Das erneute Krächzen riss sie aus ihren Gedanken, vor ihnen war ein Rabe gelandet.
Norbert betrachtete den Vogel, etwas an dem Tier schien eigenartig. Kleine Schwaden schwarzer Rauch des Lagerfeuers sammelten sich um das Tier.
"Pass auf!", kurz dachte Shanora Finns Stimme in dem Windstoß zu hören, der ihr plötzlich um die Ohren fegte.
Sie sprang auf und riss ihren Rucksack auf um sich zu bewaffnen, aber Norbert packte sie und hob sie hoch: "Auf den Baum mit dir!" Shanora gehorchte und klettere bis in die Baumkrone, versteckte sich in den Blättern.
Norbert nahm seine Streitaxt auf: "Wer ist da? Wer wagt es sich an den Nordmann heran zu pirschen!"
Ein leises Rascheln hinter Shanora und eine Hand die den Schrei, der ihr beinahe entwichen wäre, aufhielt, hätten fast dafür gesorgt, dass sie das Gleichgewicht verloren hätte.
"Psst!", flüsterte Cash ihr ins Ohr, "Alles wird gut!" Shanora atmete erleichtert auf als er die Hand vor ihrem Mund entfernte.
"Wie kamst du hier so schnell rauf?", wollte sie wissen.
"Ich kann schnell und ungesehen überall hinkommen!", Cash zwinkerte ihr zu, "Norbert wird die Aufmerksamkeit auf sich lenken, ich greife dann ein!"
Shanora blickte besorgt zu dem Nordmann, der schwarze Rauch hatte sich ausgebreitet und war unnatürlich dicht.
"Sie können noch mehr Rauch beschwören!", Cash konzentrierte sich, "Ich werde trotzdem hindurchsehen!"
Norbert drehte sich im Kreis und schrie: "Was, denkst du ich habe Angst? Zweifelhaftes Talent seinen Gegner in diese Nebelsuppe zu stecken!"
Es kam Bewegung in den Rauch, vor ihm manifestierte sich ein schwarzer Mantel. Dem Körperbau nach handelte es sich um einen Mann, er lachte spöttisch, die Stimme trieb Shanora die Gänsehaut über den Rücken.
Norbert schlug mit seiner Axt nach dem mysteriösen Angreifer, diese glitt einfach durch ihn hindurch wie durch Luft.
"Was, bei Odin, bist du für eine höllische Kreatur?", brüllte Norbert, bekam aber wieder nur das gruselige Lachen als Antwort.
Dann blickte er nach oben, das Gesicht von einer Maske verborgen. Die Augen in einem giftigen Gelb, so wie die von Treplew gewesen waren. Sie wanderten an Shanora vorbei der Blick bohrte sich in Cashs Augen.
Dieser hielt dem Blick kurz stand, Shanora bemerkte, dass sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten. Dann kniff er die Augen zusammen und begann zu schreien.
Er schien unsagbare Schmerzen zu haben, Shanora hatte Mühe ihn soweit festzuhalten, dass sie nicht beide vom Baum fielen.
"Endlich habe ich dich wieder gefunden, Nordmann!", eine andere Stimme bereitete Shanora sorgen. Ein Blick nach unten verriet ihr, dass es sich um Claude, den Druiden, handelte. Und um Deseis, den Raben, Churchs Onkel. Die unheimliche Gestalt war verschwunden, der dunkle Nebel auch. Shanora hielt den bewusstlosen Cash in den Armen, aus Angst er könnte erneut einen Krampfanfall bekommen und doch noch abstürzen. Norbert war auf sich alleine gestellt, und seine Gegner waren stark.
"Ihr verfolgt mich also schon seit Ilks?", wollte Norbert wissen und hob seine Axt, "Warum, wenn ich fragen darf?"
Claude lachte widerlich: "Tja, wir brauchen Moneten, und du bist so einiges Wert!"
Deseis verdreht neben ihm genervt die Augen: "Wäre es dir einmal möglich dich normal auszurücken? Außerdem habe ich keine Lust mehr, bringen wir es zu Ende, Tod oder Lebendig hieß es!"
