--- Tag 1 ---
Hallo Luke.
Ich kann es noch gar nicht glauben. Ich will es auch gar nicht. Ich würde jetzt so unglaublich gern mit dir reden. Gleichzeitig aber auch nicht. Es würde zu nichts führen.
Es geht mir besser als gedacht. Sehr schlecht, dennoch, aber eben besser als gedacht. Emma meinte, ich würde nur noch so emotionslos schauen. Kann gut sein. Ich hatte heute sowieso ständig das Gefühl, mein Lächeln erreicht meine Augen nicht. Aber naja. Immerhin konnte ich mich heute Morgen zusammenreißen, nicht zu weinen, auch wenn ich ein paar Mal kurz davor war.
Alles fühlt sich so leer an. Endlose Stille, die mich ausfüllt, mich aufsaugt, ihre Krallen um mich schlingt, mich mitzureißen droht. Ein Ozean voller Gefühle, doch jedes einzelne zu verwaschen, um es deutlich wahrzunehmen.
Es tut mir so leid, dass ich gestern so geweint habe. Vor allem, weil Du dir das anhören musstest. Aber ein Leben ohne dich kann ich mir momentan einfach nicht vorstellen.
Ich würde schon gern wissen, weshalb Du gestern noch fragtest, ob es das Richtige ist. Vielleicht hast Du ja einfach nur Mitleid mit mir, ich weiß es nicht. Und ich weiß auch nicht, ob Du gesagt hast, dass Du mich noch liebst, oder ob ich mir das eingebildet habe. Aber auf meine Entscheidung wirst Du wohl noch warten müssen...
Klar habe ich mir heute ständig Gedanken darüber gemacht, was ich eigentlich will. Ich weiß es nicht. Momentan will ich dich einfach nur zurück. Aber was, wenn es doch irgendwann besser wird, auch ohne dich?
Ich habe mir ziemlich oft Gedanken über die Zukunft gemacht, und immer habe ich mir gesagt, dass ich mit achtzehn Jahren zu dir fahren werde, egal, was mit uns bis dahin passiert ist. Ich kann es einfach nicht wahrhaben, dass wir vielleicht nur keine Chance auf eine Beziehung haben, weil ich so jung bin. Ja, ich habe mir eine Zeit lang vorgestellt, wie es wäre, würden wir zusammenwohnen. Offensichtlich hast Du das ja auch gemacht. Selbst das macht mich traurig; dass wir beide den gleichen Gedanken hatten. Ja, sicher waren wir beide naiv. Aber es waren schöne Gedanken. Gedanken, die ich mir gern gemacht habe.
Ich weiß noch, dass Du gestern einen wundervollen Satz gesagt hast. Ich hatte erst überlegt, ihn aufzuschreiben, es aber nicht getan. Jetzt habe ich ihn vergessen. Ich habe Angst, dass ich noch mehr vergesse.
Es hat mir wirklich viel bedeutet, als Du gestern sagtest, dass Du glücklich warst, als wir zusammen waren. Und dass Du es zumindest in Betracht gezogen hättest, in meine Nähe zu ziehen.
Irgendwie würde ich gern wissen, wie es dir heute geht. Ob Du einfach ganz normal weitermachst als wäre nichts gewesen. Ich glaube zu wissen, dass Du der stille Leidende bist. So wie ich manchmal. Aber was willst Du in diesem Fall jetzt auch machen? Es weiß ja sowieso keiner was von mir, also käme das jetzt wohl komisch.
Es tut mir wirklich unglaublich leid, dass ich dich zum Weinen gebracht habe. Und dass Du einfach aufgelegt hast, weil Du nicht mehr konntest.
Aber dass Du geweint hast, was wohl sehr selten vorkommt, lässt mich irgendwie daran glauben, dass ich dir doch etwas bedeute, dass Du die Beziehung unfreiwillig aufgibst.
Ich glaube dir, dass Du willst, dass ich glücklich werde. Aber momentan ist das einfach nicht einsehbar, ich fühle nichts, bin einfach nur leer.
Ich habe mir nochmal durchgelesen, was Du geschrieben hattest:
»Aber letztlich können mich keine Worte für immer zu dir bringen. Leider.«
Ich wünschte, es gäbe sie.
Es ist so leer ohne dich.
Komm zurück.
Ich liebe dich.
Lucy
--- Tag 2 ---
Hallo Luke.
