Norbert hustete und keuchte, alles was Shanora und Church tun konnten, war ihm die Schmerzen zu nehmen.
Cash schien mit der ganzen Situation völlig überfordert zu sein. Er stand da und starrte den Mann, der ihn aufgezogen hatte, mit weit aufgerissenen Augen an.
"Cash...", Norbert atmete schwer, "Hör mir zu Junge..."
Cash beugte sich zu ihm hinunter: "Was? Sprich lieber nicht!"
Norbert hob langsam und zitternd den Arm und zog seinen Schützling näher zu sich: "Ich habe dir immer wieder von Ragnarök und dem düsteren Schicksal der Götter erzählt. Alte Legenden eines alten Volks. Aber etwas Ähnliches passiert hier! Bei Odin, mein Junge, du musst es aufhalten! Du musst... die Kontrolle... bewahren..."
Cashs Augen füllten sich mit Tränen: "Bitte hör doch auf so zu reden! Wie oft war es knapp? Wir haben es immer geschafft! Ragnarök, der Weltuntergang, der Weltenbrand... Das sind alles nur Geschichten!"
Norbert keuchte, er konnte kaum noch sprechen: "Der Weltenbrand hat bereits begonnen!" Die Stimme des Nordmannes versagte, sein Blick wurde leer und sein Arm viel schlaff zu Boden.
"Ich weiß nicht was du meinst... Bitte verlass mich nicht. Bitte lass mich hier nicht alleine! Was soll ich den jetzt machen?", flüsterte Cash, eine Antwort bliebt ihm der Nordmann schuldig.
Als Cash realisierte, dass sein Ziehvater verstorben war, taumelte er zurück.
"Das ist meine Schuld! Dieser Typ mit den gelben Augen... Wenn ich ihn sofort angegriffen...", im selben Moment spuckte er einen Schwall Blut aus und fiel auf die Knie. Besorgt versuchte Shanora ihn noch bei Bewusstsein zu halten, es gelang ihr aber nicht.
"Was ist passiert? Wurde er bei dem Kampf gegen den Raben verletzt?", fragte Church und halt Shanora den Bewusstlosen in eine stabile Lage zu drehen.
"Ich habe ihn im Wald vor Ilks behandelt, ich vermute, dass er innere Blutungen hat!", Shanora hatte das Gefühl völlig die Kontrolle zu verlieren.
"Das ist nicht deine Schuld!", sagte Church schnell, "Wir bringen ihn hier weg, er wird wieder!"
Shanora nickte, dann fiel ihr Blick wieder auf Norbert: "Aber das ist meine Schuld! Wahrscheinlich habe ich diese Mörder direkt zu ihm geführt!"
Church schüttelte den Kopf und warf sich Cash wie einen Kartoffelsack über die Schulter: "Sie hätten ihn früher oder später gefunden! Sie können froh sein, dass du hier warst um sie zu unterstützen!"
Shanora war nicht überzeugt von seiner Meinung: "Ich weiß nicht... Was machen wir jetzt?"
Church setzte sich in Bewegung: "Wir müssen den Jungen so schnell wie möglich nach Ilks bringen! Den Nordmann begraben wir später!"
Shanora folgte Church durch den Wald, sie beschloss sich noch über die Begräbnissitten der alten Wikinger zu informieren. Wenigstens das konnte sie noch für ihn tun. Was er über den Weltenbrand gesagt hatte, schwirrte in ihrem Kopf herum. Osilia brennt wieder, das stand fest, genau wie der Limbus und die Unterlande. Und Elensar würde brennen, das hatte der Dunkle sich zum Ziel gemacht. Eine Neuauflage einer alten Legende.
Endlich hatten sie die Straße und damit den Wagen von Church erreicht. An der selben Stelle, an der er sie am Vortag aussteigen gelassen hatte, sie hatten sie mit einem Kreuz am Wegrand markiert. Als Treffpunkt, falls etwas schief laufen sollte.
Church legte Cash auf der Rückbank ab und stieg ein, nachdem er sichergestellt hatte, dass Shanora angeschnallt war, startete er den Wagen.
