Nach seinem surrealen Abend mit Gregor dachte Toni zum ersten Mal richtig darüber nach, was es für ihnen eigentlich bedeutete, einen Schnitt zu machen. Nämlich, dass Gregors und sein Kontakt sich ab jetzt lediglich auf ein freundliches Kopfnicken und unangenehme Gespräche beschränkte und das auch nur, wenn sie sich trafen, wenn Anna und Xenia es taten. Und, dass Toni sich ab jetzt in Gregors Gegenwart immer unbehaglich fühlen würde, weil er ihm ja deutlich aufgezeigt hatte, was für ein absoluter Mistkerl er war.
Aber Tonis Vorstellungen deckten sich absolut nicht mit Gregors. Was ihm der letzte Abend ja deutlich gezeigt hatte. Und auf diesen Abend folgten dann auch noch weitere Abende und wenn es sich für Toni nicht noch immer vollkommen falsch anfühlen würde, würde er glatt denken, dass Gregor bewusst seine Nähe suchte. Toni hatte ihn bis zu dem surrealen Abend noch nie vorher in seiner Stammkneipe gesehen, aber jetzt war er irgendwie fast immer da, wenn Toni auch da war. Am Anfang war es immer noch surreal und unangenehm für Toni, aber je mehr er von seiner Liste abhaken konnte und je mehr Details er von Gregor kennenlernte, desto einfacher und realer wurde es.
Und schließlich endeten diese Abende meistens damit, dass sie zusammen irgendwo an einem Tisch saßen und einfach nur redeten und Bier tranken. Denn sie hatten doch mehr gemeinsam, als Toni gedacht hatte. Und es waren nicht nur so Dinge wie, dass sie die gleichen Serien mochten und gerne ins Kino gingen, sondern auch ihre generelle Sicht von der Welt, der Gesellschaft und ihres Studiums. Außerdem gab es einige Dinge, die sie gemeinsam hassten und über die vorallem Gregor sich ziemlich aufregen konnte. Toni hatte vor einiger Zeit einen Artikel gelesen, wie sehr gemeinsamer Hass zusammenschweißen konnte und wenn er Gregor und sich so anschaute, dann traf das absolut zu.
Was vermutlich dann auch der Grund war, wieso Toni irgendwann, ohne, dass es vorher in irgendeiner Weise Thema gewesen wäre, erfuhr, dass zwischen Gregor und Xenia doch nicht alles so eitel Sonnenschein war, wie er es immer gedacht hatte. Gregor konnte mit ihren Kunstfreunden absolut nichts anfangen oder generell mit Kunst, was schon häufiger zu Spannungen zwischen ihnen geführt hatte.
"Sie will immer, dass ich zu irgendwelchen Galerieeröffnungen oder Ausstellungen von ihrem Semester mitkomme und dann sage ich ihr, dass ich darauf absolut kein Bock habe und dann ist sie beleidigt und behauptet, ich würde mich nicht für sie interessieren," erzählte Gregor, seufzte einmal tief und schloß die Hände um sein Bierglas. "Ich war einmal mit ihr mit und es war einfach grausam. Es war unmöglich, mit irgendeinem von diesen Leuten da ein vernünftiges Wort zu wechseln. Und ich hab auch keinen Bock, stundenlang vor einem Bild mit drei Punkten zu stehen und darüber zu diskutieren, 'was der Künstler uns damit sagen will'!" äffte er irgendjemanden nach und Toni war sich nicht sicher, ob er damit nicht vielleicht sogar Xenia meinte.
Toni erinnerte sich an das Treffen mit Xenias Kunstfreunden in dem Café, das er auch ziemlich grausam gefunden hatte und sagte: "Ich kann dich da total gut verstehen. Ich glaube, ich würde genau so reagieren, wenn Anna sich für Kunst interessieren würde."
"Schön, dass das wenigstens einer nachvollziehen kann," erwiderte Gregor und dann sahen sie sich für einen Moment an und das auf eine Weise, die dafür sorgte, dass für Toni in diesem Zeitraum alles um ihn herum verschwand. Der Lärm der Kneipe, die Leute, die an ihrem Tisch vorbeiliefen, die Musik aus den Lautsprechern – alles war für diesen Augenblick weg und Toni fühlte sich zurückversetzt in die Herbstferien von vor sieben Jahren.