Heute ging es mir tagsüber nicht so gut, aber mittlerweile fühle ich mich etwas besser. Ich kann zwar kaum etwas essen, und von dem, was ich esse, wird mir schlecht, aber es könnte schlimmer sein.
Ich fand es nicht ganz so toll, dass Du mir auf den obligatorischen »Ich habe eine neue Nummer«-Text geantwortet hast. Ich antwortete mit Widerwillen. Wenn ich eine Entscheidung treffen soll, dann brauche ich Abstand. Du hast selbst gemeint, dass wir während meiner Bedenkzeit besser nicht so viel reden. Kann natürlich auch sein, dass ich plötzlich interessant geworden bin, weil Du sicher weißt, dass Du jetzt eine Weile nichts von mir hören wirst. Aber ich weiß es nicht. Kann ja sein, dir wird währenddessen klar, wie sehr Du mich vermisst oder brauchst. Oder liebst... aber wie dem auch sei.
Ja, ich wünschte auch, dass es einfacher wäre. Aber um ehrlich zu sein, es wäre doch genau die gleiche Situation, wenn ich älter wäre, oder? Ich hätte vielleicht körperlich mehr für dich da sein können und wir müssten gewisse Bedürfnisse nicht innerhalb von paar Tagen für Monate aufarbeiten. Da hast Du schon recht; es war körperlicher als wir uns sahen, einfach weil wir das monatelang gern hätten und vermissen. Im Grunde genommen wissen wir das doch auch beide... Ich habe nochmal über diese Bemerkung meiner Mum nachgedacht, eine Bettbeziehung war das nicht. Das war einfach eine klassische Fernbeziehung. Auch der Part am Telefon war schön. Das nehme ich auch mit: Es ist völlig in Ordnung, herauszufinden, was und wie es einem gefällt. Wärest Du nicht in mein Leben getreten, wüsste ich nicht, wie schön es ist, von jemandem geliebt zu werden. Im doppelten Sinne.
Ich habe ehrlich gesagt ein bisschen Angst, den ganzen Schmerz zu verdrängen, indem ich einfach jedes Gefühl aus meinem Körper verbanne. Ich laufe herum wie ein Klumpen emotionsloser Masse, kann mich für nichts richtig begeistern. Aber ich habe auch Angst, wieder glücklich zu werden. Ohne dich.
Was hast Du heute so gemacht? Wie geht es dir?
Ich liebe dich.
Ich vermisse dich.
Lucy
--- Tag 3 ---
Hallo Luke.
Ich habe heute zu wenig gegessen und zu viel Alkohol getrunken.
Es ist schade, dass ich dir nicht mein schwarzes Kleid für Silvester zeigen und dich fragen kann, ob ich lockige oder glatte Haare tragen soll. Was meinst Du, steht mir besser?
Ich habe nachgedacht, und am liebsten wäre mir, wenn wir uns einfach wiedersehen würden, nachdem ich achtzehn geworden bin. Ich kann und will dich nicht bitten, auf mich zu warten; es steht mir auch gar nicht zu. Aber was wir hatten... das möchte ich eigentlich nicht einfach so wegwerfen. Und dieses »wir bleiben aber Freunde«-Ding ist irgendwie auch sinnfrei. Man fährt nicht einfach mal so fünf Stunden mit dem Zug, um eine Freundin zu besuchen.
Gerade eben würde ich dir gern schreiben; gestern und vorgestern wäre ich lieber gestorben. Ich wüsste so gern, was Du in meiner Lage tätest, aber das wäre auch wieder nur ein zwanghaft gesuchter Grund zum Kommunizieren.
Was hast Du denn heute so gemacht? Wie geht es dir? Und was machst Du so an Silvester?
Ich vermisse dich.
Lucy
--- Tag 4 ---
Hallo Luke.
Ich habe heute leider nicht viel Zeit zum Schreiben; bin gerade am Kochen für später.
Ich kann mich immer noch nicht für eine Frisur entscheiden, und ich fühle mich zu dick in meinem Kleid.
Ich darf heute Abend nicht zu viel Alkohol trinken, schließlich möchte ich noch, ohne auf meinen hohen Schuhen umzukippen, mit Günter, dem vierzigjährigen Bäcker, tanzen. Wusstest Du, dass ich total gern tanze? Jedes Jahr geht das nur an Silvester, da sich Günter meiner erbarmt.
Schade, dass Du nicht mit mir tanzen kannst...
Guten Rutsch und ein schönes Silvester!
Lucy