine Probleme in Mathe lustig und ließ keine Gelegenheit aus, um ihn daran zu erinnern, wie er oft genug vor den anderen vorgeführt wurde. Immer noch fragte ich mich was er ihr eigentlich getan hatte. Leandro wurde von vielen aus der Klasse gemocht und Valerie würde sich damit ganz sicher keine Freunde machen. Was brachte es ihr also überhaupt, sich über andere lustig zu machen?
Ich musste schmunzeln, als ich sah, wie Leandro´s Gesicht von schimmernder Röte bedeckt wurde und er wohl kurz davor war, ihr eine reinzuhauen. Doch ich schaute den Beiden nur zu und ließ das geschehen, was er fürs Beste hielt. Natürlich wollte ich nicht, dass er sie schlägt, aber es konnte ihr nur gut tun, wenn sie mal eine ordentliche Ansage bekam.
Unachtsam warf ich meine Sachen in die Tasche und seufzte, da uns als nächstes eine Doppelstunde Deutsch bevorstand, in der ich ausgerechnet auch noch einen Vortrag halten sollte. Bei der Lehrerin, die mich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Gedankenversunken schwang ich mir die Tasche über und verschwand zusammen mit Melina, Lucas, Maya und Leandro aus dem Raum. Leandro kochte vor Wut und deshalb schwieg er. Ich sah es in seinen Augen, wie sehr ihn Valerie aufregte, zu Recht und er wusste wohl auch, dass er sich nicht zusammenreißen könnte, wenn er erst einmal anfangen würde, sich über sie aufzuregen. Auf dem Weg zum Schulhof, kamen wir an Valerie vorbei, die an ihrem Schließfach hockte und vertieft auf ihr Handy starrte.
Schließfächer waren eigentlich eine gute Sache, aber an dieser Schule waren sie der reinste Müll. Die Zahlenkombination war so umfangreich, dass ich jedes Mal eine halbe Ewigkeit brauchte, um es zu öffnen und platz hatte man darin auch nicht wirklich. Also hatte ich noch in der zweiten Schulwoche mein Schließfach wieder abbestellt und schleppte nun alle Bücher mit mir herum.
„Geht schon mal vor”, riss mich Leandro´s raue Stimme aus den Gedanken und machte mich wieder aufmerksamer.
Eilig ließ er meine Hand los und stürmte auf Valerie zu. Zusammen blieben wir stehen und warfen uns verwirrte Blicke zu. Mit kraftvoller Wut ging er auf sie zu und drängte sie mit einer Leichtigkeit gegen ihr Schließfach. Er hatte sie so eingeengt, dass es für Valerie unmöglich war, entkommen zu können. Und das war ihr klar, denn sie sah ihn verängstigt an und wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er sie an. Ob er gerade auch so ein Appetit auf ihr Blut hatte, wie ich? Mit einer Leichtigkeit könnte er sie zu Boden prügeln und wir könnten uns unserem Verlangen hingeben. Das klang verlockend und kurz noch blieb ich in dieser Fantasie, bis ich mich am Riemen riss und für unser Image hoffte, er könnte sich zusammenreißen. Valerie tat mir kein bisschen leid und ich fand es beinahe amüsant, sie dort so verängstigt stehen zu sehen.
„Hör mir jetzt ganz genau zu! Ich lass mich von jemanden wie dir nicht zum Idioten machen, also behalt deine klugen Sprüche gefälligst bei dir, ehe ich dir meine Faust ins Gesicht ramme und deine krumme Nase, noch schiefer werden lasse!”, zischte Leandro bestimmend und drängte sie noch näher gegen den Spind. Schüchtern starrte sie zu Boden und versuchte jedem seiner Blicke auszuweichen, doch an ihr Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass ihr das keineswegs gelang. Langsam nahm er ihr die Brille von der Nase, nur um sie danach unachtsam zu Boden zu werfen.
„Haben wir uns da verstanden?”, hakte er ungeduldig nach und drückte ihr Kinn nach oben, um noch furchterregender zu wirken. Unsicher nickte sie, kniete sich sofort zu Boden, als er sie wieder losließ und hob ihre verbogene Brille auf. Einen Moment lang stand er noch vor ihr, bis sie ihr Schließfach geschlossen hatte und weinend davon lief. Lächelnd kam er auf uns zu und schlug bei einigen aus der Gruppe mit einem High Five ein.