Doch die Situation fühlte sich nur für eine Sekunde unglaublich gut an, denn dann wurde ihm wieder bewusst, was in der letzten Zeit zwischen ihm und Gregor passiert war und ab da war es nur noch unangenehm. Er wandte schnell den Blick ab, zog sein Glas zu sich heran und räusperte sich einmal. "Ja, ich kann dich da echt gut verstehen," murmelte er hastig, nicht, weil dieser Satz irgendeinen Mehrwert für ihr Gespräch hatte, sondern nur, um überhaupt was zu sagen.
Danach schwiegen sie einen Moment und Toni, der sich sicher war, dass jetzt irgendetwas zwischen sie getreten war, fühlte sich jetzt nur noch unwohl. Er war unglaublich erleichtert, als in diesem Moment Julian wie der rettende Engel mit Billardqueue an ihren Tisch trat und lächelnd auf sie herabsah. "Hey ihr Langweiler, genug tiefschürfende Gespräche geführt, jetzt wird gezockt!" Er hielt Toni den Queue hin, der ihn nur allzu gerne ergriff und hinter Julian zum Billardtisch ging.
Doch das, was da zwischen sie getreten war, war nicht mehr aufzuhalten. Und vielleicht war das angesicht dessen, was mal zwischen ihnen gewesen war, auch zu erwarten gewesen. Vielleicht war es bei ihrem ersten Aufeinandertreffen nur darum gegangen, ihre Gefühle zu entdecken und beim zweiten Treffen ums Knutschen und Fummeln, aber, dass sie sich nach all diesen Jahren fast sofort wiedergefunden hatten, konnte ja auch kein Zufall gewesen sein. Je mehr Toni darüber nachdachte, desto sicherer wurde er sich dessen.
Er war vermutlich einfach immer nur ein Meister darin gewesen, seine unerwünschten Gefühle ganz tief in sich zu verschließen und sie einfach nicht mehr rauszulassen. Jedenfalls, solange er sich damit nicht sicher fühlte. Was auch jetzt nicht der Fall war, auch, wenn Gregor und er sich immer häufiger alleine trafen, ohne Tonis Kumpel oder Anna und Xenia. Denn auch, wenn Gregor ihm immer öfters sein Herz ausschüttete und manchmal in seinem Redefluss nicht zu stoppen war, behielt Toni seine innersten Gedanken und Gefühle weiterhin in sich eingeschlossen. Nicht nur, weil diese Gefühle und Gedanken immer noch die gleichen wie damals waren, Lydia war lediglich gegen Anna ausgetauscht worden, und Gregor das alles ja schon mal gehört hatte.
Toni war sich auch nicht sicher, ob Gregor ihn nicht einfach nur als Zuhörer ausgewählt hatte, weil zwischen ihnen mal eine extreme Vertrautheit geherrscht hatte und weil er sonst niemanden hatte, mit dem er sich austauschen konnte und froh war, endlich jemanden zu haben, bei dem er sämtlichen Ballast abladen konnte. Es war jetzt irgendwie wie damals im Herbst, nur mit unterschiedlichen Rollen.
Und weil Gregor ihm absolut nichts verschwieg, fand Toni auch bald heraus, dass er mit dem einen Teil seiner Theorie Recht hatte: Gregor hatte es bis jetzt nicht geschafft, tiefergehende Freundschaften aufzubauen. Es reichte eigentlich nur, um mal zum Feiern rauszugehen aber nicht, um solche Gespräche zu führen. Mit Xenia tat er es war manchmal, aber das schien ja wohl nicht zu reichen. Es war deutlich herauszuhören, wie sehr er seine Leute zuhause vermisste und Toni tat es ehrlich Leid, dass Gregor hier keine Cara gefunden hatte, die ihn einfach an der Hand nahm und in einen Freundeskreis mit hineingezogen hatte.
