Schon ewig lange, wandelte er nun durch die Dunkelheit, durch düstere Lande und gefahrvolle Abgründe. Nichts gab es, was seinen Geist zu erhellen vermochte. Es war dunkel, um ihn herum und in ihm drin. Doch er merkte es nicht mal. Er wandelte einfach weiter, von düsteren Gedanken getrieben, weder lebendig noch tot, oder doch schon tot? Er wusste es manchmal nicht so recht. Seine ganze Erscheinung bestand aus dunklen Schatten und es gab kein Licht, wohin er sich auch wandte. Er hatte auch nicht die Sehnsucht nach Licht, dazu war er zu sehr gefangen in der verderblichen Nacht seiner Seele. Immer wieder dieselben Bilder, immer wieder den selben Schmerz, dieselbe Ohnmacht, dieselbe Hoffnungslosigkeit und der unbändige Hass auf alle, die an seinem Leid schuld waren. Alle hatten sie ihn verlassen, alle hatten sie ihn hintergangen und alle hatten ihm sein Leben zur Hölle gemacht.
Er hatte sich entschieden dieser ganzen Scheisse den Rücken zu kehren. Noch immer spürte er den Strick um seinen Hals, er trug ihn sogar noch, fiel ihm auf. Der Strick den er sich um den Hals gelegt und dann an einem Balken im Keller befestigt hatte. Dann war er auf einen Stuhl geklettert und hatte diesen mit seinen Beinen umgestossen. Einige röchelnde Atemzüge, ein stechender Schmerz, der seinen Nacken brach, wie ein Streichholz in seiner wütenden, zornigen Hand. Knacken und Röcheln, nur Röcheln, bis er dann hier gelandet war… an diesem Ort. Doch hier ging sein Leid weiter, seine Wut, sein Zorn, sein Hass, seine Ohnmacht, er spürte sie immer noch genau gleich wie zuvor und der Durst nach Rache blieb weiterhin lebendig. Doch Rache an wem genau? Das Dumme war, er erinnerte sich nicht mal mehr an jeden, der Schuld an seinem Schicksal war, eigentlich waren es alle gewesen. Von seinem Arbeitskollegen, der ihn ständig verspottet hatte, über seiner Ex Frau, die ihn auf so schändliche Weise verliess, bis hin zu seinem Chef, der ihm einfach den Job gekündigt hatte, mit der Begründung er passe nicht ins Team. Schuld waren all diese Gut- Menschen, die doch keine Ahnung von seinem wirklichen Leiden hatten und die es sich noch erlaubten, sich glücklich zu nennen, während er so litt.
Er wollte es allen zeigen, er wollte zeigen, wie arm er dran war. Darum hatte er diesen Schritt gemacht. Er hatte den Zeitpunkt gut gewählt. Am Silvester wo allen eigentlich zum Feiern zu Mute war und eine so fröhliche Atmosphäre herrschte. Ihm war dieses Feiern sowieso schon lange zuwider und so würde seine Tat bestimmt einen bleibenden Effekt hinterlassen.
Es war unterhaltsam gewesen all die traurigen, entsetzten Gesichter von den Leuten zu sehen, welche an seine Beerdigung kamen. Er mochte es, sich an sie zu hängen und ihre Schuldgefühle und ihre Not noch zu verstärken. Sie hatten es nicht anders verdient, dieses scheinheilige Pack!
So wurde es für ihn immer mehr ein diebischer Spass, sich von Leid oder Not gebeutelte Leute aufzusuchen und ihre schlechten Gefühle noch zu verstärken, denn wenn er nie glücklich werden konnte, warum sollten die andern jemals glücklich sein? Glück war sowieso eine Illusion.
Gerade hatte er sich wieder ein neues Opfer ausgesucht, eine junge Frau, sie mochte so um die 25 Jahre alt sein. Ihr bester Freund war gerade gestorben, er hatte sich auch erhängt, welch wunderbare Ironie. Nur schien er an einem andern Ort gelandet zu sein, als er. Er hatte ihn jedenfalls nie angetroffen.
Seit die Frau ihren Freund verloren hatte, ging es ihr gar nicht gut und er hatte sie schon oftmals besucht, um ihre üblen Gefühle noch zu verstärken. Es gelang ihm ganz gut, denn sei fiel immer tiefer in ein schwarzes Loch und sie konnte sich dem immer weniger erwehren.
Er las gerne ihre Tagebücher, darin beschrieb sie ihre Not:
Gestern Morgen, fiel ich plötzlich in ein unsagbar tiefes Loch. Auf einmal wurde alles so traurig und dunkel um mich. Ich begann mir die schlimmsten Dinge auszumalen und mein Eigenhass wurde unerträglich stark. Alles erschien mir aussichts- und sinnlos. Ich empfand eine gewaltige Verlustangst, eine unbeschreibliche Furcht, nie was im Leben zu schaffen und alles Schöne wieder zu verlieren. Ich verlor den Blick für alles Wundervolle, Schöne und Gute, dass mir schon wiederfahren war. Mein Liebster war ja bei mir, hielt mich im Arm und ich berichtete ihm unter Tränen, was ich fühlte. Ja, auch ihn glaubte ich zu verlieren, es war schrecklich!
