~August 2016 ~
»Was steht eigentlich dieses Wochenende bei dir auf dem Plan?«
Die Stimme seiner besten Freundin, Willow Bennett, ließ Luca von seiner Arbeit aufsehen. Die Rothaarige hatte sich auf die halbhohe Tür gelehnt und beobachtete ihren Kumpel, der frisches Stroh in der Box seines Pferdes verteilte.
»Nichts Besonderes. Ich hab frei und wollte später zum See runterreiten. Ein bisschen schwimmen, sonnenbaden ... einfach relaxen.«
Willow grinste. »Alleine?«
»Das ist der Plan, ja«, erwiderte der junge Mann, »warum fragst du?«
»Nur so. Ich war halt neugierig.«
Eine Augenbraue hebend, musterte Luca seine Freundin. »Wen denkst du, sollte ich wohl mitnehmen?«
»Na ja, hätte ja sein können, dass du deinen ... Schwarm triffst. Was weiß ich.«
»Meinen ... bitte was? Wovon redest du? Hab ich was verpasst?«, der junge Mann sah Willow erstaunt an.
»Ach nichts. Es war nur so ein Gedanke, weil du mal was von ‘nem Typ sagtest, den du sehr ... interessant fandest. Hätte ja sein können, dass ihr euch verabredet habt. Aber ist auch egal. Vergiss es einfach.«
»Hmmm«, brummte der Blonde und setzte seine Arbeit fort, um sie kurz darauf noch einmal zu unterbrechen. »Und was machst du dieses Wochenende?«
Die junge Frau zuckte mit den Schultern. »Auch nichts Besonderes. Ich bin verabredet.«
»Verabredet?«, Luca stützte sich auf dem Stiel der Mistgabel in seiner Hand ab, »Und das ist Nichts Besonderes?«
Er wusste, dass es das für Willow sehr wohl war, denn nach ihrer letzten Beziehung konnte ein Mann sich geehrt fühlen, wenn sie mit ihm ausging, geschweige denn, sich auf mehr einließ. Schlechte Erfahrungen hatten die junge Frau misstrauisch und unnahbar gegenüber dem männlichen Geschlecht werden lassen und das zu durchbrechen, bedurfte schon einer sehr einfühlsamen Vorgehensweise.
Erneut zuckte Willow mit den Schultern. »Nun ja, er ist halt ganz nett.«
»Ganz ... nett?«, wiederholte Luca schmunzelnd.
Ein wenig verlegen band die junge Hexe sich ihre hüftlangen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und erwiderte: »Jaaaa ... Na ja ... ich mag ihn eben. Er ist keiner dieser oberflächlichen Kerle mit Macho-Allüren, die eine Frau nur ins Bett bekommen wollen und danach, wenn sie sie hatten, fallen lassen wie eine heiße Kartoffel. Er ist ganz anders. Höflich, charmant, aber auch unheimlich interessant, ja ... aufregend. Er hat etwas ... Einzigartiges an sich, was mich fasziniert. Keine Ahnung.« Willow kicherte unsicher.
»Das hört sich aber nach mehr als ›Ganz nett finden‹ an. Kenn ich ihn?«, der Blonde legte den Kopf leicht schief.
Seine Freundin errötete bis unter die Haarwurzeln und wich Lucas Blick aus. »Ja … Nein ... nicht wirklich. Du hast ihn schon mal gesehen.«
»Ach ja? Und wo? Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen.«
»Auf dem ...«, setzte Willow an, brach dann jedoch ab.
»Hmm?«
»Nicht so wichtig. Ich möchte eigentlich nicht mehr dazu sagen, bis ich einigermaßen sicher sein kann, dass das Ganze nicht doch wieder ein Reinfall ist. Sei mir nicht böse, aber ich muss mich jetzt fertigmachen. In gut drei Stunden holt er mich ab. Ich hoffe, du hast ‘nen schönen Tag. Wir sehen uns ja bestimmt morgen, falls du nicht wieder hier übernachtest.«
»Okay, dann will ich auch nicht weiter nachbohren. Hab einfach Spaß. Wo ich die Nacht verbringe, wird sich noch rausstellen. Falls ich nachher zu kaputt bin, bleibe ich hier, wenn mein Onkel nichts dagegen hat, ansonsten komm ich nach Hause.«
»Okay«, erwiderte die junge Frau und sah auf ihre Armbanduhr, »ich muss aber jetzt wirklich los.«
Willow zog Luca in eine kurze Umarmung und machte sich dann auf zum Herrenhaus, wo sie, genau wie Luca, von dessen Onkel, dem das Gestüt gehörte, ein Zimmer zur Verfügung gestellt bekommen hatte, damit sie nicht jeden Tag von ihrem Zuhause in London raus nach Reading fahren musste.
Der Blonde sah ihr noch einen Augenblick hinterher, bevor auch er das Gebäude verließ. Sein Weg führte ihn allerdings durch den hinteren Ausgang des Stalles, um sein Pferd von der Koppel zu holen. Er hatte einen vagen Verdacht, mit wem Willow sich treffen wollte, aber … Sie würde ihm schon davon berichten.
Unterwegs zu den Weiden kamen dem jungen Mann Zweifel, ob er den Friesenwallach wirklich für sein Vorhaben nehmen sollte. Es war noch nicht einmal Mittag und die Sonne knallte unbarmherzig auf ihn herunter. Es fühlte sich an wie 30° Grad – mindestens. Diese Temperaturen wollte er dem Pferd eigentlich lieber nicht antun.
