Er presste seinen Körper dicht an den Boden, machte sich so flach und unsichtbar wie möglich. Dabei drückte ihm seine Pistole schmerzhaft gegen den rechten Hüftknochen. Der Ventilator des zentralen Belüftungssystems drehte sich in seinem Gehäuse lautlos und blies ihm sanft die warme, abgestandene Luft der Büros entgegen. Er spürte seinen Herzschlag langsam und stetig in der Brust, wie immer, kurz bevor es losging. Dies war seine eigene Ruhe vor dem Sturm. Er ließ seinen Blick über die Kante des Daches schweifen und sah die Lichter der anderen Wolkenkratzer, die die Skyline von San Francisco bildeten. Entfernt hörte er den Straßenlärm aus der Gebäudeschlucht herauftönen. Selbst mitten in der Nacht, selbst mitten im Zusammembruch des Staates, zu dem man als Golden State bald nicht einmal mehr gehören würde. Er spitzte die Ohren und lauschte in das Dunkel hinein. Er ging die Aufgaben im Kopf durch, die ihn erwarten würden, und zählte dann die Sekunden. Es beruhigte ihn, wenn er wusste, wie viel Zeit verstrich, bevor der Run begann. Dann endlich knackte es in seinem Ohr. "Es geht los. Seid ihr bereit?", raunte eine ruhige, dunkle Stimme mit deutlichem, französischen Akzent. "Albert-Team bereit, im Keller ist niemand, freie Fahrt zur Farm", eine Frau, Polin. "Beethoven-Team bereit, Funkverkehr sicher.", Ein Mann, ebenfalls Franzose. "Chopin-Team bereit, warten an der Bar, die Nocturne ist auf dem Weg nach oben, auf euer Zeichen machen wir los.", eine männliche Stimme, irisch. "Darwin-Team bereit, wir rutschen los", sprach er über sein Kehlkopfmikro und nickte seinem Hintermann zu. Langsam ginge alle in die Hocke, hoben ihre Gewehre und entsicherten, einer nach dem anderen. Schnell huschten vier Schatten über das Dach des Grand Hyatt, darauf bedacht, keinen Laut von sich zu geben. Der Kies knirschte unter ihren Füßen. Sie kamen an der Tür zum Treppenhaus an. Es knirschte wieder in seinem Ohr. "Ragnar, wie sieht's aus?", die junge Polin, Marilka. "Sind an der Tür, gehen rein", sprach er und nickte dem verantwortlichen Teamkollegen zu, die Tür schwang lautlos auf und sie verschwanden nacheinander in der Dunkelheit. "Sind drin und auf dem Weg zum Pool, Chopin, wie sieht's aus?". Ruhe, dann das knacken im Ohr gefolgt von schwerem Atmen und einer Antwort: "Nocturne klingt wunderbar, wenn auch etwas verstimmt. Hat kurz Probleme gemacht und seine Wachmänner dazu gerufen. Aber alles erledigt. An alle, das Passwort lautet P3rv3rt_in_Town, ihr müsstet's jetzt auch sehen", tatsächlich ploppte bei ihm in der Brille das Passwort direkt unter dem Gebäudeplan auf. Sie gingen immer noch im Gänsemarsch die Treppe hinab, auf dem Weg zum Hauptterminal. "Albert hier, sind in der Farm, Passwort stimmt. Was macht die Kunst Beethoven?", Marilka klang geradezu fröhlich. Ragnar lief es kalt den Rücken hinunter, diese Frau war einmalig. Selbst in der bedrohlichsten Situation war ihr Blut kalt. "Eine Ode an die Freude. Entschuldigt den Scherz. Hier ist alles ruhig, aber beeilt euch trotzdem, die NSA nutzt vielleicht Technik, die älter als mein Sohn ist, aber früher oder später erschnüffeln sie uns doch." Sie kamen auf einem Treppenabsatz vor einer einst hübschen Holztür zum stehen. Ragnar zählte von vier mit den Finger runter, dann öffnete Eiki, einer seiner Teamkollegen, die Tür langsam, ließ durch den kleinen Spalt einen schwarzen Gegenstand rollen und schlug die Tür zu. Im inneren des Raumes detonierte etwas und Ragnar rief seinen Jungs zu, zu stürmen. Eiki ging vornweg, gefolgt von Lars und Thorwald. Das charakteristische ploppen von schallgedämpften Schüssen, schmerzerfülltes Stöhnen und das zusammensacken menschlicher Körper. Dann war alles ruhig. Ragnar ging zum nächsten Rechner und hämmerte auf die Tastatur ein. "Beethoven hier, sie sind uns auf der Spur, doch nicht so zahnlos, wie wir dachten", sprach die Stimme. "Das kommt vom Valley", warf Marilka ein "die rüsten wahrscheinlich die örtlichen Behörden auf, damit die bei der Sezession auch ja keine Probleme machen. Darwin, seid ihr endlich soweit oder krault ihr da oben eure Eier?"
"Gleich... So, Babylon ist offen. Los gehts Albert", Ragnar schluckte über den Widerstand des Mikros hinweg. "Danke, Ragnar, klang wirklich lecker. Darwin und Chopin, seht zu das ihr rauskommt. Darwin nimmt das Dach, Chopin den Aufzug. Treffpunkt ist im Safehouse. Alles klar?", Ragnar bestätigte. Darauf folgte eine Ewigkeit Ruhe. Dann endlich ertönte Johns krächzen: "Alles klar. Mussten Nocturne nur schnell entsorgen. Seine Frau ist hier, die scheint nach ihm zu suchen. Nicht, das sie die Polente rufen." Kurz darauf wieder Marilka: "Albert hier, die Farm ist abgeerntet. Wir machen uns wieder durch die Kanalisation weg." Der französische Bass ertönte wieder: "Mission erfolgreich. Funktstille bis alle im Safehouse sind. Wunderbare Jagd, hat Spaß gemacht. Teamleader raus." Am nächsten Tag wurde das Geschehen nur durch einen kleinen Beitrag auf der Facebooksite des SF Chronicle erkenntlich: "23.05.2027. SF. CA. Gestern Nacht kam es zum Absturz der Aktie von Caligo, nachdem scheinbar sensible Daten an die Öffentlichkeit gelangten, welche unter anderem noch unveröffentlichten Entwicklungen des Biotech-Konzerns enthielten. Gleichzeitig meldeten verschiedene europäische und chinesische Biotech-Konzerne verschiedene Gewinne an, welche auf neuen Patenten beruhten, die sich mit den Entwicklungen von Caligo deckten. Gleichzeitig bot ein Konglomerat europäisch-chinesischer Firmen Caligo an, sich für den aktuellen Marktwert aufkaufen zu lassen. Wieder einmal wird so eine einst amerikanische Größe der Wirtschaft Opfer der europäisch...."