"Konntest du in Illutia regeln was du vorhattest?", fragte Shanora vorsichtig. Churchs schwarze Augen starrten auf die Straße vor ihm, die er zügig entlang fuhr. Er schien in seinem Kopf nach den richtigen Wörtern zu suchen, aber entschied sich dann wohl einfach die Frage zu ignorieren.
"Es tut mir Leid!", murmelte Shanora. Sie wusste, dass Church wohl der meistgehasste Verbündete ihres Bruders war. Es hatte sie sehr überrascht, das Saphira sich überhaupt auf ihn eingelassen hatte. Wo sie und Celles ihn immer am meisten verachtet hatten. Aber er hatte sie aufrichtig geliebt. Auch wenn er seinen Auftrag immer wieder über die Beziehung gestellt hatte. Seine Loyalität zu Finn war ihm da oft in die Quere gekommen. Auch seine Loyalität ihr gegenüber, Shanora fühlte sich beinahe schuldig.
"Sie wollte mich nicht sehen!", Church hatte seine Sprache wieder gefunden, "Aber wahrscheinlich ist es wirklich besser so. Ich kann nicht mehr verleugnen, was ich bin. Ich stelle eine Gefahr dar, für alle!"
Shanora schüttelte energisch den Kopf: "So ein Blödsinn! Das ist einfach nur dumm! Du bist was du sein möchtest, jeder hat eine Wahl!"
Church lächelte, es erstaunte ihn immer wieder, wie sehr Finn sie geprägt hatte.
"Was ist mit dem Jungen? Ich schätze er ist der Erbe, von dem Finn gesprochen hat?", fragte er um das Thema zu wechseln.
"Ja!", Shanora betrachtete langsam, wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand und alles in rotgoldenes Licht tauchte.
"Aber er weiß es nicht!", sie fragte sich, wie sie ihm das erklären sollte, "Norbert hat es nicht übers Herz gebracht ihm das zu sagen!"
Church seufzte: "Der arme Junge! Man wird ihm mit so viel Hass begegnen. Aber schau ihn dir an, er ist das Ebenbild seines Vaters! Graues Haar, Heterochromie, tendenzielle Wutausbrüche..."
Leider musste Shanora ihm recht geben, sie betrachtete Cashs Gesicht genauer. Er sah aus wie eine junge Version des Dunklen. Sie verstand, dass Ladira ihn damals toll gefunden hatte. Aber mussten die beiden Männer ein Schicksal teilen? Finn war auch aus den Genen des Dunklen entstanden, aber er würde sich nie der Dunkelheit hingeben.
Ein plötzlicher Knall vor ihr ließ sie sich umdrehen, das nächste, was sie hörte, war das Bersten der Motorhaube. Der Wagen war gegen irgendetwas geprallt und überschlug sich zahlreiche Male. Shanora riss die Hände schützend über ihr Gesicht, der Airbag ging aus irgendeinem Grund nicht auf. Scherben flogen durch den Innenraum des Fahrzeugs, Shanora wurde von etwas schwarzem umschlossen, dann verlor sie das Bewusstsein.
"...Der Junge könnte gefährlich sein, wir sollten ihn gleich erledigen!", Shanora hörte verschwommene Stimmen um sich herum.
"Das werden wir nicht... Argh! Was machst du da, willst du mich umbringen?", das war eindeutig Churchs Stimme.
"Wollte ich, aber durfte es nie!", die andere Stimme gehörte wohl auch zu einem Mann, und doch hatte Shanora sie noch nie gehört.
"Der Junge wird nicht angerührt, Ation, haben wir uns verstanden?", das war wieder Church, er schien den Fremden zu kennen.
"Ja, wie du meinst!", der andere, Ation schien näher zu kommen. Plötzlich spürte Shanora eine warme Hand auf ihrer Stirn: "Sie ist bei Bewusstsein, es kann noch einen Moment dauern, bis sie klar ist!"
