Eines Nachts im Juli öffnete ich zufällig Skype, um meine Nachrichten zu checken. Es erklang ein Plopp. Eine Nachricht von Luke. Er hatte mir noch nie mitten in der Nacht geschrieben. Und vor allem habe ich noch nie eine so lange Nachricht gesehen. Der Inhalt war allerdings die noch größere Überraschung:
»Irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, dass ich will, dass es mir schlecht geht. Ich weiß nicht wieso, aber wenn ich darüber nachdenke, könnte ich es mir manchmal so viel einfacher machen. Es gibt Nächte, wo ich mir wünschte, dass einfach jemand da ist. Nächte, in denen ich immer depressiv werde.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich bei dir falsch bin. Nein... eher umgekehrt. Dass Du bei mir falsch bist. Dieses Gefühl, dir nichts von dem geben zu können, was du eigentlich willst, ist einfach nur erniedrigend. Das Gefühl, dass du dich, eben weil ich dir nichts wirklich geben kann, von mir abwendest... der Gedanke tut furchtbar weh. Manchmal will ich gar nicht telefonieren, weil ich nicht weiß, was ich für dich tun kann oder was ich sagen soll... Letztes Mal habe ich ewig lang geschwiegen und war am Überlegen, ob ich sagen soll, dass es mir einfach gerade scheiße geht... Aber ich habe mich dagegen entschieden. Am liebsten würde ich dir einfach nur die ganze Zeit zuhören. Das tut irgendwie immer so gut.
Manchmal wünschte ich, du würdest einfach mal fragen, ob wir telefonieren können, weil du das eben vielleicht willst oder wie auch immer... Dann hätte ich wenigstens mal das Gefühl, dass ich etwas tun kann, was du auch willst. Ich weiß nicht.. irgendwie gehen mir in letzter Zeit so viele Sachen durch den Kopf. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich in vielen Hinsichten ziemlich erbärmlich bin... Ich weiß nicht, was ich für dich tun kann, ich weiß nicht, wie es mir wirklich besser gehen soll... Ich weiß nicht mal, ob ich dir nicht einfach nur auf die Nerven gehe.
Weißt du, manchmal fühle ich mich auch einfach nur leer... Ich halte so gut wie gar nichts von mir. Im Grunde kann man sagen, dass wenn ich mich schlafen lege, es mir meistens schlecht geht. Manchmal arbeite ich eben mit meiner Methode dagegen. Was bringt es? - Nichts. Richtig. Kann ich es ändern? - Nein. Will ich es ändern? - Nein. Ich bin sogar glücklich damit, wenn ich irgendwas habe, was ich in mich reinfressen kann oder mir die Schuld für irgendwelche Dinge geben kann. Einerseits will ich es los werden... andererseits ist es dieses Gefühl, das ich schon so gut kenne, das ich einfach haben muss. Während ich so vor mich hinschreibe, bin ich eigentlich auch nur total durcheinander...
»Einfach damit aufhören, weil es ja schlecht ist« heißt es oft von vielen Menschen bei so etwas... ja klar... einfach damit aufhören, weil es schlecht ist. Würde ich das als schlecht empfinden, würde ich damit aufhören. Aber es tut gut... es ist schön, wenn etwas weh tut. Ich liebe dieses brennende Gefühl, wenn das heiße Wasser und das Duschgel über diese Schnittwunden streift... das erinnert dann sofort wieder an das »wieso«...
Vermutlich darf man sich das nicht so vorstellen, dass man mit dieser »Methode« permanent depressiv ist, oder dass es einem immer schlecht geht. Ich persönlich finde es eigentlich schön so wie es ist... nur schade, dass ich im Moment oft kurzärmlig rumlaufe. Da muss dann wohl oder übel der restliche Körper herhalten. Wie auch immer, es sind irgendwie ein paar Gedanken, die mir so spontan durch den Kopf gingen... Ich frage nicht ob wir telefonieren können, weil ich nicht weiß, ob du das überhaupt willst. Ich weiß nur, dass du vermutlich erstmal nicht nein sagen würdest, aber ob du das dann auch wirklich möchtest, ist irgendwie eine andere Frage, von daher... Außerdem weiß ich nicht, was ich dann für dich tun kann.