Siegessicher legte er seinen Arm um meine Schulter und zusammen gingen wir vor. Lässig zwinkerte er einigen aus unserer Klasse, auf dem Flur, zu und hatte plötzlich diese arrogante, angeberische Art an sich. Er wirkte beinahe so, als würde er sich cool fühlen wollen. Als müsste er sich vor irgendwem beweisen. So kannte ich ihn gar nicht und ehrlich gesagt verunsicherte er mich damit. Und umso mehr ich darüber nachdachte, desto weniger mochte ich diese Seite an ihm. Er hätte sie doch einfach zur Schnecke machen und dann verschwinden können. Ohne ein großes Theater darum zu machen. Aber ich sprach ihn nicht darauf an. Ich wollte keinen Streit mit ihm und vor den anderen wollte ich erst Recht keine Diskussion starten.
Zusammen liefen wir auf den Schulhof, wo sich mittlerweile nur noch sehr wenige aufhielten, da die Temperaturen eisig geworden waren und die ersten Schneeflocken angekündigt waren. Während wir zu unserem Standard Treffpunkt liefen, lästerten die anderen weiter über Valerie und feierten Leandro für seinen Auftritt. Immerhin hatte es niemand aus den anderen Klassen mitbekommen. Sonst würde es bereits heute Nachmittag in der Schülerzeitung stehen, die schlimmere Gerüchte in die Welt setzte, als die größten Lästertanten der gesamten Schule.
„Du kannst dir nicht vorstellen was Leandro unserer kleinen Streberin gerade für ne Ansage gemacht hat. Ihr hättet dabei sein müssen!“, begann Maya den beiden zu erzählen, die schon auf uns warteten und übertrieb dabei ein wenig, so wie es eben ihre Art war.
Ich entfernte mich ein wenig von ihnen und versank in meinen eigenen Gedanken. Die beiden, hatten wir auf dem Schulhof kennengelernt. Melina und ich hatten ein paar Runden gedreht, als sie die anderen schnell in ein scheinbar unwichtiges Gespräch verwickelt hatte. Katy und Carlos hießen sie.
Melina konnte das gut, selbst die belanglosesten Themen erzählte sie spannend und schaffte es, jeden da mit reinzuziehen. Sie war unheimlich kommunikativ und ein Mensch, der schnell Freunde fand. Manchmal brachte sie mich damit auf die Palme, aber nur weil ich mir wünschte, auch so auf Fremde zugehen zu können.
Wie sich herausstellte waren die beiden das Traumpaar schlechthin. Fast jeden Tag gab es eine Schlagzeile in der Schülerzeitung über sie. An dieser Schule waren sie bereits seit drei Jahren das größte Gesprächsthema und hatten schon so einigen Tratsch über sich ergehen lassen, der an manchen Stellen komplett frei erfunden worden war. Tatsächlich wunderte es mich sehr, dass noch nichts über Leandro und mich in der Zeitung stand. Nicht, weil wir zusammen waren, eher weil wir der neue Zuwachs waren und so, für viel Aufregung gesorgt hatten.
Nachdenklich kramte ich in meiner Tasche nach meinem Wasser, als mich plötzlich etwas Hartes am Hinterkopf traf.
„Aua“, brachte ich ungewollt heraus, als sich der Schmerz ausbreitete. Ein Junge, vielleicht achte Klasse, griff nach dem Ball, den er mir an den Kopf geschmettert hatte und wollte gleich wieder verschwinden.
„Geht´s noch? Vielleicht entschuldigst du dich mal?“, fluchte ich. Mit ernster Miene stand ich auf und versuchte ihn einzuschüchtern. Nur leider war er ein ordentliches Stück größer als ich und mein böser Gesichtsausdruck schien ihn auch kein Bisschen zu beeindrucken.
„Halt doch die Fresse“, entgegnete er respektlos und kickte lässig den Ball zu seinen Freunden. „Was hast du gesagt?“ Fassungslos starrte ich ihn an und versuchte mich noch größer zu machen. Doch das brachte rein gar nichts. Er war immer noch größer als ich und definitiv auch nicht auf den Mund gefallen.
Ich sah mich um, als ich merkte, wie Blicke an mir haften blieben und sich selbst die Lehrer aus ihren interessanten Themen reißen ließen. Fast der ganze Schulhof starrte mich an und ich wusste, bei einer falschen Entscheidung, würde ich in der Zeitung und beim Direktor landen. „Pass das nächste Mal auf. Ja Kleiner?“ Angewidert von meinen Worten schenkte er mir noch einen flüchtigen, genervten Blick und verschwand dann wieder zu seinen Freunden.