Der kleine, gestütseigene See lag zwar sehr idyllisch inmitten eines Waldes, aber der Weg dorthin führte über freies Gelände, fast ohne jeglichen Schutz, durch die pralle Sonne. Und es dauerte eine gute halbe Stunde, bis man das Gewässer erreichte. Luca hielt einen Moment inne, um zu überlegen. Selbst er schwitzte schon und ihm machte Hitze eigentlich nicht so viel aus. Wie sollte es einem Tier mit tiefschwarzem Fell dann erst gehen? Nein, das ergab keinen Sinn. Er würde Wotan schön auf der Weide stehen und sich etwas anderes einfallen lassen, um an sein Ziel zu kommen.
Aber wie? Zu Fuß? Unmöglich bei der Hitze. Mit dem Auto? Mit dem Fahrrad? Alles keine Optionen. Lucas Blick fiel auf den kleinen Schuppen neben dem Stall. Darin bewahrte sein Onkel Alan allerlei verschiedenes Zeug auf. Unter anderem stand dort ein alter Jaguar Mk2 aus dem Jahre 1962 und ... die Harley von Lucas verstorbenem Bruder, Tyler. Das Motorrad hatte bei dem Unfall vor zweieinhalb Jahren wie durch ein Wunder nur ein paar Kratzer davongetragen und lief noch ohne irgendwelche Macken. Es wäre nicht das erste Mal, dass Luca die Maschine zu einem kleinen Ausritt nehmen würde. Der junge Mann hatte sie schon gefahren, da war er gerade fünfzehn Jahre alt gewesen. Sein Bruder hatte es ihm beigebracht. Natürlich durfte er nur auf dem Gelände des Gestüts damit herumkurven, aber das reichte ihm. Noch nicht ganz sicher, was er tun sollte, ging er hinüber zu dem Schuppen und öffnete die Tür.
Luca betrat das Gebäude und blieb einen Moment stehen, bis sich seine Augen an das Halbdunkel gewöhnt hatten. In diesem Raum wurde wirklich alles aufbewahrt. Von unzähligen Kisten mit allem möglichen Inhalt, über eine alte Staffelei seines Onkels nebst der dazugehörigen, bemalten Leinwände, über Werkzeug, Gartengeräte bis zu dem Oldtimer und dem Motorrad, die beide, zum Schutz gegen den Staub, abgedeckt in der Mitte des Raumes standen. Der junge Mann ging hinüber und zog die leichte Plane von der Maschine, strich dann fast liebevoll mit der Hand über den schwarzen Lack.
Luca seufzte leise. Für einen Moment drifteten seine Gedanken zu seinem verstorbenen Bruder ab und Tränen schnürten ihm die Kehle zu. Doch dann riss er sich zusammen. Er wollte sich nicht seiner Melancholie hingeben und sich davon den Tag verderben lassen.
Dass Tyler tot war, das war nicht mehr zu ändern und dieser hätte nicht gewollt, dass sein kleiner Bruder ewig in Trauer versank. Ein Ruck ging durch den Körper des jungen Mannes. Er hatte seine Entscheidung getroffen. Langsam durchquerte er den Raum und schob das Rolltor vor dem Haupteingang, der zum Innenhof des Gestüts führte, hoch.
Er musste blinzeln, als das grelle Sonnenlicht in das Gebäude drang. Erst jetzt wurde ihm wirklich bewusst, wie dunkel es hier drinnen war. Er ging zurück zu der Harley und schob diese hinaus auf den Hof. Dann schloss er das Tor wieder und brachte die Maschine hinüber in den Schatten des Herrenhauses.
»Guten Morgen! Was hast du denn vor?«
Luca hob den Blick und sah in die dunklen Augen seines Onkels.
»Guten Morgen! Ich werde gleich zum See fahren. Eigentlich wollte ich runterreiten, aber bei der Hitze hab ich es mir anders überlegt. Das möchte ich Wotan nicht zumuten. Außerdem überlege ich, über Nacht in der Fischerhütte zu bleiben und dann wäre es blöd, das Pferd dabei zu haben. Also nehm ich die Maschine.«
Alan Summerson musterte seinen Neffen, dann nickte er. »Klar, warum auch nicht! Es ist dein freies Wochenende und du kannst damit tun und lassen, was du willst. Und dass es für Wotan zu warm ist, da gebe ich dir recht. Obwohl, wenn du ihn gemütlich im Schritt gehen lässt, dürfte es ihm nichts groß ausmachen. Aber so ist es ja auch machbar. Falls du da unten allerdings übernachtest, dann denk daran, dass es keinen Strom gibt. Die Gaslampen müssten zwar funktionieren, aber es war ja nun länger keiner dort. Nimm also ein paar Kerzen mit.«
Luca grinste. »Werde ich tun und mir auch was zu Essen und Trinken einpacken. Und mein Handy lade ich auch noch. Hey, ich bin maximal über Nacht weg. Also keine Panik. Außerdem ist es von da keine halbe Stunde mit dem Motorrad.«
»Na ja, man muss es ja nicht heraufbeschwören.«
»Soll ich dich auch jede Stunde anrufen, damit du Ruhe hast?«, der junge Mann schob sich grinsend an seinem Onkel vorbei, »Ich weiß nicht mal, ob ich übernachte. Und jetzt lass mich weitermachen. Ich hab noch zu tun.«