Um Gregor abzulenken, suchte er nach einem anderen Gesprächsthema und fand es dann auch ziemlich schnell. "Was hat es denn jetzt eigentlich damit auf sich," fragte er und tippte auf den Siegelring an Gregors Ringfinger der rechten Hand. Und weil Gregor sich in diesem Moment bewegte, berührten sich ihre Hände für einen Moment. Toni spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss und er senkte hastig den Kopf in der Hoffnung, dass Gregor es nicht mitbekam. Und während er auf die Platte des kleinen Cafétisches starrte, fragte er sich, warum er den Ring hatte berühren müssen. Es hatte schließlich keine Notwendigkeit dafür vorgelegen, er hätte auch einfach Worte benutzen können.
Allerdings, wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war die Frage sehr einfach zu beantworten: Gregor so nah zu sein, ohne, dass es sich noch unangenehm anfühlte und ohne immer dran denken zu müssen, was für ein Arschloch er war, festzustellen, dass ihre Verbindung nie wirklich oberflächlich gewesen war und wie die alte Vertrautheit zwischen ihnen wieder zurückkehrte, waren eindeutig Gründe genug, den Ring zu berühren. Nicht zu vergessen, dass Gregor inzwischen Tonis letzter Gedanke vor dem Einschlafen und sein erster nach dem Aufwachen war und das nicht mehr wie vor ein paar Wochen noch, als es Toni lediglich um Sex gegangen war.
Nein wenn er jetzt an Gregor dachte, dachte er daran, wie angenehm seine Stimme war, wie gut sie sich verstanden, wie gerne er sich mit ihm unterhielt und wie wunderbar sein Lachen war. Wenn er mal lachte, denn, je näher sie sich kamen, desto weniger tat er es und Toni spürte, wie eine gewisse Schwermut über ihm hing. Aber das war ja irgendwie bei Gregor schon immer so gewesen. Wenn es damals im Herbst auch etwas abgeschwächt gewesen war.
Gregors Stimme riss Toni aus seinen Gedanken. Er hatte glücklicherweise von seinem Rotwerden nichts mitbekommen, sondern fing an zu erzählen, wie er den Siegelring von seinem Vater zum achtzehnten Geburstag bekommen hatte, genau wie Johann vor ihm. "Und mein Vater hat einen von seinem Vater bekommen, mein Opa dann von seinem Vater und so weiter. Es ist eine Familientradition und das sind natürlich auch keine neuen Ringe sondern welche, die von Generation zu Generation weitergegeben werden. Ganz klassisch eben."
"Ja, ganz klassisch," wiederholte Toni und dann lächelten sie sich einen Moment an.
Toni wusste nicht so ganz genau, was er jetzt mit seinen Gefühlen gegenüber Gregor machen sollte.
Eigentlich verdiente er sie gar nicht. Nicht nur wegen dem, was er damals mit Gregor abgezogen hatte, sondern auch, weil er sich niemals wegen Gregor von Anna trennen würde und damit sein einfaches Leben mit einer Freundin hinter sich lassen würde. Was dann zu einer ähnlichen Situation wie damals mit Lydia führen würde, auf die er eindeutig keine Lust hatte. Vorallem, weil jetzt nicht einige hundert Kilometer zwischen Gregor und Anna liegen würden sondern sie sich in dieser kleinen Stadt auch jederzeit zufällig begegnen konnten.
Und außerdem war so ein Egoist wie Toni definitiv nicht das, was Gregor verdiente. Dazu kam ja auch noch, dass es nicht einmal sicher war, ob er für ihn das Gleiche fühlte. Da Toni ja festgestellt hatte, dass er eine absolute Niete in menschlichem Verhalten war, konnte es doch auch durchaus sein, dass er Gregors Gesten immer falsch gedeutet hatte und Gregor lediglich seine Nähe suchte, weil er einfach einsam war. Was alles nach wie vor im krassen Gegensatz dazu stand, dass er ja eigentlich einen Schnitt gemacht hatte. So oder so, es war eindeutig das Beste, wenn Toni seine Gefühle nahm und wieder ganz tief in sich einsperrte. Und außerdem war es Zeit, sich endlich mal wieder um Anna zu kümmern, die er in den letzten Wochen, in denen er sich fast jeden Tag mit Gregor getroffen hatte, ziemlich vernachlässigt hatte.