Claude grinste Norbert finster an: "Ich mag sie lieber Tod!"
Norbert warf blitzschnell seine Axt nach dem Raben, dieser löste sich einfach in Luft auf. "Haha, du hast den Falschen auf der Prioritätenliste gehabt!", kreischte Claude, er hatte sich verändert, sein Körper verzog sich, er verwandelte sich in einen riesigen grauen Wolf und sprang auf Norbert zu.
"Ich brauche keine Waffe für dich!", Norbert schwang seine Faust, Shanora sah wie Energie darum pulsierte. Der Schlag war gewaltig, er ließ den Wolf geräuschvoll bis zurück in den Bach rauschen.
"Das ist also die absolute Kraft der Nordmänner!", der Rabe erschien hinter Norbert, dieser fuhr herum und schlug auf den Boden.
Shanora spürte das wackeln des Baumes noch rechtzeitig um das Gleichgewicht zu halten. Um den Einschlag von Norberts Faust hatte sich ein Krater gebildet, Norbert war nun einen Meter unter der Erde.
"Du fokussierst also all deine Energie auf deine Faust, aber wie lange kannst du dieses Pensum halten?", wollte der Rabe gelangweilt wissen. Er lehnte an dem Baum, in dem Shanora sich versteckt hielt. Norbert blickte, wohl unbewusst, nach oben um festzustellen, ob es ihr gut ging.
Der Rabe bemerkte diesen Blick sofort: "Claude, wenn du fertig damit bist dich zu regenerieren sag mir, wie viele Leute hier sind!" Claude stieg aus dem Bach, seine Gestalt hatte sich wieder verändert. Er war nun halb Mensch, halb Wolf. Seine Klauen erinnerten Shanora an Treplew, lang und scharf. Seine roten Augen fixierten Norbert, der wieder an die Erdoberfläche geklettert war. Seine Zähne waren länger und Spitzer und sein Haar wirkte struppiger.
"Auf dem Baum versteckt sich ein Mädchen, ich kenne ihren Geruch irgendwoher!", knurrte er.
Der Rabe wollte nach oben sehen, aber Norbert raste auf ihn zu, sodass er sich Entmaterialisieren musste. Das bezahlte Norbert teuer. Die Klauen des halb verwandelten Druiden drangen von hinten tief in seinen Rücken ein. Der Nordmann schrie vor Schmerz auf, dann schleuderte er den Angreifer von sich. Blut tropfte auf den Boden, Shanora kramte panisch in ihrem Rucksack. Sie musste etwas unternehmen.
Norbert hinderte den Raben erneut daran den Baum genauer zu untersuchen, dann brüllte er: "Achtung!" Und schlug mit voller Wucht gegen den Stamm, der auf der Stelle zersplitterte, was den Baum zum fallen brachte.
Shanora klammerte sich fest an Cashs Körper und versuchte ihn so gut es ging vor dem Aufprall zu schützen. Dann ließ sie ihren Rucksack bei ihm zurück und achtete darauf, dass sein Körper nicht sofort sichtbar war.
"Hört auf!", schrie sie, ihr Gesicht unter der weißen Maske verborgen, um nicht sofort erkannt zu werden.
"Was willst du mir sagen, Schlampe!", Claude schoss sofort auf Shanora zu, wurde aber von Norbert aufgehalten. Dieser schlug wieder fest zu, diesmal aber deutlich langsamer. Er verfehlte den Druiden knapp, diesem aber gelang es tiefe, klaffende Kratzspuren auf Norberts Arm zu hinterlassen. Blutend stand der Nordmann vor ihr, auch einen weiteren Angriff des Druiden konnte er abwehren, diesmal hinterließ er eine klaffende Wunde an Norberts Hals.
Shanora wollte ihm zur Hilfe eilen, aber Norbert stieß sie zurück: "Pass auf, sein Körper produziert eine Art Gift! Er ist verdorben!"