Die Pause verging schneller, als es mir lieb war und schon klingelte es zum Reingehen. Es graute mir so sehr vor Deutsch, dass ich schon jetzt zu zittern anfing und mich fragte, wie ich da vorne überhaupt ein Wort rausbekommen sollte. Eigentlich war ich nicht besonders schlecht in Deutsch, aber ich sollte einen politischen Vortrag halten, der mich ganz schön an meine Grenzen brachte. Mit Politik hatte ich gar nichts am Hut, es interessierte mich nicht besonders und das Meiste verstand ich sowieso nicht. Doch jetzt wurde ich dazu gezwungen, was Leandro und meine Mum nur gut hießen. Sie waren beide der Meinung ich hätte zu wenig Ahnung und sollte mich damit beschäftigen. Manchmal gingen sie mir mit ihrer besserwisserischen Art gehörig auf den Geist. Und das Schlimmste an dieser Sache war, dass sie zu zweit waren und in gewisser Weise wohl auch Recht hatten.
Carlos klopfte mir leicht auf die Schulter und verschwand dann mit Katy, die mich zur Verabschiedung noch schnell umarmt hatte.
„Die Pausen werden auch immer kürzer oder?”, beschwerte ich mich bei Lucas, doch der antwortete nur mit einem Schulterzucken. Seufzend nahm auch ich meine Tasche und folgte den anderen mit gesenktem Kopf. Alle waren sie so in ihren Gesprächen vertieft, dass sie gar nicht mitbekamen, wie nervös mich die bevorstehenden Stunden machten. Schnell kamen wir vor dem verschlossenen Raum an. Ein wenig Hoffnung hatte ich, dass die Doppelstunden durch ein Wunder noch ausfallen könnte.
„Was ist eigentlich los mit dir?“, fragte Melina besorgt, als sie bemerkte, wie ich unruhig von dem einen Fuß, auf den Anderen trat.
„Nichts, ich bin nur unheimlich aufgeregt. Sie ist ein Drachen und sie hasst mich. Sie wird mir mit Absicht eine schlechte Note geben, da kann ich machen was ich will“, antwortete ich schnaufend und fing an nervös in meinen Haaren herumzuspielen.
„Jetzt bleib mal ruhig. Sie wird dich schon nicht umbringen...“
„Hoffentlich.“
„Mach dir keine Sorgen, das wird schon werden.“
„Hm, sie wird mich eh tausend Mal unterbrechen und verbessern, wie soll man denn dabei nicht nervös sein?“ Mitten im Gespräch kam Leandro die Treppe hoch geeilt und verkündete, dass wir den letzten Block Ausfall hätten. Verdutzt starrten ich ihn eine Weile an, bis ich verstand, dass mein Gebet erhört worden war und wir früher, als erhofft, gehen konnten. Ohne auf mich zu warten, verschwand Leandro noch im selben Moment und ließ mich alleine.
„Kommt, vielleicht schaffen wir den Bus noch!“, brüllte mir Maya ins Ohr und zog Melina mit sich, zur Treppe.
„Ich bin mit Fahrrad“, entgegnete ich knapp, doch da waren sie längst verschwunden. Mittlerweile war es ihnen zu kalt geworden, um den ganzen Weg mit Fahrrad zu fahren. Also waren sie nun auf den Bus angewiesen und mussten jedes Mal hoffen, dass sie ihn noch rechtzeitig erwischen würden. Immerhin fuhr der nur alle halbe Stunde und war zu den meisten Zeiten komplett überfüllt. Leandro und mich störte die Kälte nicht besonders und ich war froh, auf diesen ekelhaften Bus verzichten zu können. Der Rest der Klasse verschwand ziemlich schnell und schließlich waren nur noch Lucas und ich übrig.
„Hat Leandro dir irgendwas gesagt?“, fragte ich immer noch verwirrt von seinem Verschwinden und lief zusammen mit Lucas die Treppe wieder runter.
„Nö, warum? Ich dachte du wüsstest was?“
„Nee, keine Ahnung, wundert mich nur, dass er mir nichts gesagt hat.“
„Er kann doch machen was er will oder musst du immer wissen wo er ist?“, fragte Lucas etwas ernster und plötzlich fühlte ich mich für einen Moment angegriffen. Es klang wie ein Vorwurf, als wolle er mir sagen, dass ich ihn zu sehr kontrollieren würde.