Shanora öffnete die Augen, ihre Sicht war verschleiert, sie brauchte einen Moment um sich an das grelle Sonnenlicht zu gewöhnen.
"Trink erst einmal einen Schluck!", man presste ihr einen Becher mit Wasser auf die Lippen. Sie verschluckte sich und hustete, dann setzte sie sich auf: "Was ist passiert?" Sie befanden sich in einem hellen, karg eingerichteten Raum. Sie saß auf einem Krankenbett, neben ihr befanden sich ein EKG-Gerät und einige Bildschirme, die mit den Kabeln, sie an ihrem Körper klebten, verbunden waren.
"Ich denke ich kann das EKG abhängen!", der Mann mit dem ausgesprochen schönen grauen Augen, der Shanora das Wasser gereicht hatte, entfernte die Klebestellen von ihr.Shanora betrachtete ihn genauer, er trug eine Brille und hatte langes, glattes braunes Haar, aus dem Spitze Ohren lugten. Ein Elf, wunderschön mit leicht arroganten Zügen.
"Danke für deine schnelle Hilfe!", Church sah furchtbar aus.
Eine neue Naht von seinem Ohr bis über den gesamten Hals stach Shanora sofort ins Auge.Seine schwarzen Haare hingen ihm wirr und matt ins Gesicht und unter seinen Augen lagen dunklere Schatten als sonst.
"Wo sind wir?", fragte Shanora, "Und was ist passiert!?"
Ation lächelte sie weiter freundlich an: "Wir sind in dem Teil des Krankenhauses von Ilks, der noch verwendbar ist!"
Church setzte sich zu ihr auf das Bett: "Jemand hat mein Auto manipuliert, es gab eine Explosion und ich habe die Kontrolle über den Wagen verloren..."
Ation winkte ab: "Aber er war geistesgegenwärtig und hat dich und... den Anderen... in seine Ekelfäden gewickelt als die Airbags versagten! Darum hast du auch nur eine Gehirnerschütterung und ein leichtes Schleudertrauma!" Shanora nickte Church anerkennend zu: "Danke!"
Dann wendete sie sich an Ation: "Und du bist Arzt hier?"
Ation lachte auf: "Nein, das auf keinen Fall! Aber ein klein wenig kenne ich mich aus! Ich bin ein alter Freund deines Bruders, Church bat mich um Hilfe bevor er dich abgeholt hatte. Er war sicher, dass man euch verfolgen würde!" Shanora konnte sich an eine Erzählung über einen Elf erinnern. Finn hatte ihn aus dem Limbus befreit, in den er verbannt worden war. Aber sie wollte lieber nicht nachfragen, dass Church ihm vertraute reichte ihr vorerst.
"Wie geht es Cash?", wollte sie dann wissen.
"Wem?", man konnte die Abneigung in Ations ganzem Gesicht sehen.
"Dem Jungen, Ation!", fuhr Church ihn an, was den Elf wenig beeindruckte.
"Er lebt, ich habe getan was nötig war damit das vorerst so bleibt!", murrte dieser und verließ dann den Raum.
"Was hat der den?", wollte Shanora wissen.
"Auch er hat durch den Dunklen alles verloren. Er sah Cash und wusste sofort um wenn es sich handelt. Ich konnte gerade noch verhindern, dass er ihn an Ort und Stelle umbringt!", erklärte Church und seufzte.
"Das ist so ungerecht!", Shanora versuchte langsam aufzustehen, "Wo ist er?"
Church seufzte erneut: "Den Gang runter und dann links, das Zimmer mit dem Gitter, Marbas steht davor!" Er sparte sich die Anmerkung, dass sie sich schonen sollte. Sie würde so oder so gehen. Shanora wankte noch ein wenig, ihr war schwindlig, aber sie konnte sich auf den Beinen halten. Sie folgte der Wegbeschreibung und sah Marbas, der gelangweilt vor einer vergitterten Türe am Boden sitzen.
"Was machst du hier?", fragte sie ihn, er musterte sie überrascht.
"Naja, ich bewache den kleinen Dunklen! Solltest du nicht im Bett liegen?", fragte er dann.