Angstvoll starrte sie auf den Druiden, er schien wirklich wahnsinnig zu sein, aber verdorben...Diese Worte hatte sie damals von Sassy gehört, als Treplew Vanessa in die Verderbnis gerissen hatte. Ein unkontrollierter Geist, eine Art Wahnzustand resultierte daraus.
"Deseis!", schrie sie stattdessen, sie konnte die Überraschung über den Klang seines Namens in seinem Gesicht sehen. Shanora wendete sich weiter an ihn: "Bitte bring ihn dazu aufzuhören! Er wird den Nordmann töten!"
Der Rabe musterte sie verwundert, dann verschwand er.
Shanora wagte es nicht zu atmen, ihr Körper zitterte, sie spürte eine kalte Klinge an ihrem Hals. Es schmerzte, warm begann es aus dem dünnen Schnitt zu bluten und über ihren Hals zu laufen. Sie spürte wie das Band, dass die Maske an ihrem Kopf befestigte, gelöst wurde und man ihr die Maske abnahm.
Tränen liefen ihr über die Wangen, sie hatte große Angst. Plötzlich spürte sie einen warmen Atem in ihrem Nacken, der schattenhafte Rabe schien ihr nicht zu helfen.
"Warum tust du das? Du hättest mich in Schwarzwasser töten können!", flüsterte sie.
"Ich hole mir bloß ein Kopfgeld, bei dem du mir im Weg stehst!", erwiderte er. Seine eiskalte Stimme machte ihr Angst, keine einzige Emotion schien darin zu liegen. Kein Zweifel, das war der Mann, der ihr am Anfang ihrer Reise das Leben gerettet hatte.
Ihr Blick fiel auf Norbert, der verletzt an einem Baum lehnte, Kampfunfähig.
"Bereust du es mich aufgesammelt zu haben? Hör auf damit oder du wirst es büßen!", Shanora war überrascht, wie stark ihre Stimme klang.
Norbert stöhnte laut auf, er schien kurz davor zu sein das Bewusstsein zu verlieren. Sie musste die tiefen Kratzspuren des alten Mannes dringend behandeln. Claude hatte sich wieder zurückverwandelt und betrachtete sie nun eingehend.
"Wir müssen die Schlampe ausknipsen!", stellte er dann aufgebracht fest, sein längeres graues Haar und seine blutroten Augen schienen immer noch voller dunkler Energie zu sein. Shanora konnte sie immer wieder sehen.
"Wie redest du den mit mir?", sie fragte sich, woher ihr plötzlicher Mut kam. Aber andererseits konnte sie jetzt nicht aufgeben. Finn hätte nicht um sein Leben gefleht, nein, er hätte Mut bewiesen. Sie würde genau so handeln.
"Wirst du jetzt etwa frech?", Claude grinste und sprang in Norberts Richtung. Sein Körper verwandelte sich im Sprung, er wurde wieder zum Wolf und verbiss sich in der Kehle des Nordmannes.
"Nein!", Shanora schrie auf, sie konnte den stummen Schrei in Norberts Gesicht sehen.
"Sei still!", zischte der Rabe ihr ins Ohr, "Du machst es bloß schlimmer!"
Shanoras Körper zitterte vor Wut, sie biss sich auf die Lippe.
"Noch schlimmer? Er tötet diesen unschuldigen alten Mann!", flüsterte sie dann. Norberts Kopf kippte zur Seite, aus seinem Mund rann Blut. Erst jetzt ließ der Druide von ihm ab und kehrte zu seiner menschlichen Gestalt zurück.
"Auftrag erfüllt!", Claude grinste, seine blutverschmierten Lippen und Zähne widerten Shanora nur noch mehr an.
"Geh schon mal vor", der Rabe hinter ihr schien diese Worte auf den Druiden zu beziehen. Dieser legte den Kopf in den Nacken und überlegte: "es ist nur fair, ich hatte meinen Spaß mit dem Knacker hier und du nimmst dir die Schlampe vor!"