Sie hatte es vermutlich zwar gar nicht gemerkt, weil sie in der Zeit genug mit ihrem Studium ausgelastet gewesen war, aber das änderte nichts daran, dass Toni sich trotzdem schuldig fühlte. Und als er dann unangekündigt bei ihr auftauchte, um sie zu einem Essen mit Kerzenlicht in einem Restaurant auszuführen, dass er sich mit seinem schmalen Budget grade noch leisten konnte und sie sich darüber unglaublich freute, da ging es ihm gleich besser.
Die juristische Fakultät gab auch in diesem Semester eine kleine Party, auf der Studenten, die kurz vor dem Abschluss standen, bei Häppchen und Getränken auf Anwälten aus Kanzleien in der Umgebung treffen und so gleich ein paar Beziehungen knüpfen konnten, was ihnen den Einstieg in ihr berufliches Leben erleichtern sollte und Anna freute sich unglaublich, dass sie jetzt endlich daran teilnehmen konnte.
Und Toni sollte natürlich mitkommen und ebenfalls einen guten Eindruck machen. Er hatte darauf zwar keine Lust, aber sagte natürlich trotzdem zu, Anna zuliebe. Und ihr zuliebe würde er sich auch von seiner charmantesten Seite zeigen. Das nahm er sich fest vor, als er aus seinem Kleiderschrank seine beste Hose und sein bestes Hemd herausholte, sie anzog und feststellen durfte, dass sie immer noch genau so unbequem waren wie vor einem Jahr, als er sie das letzte Mal getragen hatte. Er konnte sich zwar nicht dazu durchringen, seine einzige Krawatte jetzt schon umzubinden, aber Anna zuliebe packte er sie zumindest ein. Er hatte durch sie jetzt schon ein paar Anwälte kennengelernt und Krawatten gehörten anscheinend eindeutig mit zu ihrer Ausrüstung und er würde auf keinen Fall einen schlechten Eindruck hinterlassen, weil er keine trug.
Er war auch immer noch voller Elan, gleich eine gute Figur zu machen, als er an der Bushaltestelle stand und auch nachher, als er im Bus saß. Aber als er dann an der Uni ausstieg und am Parkeingang gegenüber Xenia mit ein paar Leuten stehen sah, da lag sein Elan im Bruchteil einer Sekunde in Trümmern, weil er ab da nur noch daran denken konnte, dass wenn Xenia da stand, Gregor sicher auch in der Nähe war. Und erst jetzt wurde Toni bewusst, wie sehr er ihn in den letzten Tagen vermisst hatte. Aber er war ja nicht hier wegen Gregor, sondern wegen Anna. Deswegen kratzte Toni alle Selbstbeherrschung zusammen, die er besaß, straffte die Schultern und drehte sich um.
Doch er schaffte grade mal fünf Schritte, bevor er alle Bedenken über Bord warf, kehrt machte und zu Xenia hinging, die in ein Gespräch vertieft war. Aber Toni hatte absolut keine Zeit zu warten, bis ihr Gesprächspartner mit seinem Redefluss fertig war. "Hallo," fiel er ihm deswegen einfach ins Wort und nickte Xenia zu. "Ist Gregor vielleicht auch hier?"
Xenia nickte, hob die Hand und wies ins Innere des Parks. "Ja, der muss irgendwo am Spielplatz sein."
"Danke," sagte Toni hastig, warf sich herum und ging hastig weiter. Er hatte sich früh auf den Weg gemacht und wenn er jetzt nur bei Gregor vorbeisah und eben Hallo sagte, dann würde er auf jeden Fall noch pünktlich zu Annas Veranstaltung kommen.
Er fand Gregor dann auch glücklicherweise am Spielpatz. Er saß auf einer der beiden Schaukeln und unterhielt sich mit ein paar Leuten, die vor ihm standen. Ohne auf seine Schuhe und seine Hose zu achten stapfte Toni durch den Sand bis zum Schaukelgestell und gesellte sich einfach dazu. "Hallo," sagte er in die Runde und bevor sich seine Aufmerksamkeit nur noch auf Gregor konzentrierte konnte er feststellen, dass er zwei von den Leuten wiederkannte, weil sie damals zusammen mit Gregor an der Bushaltestelle gestanden hatten.