Ich dachte an Peter, an all die andern die mich schon verlassen hatten, an die Verletzungen, die ich schone erlebt hatte. „ Was macht das Leben bloss für einen Sinn?“ schluchzte ich. „Man verliert doch immer wieder alles was einem lieb ist.“ Ja, es ging sogar so weit, dass mir Selbstmord gar nicht mehr so abwegig erschien. Denn im Augenblick fühlte ich so einen Druck auf dem Herzen, dass ich es kaum mehr aushielt. „Ich kann Peter irgendwie verstehen“, sagte ich. „Warum auch nicht solchen Qualen ein Ende setzen?“ …
Er lachte, wenn er daran dachte, dass er es war, welcher ihr all diese Gedanken in den Kopf setzte und genau das war es, was er anstrebte, was er schon seit seinem eigenen Tod, immer angestrebt hatte. Gerade diese junge Frau war ein interessantes Opfer, weil sie sonst so ein übersensibler Gut- Mensch war, welche er mehr als alles verachtete. Er schlich um sie herum, Tag für Tag, Nacht für Nacht. Sie wusste nicht wie ihr geschah. Sie war gerade so beeinflussbar, so schwach. Es machte richtig Spass und dann glaubte sie noch, ihr verstorbener Freund mache all das mit ihr. Dabei war er es, er war es von Anbeginn. Er liebe es sie zu quälen und immer mehr an den Abgrund zu treiben, in den sie hoffentlich stürzen würde. Das war sein einziges Streben und er zerrte von der dunklen Energie, welche sich immer mehr um sie herum zusammenzog.
In dieser Nacht, wollte er ganz nahe bei ihr sein. Der Mond schien voll am Himmel eignete sich bestens, um den Horror noch zu verstärken, von dem sie heimgesucht wurde. Das würde ihr den Rest geben. Das würde auch ihrem Geliebten, der neben ihr lag, den Rest geben.
Er legte sich zwischen die beiden in ihr Bett und schmiegte sein glatzköpfiges Haupt genüsslich an die junge Frau. Sie wälzte sich unruhig hin und her, von schweren Alpträumen geplagt. Diese Alpträume gaben ihm noch mehr Nahrung. Auch ihr Geliebter schlief schlecht, das war umso besser. Er würde die beiden zermürben, würde sie ausgelaugt und übermüdet zurücklassen und dieses Spiel würde er so lange weiterspielen, bis sie keinen anderen Ausweg mehr wussten und den gleichen Pfad wie er beschreiten würden.
Ihr bester Freund hatte es ja auch getan, warum sie nicht auch? Er spürte dass er schon ganz nahe am Ziel war, besonders bei ihr. Ihr Partner war leider etwas weniger anfällig auf seine Einflüsse, doch ihre Beziehung zu Peter war ja auch tiefer gewesen, als seine. Dieser Peter, was musste das für eine lächerliche Figur gewesen sein, er hätte doch alle Möglichkeiten gehabt, dasselbe mit der jungen Frau zu machen, wie er es jetzt tat. Doch vermutlich war Peter auch zu sehr Gut- Mensch gewesen. Dabei war es so erregend, sie auf diese Weise zu quälen. Wäre er noch am Leben gewesen, er hätte sie gerne mal getroffen, denn sie war wirklich hübsch und noch so unschuldig und unverdorben. Leider konnte er sie nicht mehr körperlich spüren, aber wenigstens konnte er sie sonst zu seiner Sklavin machen, der Sklavin seiner dunklen Energie.
Mit Zufriedenheit stellte er fest, dass sie erneut aus einem schlechten Traum erwacht war. Er konnte zwar ihre Träume nicht sehen, doch er spürte sogleich, wie ihre Energien verzettelt und voller Schrecken waren. Sie schaute sich im Zimmer um und dann… blickte sie ihn direkt an, jedenfalls erschien es so. Doch sie sah ihn wohl doch nicht, was ihn beruhigte. Trotzdem… warum hatte sie zu ihm geschaut, spürte sie etwas?
Auf einmal zuckte seine dunkle Geistgestalt vor Schreck zusammen. Der Partner der jungen Frau, diese kleine Mistkerl, richtete sich auf einmal im Bett auf und rief, noch immer im Schlaf: „Aber du hast jetzt diese Bösen doch nicht etwa in dich reingelassen?!“ Dem Störenfried wäre wohl das Blut in den Adern gefroren, wenn er noch Blut gehabt hätte und er fluchte, denn sein weibliches Opfer rief nun laut „Nein!“ und sprang aus dem Bett. „Nein ich lasse es nicht zu! Ihr guten Geister, helft mir!“
Und… in diesem Augenblick wurde es ganz hell im dunklen Zimmer und eine gewaltige Macht katapultierte ihn wie eine Stoffpuppe, hinaus in die Weite des Raums. Es gab kein Zurück mehr und er wusste, er würde sich für seine Taten verantworten müssen. Ein Entsetzensschrei entrang sich seiner toten Brust und Gitterstäbe aus Licht, schlossen sich um ihn. Es war vorbei… dabei wäre es doch so ein guter Tag gewesen:
Es war Halloween… und ein voller Mond strahlte vom Himmel…