Dann verschwand er blitzschnell Richtung Norden. Shanora ballte die Hände zu Fäusten, als sie unsanft an den Haaren zu Boden gerissen wurde. Wenigstens war die Klinge verschwunden.
"Ich weiß nicht, woher du kommst, aber falls du es nicht verstehen kannst. Du hast hier keinen Wert! Ich lasse dich dieses eine mal noch am Leben, aber falls du mir ein weiteres Mal in die Quere kommst töte ich dich!", zischte er ihr ins Ohr, bevor er sie loslies.
"Ach ja?", Shanora stemmte sich wieder hoch, "Versuch es doch!"
Der Rabe fixierte sie kurz, dann aber steckte er einen unerwarteten, plötzlichen Faustschlag ein.
Shanora riss verwundert die Augen auf: "Aber..."
Cash stellte sich vor sie und rieb sich den Knöchel: "Kümmere dich um Norbert! Hilf ihm, schnell!"
Dann fixierte er den Raben, welcher sich das Kinn rieb und ihn eingehend musterte.
"Dich habe ich ganz vergessen, die kleine Assassine des Nordmanns!", zischte er dann und verschwand.
"Versuch es gar nicht!", Cash Stimme war so voller Wut, "Ich werde dich aus den Schatten reißen!"
Shanora hatte Norbert erreicht und legte ihr Hände auf seinen Hals. Er lebte noch, aber es stand mehr als schlecht um ihn. Er hatte viel Blut verloren, und sein Körper war geschwächt von Claudes Gift.Sie sah den Kampf zwischen dem Raben und Cash nur im Augenwinkel. Auch bei voller Sicht hätte sie wahrscheinlich nicht mehr mitbekommen. Cash bewegte sich so schnell, dass sie ihn kaum sehen konnte, er schien schnell die Hoheit in diesem Kampf zu haben.
"Wie kannst du sehen wo ich bin?", die Stimme des Raben klang plötzlich verunsichert und überrascht, "Du kämpfst wie er..."
Cash schlug wieder zu, er traf den Raben in den Bauch, so hart das dieser Blut spuckte: "Ich kann alles sehen, Arschloch!"
Dann packte er ihn und drückte ihn zu Boden, Energie schoss aus seiner Hand, wie davor bei Norbert. Aber er machte keine Faust im zuzuschlagen, sondern eine Flache Hand.
"Töte ihn nicht!", flehte Shanora lautstark. Er würde den Körper des Raben mit seiner Hand aufspießen. Warum demateralisierte er sich nicht? Konnte er nicht? Cash schien sie nicht einmal mehr zu hören, in seinen Augen lag genau das, was der Nordmann beschrieben hatte. Eine Härte und Dunkelheit. Shanora konnte die Finsternis in seinem Herzen spüren. Shanora schloss die Augen, erst als sie Cash überrascht aufschreien hörte öffnete sie diese wieder.
Cash war von einer Gestalt aus dem Schatten zurückgeworfen worden, diese hatte auch Claude, der sich angeschlichen hatte um Cash in den Rücken zu fallen, aufgehalten.Er war in schwarzen Schattenfäden gefangen.
"Das ist... Der Typ von damals!", schrie der Druide auf, Church warf ihn daraufhin nach hinten.
"Lauft!", schrie er ihnen nach. Der Rabe und der Druide befanden sich auf dem Rückzug.
"Was haben sie getan!", Cash wollte auf Church losgehen, der ihn daraufhin mit seinen Fäden unschädlich machte.
"Ich habe dich davor bewahrt zum Mörder zu werden, Junge!", Church warf einen prüfenden Blick zu Shanora.
"Aber sie sind so gut, sie hätten beide erledigen können!", Cash schien immer noch wütend zu sein.
"Wahre Stärke liegt darin nicht zu töten, wenn man es nicht muss. Niemand hat ein Recht aufgrund seiner Übermacht Leben zu nehmen!", Church ließ ihn frei und ging zu Shanora.
"Er stirbt!", flüsterte sie traurig, Tränen schossen ihr in die Augen. Sie konnte nichts mehr dagegen tun.