Er wurde zurückgegrüßt, was er aber kaum mitbekam, denn in diesem Moment trafen sich Gregors und seine Blicke, sie lächelten sich an und Toni hatte Schmetterlinge im Bauch. Zwar wies ihn sein Gehirn auch in diesem Moment darauf hin, dass er hier jetzt nicht wie ein Idiot herumstehen und einfach nur Gregor anstarren konnte, sondern sich auch ein bisschen an den Gesprächen um ihn herum beteiligen sollte, aber das war ihm grade egal.
Aber dann tat ihm das Schicksal wieder einmal einen Gefallen, als bei einem in diesem Moment das Handy klingelte und er nach einem kurzen Gespräch zu Gregor sagte: "Okay, wir gehen dann jetzt schon mal vor und du kommst dann mit Xenia nach?"
Gregor nickte. "Ja, genau so siehts aus."
Die Gruppe zog ab und als sie weg waren, setzte Toni sich auf die Schaukel neben Gregor und atmete einmal tief ein. Dann drehte er den Kopf, sie sahen sich an und Gregor sagte mit einem Lächeln: "Hey. Was macht du denn hier?"
Toni öffnete den Mund, fing an mit "Ich..." und wusste dann nicht mehr, wie er den Satz fortsetzen sollte, also schloß er den Mund wieder und zuckte mit den Schultern. Doch anstatt es dabei zu belassen, rutschte ihm ohne sein bewusstes Zutun "Ich musste dich einfach mal wiedersehen!" heraus.
Gregors Lächeln vertiefte sich. "Ach ja? Warum denn?"
Diesmal konnte Toni nicht nur nicht verhindern, dass er rot wurde, sondern auch, dass Gregor es mitbekam. Und um der unangenehmen Situation noch die Krone aufzusetzen konnte er nur: "Weil ich...ich..." stottern.
In diesem Moment hob Gregor die Hand und legte sie ganz sanft auf Tonis Arm. "Ich mag es, wenn du rot wirst," murmelte er und dann ließ er seine Hand ganz langsam Tonis Arm hoch wandern, über seine Schulter zu seinem Nacken, während er ihm dabei tief in die Augen sah.
Tonis Herz schlug einen Salto nach dem anderen als ihm klar wurde, worauf das hier hinauslief und dass das doch einfach nicht sein konnte. Doch dann legte sich Gregors Hand um seinen Nacken, er zog Toni zu sich heran, beugte sich in der gleichen Bewegung vor und dann gab es keinen Zweifel mehr daran, dass das hier ein Kuss wurde.
Gregor zu küssen fühlte sich immer noch genau so magisch an wie damals, es war eine Explosion von unglaublich angenehmen Gefühlen, die Toni alles um sich herum vergessen ließ und ihm den Atem nahm. Er krampfte die Hände im Schoß zusammen, weil diesen unglaublich schönen Moment auf keinen Fall zerstören wollte, was vielleicht passierte, wenn er Gregor auch berührte.
Nach dem Kuss schwiegen sie einen Moment, ohne sich aus den Augen zu lassen, bis Tonis Gehirn wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. "Du... du hast mich geküsst," stelle er das Offensichtliche fest und Gregor lächelte. "Stimmt, das hab ich."
"A...aber warum," redete Toni weiter und räsuperte sich einmal, weil seine Stimme furchtbar kratzig klang. " Ich meine, nach allem, was du mir damals an den Kopf geworfen hast und nach dem Schnitt, den du machen wolltest. Ich dachte eher, du machst ihn, weil du danach nichts mehr mit mir zutun haben willst."
Gregor grinste sein schiefes Grinsen. "Ich fürchte, wenn ich dir das jetzt erkläre, dann wirst du mich für verrückt halten."
"Mach es trotzdem," erwiderte Toni lächelnd und griff nach Gregors Hand, eine Geste, die sich in diesem Moment absolut natürlich anfühlte und es war grade auch weit und breit niemand zu sehen, der ihn dabei hätte beobachten können.
