Am Anfang warst du nur ein winziger Schatten, kaum größer als meine Handfläche.
Ich habe dich ignoriert, um ehrlich zu sein, nicht einmal wahr genommen, habe nicht bemerkt wie du mich in der Dunkelheit verfolgt hast, wie du Nachts in den dunklen Fluren umhergeschlichen bist und dich in meinem Schrank versteckt hast. Hätte ich doch nur vorher etwas bemerkt... vielleicht wäre dann alles anders gekommen.
Selbst die immer wiederkehrenden Alpträume habe ich mit einem Schulterzucken abgetan. Wie hätte ich auch ahnen können, dass du, wenn ich das Licht ausmache und meine Augen schließe, aus dem halb geöffneten Schrank gekrochen kommst, und mir mit deinen schwarzen Krallen alles Glück und Hoffnung raubst. Wie hätte ich ahnen sollen, dass ich jeden Morgen mit stockendem Atem und schmerzendem Herz aufwache, weil du nachts deine Klauen in meine Brust schlägst, um meinen Herzschlag zu spüren und ihn mir zu stehlen.
Als die Geräusche begannen, zweifelte ich schon fast an meinem Vertand. Schritte im leeren Flur, kratzende Nägel in der Wand, flüsternde Stimmen... Zunächst schrieb ich es dem Stress zu, dann dem Schlafmangel und Internetrecherchen brachten nur unsinniges Zeug hervor. Am Ende lies ich das Haus nach Schädlingen absuchen die Nachts in den Wänden ihr Unwesen trieben, doch außer einer viel zu hohen Rechung des Kammerjägers brachte es nichts. Wie musst du gelacht haben als ich bei den flackernden Lichtern einen Elektriker rief, der mir nur mit dummen Gesicht erklärte, dass alles in Ordnung sei. Doch am Ende war ich mir immer noch sicher, dass es eine normale und rationale Erklärung gab, die nicht einschloss, dass ich verrückt war. Wie arrogant ich doch war. Ich hatte tatsächlich geglaubt, dass ich zu intelligent, zu aufgeschlossen und aufgeklärt war, um tatsächlich wahnsinnig zu werden. Wie schön wäre es rückblickend gewesen, wenn ich mir alles nur eingebildet hätte.
Die Zeit verging, doch noch immer wollte ich die Wahrheit nicht erkennen und noch immer standest du jede Nacht an meinem Bett, mit den Krallen in meiner Brust und sähtest Angst und Verzweifelung in meinem Herzen, während du alles Gute gierig verschlungen hast.
Mittlerweile glaube ich, dass es ein fast schon natürlicher Schutzmechanismus meines Körpers war alles auszublenden, um wenigsten den kläglichen Rest meines Herzens zu schützen der noch übrig war. Wie konnte ich nur so blind sein?
Ich habe nicht gesehen wie du langsam gewachsen bist, wie du nach und nach meine Seele vergiftet hast und mich im Spiegel boshaft angegrinst hast, wenn ich ihm den Rücken zudrehte, wie du hinter dem Duschvorhang hämisch über mein baldiges Ende gelacht hast, während ich nur das Rauschen des Wassers hörte.
Als der Kopfschmerz und die Müdigkeit begann, suchte ich einen Arzt auf, doch der verschreib mir nur ein paar Tage Bettruhe, noch ein paar Tage in denen du von meiner Kraft zehren konntest, um selbst stärker zu werden. Zu spät erkannte ich, dass der Weg der mich zur Besserung führen sollte, der Weg zu meinem Untergang war.
Meine Arme und Beine wurden immer schwerer, das Essen hatte ich mir schon seit einer Weile abgewöhnt, wozu auch, wenn dein Gift es immer wieder nach oben brachte und dein Schatten erfüllte mittlerweile das ganze Haus. Immer wieder döste ich ein und jedes Mal kämpfte mein Körper mit seinen letzten Kräften gegen dein niederdrückendes Gewicht auf meiner Brust, aber das Aufwachen viel immer schwerer. Für mich war es ein Kampf auf Leben und Tod, für dich nur lästige Zeitverschwendung, stand doch das Ergebnis schon seit dem Tag fest, als du als kleiner Schatten in mein Leben getreten bist.
Man sagt kurz vor seinem Tod sieht man all die schönen Momente seines Lebens wie einen Film vor sich ablaufen, doch wie ich nun sagen kann, ist das eine grausame Lüge die einem nur die Angst vor dem Tod nehmen soll. Jedenfalls war es bei mir nicht der Fall.
Als mein Herz das letzte Mal schlug konnte ich keine einzige schöne Erinnerung entdecken, wie auch, du hast mir alle genommen. Das einzige was geschah war, dass mein Schutzmechanismus zusammenbrach und alle Eindrücke der letzten Wochen wie eine Flut über mir zusammenbrachen. Ich war die ganze Zeit über blind gewesen, gefangen in meiner kleinen Scheinwelt, erbaut aus Realismus und Starrköpfigkeit, und als mir in meinen letzten Sekunden die Augen geöffnet wurden, hätte ich sie am liebsten wieder voller Entsetzen geschlossen.
Du hast neben mir gestanden, eine schleimige, bucklige Gestalt und hattest deine schwarzen Krallen in meiner Brust, während du meinen letzten Atemzug aus meinem Körper gezerrt hast. Aus deinem Gesicht, einer Fratze des Grauens, starrten mich deine lidlosen, grünen Augen voller Begierde und Triumph an während ich dein wahres Wesen erkannte.
Ich wollte den Blick abwenden, alles wäre besser als die Vorstellung, dass dein Gesicht das Letzte sein sollte das ich in meinem Leben sehe, doch deine leuchtenden Augen hielten mich gefangen. Ich werde nie verstehen warum du das alles getan hast, aber wie sollte ich auch ein Wesen wie dich verstehen? Wie sollte ich einen Nachtmahr verstehen?
Mein Herz blieb stehen doch du bliebst bei mir bis mein Blick stumpf und meine Glider steif wurden. Deine langen, schwarzen Krallen strichen schon fast zärtlich über meine hohlen Wangen und bleiche Haut und verharrten bei meinen tief eingesunkenen Augen. Mein Blick erwiderte immer noch den deinen. Angst und Schrecken waren mir für immer in das starre Gesicht gezeichnet.
Noch ein letztes Mal hast du begierig in meine toten Augen geblickt bevor du das Haus und mich verlassen hast und Stille herrschte. Das Kratzen in den Wänden war verstummt, genau wie die unsichtbaren Schritte auf dem Gang, das Haus lag wieder ruhig und friedlich da. Das einzige was die Idylle störte war ein kalter, toter Körper, der noch immer mit blicklosen Augen voller Entsetzen auf die Stelle starrte an der du verschwunden bist.