Manchmal frage ich mich schon, was du mit so jemanden wie mir eigentlich willst. Vermutlich war einfach noch niemand besseres da. Hm... der Gedanke tut schon ziemlich weh. Vielleicht ist es auch nicht so... Ich weiß es nicht und um ehrlich zu sein will ich es nicht wissen. Irgendeinen Grund wirst du schon haben... Ich hoffe nur, dass der Grund gut genug ist, dass er nicht von heute auf morgen mal nicht mehr da ist.
Lucy... wenn ich so darüber nachdenke, habe ich so viel Angst davor, dass du auf einmal wieder nicht mehr da bist... Du bist einfach so ein toller Mensch und ich bin irgendwie einfach nur so kaputt und durcheinander. Ich verstehe es nicht. Vielleicht hast du es ja vorher einfach nicht so gemerkt beziehungsweise ich es nicht so offensichtlich gezeigt. Ich weiß auch einfach nicht, was ich dir dafür geben kann, dass du allein schon einfach nur da bist...
Solltest du jetzt oder irgendwann genug von mir haben.. dann tu mir nur einen Gefallen. Brich einfach den Kontakt ab. Kein »Tschüss« oder sonst was, sondern brich ihn einfach ab. Ich hoffe, dass das so schnell nicht der Fall ist... Ich sage es nur trotzdem, falls eben und so...
Hm. Ich schreibe jetzt ohnehin schon eine Dreiviertelstunde, dann kommt's jetzt auch nicht mehr drauf an, ob ich noch mehr schreibe oder nicht.
Weißt du... manchmal, eigentlich ziemlich oft war ich der festen Überzeugung, dass ich niemanden brauche. »Scheiß auf diesen Beziehungsscheiß, tut ohnehin nur weh« - Naja. Das denkt man vermutlich oft, wenn man glaubt, dass man nie jemanden finden wird. Einfach um das so ein wenig zu verdrängen. Hm. Irgendwie schon lustig.
Naja und keine Sorge... ich habe mein Versprechen nicht vergessen und das werde ich auch nicht. Sobald ich umgezogen bin und endlich mal komplett ein wenig Ruhe habe, werde ich mal zu dir fahren. Und wenn es nur für einen Tag ist, weil ich nirgends übernachten kann. Dann ist es aber immerhin ein Tag. Und ich freu mich schon darauf. Der Gedanke daran lässt mich irgendwie wieder grinsen, obwohl es mir vorhin noch schlecht ging.
Jaja, du bist Schuld dran, dass ich jetzt wieder grinsen muss. Schau... selbst, wenn du nichts sagst oder gerade nicht erreichbar bist hilfst du mir doch..
Falls du dich fragst, wieso ich das eigentlich geschrieben habe... Weil ich dir bestimmte Dinge genau jetzt sagen wollte.«
Und das Wort »Depression« war auf einmal so viel näher. Es war real. Es war einfach da, und es zerstörte Menschen. Menschen, die mir wichtig sind; Menschen, die anderen wichtig sind.
Ich weiß nicht, wie lange ich über meine Antwort nachdachte, aber ich verbrachte die halbe Nacht schlaflos.
Es ist grauenhaft, genau zu wissen, dass man nichts gegen den Kummer eines Menschen machen kann, außer da zu sein. Aber einfach nur da sein erschien mir immer zu wenig.
Den Abend darauf unterhielten wir uns darüber; ich erhielt Einblick, wie und mit was er sich selbst verletzte. Es half mir nicht, aber es half ihm. Und wenn es das war, was ich tun konnte, so musste ich es tun. In dem Moment, als mir das klar wurde, erkannte ich, dass es Liebe ist.
Liebe ist, sich mit jemandem verbunden fühlen; egal wie weit entfernt man voneinander ist; egal was für Krankheiten, was für Hindernisse zwischen beiden stehen. Man weiß nur, dass man helfen will, jemanden glücklich zu machen. Dass man selbst der Grund dafür sein will, dass der andere glücklich ist.