Gregor atmete einmal tief ein. "Also gut, du hast es so gewollt." Er wandte seinen Blick von Toni ab und starrte sinnend vor sich auf den Sand. "Als du dich damals plötzlich nicht mehr gemeld hast, konnte ich mir natürlich denken, was passiert ist und es gab echt nichts, was mir jemals so weh getan hat, wie das. Deswegen wollte ich es vermutlich auch erst nicht wahrhaben und hab wochenlang drauf gewartet, wieder was von dir zu hören. Aber als nach einem Monat immer noch nichts kam, bin ich dann wirklich durchgedreht. Ich hab die Schule total schleifen lassen, die Nächte durchgesoffen und mit jedem Kerl rumgevögelt, der nur entfernt ausgesehen hat, wie du. Und es hat ziemlich lange gedauert und meine Eltern mussten ein ganz schönes Machtwort sprechen, damit ich wieder runtergekommen bin und mein Abi noch mit Ach und Krach geschafft hab.
Und als ich dann die Ausbildung gemacht hab und mein Vater mich die ganze Zeit im Auge gehabt hat, hab ich wieder in die Spur gefunden.
Ich konnte dich zwar nicht vergessen, aber zumindest irgendwo in den Hintergrund schieben." Er drehte wieder den Kopf und sah Toni an. "Und dann treff ich dich nach all den Jahren hier in dieser Stadt und mit einem Schlag ist alles wieder da und ich bin genau so wütend auf dich, wie damals. Aber je öfter ich dich gesehen hab und als du dann anfingst, dich wie ein ziemlicher Idiot mir gegenüber zu verhalten da wurde mir irgendwann bewusst, dass es eigentlich nie du gewesen bist, den ich gehasst hab."
Er fing an, sanft mit Tonis Finger zu spielen. "Es war allein die Tatsache, dass du mich so einfach aus deinem Leben verbannen konntest, während ich mich deswegen gefühlt hab, als würde ich in Flammen stehen.
Und das mit dem Schnitt hab ich eigentlich nur deswegen gesagt, weil ich das, was damals gewesen ist, einfach hinter mir lassen wollte. Ich will einfach nur das zurückhaben, was wir in diesem Herbst gehabt haben und was absolut das Beste gewesen ist, das mir jemals passiert ist!" Er lehnte den Kopf gegen die Kette der Schaukel und sah Toni ernst an. "Ich will dich! Und ich weiß, dass mir das zu einem totalen Idioten macht, aber es sind Gefühle, gegen die ich einfach nicht ankomme, egal, wie sehr ich es versucht habe! Also habe ich mich jetzt entschieden, nicht mehr dagegen sondern dafür zu kämpfen. Ich weiss, ich werde von dir niemals das bekommen, was ich haben will und mir ist auch bewusst, dass es da Anna gibt und deswegen auch wirklich alles wieder so sein wird, wie früher, aber das kann ich akzeptieren. Und ganz ehrlich: Vögeln würde mir auch schon voll ausreichen!"
Bei seinen Worten hatte Toni das Gefühl, als würde sein Herz für einen Moment aufhören zu schlagen. Er war sich ganz sicher, dass er sich verhört hatte, denn das, was Gregor ihm da grade praktisch auf dem Silbertablett präsentierte war genau das war, woran er auch schon gedacht hatte. "M...meinst du das ernst?" stotterte er. "Oder willst du mich nur verarschen?!"
"Nein, niemals!" erwiderte Gregor ernst und hob drei Finger zum Schwur.
Während Toni da saß und immer noch versuchte zu verarbeiten, was grade passiert war, brummte das Handy in seiner Hosentasche und erinnerte ihn daran, dass er heute noch eine Verpflichtung hatte. "Ich... ich muss dann jetzt gehen," stammelte er. "Zu Anna..."
Gregor nickte. "Ja, klar. Und ich muss auch noch mit Xenia reden. Ich melde mich bei dir, ja?"
"O...okay," sagte Toni, ließ Gregors Hand los, stand auf und ging ohne ein weiteres Wort oder einen Blick los und durfte feststellen, dass er unglaubliche weiche Knie hatte.