"Nenn ihn nie wieder so!", fuhr Shanora ihn an, "Und jetzt mach die Türe auf!"
Marbas Blick eskalierte kurz, er schien beinahe schon verstört von Shanoras Reaktion zu sein. Er erhob sich und zog den Schlüssel für die Türe aus der Brusttasche seines Hemdes, dann reichte er ihn ihr. Shanora schloss die Türe auf und ging leise in das Krankenzimmer. Im Gegensatz zu ihrem Zimmer waren die Fenster hier vergittert, und an dem Krankenbett waren Fesseln angebracht, um Patienten zu fixieren.
Dieser Trakt musste wohl eine Art Psychiatrie gewesen sein.
Cash war an dieselben Apparate angeschlossen, an denen Shanora ebenfalls gehängt war. Seine Augen waren geschlossen und eine Infusion lief in seinen rechten Arm. Langsam näherte Shanora sich dem Bett und setzte sich dann auf den Sessel daneben. Sie fragte sich, warum man zwischen Finn und Cash einen Unterschied machte.
Cash wusste, wie Finn früher, nicht wer sein Vater war. Und er konnte nichts dafür, es war einfach ungerecht ihn wie einen Aussätzigen zu behandeln. Vor allem jetzt, er hatte den einzigen Menschen, der ihm Nahe gewesen war, verloren. Er musste sich ebenso fühlen wie Shanora, als Finn ins Koma gefallen war.
Alleine, verzweifelt, hilflos. Langsam zog Shanora seine Decke ein wenig höher, der dünne Stoff des Krankenhaushemds sah nicht besonders warm aus.
"Was...", Cashs Stimme klang zerbrechlich und seine Augen blieben geschlossen, "...was passiert hier?"
Shanora nahm seine Hand und drückte sie fest: "Falls du mich hören kannst... Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut! Du hattest einen Unfall und musst dich ausruhen! Aber du bist nicht alleine! Hab also keine Angst..."
"Findest du es richtig Leute zu belauschen, Spitzohr?", Churchs Stimme ließ Ation herum fahren. Er war Shanora gefolgt und hatte missbilligend beobachtet, wie sie sich um den Verletzten kümmerte.
"Findest du es, als Jäger richtig die Königin vom weißen Thron am Krankenbett des leiblichen Sohnes ihres Beinahe-Mörders sitzen zu lassen?", schoss dieser zurück.
"Finn ist ebenfalls der Sohn des Dunklen!", ließ Church die Bombe platzen, "Darum fühlt Shanora sich nun für den Jungen verantwortlich!"
Ation schlug nach Church, dieser aber hatte damit gerechnet und wich aus: "Es ist die Wahrheit! Der Junge, den du einfach töten wolltest, ist so etwas wie Finns Bruder!"
Ations Augen weiteten sich: "Das ist eine Lüge, dass kann nicht sein!"
Church deutete ihm leiser zu sprechen: "Geh nach Illutia und frag Sassy, falls du ihr mehr glauben schenkst! Wir haben es selbst erst vor ein paar Jahren heraus gefunden! Der Dunkle hat im Weltenriss Experimente gemacht... Finn war das Ergebnis und ein Junge namens Suma, der den neuen Körper des Dunklen bereit gestellt hat! Du wirst dort auch Alpha treffen, ebenfalls ein Experiment."
Ation schüttelte den Kopf: "Ich kann nicht glauben, was du da erzählst!"
Church verstand ihn gut, er war selbst mit den Ereignissen um Finns wahre Identität mehr als nur überfordert gewesen.
"Geh nach Illutia, Marbas kann dich hinbringen!", sagte er wieder, "Sprich mit Sassy und den anderen Jägern dort! Und sag ihnen, dass wir hier das ein oder andere Problem haben! Sie sollen uns in einer Woche in Amergyn treffen!"
Ation nickte: "Ich werde es ihnen ausrichten!" Dann machte er sich auf den Weg, um mit Marbas seine Reise anzutreten.