„Nein natürlich nicht, ich habe nur keine Lust alleine nach Hause zu fahren“, entgegnete ich ruhig.
„Lass uns zusammen fahren, ich hatte auch keine Lust zu laufen“, sagte er nun wieder freundlich und zusammen liefen wir zu den Fahrrädern, wo wir uns schnell auf die Sättel schwangen und nach Hause radelten.
„Schon komisch, dass an unserem kurzem Tag auch noch was ausfällt“, stellte er fest, wobei schon wieder etwas in seiner Stimme lag, das nach einem Vorwurf klang.
„Stimmt schon, aber Zufälle solls geben. Außerdem bin ich froh, wenn ich den Vortrag erst nächste Woche halten muss und gegen zwei Stunden Ausfall hat wohl keiner was, außer Valerie vielleicht.“
„Wenn du meinst, aber ich find´s schon komisch, dass wir ausgerechnet Ausfall haben, wenn Leandro so dringend verschwinden muss.“
„Was willst du damit andeuten?“, fragte ich erstaunt.
„Na ja, dass er... also vielleicht etwas damit zu tun hat?“
„Wie mit dem Ausfall? Schon möglich, aber warum sollte er mir nichts gesagt haben?“
„Weiß nicht. Wir schreiben? Ich fahr noch zu Anna.“
„Hm, na dann noch viel Spaß euch“, antwortete ich mürrisch, alleine gelassen zu werden und verabschiedete mich von ihm, für diese Woche. Zum Glück war Freitag und so hatte ich noch etwas Zeit, den Vortrag überarbeiten zu können.
Nachdenklich fuhr ich weiter und überlegte, was er schon wieder aushecken könnte. Wieso musste er so schnell los? Und warum hatte er mir davon nichts erzählt? Er konnte doch unmöglich schon wieder eine Überraschung planen. Nein, da musste etwas anderes sein. Vielleicht sollte ich ihn einfach später danach fragen. Jetzt würde ich eh keine Antwort darauf bekommen.
Ich hatte vielleicht den halben Weg zurückgelegt, als das Waldstück anfing und ich mit einem Ruck abbremsen musste. Versteckt, hinter ein paar Büschen, sah ich plötzlich Leandro. Meine Gedanken über den freien Nachmittag verschwanden und stattdessen konnte ich mich nur noch auf ihn konzentrieren. Was zur Hölle machte er im Wald? Abseits vom Weg? Und verdammt noch mal, was machte er mit diesen zwei Mädchen?
Leise stieg ich von meinem Fahrrad ab, lehnte es an einen der Bäume und machte mich dann klein, um die Drei beobachten zu können.
Alle lachten sie sich an, als würden sie sich schon mehrere Jahre kennen und er umarmte sie. Beide. Wer waren die nur? Woher kannten sie sich? Ob er... nein er würde mich nicht schon wieder betrügen! Das durfte ich nicht einmal denken, nachdem er so viel für mich getan hatte. Die Brünette legte ihren Arm sachte um seine Schulter und fing an zu lachen. Ihre Lache war schrill und ich konnte mir kaum vorstellen, dass sie nicht übertrieb. Irgendetwas an ihr. Er lachte auch und verdammt noch mal, er ließ ihren Arm auf seiner Schulter! Vielleicht urteilte ich zu schnell, aber warum sollte er mir das verheimlichen, wenn es nur Freundschaft wäre? Wie bei Lucas und mir?
Auch das größere, blonde Mädchen schien mit ihm flirten zu wollen und warf ihr langes Haar nach hinten, während sie ihre Handfläche sachte auf seine Schulter legte. Eifersucht machte sich in mir breit und mischte sich mit der aufkommenden Wut. Das konnte doch nicht sein ernst sein, er durfte mich nicht schon wieder betrügen! Nein! Er würde mich zerstören und das wusste er ganz genau. Aber wenn es harmlos wäre, warum sollte er es dann verheimlichen? Er hätte einfach keinen Grund dazu. Mir wurde schlecht, wenn ich sie dort zusammen stehen sah. Tausend schlechte Gedanken machten sich in meinem Kopf breit und nahmen mir die Luft zum Atmen. Etwas großes legte sich auf meine Brust und ließ mein Herz schwer werden.
Das schlanke, großgewachsene Mädchen drehte sich für einen Moment zu mir um und ließ mich in unerschütterliche Starre fallen.